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Die Nervosität in meinem Inneren kroch mir in jeden noch so kleinen Winkel meines Körpers, als Taehyung mir stumm zunickte, meine Hand ergriff und den ersten Schritt über die Türschwelle ins Innere des dunklen Raumes machte. Meine Haut kribbelte wie elektrisiert und ein feuchter Film bildete sich in meinen Handflächen. Schritt für Schritt traten wir weiter ins Dunkle und ich wollte schon fragen, ob es hier keinen Lichtschalter gab, als Taehyung aber plötzlich auf etwas am Boden trat und ein kurzes Klicken die Stille durchbrach.
Beinahe im selben Moment leuchteten mehrere Stehlampen mit diesen beigen Vintage-Lampenschirmen auf, die ich auch schon in Madame Dubois' Laden gesehen hatte. Sie alle warfen einen seichten Lichtkegel auf einen Gegenstand neben ihnen und je öfter meine Augen über die circa ein dutzend Lampen huschten, desto weiter klappte mein Mund auf und desto mehr Staunen wanderte in meinen Blick.
"Tae, d-das ist...das-", begann ich überwältigt zu stammeln und konnte meine Augen überhaupt nicht von dem abwenden, was sich dort vor mir auftat. Immer wieder entdeckte ich etwas Neues und immer öfter ertappte ich mich selbst dabei, wie mir neue Details in die Augen fielen. Ich musste zugeben, dass ich mich noch nie zuvor in meinem Leben für derartige Kunst, geschweige denn überhaupt für Kunst interessiert hatte, doch die Gemälde in diesem Raum lösten ein ganz neues, eigenartiges Gefühl in mir aus.
Mutig trat ich einige Schritte auf die vordere Staffelei zu, zog Taehyung einfach mit mir und ließ meine Augen sogleich über die Leinwand schweifen. Wie gefesselt flogen sie über jeden Winkel des Gemäldes, jede Schattierung, jede Kurve und Kante. Ich hatte keine Ahnung wieso, aber ich war kaum im Stande mich von dem Bild zu lösen, auch wenn es mich früher völlig abgeschreckt hätte. Vor allem, weil mir die Person darauf mehr als bekannt vorkam. Aber es störte mich nicht - nicht ein Bisschen.
Taehyung stand währenddessen stumm neben mir, hielt meine Hand beinahe verkrampft fest, so als ob er Angst davor hätte, ich würde ihn jeden Moment loslassen. Doch ich hatte das komplette Gegenteil vor. Ganz langsam drehte ich mich zu ihm herum, musterte ihn aus großen Augen und mit neugieriger Entschlossenheit. Er hingegen hatte seinen Kopf verlegen gen Boden gesenkt und der rote Film auf seinen Wangen verriert mir, dass ihm das hier unangenehm sein musste. Behutsam streckte ich meinen Arm hervor und ergriff auch seine andere Hand, die er fest zu einer Faust verkrampft hatte. Sachte umschloss ich sie mit meinen Fingern, spürte beinahe sofort, dass sie sich entspannte und schob anschließend meine Hand in seine.
"Taehyung", sprach ich ihn nun bei seinem vollem Namen an, wobei ich versuchte meiner Stimme, die nötige Festigkeit zu verleihen. Sogleich linste er schüchtern und zugleich peinlich berührt zu mir herauf, worauf ich ihm ein aufmunterndes Lächeln schenkte. Erst als er dieses sah, schien er sich etwas zu entspannen. "Das konntest du mir nicht erzählen?", hakte ich mutig nach und legte meinen Kopf dabei etwas schief.
"D-du verurteilst m-mich nicht?", kam ihm die Gegenfrage stotternd über die Lippen, nachdem kurz ein Funken Hoffnung in seinen Iriden aufgeblitzt war, der aber sogleich wieder verschwand. Er glaubte doch tatsächlich, dass ich ihn wegen seiner Kunst abweisen würde? "Hast du mich etwa jemals verurteilt?" Langsam trat ich einen weiteren Schritt auf ihn zu und suchte verzweifelt seinen Blick, den er erneut von mir abgewandt hatte.
Für einen Moment herrschte eine angespannte Stille zwischen uns, doch schließlich schüttelte der Schwarzhaarige kaum merklich seinen Kopf. "D-du findest...", begann er zu sprechen und schien sich wohl die richtigen Worte zusammenlegen zu müssen, "du findest e-es nicht schlimm?" "Warum sollte ich?" Sobald ich meine Frage jedoch ausgesprochen hatte, wurde mir auch schon bewusst wie dumm sie eigentlich war. Natürlich dachte er, ich würde ein Problem damit haben.
"Ich meine... es sind n-na...na-nackte Männer", bei diesen Worten schoss dem Mann vor mir augenblicklich die Röte ins Gesicht und ich wollte gar nicht wissen, wie unangenehm ihm diese ganze Situation doch sein musste. "Naja also... ich würde mal sagen, du hast Glück, dass ich nicht damals schon dieses Zimmer entdeckt habe", versuchte ich die Stimmung etwas zu lockern und lächelte ihm neckisch entgegen. Dies zeigte anscheinend die gewünschte Wirkung, denn keine Sekunde später riss er seinen Kopf zu mir herum und starrte mich aus großen Augen an. Danach zuckten auch seine Mundwinkel unwillkürlich nach oben. Seine Hand löste er hastig aus meiner, sodass ich auf einmal seine Faust gegen meine Brust boxen spüren konnte.
"Du bist doof", nuschelte er, musste aber stumm in sich hineingrinsen. "Und du Aktmaler", erwischte ich ihn eiskalt auf dem Boden der Tatsachen, wodurch sich seine Augen erneut zu großen Kugeln formten und ihm beinahe aus den Höhlen fielen. Auch sein Kopf glich nun mehr einer Tomate, als dem wunderschönen Karamellbonbon, was ich sonst immer sah. "Dass du das überhaupt kennst", gluckste er dennoch belustigt auf und schien allmählich die Anspannung zu verlieren. "Nur weil ich keine Gefühle hatte, heißt das ja nicht, dass ich komplett ungebildet bin", grinste ich und wandte mich anschließend wieder dem Bild direkt vor mir zu.
Ein weiteres Mal nahm mein Herz um einiges an Fahrt auf, als ich es auf mich wirken ließ. In meinem Bauch begann es ganz komisch zu kribbeln und ich wollte unbedingt auch all die anderen Gemälde betrachten. Von jetzt auf gleich löste ich mich von Taehyung und lief auf das nächste Bild zu. Auch dieses wurde von dem ovalen Lichtkegel der Lampe daneben erhellt. Genauso wie bei dem ersten Bild zog es mich augenblicklich in seinen Bann und ich wollte jedes noch so kleine Detail in mich aufsaugen.
So vergingen einige Minuten, vielleicht auch Stunden, denn ich hatte inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren, in denen ich mir jedes der Gemälde genaustens anschaute. Und je mehr der Bilder ich betrachtete, desto stärker wurde das Kribbeln in meinem Bauch. Es fühlte sich so seltsam drückend an... nicht wie das Kribbeln, was ich spürte, wenn ich in Taehyungs Sternenaugen schaute. Nicht wie ein aufgeregtes Kribbeln. Eher etwas dunkleres; Etwas, dass einen in einen tiefen Bann ziehen konnte.
Letztendlich trat ich mehrerer Schritte zurück, ließ meine Augen noch für einen Moment auf der Leinwand verweilen, bevor ich mich schweratmend zu dem Lockenschopf drehte. Dieser besah mich mit einem Mal mit einem unergründlichen Blick, intensiv und forschend, zugleich aber auch verletzlich und hoffnungsvoll. Ich konnte es nicht wirklich deuten - vielleicht war ich dafür doch noch nicht so ganz drin in dem ganzen Gefühlsding. Aber ich wusste, dass etwas in ihm vorging, weshalb ich mit schleichenden Schritten auf ihn zutrat. Dabei hatten meine Augen schon längst die seinen eingefangen, die tatsächlich noch ein ganzes Stück stärker funkelten aus sonst.
"Ich habe nur eine Frage", hauchte ich, immer noch außer Atem. Für einen Moment sahen wir uns nur tief in die Augen und versanken in der Galaxie des anderen, doch dann nickte Taehyung bedächtig und gab mir damit sein okay. "Warum sind sie so düster?"
Kaum merklich näherte Taehyung sich mir ein Stückchen mehr. Ein warmer Schauer wanderte meinen Rücken hinab, als ich mich fast so fühlte, als würde er mir bis auf meine nackte Seele schauen. Doch auf seinen Lippen lag ein sanftes Lächeln. Als er sich kurz zu der vordersten Staffelei drehte, verschwand dieses allerdings sofort.
"Weißt du Jungkook", begann er daraufhin zu sprechen, seine tiefe Stimme jagte einen weiteren Schauer über meinen Rücken und auch seine Nähe nahm ich plötzlich viel stärker wahr, "der Mensch ist nackt, wenn er auf die Welt kommt. Nicht nur äußerlich, auch innerlich." Kurz schweiften seine Augen über den entblößten Körper seines besten Freundes auf dem Bild. Jeder Muskel, jede Körperpartie war feinstens gezeichnet und mit verschiedensten Grautönen definiert.
"Doch das bleibt nicht so", seine Stimme wurde ein ganzes Stück dünner und ich konnte erneut diesen Schmerz in seinen Iriden erkennen. "Sobald der Mensch auf der Welt ist, wird er befleckt. Sein nacktes Inneres, das so rein und gut war, wächst zu Etwas heran, das ein Leben voll Gier, Macht und Geld vorzieht. Darin sogar seine vermeintliche Erfüllung findet." Für einen Moment hielt er inne, wandte sich von dem Bild ab und damit mir erneut zu.
"In meiner Vergangenheit hatte ich mit vielen solcher Menschen zu tun... mit Menschen, die sich an ihrer Macht ergötzt haben, mich klein gemacht haben oder mich für Geld erpresst haben. Und dies passiert nicht nur in meinem Leben. Es geschieht überall... in jedem Lebensbereich, zu jeder Minute, dass Menschen diese Dinge für sich ausnutzen. Doch ist das wirklich erfüllend?"
Für einen Moment wurde es erneut mucksmäuschenstill. Ich wusste genau, wie ich seine Frage beantworten würde, die immer wieder in meinen Ohren echote. Ich wollte ihm zeigen, dass ich ihn verstand, dass ich seinen Schmerz nachempfinden konnte. Aber ich konnte es nicht. Nicht nur, weil mir in diesem Moment die Worte fehlten, sondern auch, weil ich plötzlich bemerkte, wie sehr diese Bilder doch auch zu meinem Leben passten - oder besser gesagt zu dem, was ich mir vom Leben vorgestellt hatte. Die düsteren Nebel und Wolken um dem nackten Körper, mit den darin versteckten, grässlich verzerrten Gesichtern, den nach den reinen Körpern lechzenden Krallen und die vielen grotesk aufgerissenen Augen, lösten auf einmal wieder dieses drückende Kribbeln in meinem Bauch aus.
Als sich aber beinahe im selben Moment Taehyungs Hand sanft an meine Wange schmiegte und ich sofort zurück in seine warmen Augen blickte, wurde das dumpfe Drücken durch ein so angenehmes und erfüllendes Kribbeln abgelöst. Sein Daumen strich zärtlich an meinem Kiefer entlang und ließ mein Herz stärker gegen meine Brust klopfen. Mit einem Mal nahm der Mann vor mir jedoch einen tiefen Atemzug und mit dem, was er mir dann entgegen flüsterte, hatte ich niemals gerechnet.
"Jungkook", hauchte er betörend gegen meine zitternden Lippen, "darf ich dich malen?"
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