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Nachdem ich Jimin zum Krankenzimmer gebracht hatte und sicherstellen konnte, dass er nach Hause gehen durfte, hatte ich mich auf den Weg zurück zu meiner Klasse gemacht. Schon auf dem Weg dorthin, zerbrach ich mir meinen Kopf über das, was dort eben passiert war. Ich hatte tatsächlich meinem Bruder geholfen. Mich für etwas eingesetzt, was mir nicht egal war. Zwar hatten wir beide kein Wort mehr miteinander gewechselt und ich wusste ehrlich gesagt auch nicht, was ich dazu hätte sagen sollen. Wie sollte ich mich denn auch erklären? All die Jahre über hatte ich mich meinem Bruder gegenüber, wie das letzte Arschloch verhalten und dann kam ich mit so einer Aktion an. Wahrscheinlich war er davon genauso verwirrt wie ich selbst.

Dennoch bereute ich es nicht, womit wir beim springenden Punkt wären. Denn jetzt bildeten sich in meinem Kopf zwei Fronten, die drohten mich völlig aus der Bahn zu werfen. Bis zu diesem Zeitpunkt war es eigentlich ganz einfach gewesen. Ich wollte mein langweiliges Leben zurück, in dem ich einfach meinen vorbestimmten und geregelten Weg ging, ohne etwas zu empfinden oder für irgendetwas eine Leidenschaft zu entwickeln. Denn genau das existierte für mich nicht - Leideschaft, Interesse, Gefühle; das kannte ich schon lange nicht mehr und ich hatte mich damit abgefunden.

Doch dann kam dieser Taehyung in mein Leben - dieser verdammte Penner, der alles aus der Bahn geworfen hatte mit seiner Faselei über Sterne und so einen Quatsch. Durch ihn fühlte ich mich plötzlich so unglaublich verloren, herausgerissen aus meinem geregelten Dasein und in etwas Ungewisses geworfen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich wieder ehrlich Lachen, gar Weinen könnte und vor allem, dass mir eine Person so wichtig werden würde. Doch ich wollte das alles nicht. Es machte mir Angst und ich hatte nie vorgehabt mein langweiliges Leben einfach aufzugeben. Ich fragte mich bis heute, warum ich mich auf seinen doofen Plan, die Sterne zurück in meine Augen zu bringen, eingelassen hatte.

Nach dem gestrigen Treffen hatte ich mir so sehr vorgenommen diesen Penner einfach zu vergessen, ihn zu ignorieren und mein altes Leben zurückzubekommen. Denn was hatte ich davon jetzt wieder etwas empfinden zu können? Nichts. Nichts außer das reinste Chaos in meinem Inneren.

Aber dann ist das passiert, was ich nie beabsichtigt hatte. Mein aufgewühlter Hintern, der plötzlich wieder etwas als Wichtig und nicht vollkommen egal empfinden konnte, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, meinem Bruder zu helfen. Und das hatte alles verändert.

Denn jetzt musste ich einsehen, dass die Zeit, die ich mit Taehyung verbracht hatte, doch für etwas gut gewesen war. Dadurch, dass ich Jimin geholfen hatte, wurde eine Kugel ins Rollen gebracht, denn jetzt erkannte ich, was ich all die Jahre über falsch gemacht hatte. Ja, ich hatte Fehler gemacht und diese waren mir vorher nie aufgefallen, weil sie mir egal waren. Doch wenn ich mein altes Leben jetzt von diesem Standpunkt aus betrachtete, dann fühlte sich so viel davon einfach nicht richtig an. Ich habe einigen Menschen Unrecht getan und nun wurde ich von den Schuldgefühlen übermannt.

Ja, ich wollte den Lockenschopf vergessen, am liebsten die Zeit zurückdrehen, aber wie könnte ich das jetzt noch? Wie könnte ich mein vorheriges Leben jetzt noch zurückwollen, wenn ich inzwischen wusste wie vielen Menschen ich dort wehgetan hatte?

Seufzend trat ich vor die Tür zu meinem Klassenzimmer. Die zweite Stunde hatte mittlerweile angefangen und meine Freunde würden jetzt auch schon wieder im Unterricht sitzen. Wahrscheinlich hatten sie sogar bereits bemerkt, dass wir keinen Test geschrieben haben. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich tun sollte. Ich mochte meine Freunde, das war mir jetzt auch bewusst. Sie bedeuteten mir etwas und ich wollte nicht, dass sie sich von mir abwenden würden, weil ich mich veränderte oder mit einem ulkigen Typen abhing, der nebenbei auch noch schwul war - zumindest glaubte ich das.

Aber wollte ich Taehyung vergessen? Nach allem, was er mir gezeigt hatte? Natürlich würde durch ihn wahrscheinlich noch mehr Chaos in meinem Leben entstehen, aber was hatte ich jetzt noch zu verlieren? Ich hatte bereits gemerkt wie gut es sein konnte, dass mir eben nicht mehr alles egal war.

In meinem Kopf waberten eindeutig viel zu viele Gedanken. Ich würde erstmal etwas Zeit zum Nachdenken brauchen, um alles zu ordnen und mir im klaren darüber zu werden, was ich wirklich wollte. Ein belustigtes Lachen wanderte auf meine Lippen. Ja, ich, Jeon Jungkook, - der Junge, dem alles egal war - musste sich von nun an tatsächlich überlegen, welche Dinge ihm wichtig waren. Denn er durfte schmerzlich feststellen, dass ihm nicht mehr alles egal war und es einem komischerweise, sogar ein gutes Gefühl gab. Es tat gut seinen Bruder in die Arme zu schließen, es tat gut seine Freunde davon abzuhalten etwas Dummes zu tun und es tat gut, mit Taehyung zu lachen, bis der Bauch schmerzte.

Kurz schüttelte ich den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, nahm einen tiefen Atemzug und drückte die Tür zu meiner Klasse auf. Sofort lagen alle Blicke auf mir und als ich auf die verwirrten Mienen meiner Freunde traf, zog sich mein Magen etwas zusammen. Wie sollte ich ihnen denn erklären, wo ich gewesen war? Ich hatte einfach so eine große Angst davor sie zu verlieren, wenn sie erfahren würden, dass ich dabei war mich zu verändern.

"Ach Herr Jeon", zog dann allerdings die Stimme meines Mathelehrers meine Aufmerksamkeit auf sich, "das ist ja ganz wunderbar, dass sie auch mal hier erscheinen. Womit habe ich das denn verdient?" Ich konnte mir einfach nicht helfen, aber in dem Moment wusste ich, dass sogar dieser verdammte Typ und sein Unterricht mir nicht egal waren. Ich liebte Mathe und dieser Kerl war mir einfach sympathisch, vor allem weil er mein Potenzial sah. Er sah in mir immer mehr, als ich in mir selbst gesehen hatte. Beinahe so wie Taehyung.

Ein warmer Schauer wanderte meinen Rücken hinab, bei dem Gedanken an seine weichen Lippen auf meiner Wange. Es hatte mich überfordert, ja, aber war es deshalb gleich schlecht? Ich musste nachdenken. Dringend.

"Also du kannst auch gerne da vorne den Unterricht verfolgen, aber ich habe etwas Angst, dass ich dir dann zu nahe komme und meine Ärgerniss über dein Zuspätkommen an dir auslasse", sprach der Mann vor der Tafel grinsend und wedelte mit dem Stück Kreide in der Luft herum. "Nein, danke", winkte ich schnell ab und begab mich zu meinem Platz, "ich habe wirklich keine Lust auf weiße Kreideflecken auf meiner schwarzen Kleidung. Das sieht einfach nicht so modisch aus."

Modisch. Ein Seufzen verließ meine Lippen, als ich zu meinen Freunden in die hinterste Reihe lief und mich auf meinen Stuhl fallen ließ. Sofort wurde ich von ihren Blicken durchbohrt, doch ich wollte gerade nicht reden oder mich erklären müssen. Ich würde es ihnen einfach irgendwann erzählen.

Plötzlich klatschte mir etwas nasses ins Gesicht und sofort verließ ein erstickter Schrei meine Kehle. "Bah, was soll das Sie... Sie...", schrie ich wütend und nahm den nassen Schwamm in meine Hände, ehe ich mir mit der anderen Hand durch das Gesicht wischte. "Sie was?", lachte mein Lehrer heiter auf und warf seinen Kopf kichernd in den Nacken. Natürlich stimmte die ganze Klasse und vor allem meine Freunde mit ein.

"Das ist echt nicht nett", murrte ich und betrachtete die Flecken auf meinem Shirt. "Zuspätkommen ist auch nicht nett", grinste mein Lehrer, "und außerdem ist es viel lustiger einen Schwamm zu werfen, als Kreide. Ich wollte das schon immer mal machen!" "Haha Jungkook, du Loser", musste natürlich Hoseok seinen Senf dazu geben und fiel vor Lachen beinahe vom Stuhl.

"Hoseok, das mit dem Loser würde ich mir noch einmal überlegen oder willst du auch einen Schwamm in deinem Gesicht haben... ist bestimmt ein tolles Gefühl!", ermahnte der grauhaarige Mann den Rotschopf neben mir und da musste auch ich kurz kichern und vergaß sogar meine Sorgen für einen Moment.

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