Yoongis Sicht

Sanft klingen die Töne des Klaviers durch den Raum. Hin und wieder schallt einer etwas nach, wenn ich meinen Fuß auf das Pedal stelle.
Es ist ein trauriges Lied.
Es spiegelt meine Gefühle wieder. Diese Gefühle, die falsch sind. Aber ich kann sie nicht ändern.
Am Anfang habe ich noch gedacht, sie würden wieder verschwinden, doch sie werden von Tag zu Tag nur immer stärker.
Eine Träne verlässt mein Auge und läuft meine Wange hinunter.
Warum muss ich diese Gefühle haben? Sie quälen mich.
Und sie werden niemals erwidert. Nicht nur, weil er nicht schwul ist, sondern auch, weil wir das gar nicht dürfen. Berühmte Idole können keine Beziehungen führen und schon gar nicht untereinander.
Was ich fühle, wird für immer mein Geheimnis bleiben.
Leise seufzend erhebe ich mich und wische die Tränen weg. Ich verlasse den Musikraum und gehe den langen Flur entlang. Es ist mitten in der Nacht, weshalb ich niemandem begegne.
Ich komme an der Küchentür vorbei.
Und bleibe stehen.
Lange stehe ich einfach nur da, starre die Tür an und überlege.
Soll ich es wieder tun?
Um Gottes Willen, natürlich nicht!
Aber ich verdiene es.
Nein, tust du nicht!
Doch.
Mein Verstand ist mehr als dagegen, doch ich tue es trotzdem. Ich öffne die Küchentür und laufe zur Besteckschublade.
Ich hole ein Messer heraus. Meine Hand zittert.
Du verdienst es!
Nein, leg das weg!
Tu es!
Tu es nicht!
Doch ich tue es. Langsam drücke ich die spitze Klinge in meine Haut. Das Blut quillt heraus und läuft über meinen Arm. Ich drücke so lange zu, bis der Schmerz unerträglich wird. Dann ziehe ich das Messer wieder heraus.
Mein Pullover ist voller Blut und ich spüre plötzlich, wie Tränen über mein Gesicht laufen. Geschockt lasse ich das Messer fallen.
Ich habe es wieder getan!
Ich habe schon wieder die Kontrolle verloren und es getan!
Aber das war auch richtig so.
Nein, war es nicht! Versorge die Wunde, sonst verlierst du zu viel Blut! Ich schluchze auf und drücke verzweifelt ein Küchenhandtuch auf die Verletzung. Augenblicklich färbt sich der Stoff rot.
Ich lehne mich an der Wand hinter mir an und schließe die Augen.
Ich will das nicht mehr fühlen müssen!
Diesen Schmerz!
Ich kann nicht mehr!
Ich rutsche an der Wand hinunter und kauer mich auf dem Boden zusammen. Die Verletzung blutet und blutet, sodass mittlerweile auch meine Hose mit der roten Flüssigkeit getränkt ist. Mein Körper wird von gelegentlichen Schluchzern geschüttelt und ich fühle mich völlig schwach.
Plötzlich höre ich ein Geräusch und schaue zur Tür. Dort steht jemand. Durch die Tränen ist meine Sicht verschleiert und ich kann nicht erkennen, wer es ist.
Die Person kommt näher und kniet sich vor mir auf den Boden.
"Yoongi! Yoongi, hörst du mich?"
"Jimin..."
Der Jüngere steht auf und rennt aus dem Raum. Wo will er hin?
Ich blinzel ein paar Mal. Mir ist schwindelig...
Plötzlich ist Jimin wieder da. Er hat einen Koffer bei sich. Aus diesem holt er Verbandszeug und inspiziert meine Wunde. Vorsichtig versorgt er sie und wickelt einen Verband drumrum.
Und was er dann tut, überrascht mich wirklich. Der Kleinere hebt mich hoch, um mich dann ins Wohnzimmer zu tragen.
Ich hätte niemals gedacht, dass er das schaffen würde.
"Jimin...ich bin schwer", sage ich deshalb.
Doch er antwortet nur: "Ich weiß".
Im Wohnzimmer angekommen legt er mich vorsichtig auf die Couch und setzt sich daneben.
"Also Yoongi...warum?", fragt er mich dann und schaut sehr besorgt.
Und auch traurig. Wieso ist er traurig?
Jedenfalls weiß ich nicht, warum ich es getan habe. Im Endeffekt ist das vielleicht auch egal.
Aber ich richte mich etwas auf und lege meine Lippen auf Jimins. Ganz vorsichtig und sanft ist der Kuss. Und doch löst er mehr in mir aus, als man sich vorstellen kann. Meine Gefühle spielen komplett verrückt. Und das wegen Jimin.
Langsam löse ich mich von ihm und schaue in seine überraschten Augen. "Es ist mein Geheimnis", sage ich zu ihm, "behalte es für dich".
Jimin beginnt zu lächeln und mir wird warm ums Herz. "Keine Sorge", lächelt er, "es wird für immer unser Geheimnis bleiben".
Und dann küsst er mich ein zweites Mal.

🥀End🥀