Alte Freunde
Kneipenbesuch
Als Mark die Tür der Kneipe öffnet, schlägt ihm verbrauchte Luft und der Geruch von Alkohol in einem warmen Stoß entgegen. Das Licht lässt die Holzvertäfelung der Wände golden schimmern und das dunkle, polierte Holz der Tische glänzen. Die Schneeflocken, die sich zu den bereits heruntergefallenen Eiskristallen auf dem Bürgersteig gesellen wollen, schmelzen und durchnässen das kalte Weiß, während die bereits gelandeten Schneeflocken in seinen Haaren zu schweren Wassertropfen zerfließen. Hinter der Bar zu seiner Linken, die mit schwarzen Steinplatten gefliest ist und nicht so recht zu dem restlichen Ambiente der Schenke passen will, steht ein junger Mann, mit braun gefärbten, zurück gegelten Haaren und einem leichten Drei-Tage-Bart, der ihm nicht wirklich zu Gesichte steht, da er sein zu spitzes Kinn betont. Als Mark seine schwarzen Lederschuhe auf die Holzdielen setzt, erwartet er ein leises Quietschen zu hören, doch wie immer ertönt kein Laut. Auf seinem Weg in die hintere Ecke der Kneipe nickt Mark dem jungen Besitzer der Bar zu und legt seinen braunen Wollmantel zusammen mit seiner grauen Mütze und dem dazu passenden Schal über die Lehne seines breiten Stuhles.
„Richtiges Sauwetter draußen."
Mark nickt, ein leichtes Lächeln ziert sein Gesicht, als er seinen besten Freund ansieht. „Aber mit der richtigen Kleidung kann man durch einen Schneesturm laufen."
„Dafür muss man aber auch das Geld haben", antwortet Jackson und deutet auf seine dem Wetter absolut nicht angebrachte Lederjacke, die neben ihm auf dem braunen Polster der Bank liegt.
„Und den Willen dieses auch für die richtigen Klamotten auszugeben", merkt Mark an und lacht leicht über Jacksons säuerlichen Gesichtsausdruck.
„Ja, mach dich nur über einen armen, mittellosen Studenten lustig!" Eingeschnappt verschränkt Jackson die Arme vor der Brust und schiebt seine Unterlippe vor wie ein kleines Kind, das genau weiß, dass seine Eltern ihm alles kaufen würden, was es haben will, wenn es nur lange genug schmollt.
„Weißt du, Jackson, deine Ausrede ist ziemlich wirkungslos bei mir, denn ich bin auch Student und kann mir trotzdem warme Kleidung leisten." Zur Bestätigung hält Mark seine graue Mütze hoch und wedelt damit, über den Tisch gebeugt, vor Jacksons Gesicht herum.
„Ist sie gar nicht, wenn man bedenkt, dass du nebenbei - als wäre das gar nichts - modelst. Und da kriegt man doch bestimmt auch noch Klamotten und so geschenkt, oder etwa nicht? So als Werbegeschenk." Mit einer Handbewegung befreit Jackson die Mütze aus Marks Griff und streift sie sich selbst über die braunen, verwuschelten Haare. „Kostenlose Werbung von einem gut aussehenden Mann schlägt doch keiner aus. Genauso wenig wie jemand kostenlose, teure Markenklamotten ausschlägt." Ihm entweicht ein zufriedener Seufzer, als er seine Beine unter dem Tisch ausstreckt und seinen Kopf gegen die Wand in seinem Rücken lehnt. „Eine Win-Win-Situationen für beide Parteien."
„Wer wurde denn auf der Straße gecastet, aber hat abgelehnt, weil er 'eine Bestimmung zu verfolgen' hat?", fragt Mark und wirft Jackson auch noch mit seinem Schal ab.
Jackson fängt das Knäuel auf, bevor es ihn treffen kann und faltet es sorgfältig zuerst auf und dann zusammen. „Rapper ist ein ehrenvoller Beruf! Und ich hab schon bei mehreren Agenturen vorgesprochen und sie sagten alle, dass sie sich melden würden."
Mark stellt seine Ellenbogen auf den Tisch, lehnt sich näher zu Jackson und seufzt dabei, während er die Augen schließt. „Jackson. Das haben die anderen 37 Agenturen zuvor auch gesagt und es war jedes Mal eine Absage." Als er wieder zu Jackson schaut, verfolgt dieser mit Konzentration die Bewegungen, die seine Hände machen, um den Schal zu falten. Auf und wieder zusammen. Auf und wieder zusammen.
„Es waren nur 34 Agenturen, Mark, und die haben nur abgesagt, weil ich ihnen anscheinend zu alt bin, um jetzt noch ins Geschäft einzusteigen. Aber Verbal Jint ist auch mit 21 quer eingestiegen", versucht Jackson zu argumentieren.
„Jackson. Das ist Verbal Jint. Der Typ, der das Reimen im Koreanischen erfunden hat. Hast du irgendwas Derartiges vorzuweisen? Und du weißt doch selbst, dass Rapper sein nicht leicht ist, wenn man kein Idol ist. Und das willst du ja nicht sein", hält Mark dagegen und seufzt müde. „Und du bist sogar 24. Denkst du nicht, dass es langsam Zeit wird, dich voll auf dein Studium zu konzentrieren?"
„Was denkst du denn, warum ich den Scheiß schon drei Jahre lang mitmache, obwohl ich mich für Biochemie nicht so begeistern kann wie für Musik?"
„Dann sind die fünf Jahre in einer Beziehung mit mir ja doch nicht spurlos an dir vorbeigezogen, was ein Glück", antwortet Mark und verdreht die Augen.
„Ist ja gut!", entgegnet Jackson und schmeißt Mark seinen Schal zu. „Wir unterhalten uns über was anderes, wenn du nicht gut darauf zu sprechen bist."
„Jackson", seufzt Mark und sieht sein Gegenüber ausgebrannt an. „Ich brauche den Schal nicht, nimm du ihn. Damit du nachher nicht erfrierst."
„Du machst dir immer noch zu viele Gedanken um mich", lacht Jackson und es klingt trocken, als er Mark ansieht.
„Natürlich. Im Gegensatz zu dir habe ich einen Job aber keinen Freund, da muss ich halt dich bemuttern." Ein leichtes Lächeln schleicht sich wieder auf sein Gesicht, und Jackson stöhnt.
„Jaja, reib mir doch noch weiter unter die Nase, dass ich blank bin!" Er überlegt kurz. „Du zahlst doch, oder?"
„Wenn wir etwas bestellen, bestimmt", antwortet Mark, anscheinend zu Jacksons Zufriedenheit, denn er winkt einen Kellner heran und bestellt ein Weizen und einen Caipirinha für Mark.
Als die Getränke ankommen, stoßen die beiden Freunde breit grinsend an. „Auf uns!"
Es dauert eine Weile, weil sie viel reden und lachen, aber irgendwann sind auch die letzten Gläser der beiden geleert und ihre Hemmschwelle gesunken.
„Und du willst dir sicher niemanden angeln, Mark? Ich meine, hier ist sicher jemand nach deinem Geschmack dabei!", zieht Jackson Mark auf und schaut sich bezeichnend suchend um.
Ein Lachen entschlüpft Mark, nicht das erste an diesem Tag, aber es werden noch viele weitere folgen. „Ich hab doch dich Jackson, da traut sich sowieso keiner an mich ran."
„Vielleicht sollte ich dann gehen", zieht Jackson in Erwägung, bevor er Mark zuzwinkert.
„Wag dich, Wang. Ich werde die Drinks nicht bezahlen!", droht Mark, während Jackson aufsteht und seine Jacke zusammen mit Marks Schal anzieht – die Mütze hatte er die ganze Zeit über auf.
„Wenn ich gehe, kann ich sie nicht bezahlen, oder?", lacht Jackson und macht sich mit schnellen Schritten durch die Tür aus dem Staub.
Tief seufzend, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, wegen der spielerischen Ader, die Jackson mal wieder an den Tag legt, steht Mark ebenfalls auf, geht zur Bar, um ihre Rechnung zu bezahlen, und schließt dann zu Jackson auf, der schon frierend auf dem Bürgersteig wartet und ihn prompt weiter in die nahegelegene Mall zieht, damit Mark ihm endlich wärmere Klamotten kaufen kann. Um drei Uhr nachmittags.
Discobesuch
"Mark!", quengelt Jackson, gerade laut genug, damit Mark ihn über die laute Musik hinweg verstehen kann, und zieht eine Schnute, die Mark ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
"Was denn, GaGa?", fragt er und lehnt sich näher zu seinem Freund, um ihn besser verstehen zu können.
Sie beide sitzen auf von ihren Jacken bedeckten Barhockern in einer Disco, die vor allem bei Studenten wegen ihrer poppigen Musik beliebt ist. Mark weiß nicht genau, warum Jackson ihn ausgerechnet in das Seoul Headquarter geschleppt hat, denn normalerweise macht Jackson um radiotaugliche Musik einen weiten Bogen - oder läuft vor ihr weg, wenn er keinen anderen Ausweg sieht. Vielleicht hat ihre kontinuierliche Saufkampagne seit dem frühen Nachmittag dazu geführt, dass er nicht mehr weiß, was er selbst mag und verabscheut.
Es zucken immer wieder Lichtblitze über die Masse tanzender Mittzwanziger vor ihnen und Mark kann Jacksons Gesicht nur in diesen schwindelerregend kurzen Momenten ausmachen. Seine Augen haben keine Zeit sich an die rasanten Lichtwechsel zu gewöhnen, und in den Sekunden voller Dunkelheit sieht er den Umriss von Jacksons Gesicht, der sich im Rhythmus des Lichts in seine Netzhäute einbrennt.
"Mir ist langweilig!", beschwert sich Jackson und hängt sich an Marks Arm, als er droht vom Stuhl zu kippen, weil er sein Gleichgewicht selbst im Sitzen nicht mehr selbst halten kann. Er trägt noch immer Marks graue Mütze, die er kurzerhand zu seinem Eigentum erklärt hat, obwohl es in dem nach Schweiß und Deo riechendem Raum viel zu warm für eine dicke Mütze ist. Ein Teil seiner hellbraun gefärbten Haare lugt unter dem Mützenrand hervor und fällt ihm in die hohe Stirn. Mark juckt es schon seit längerem in den Fingern, ihm die Mütze wieder richtig aufzusetzen, aber er hält sich zurück.
Mark ist nicht auf das überraschend auftauchende Gewicht eines ausgewachsenen Mannes, der sich wie ein Koala an seinen Oberarm klammert, vorbereitet, und auch er ist angetrunken und nicht mehr ganz so zurechnungsfähig, wie er es gerne hätte. Beide Männer fallen aufeinander zu, ihre Augen weiten sich, als sie die langsam an ihnen zupfende Schwerkraft spüren, und sie strecken die Arme aus, um den Fall von den Barhockern abzufangen. Statt auf dem Boden aufzuschlagen, verkeilen sich ihre Schultern, sodass sie in einem Knäuel in der Luft hängen und weder vor noch zurück können, ohne Gefahr zu laufen, endgültig umzukippen.
Glücklicherweise haben sie ihre Getränke nicht mitgerissen. Die beiden gut gefüllten Gläser mit auffallend süßen und farbenfrohen Cocktails stehen noch immer auf der Bar hinter den zwei Männern.
Jackson beginnt nach einer durch den Alkohol langgezogenen Schrecksekunde wie wild zu kichern und schlingt seine nackten Arme um den mageren Körper seines besten Freundes. "Das war lustig! Nochmal!"
Mark, der in Jacksons Nacken atmet und so unweigerlich Jacksons Geruch inhaliert, gibt sein Bestes Jacksons fehlende Körperspannung, die ihm sonst immer diese besondere Eleganz in seine Bewegungen legt, mit eigener Kraft auszugleichen. Allerdings ist es gar nicht so einfach einen schlaffen, schweren Jackson und sich selbst stabil zu halten, wenn eben jener Jackson keine Anstalten macht zu helfen und man selbst nur noch mit einer Pobacke auf einem runden und drehbaren Polster sitzt.
Ihr Abgang ist langsam und fast schon sanft, so, als würde die Schwerkraft den harten Aufprall auf den Boden der Tatsachen der Zeit überlassen, die sie am nächsten Morgen in Form eines Katers einholen wird. Mark ist allerdings froh, dass er sich im Moment noch mit keinen Schmerzen herumschlagen muss. Mit Jackson hat er schon mehr Probleme am Hals, als er in seinem Zustand fähig ist zu bewältigen.
Wortwörtlich am Hals, denn Jackson liegt halb auf Mark - ihre Oberkörper pressen sich gegeneinander - und er stützt sich noch immer mit seinen Händen an Marks Oberarm ab, auch wenn es keinen Grund mehr dafür gibt.
Anstatt seine Finger von Mark zu nehmen, dessen Haut inzwischen von einer Gänsehaut überzogen ist, fängt er an Marks Bizeps zu befühlen. "Du hast immer noch Arme wie ein Mädchen", lallt Jackson.
Mark lacht trocken und versucht sich aus Jacksons Griff zu winden. "Danke. Überaus schmeichelhaft."
Jackson lässt Mark nicht los, und dessen abwehrende Gesten lassen nach, als Mark merkt, dass Jackson seinen Einwurf überhaupt nicht wahrgenommen hat. Ihm läuft ein Schauder über den Rücken, als Jacksons warme Handflächen seinen Oberarm hinuntergleiten, seinen Ellenbogen streifen und seine Hand umschließen.
Ruckartig zieht Jackson Marks Hand vor sein Gesicht und Mark gelingt es nur gerade so sein Gewicht auf seinen anderen Arm zu verlagern, bevor sie beide ganz auf dem Boden liegen. Jackson ignoriert die Bewegung unter sich und konzentriert sich ganz auf die Hand und auf die Finger, mit denen er jetzt beginnt herumzuspielen.
Mark spürt ein warmes Gefühl in seinem Bauch, das ihm langsam zu Kopf steigt, je länger Jackson auf ihm liegt, schiebt es allerdings auf den Alkohol. Schließlich soll Alkohol dem Konsumenten zu Kopf steigen und dort all seine Sorgen wegwaschen.
"Und deine Finger sind immer noch so lang...", führt Jackson seine Reihe an Feststellungen über Mark fort. Er betrachtet noch einmal eingehend Marks Hand. "Hast du dir die Fingernägel machen lassen?", fragt er dann.
"Meine Agentur hat für das letzte Shooting darauf bestanden", gesteht Mark kleinlaut und zuckt mit den Schultern.
Jackson dreht sich überrascht zu Mark um, als würde er erst jetzt feststellen, dass er auf Marks Schoß sitzt, übergeht Marks Antwort aber erneut.
Er führt wieder Selbstgespräche, denkt Mark. Süß.
Stattdessen fliegt sein Blick über Marks Gesicht und seine Hände lassen Marks Hand fallen, um Marks Kieferpartie und seine Wangenknochen nachzuziehen. Mark nutzt seine freigewordene Hand ebenfalls, um sich und Jackson damit zu stützen, und entkommt dabei Jacksons flatternden Fingerspitzen. Jedenfalls für eine Sekunde, denn schneller, als sein Alkoholpegel es eigentlich erlauben sollte, hat Jackson die Lücke zwischen sich und Mark wieder überbrückt. Fast ohne Marks Gesicht zu berühren, aber mit starr auf seine Fingerspitzen gerichtetem Blick, fährt er die Linie von Marks Nase nach, geht über zu den gezupften Augenbrauen, bevor er sich Marks Lippen zuwendet, die dieser fest aufeinander presst.
Er will, dass Jackson damit aufhört, aber gleichzeitig will er es nicht. Der Alkohol hat nicht nur seine Sorgen, sondern auch seinen gesunden Menschenverstand weggeschwemmt, wie es scheint.
"Und ich will deine Lippen immer noch wund küssen", murmelt Jackson und überrascht Mark, als er ihm seine Lippen aufzwingt. Jacksons wandernde Hände suchen sich ihren Weg in Marks Haar und pressen sich auf seine Kopfhaut, um den Abstand zwischen ihren Gesichtern noch weiter zu verringern.
In Marks Kopf dreht sich alles, und er weiß nicht, ob es von dem Alkohol kommt oder von Jacksons Kuss, der sich so real und traumhaft und fordernd und sanft anfühlt, dass er sich eigentlich wundern müsste, wie Jackson ihn mit seinem Pegel nicht einfach nur ansabbert. Aber er wundert sich nicht. In diesem Moment denkt er überhaupt nicht. Stattdessen erwidert er den Kuss hungrig und gibt sich Jackson hin, mit dem er schon seit vier Jahren nicht mehr zusammen ist, und der stattdessen seit eineinhalb Jahren an einen Thailänder namens Kunpimook Bhuwakul vergeben ist. Er hat Jacksons Intensität über die letzten Single-Jahre vermisst, und in der Realität sind seine Küsse noch umwerfender als in seinen Erinnerungen.
Erst das dumpfe Geräusch und der Schmerz in seinem Rücken lassen ihn wieder zu sich selbst finden. Mark zieht seine Hände von Jacksons Wangen und Hals zurück, als hätte er sich an der warmen Haut verbrannt. Ruckartig setzt er sich auf, was Jackson so unvorbereitet trifft, dass dieser sich von Marks Lippen löst und diese mit verschleierten Augen mustert.
"Und du schmeckst noch immer so umwerfend, dass ich nicht genug von dir bekommen kann", flüstert er heiser und Mark muss sich zusammenreißen, um sich nicht sofort wieder auf Jackson zu schmeißen. Das Raspeln in der tiefen Stimme des anderen und der warme, nach Orange riechende Atem beschwipsen ihn fast vollkommen. Aber ein Fehler an einem Abend reicht vollkommen aus.
Stattdessen schiebt Mark seinen Freund vorsichtig von seinem Schoß herunter, bevor er selbst aufstehen und Jackson ebenfalls hochziehen kann. Ohne Jackson wirklich anzusehen, drückt er ihm dessen Mantel in die Hand, ein schwarzes Modell mit einer Doppelreihe an Zierknöpfen, den er vor nicht einmal sechs Stunden bezahlt hat.
Er selbst greift sich ebenfalls seinen Wollmantel und will ihn gerade anziehen, als sein Blick auf die zwei noch fast vollen Cocktails auf der Bar zwischen ihren beiden Hockern fällt. Ohne groß darüber nachzudenken, kippt er sich zuerst seinen und dann Jacksons hinunter und verzieht den Mund bei dem klebrigen Geschmack, der sich zwischen seine Zähne setzen will.
***
"Mark!", quengelt Jackson und greift nach Marks Arm, als er sich gerade seinen Schal um den Hals wickelt, "wenn wir schon gehen, dann hilf mir wenigstens in meine Jacke!"
Überrascht schaut Mark Jackson an. Er hat nicht damit gerechnet, dass Jackson merkt, dass er die Disco verlassen will. Vielleicht ist Jackson aber auch wieder zur Besinnung gekommen und ihm ist eingefallen, dass er die Musik, die laut durch ihre Körper dröhnt, eigentlich gar nicht leiden kann.
"Okay", seufzt Mark und hilft Jackson schnell in die Ärmel seiner Jacke. Und endlich gibt er seinem Drang nach und streicht Jackson die braunen Haare aus der Stirn und unter die graue Mütze, die er ebenfalls zurecht zieht.
Als er seine Hände sinken lässt, sieht er in Jacksons Augen, die von dessen zusammengezogenen Augenbrauen überschattet werden. Jackson sieht unzufrieden aus, aber nicht jammernd unzufrieden, sondern wütend unzufrieden.
"Warum willst du mich nicht küssen?", will Jackson fordernd wissen. Er verschränkt die Arme vor seinem Oberkörper und zieht die Schultern hoch und auf einmal wirkt er gar nicht mehr so betrunken wie vorher.
Mark starrt ihn kurz an, bevor er seufzt und sich durch die Haare fährt, die Jackson bei ihrem Kuss durcheinandergebracht hat. "Jackson, schau mal", fängt er vorsichtig an und gibt seiner Stimme einen sanften Klang, "du bist betrunken. Und wenn man betrunken ist, dann tut man Sachen, die man am nächsten Morgen bereut."
"Ich will dich aber küssen!", beharrt Jackson und erinnert jetzt wieder eher an ein Kind - oder an den betrunkenen Erwachsenen, der quengelt wie ein kleines Kind, der er eigentlich ist.
"Jackson, du bist mit Kunpimook zusammen", versucht Mark es anders.
"Bin ich nicht. Ich will mit dir zusammen sein!", insistiert Jackson und bringt damit erneut den Alkohol in Marks Bauch zum Blubbern.
Mit einem Kopfschütteln verdrängt Mark die Leichtigkeit aus seinen Gedanken und seufzt erneut. "Komm", sagt er und hält Jackson eine Hand hin, "ich bring dich nach Hause."
Argwöhnisch mustert Jackson die Hand, als könnte sie ihn jeden Moment anfallen, greift aber langsam danach.
Erleichtert führt Mark Jackson aus der Disco heraus. Ihr Atem manifestiert sich in kleinen weißen Wölkchen vor ihren Gesichtern und Jackson klammert sich an Marks warme Hand. Während sie Zeit in dem dunklen Raum mit den zuckenden Lichtern, der lauten Musik und den süßen Cocktails verbracht haben, hat es sich die Welt zur Aufgabe gemacht, weiß zu werden. Alles ist unter einer für Seoul dicken Schicht Schnee versteckt, die das Neon-grelle Licht der Reklametafeln zurückwirft, als würde sie aus sich selbst heraus in den verschiedensten Farben glühen. Zwischen Straße und Bürgersteig liegt ein Haufen braunen Schneematsches, der langsam in die Kanalisation schmilzt.
"Ich will nicht nach Hause", äußert sich Jackson in die kalte Nachtluft und der Nebel seiner Worte verhallt in der breiten Straßenschlucht. Seine Nasenspitze nimmt gemeinsam mit seinen Wangen eine rote Färbung an und er versucht sich mit der freien Hand die Kälte aus den oberen Hautschichten zu reiben.
Mark bleibt stehen und dreht sich zu Jackson um: "Warum nicht? Wir haben fast den gesamten Tag miteinander verbracht. Bestimmt fragt sich Kunpimook, wo du bleibst!"
Störrisch wendet den Jackson den Kopf ab. "Der hat damit überhaupt nichts zu tun. Ich will nur länger bei dir bleiben."
"Genau das ist das Problem!", sagt Mark und fährt sich frustriert durch die Haare. "Du kannst nicht noch mehr Zeit mit mir verbringen, wenn du mit Kunpimook zusammen bist!"
"Du sagst immer nur Kunpimook, Kunpimook!", ereifert sich Jackson und lässt Marks Hand los, um wie wild zu gestikulieren.
Mark folgt seinen Bewegungen kurz, bevor ihm schwindelig und übel wird und er sich von Jackson wegdreht. Eine Hand auf den Bauch gelegt, erbricht er sich in den braunen Schneematschberg.
Sofort ist Jackson bei ihm - auch, wenn seine Schritte unsicher sind und er einen Rechtsdrall hat, als er auf Mark zuläuft - und reibt Mark beruhigend Ovale durch den dicken Wollmantel in den Rücken.
"Dir geht es schlecht", sagt Jackson sanft und zaubert ein unbenutztes Taschentuch aus seiner Hosentasche hervor, mit dem er Mark den Mund abwischt, "ich kann dich in dem Zustand nicht allein lassen."
Mark würgt noch einmal trocken und lacht im gleichen Atemzug, sodass er sich verschluckt. Hustend richtet er sich auf und sieht Jackson ins Gesicht. "Du bist überhaupt nicht betrunken, oder?", fragt er und versucht den sauren Geschmack in seinem Mund wieder in seinen Magen zu schlucken - dahin, wo er hingehört.
"Doch", erwidert Jackson, "du warst doch dabei, als ich die ganzen alkoholischen Getränke in mich hineingestürzt habe."
Mark überlegt. Das, was Jackson heute Abend getrunken hatte, war nicht viel gewesen - zumindest nicht genug, um den relativ trinkfesten Jackson richtig dicht zu machen. Dann presst er die Lippen zusammen, und geht einen Schritt von Jackson weg. "Findest du das lustig?", fragt er und sieht Jackson verkniffen an. "Machst du dich über mich lustig?"
"Was?" Jackson sieht ihn stirnrunzelnd an und lässt die Hand sinken, die zwischen ihnen in der Luft hängt. "Was meinst du?"
Mark lacht trocken. "Du hast mich geküsst, obwohl du mit Kunpimook zusammen bist. Du sagst, du willst mehr Zeit mit mir verbringen - mit mir nach Hause gehen! Bin ich ein Spielzeug für dich?"
Jackson starrt Mark kurz entgeistert an. Dann fängt er sich wieder, nimmt Marks - nein, seine Mütze ab und rauft sich frustriert die Haare. "Nein, verdammt! Du bist mein bester Freund, Mark! Und ich liebe dich! Immer noch. Oder wieder. Ich-"
"Und was jetzt?", fragt Mark kalt und mustert Jackson mit starrer Miene. "Soll ich jetzt zu dir zurückkommen, als irgendeine... Affäre, die du zu dir pfeifen und mit der du deine Spielchen spielen kannst, sobald du Lust drauf hast?", spuckt Mark aus und verzieht angewidert das Gesicht. "Denn ich werde mich ganz sicher nicht zu deinem heimlichen Spielzeug degradieren lassen!"
"Verdammt!", schreit Jackson auf einmal, macht einen Schritt auf Mark zu und küsst ihn mit aller Gewalt. Seine Lippen drücken Marks Mund auf und er vergräbt wie zuvor seine Hände in Marks Haaren.
Mark klammert sich an Jackson, seine Hände liegen an Jacksons Oberarmen und er will Jackson von sich wegdrücken, bis dieser sich an ihn presst, bis kein Blatt mehr zwischen die beiden passt.
"Ich will dich, Mark", knurrt Jackson gegen Marks Lippen, "schon so verdammt lange. Warum machst du es mir so schwer?"
Doch statt Mark antworten zu lassen, küsst Jackson ihn erneut.
Hotelbesuch
Als Mark aufwacht, hat er unglaubliche Kopfschmerzen.
Er hat gestern eindeutig zu viel getrunken.
Er erinnert sich daran Jackson geküsst zu haben – sogar zweimal! – und könnte sich dafür im selben Moment selbst in den Hintern beißen. Als Mark sich bewegt, fängt seine Rückseite höllisch an zu brennen. Kurz überwältigt vom Schmerz zischt Mark auf.
In der nächsten Sekunde hofft er einfach nur darauf, dass neben ihm nicht ein bestimmter Mann aus Hong Kong liegt und ihn im Arm hält. Sex hatte er definitiv – seine Schmerzen sprechen da eine sehr deutliche Sprache – aber es würde alles so viel einfacher machen, wenn es nur ein einfacher One-Night-Stand mit einem wildfremden Mann gewesen ist, der jetzt sehr intim und nackt mit ihm kuschelt. Fieberhaft wühlt er in seinen Erinnerungen an die vergangene Nacht, die nicht über Jacksons Statement, dass er Mark will, hinausgehen.
Seine Hoffnung wird mit jeder vergehenden Sekunde kleiner, also zwingt er sich endlich den gesamten Schlamassel zu betrachten, in den er sich in seiner Betrunkenheit hineinmanövriert hat.
Als Mark sich langsam aus seiner Seitenlage dreht, bewegt sich der Arm um seine Mitte über ihn hinweg, als wäre sein Bettpartner nicht gewillt ihn bereits gehen zu lassen. Und als Mark blinzelnd die Augen öffnet, die noch vom Schlaf verklebt sind, blickt er in das Gesicht, zu dem er eineinhalb Jahre lang aufgewacht ist und von dem er in den letzten vier Jahren regelmäßig geträumt hat.
Jacksons Atem geht noch immer flach und er atmet laut durch den Mund, ohne dabei zu schnarchen. Seine langen Wimpern liegen auf seinen Wangenknochen auf und zeichnen filigrane Schatten auf seine mit Salz verkrustete Haut. Seine Unterlippe ist aufgebissen und Mark fragt sich, ob er oder Jackson selbst das war. Seine Augen werden unweigerlich von einem Mal angezogen, das sich großflächig über Jacksons Kieferknochen streckt und in seiner Halsbeuge verschwindet.
Gequält schließt Mark die Augen, als die Erinnerung an die Herkunft dieses Knutschfleckes durch die nebelige Decke des pinken Filmrisses wieder in sein Bewusstsein gelangt. Zumindest wird er nicht der einzige mit Schmerzen im Unterleib sein, aber dieser Gedanke ist ihm nur ein kleiner Trost.
Vorsichtig robbt Mark aus Jacksons Arm und der Wärme des mit grauer Bettwäsche bezogenen Hotelbettes. Als er sich umdreht, steht er vor einem Fenster, dessen Fensterbank zu seinem Glück knapp unter seinem Bauchnabel endet. Der Blick geht auf die belebte breite Straße, die er gestern mit Jackson hinunter flaniert ist, bevor sie ins Seoul Headquarter eingekehrt sind. Wenigstens weiß er, wo er ist und ein Blick auf den digitalen Wecker, der auf dem kleinen weißen Plastik Nachtschränkchen steht, verrät ihm auch die Uhrzeit. 11:54 leuchtet die Anzeige ihm entgegen.
Darauf bedacht keine Geräusche zu machen, um Jackson ja nicht aufzuwecken, beginnt Mark unter Schmerzen – wegen der Verrenkungen, die er machen muss, um in den Stoff über seine Gliedmaßen ziehen zu können – die Klamotten anzuziehen, die eine Bahn von der Tür des geräumigen Hotelzimmers bis vor das Ehebett ziehen, in dem Jackson noch immer friedlich schlummert. Mehr als einen sporadischen Blick, um zu gucken, ob er auch nichts vergessen hat, schenkt Mark dem Hotelzimmer nicht mehr. In der hintersten, dunkelsten Ecke seines Kopfes hält sich hartnäckig die Hoffnung, dass er sich an nichts erinnern wird, wenn er den Ort, an dem er schwach geworden ist, nicht eingängig betrachtet.
Auf dem Weg durch den fremden Flur schaut Mark auf sein Handy. Das Handy ist Marks Leben, denn es beinhaltet neben allen wichtigen Nummern für seinen Job auch seinen Terminkalender, der ihm jetzt verrät, dass heute Samstag ist und er um 13:25 Uhr ein wichtiges Fotoshooting für Charm's hat. Und Charm's ist für seine Agentur eine große Nummer, auf deren Anfrage sie jahrelang gewartet haben.
Jackson hat ihn besser vom Stress abgelenkt, unter dem er schon seit Wochen steht, als er es gehofft hat - als Nebeneffekt hat er eben auch jeden Gedanken an das Fotoshooting vergessen, obwohl ihm der Termin seit Wochen von seinem Agenten eingetrichtert wurde. Mark will lachen über die Anziehung, die Jackson nach all den Jahren immer noch auf ihn ausübt, und über seinen Leichtsinn sich dieser hinzugeben – es ist eben nichts weiter als körperliche Anziehung, was Jackson betrifft. Schließlich ist dieser noch immer in einer Beziehung mit Kunpimook.
Fluchend verschnellert Mark seine Schritte die Treppe hinunter, bis er im Erdgeschoss ankommt und wie wild auf die Rezeption zurast. Durch die schnellen Bewegungen hat er das Gefühl, dass er selbst entlang seiner Wirbelsäule entzwei reißt.
"Ich hatte ein Zimmer gemietet, entweder auf den Namen Tuan oder Wang", sagt Mark und sieht abgehetzt auf sein Handy. 12:02.
Der Rezeptionist lächelt ihn kurz an, bevor seine Finger klackernd über die Tastatur tanzen und er angestrengt in den Computer starrt.
"Ah, hier haben wir Sie", murmelt der Mann in dem beigen, gebügelten Hemd. "Das macht 26.000₩", lächelt er Mark freundlich an.
Mark kramt wortlos nach den passenden Scheinen und hält dem Mann insgesamt 30.000₩ hin.
Mit flinken Fingern und dem gleichen breiten Grinsen gibt er Mark das passende Rückgeld. "Vielen Dank für Ihr Vertrauen in unser renommiertes Haus! Wir hoffen, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen."
Mark ist bereits aus der weiten Halle hinaus gestürmt, bevor der Rezeptionist seinen einstudierten Text fertig aufsagen kann.
Die letzten wässrigen Reste des gestrigen Schnees sickern zwischen die Ritzen des Bürgersteigs und Marks Schritte lassen feine Tropfen aufspritzen. Mit einer umarmenden Bewegung schmiegt Mark sich enger in seinen Mantel und versucht aufsteigende Erinnerungsfetzen zu verdrängen. Er will sich weder daran erinnern, wie er von Jackson durch die große Halle gezogen wird, aus der er gerade entkommen ist, noch will er das angewiderte Brauen Hochziehen der gestrigen Empfangsdame vor seinem inneren Auge flimmern haben, oder die Szene im Aufzug, die ihm Jacksons hungrige Küsse ins Gedächtnis ruft. Oder das Gefühl endlich wieder Jacksons Arme um seine Taille zu fühlen, oder den leidenschaftlichen Blick Jacksons, der ihn alles hat vergessen lassen. Das warme Blubbern des Restalkohols in seinem Bauch weicht erst einem flauen Gefühl, als er sich an Jacksons Mund an seinem Brustbein und auf dem Ansatz seines Schlüsselbeins erinnert und an das Gefühl von befriedigendem Schmerz. Als seine von der Luft kühlen Fingerspitzen die empfindlichen Stellen ertasten, muss Mark sich auf die Zunge beißen, um nicht lauthals zu schimpfen. Wie soll er die Knutschflecken den Visagisten erklären, oder noch wichtiger: seinem Manager? Und das sind ja auch nur die, an die er sich bis jetzt erinnert. Und der Sex, den er mit Jackson hatte, wird auch anderweitige Spuren auf seinem Körper hinterlassen haben.
Mark erstickt an der Gedankenflut und an den aufkommenden Schuldgefühlen und Zukunftsängsten. Wenn das Fotoshooting mit Charm's abgesagt werden muss, weil er seinen Sexualtrieb – denn mehr ist das, was er für Jackson empfindet, nicht – in einem schwachen Moment nicht im Griff hatte, dann wird ihn seine Agentur ohne zu zögern feuern.
Nervös kaut Mark auf der Innenseite seiner Wange herum, als er die Stufen zu der nächstgelegenen U-Bahn Station hinuntersteigt. Gestern ist er mit Jackson viel gelaufen, also muss er jetzt, da er nicht wirklich viel Zeit hat, die U-Bahn nehmen, wenn er es rechtzeitig zu seiner Wohnung schaffen will, um noch genug Zeit zum Duschen zu haben, bevor er schon zur Shooting-Location fahren muss.
Während der U-Bahn Fahrt überlegt Mark fieberhaft, was er tun könnte. Was wäre das kleinere Übel: Den Knutschfleck stümperhaft abdecken und seine Visagisten bekommen es heraus, oder ihn allen präsentieren und möglicherweise seinen Job riskieren? Er kennt seine heutigen Visagisten nicht, aber zumindest können sie nur bei Charm's tratschen und sein Chef wird nie von seiner Unprofessionalität erfahren. Aber Charm's ist ein Riese in der Modebranche und wenn sich Gerüchte über ihn verbreiten, würde das ebenfalls sein Aus bedeuten.
Als Mark zu Hause ankommt und seine Wohnung aufschließt, ist die Innenseite seiner Wange blutig gebissen.
Noch während er läuft, schmeißt er alle seine Klamotten von sich und steigt unter die Dusche. Trotz der gebotenen Eile und den überfließenden Sorgen achtet Mark penibel darauf, dass er jede Stelle seines Körpers säubert. Die Verrenkungen tun weh, aber sie sind nur das kleinere Übel im Vergleich zu dem, was gleich auf ihn zukommen wird. Er ist panisch. Nur seine Routine, die er immer vor Shootings durchführt, hält ihn einigermaßen auf dem Teppich. Die Vertrautheit der Bewegungen, als er sich eincremt – eine nicht fettende Feuchtigkeitscreme ist das einzige, was er vor Shootings an Pflegeprodukten zu Hause benutzen darf – beruhigt ihn ein wenig, sodass sein Drang sich selbst zu massakrieren abflaut. Stattdessen leckt er immer wieder über seine aufgebissene Wange, während er sich die Klamotten überstreift, die er sich schon vor Tagen herausgesucht hat. Wenigstens ein Detail weniger, um das er sich Sorgen machen muss. Stattdessen bietet es ihm Zeit sich weiter über den Verlauf des Foto Shootings verrückt zu machen.
Arbeitsbesuch
Als Mark die Tür der alten Fabrikhalle aufstößt, die heute als Location ausgewählt wurde, redet sein Manager gerade auf ihn ein. Nach der Standpauke, dass er beinahe zu spät zu so einem wichtigen Termin gekommen ist, wurde schnell zu dem heutigen Ablauf gewechselt.
„Du bist heute nicht das einzige Model", erklärt Hung-Joon Mark. Er läuft dicht neben seinem Schützling und blickt immer wieder auf, um geschäftig herumwirbelnden Leuten Hallo zu sagen. „Das heißt, du hast zuerst Einzelfotos und dann einige mit Park Jinyoung zusammen. Du weißt doch wer Park Jinyoung ist, oder? Das ist dieser neue, aufsteigende Schauspieler, dessen letztes Drama „Just a Blink Away" ein riesiger Erfolg geworden ist. Verhalte dich also so höflich wie möglich. Du bist zwar älter, aber er ist einflussreicher. Wenn möglich, dann nutze deine Chance, um ihm vorstellig zu werden und im Gedächtnis zu bleiben. Das kann sehr wichtig für unsere Agentur und damit für deine Zukunft sein, hast du verstanden?"
Mark nickt verkrampft. Der Knutschfleck brennt unter seinem roten Schal, den er aus den Untiefen seines Kleiderschranks heraussuchen musste, weil Jackson seinen neueren, grauen Schal an sich gerissen hat. Seine Nasenspitze hat er vorsichtshalber ebenfalls in dem Stoff vergraben. Außerdem fühlt er sich auf die Art der neuen Umgebung und den vielen Menschen nicht ganz so ausgeliefert. Er ist übervorsichtig in jeder seiner Bewegungen, damit der Schal auch ja nicht herunterrutscht und der Anblick des darunter versteckten Mals ihn womöglich seinen Job kostet. Also läuft er mit hochgezogenen Schultern ein wenig hinter seinem Manager, der jetzt stehen bleibt und sich ganz zu ihm umdreht. Marks Hände krallen sich in den Stoff der Jackentaschen seines Mantels.
„Das heutige Shooting nimmt Lim Jae-Bum vor, Künstlername JB, ein hervorragender freischaffender Fotograf, der häufiger für Charm's arbeitet. Er könnte festangestellt sein, wenn er wollte, aber die Angebote, die ihm gemacht werden, lehnt er jedes Mal wieder ab. Er fotografiert nur, wenn es nach seinen Regeln geht und wenn er die Models fotografieren will. Dass du heute also von ihm fotografiert wirst, ist ebenfalls eine Chance für dich! Wenn du dich gut anstellst, dann könnte er dich bei einem seiner nächsten Jobs empfehlen. Ich erwarte also von dir, dass du dich anstrengst, dein Bestes gibst und das absolute Musterbeispiel für gute Manieren bist. Alles klar?"
Wieder nickt Mark still, was Hung-Joon falsch interpretiert. In einer freundschaftlichen Umarmung zieht er Mark näher zu sich heran und zieht das größere Model dabei zu sich herunter. Als Mark merkt, wie sich sein Schal minimal verschiebt, zuckt er zusammen und kneift panisch die Augen zusammen, in der Hoffnung, das nichts von seiner wunden Haut hervorlugt und seinem Manager ins Auge springt.
„Ich verstehe vollkommen, dass du nervös bist, aber Stillschweigen hinterlässt keinen Eindruck, verstanden? Und jetzt geh in die Maske, wir können weder JB noch Jinyoung warten lassen!"
Mit einem letzten Schulterklopfen schickt Hung-Joon Mark in die Richtung einiger Trennwände, die so aufgestellt wurden, dass sie Räume bilden, wahrscheinlich Umkleide und Maske für ihn und Park Jinyoung.
Hung-Joon verschwindet daraufhin in Richtung der Beleuchtung, die gerade in einer Ecke der Halle aufgebaut wird. Zwischen den in schwarz gekleideten Lichtassistenten steht ein junger Mann in Ripped Jeans und einem weiten grauen Sweatshirt, wie es gerade Mode ist, der ihnen Anweisungen zuruft. Mark kann nur seinen Rücken sehen, aber er vermutet, dass es sich um JB handelt, den Fotografen.
Natürlich hat Mark schon von ihm gehört, schließlich hat sein Manager ihm oft Bilder von JBs Shootings gezeigt als Beispiel für die perfekte Pose, oder was die Beleuchtung alles richtig und dabei kaschieren kann. Aber es ist ein unheimlich erdrückendes Gefühl, jetzt mit diesem Menschen zu arbeiten, der zuvor nur immer ein Name aus Hung-Joons Mund war.
Obwohl Mark so gestresst ist, atmet er erleichtert auf. Wenigstens der Gefahr durch seinen Manager ist er entkommen. Jetzt muss er nur noch die Visagisten auf seine Seite ziehen.
Es stellt sich heraus, dass Kim Yugyeom und Choi Youngjae vollstes Verständnis für seine Situation haben; und nachdem sie ihm eine scherzhafte Standpauke über verantwortungslosen Sex gehalten haben, die Mark sehr peinlich war, machen sie sich umgehend an das Überpudern der letzten Nacht. Mark lässt die beiden Männer ihre Arbeit verrichten, und sich dabei von ihren ausufernden Diskussionen unterhalten, denen er einfach zuhört.
Die zwei arbeiteten bereits seit längerer Zeit als Friseur und Visagist zusammen, was sie Mark lautstark erzählen, worauf auch gleich ein kleiner Streit darüber ausbricht, wer der Bessere in seinem Job ist.
Mark grinst einfach ein bisschen, wofür er sich gleich eine Rüge von Youngjae einfängt, dessen Arbeit er dabei "nicht nur um einiges schwerer", sondern auch "auf unerwartet unprofessionelle Weise sabotiert". Der Spruch hilft Mark jedoch nicht, das Grinsen von seinem Gesicht zu bekommen.
Irgendwann, Yugyeom hat Mark bereits drei der zwölf Klammern, die er ihm zum besseren Nachschneiden in seine Haare gedreht hat, gelöst, kommt das Gespräch auf die berühmten Teilnehmer des Shoots.
„JB ist wirklich eine harte Nuss", erzählt Youngjae gerade, während er Marks Gesicht in den Händen hält und ihm eine geruchslose Paste auf die Augenlider schmiert, die den später aufgetragenen Lidschatten intensivieren soll. „Er verlangt sehr viel von uns – und von den Models, aber die haben ja sowieso den leichteren Job –"
Mark knufft Youngjae mit geschlossenen Augen – oder er versucht es zumindest, denn er streift nur ganz leicht Youngjaes Oberschenkel, sagt aber nichts. Er hat den jungen Mann auch so schon aus dem Konzept gebracht.
„Nicht bewegen, Mark! Du bist echt soo unprofessionell! Hast du als professionelles Model etwa nicht einmal das beigebracht bekommen, wenn du schon nicht gelernt hast, deinen Körper vor Shootings nicht so auszulasten? Professionelle Models sind auch nicht mehr das, was sie mal waren..." Enttäuscht schüttelt er den Kopf und unterbricht kurz seine Arbeit, als er sieht, wie sich ein leichter Rotschimmer auf Marks Wangen legt. „Jetzt ist es auch zu spät den Sex zu bereuen. War er denn wenigstens gut?"
Mark sagt zwar nichts, aber auch seine Ohrenspitzen verfärben sich rot.
Das ist Youngjae bereits Antwort genug. „Also ein echter Traumtyp, was?"
„Youngjae", ermahnt Yugyeom seinen Kollegen, während er die nächste Klammer entfernte. Die Haare legen sich, und er beginnt, sehr methodisch daran zu schneiden.
„Was denn? Du willst es doch auch wissen, alte Tratschtante", schmollt Youngjae, lässt danach aber davon ab, Mark noch weiter zu triezen und konzentriert sich stattdessen wieder auf JB und Marks Lidschatten. „Na ja, jedenfalls duldet JB keinen Widerspruch und setzt immer seinen Sturkopf durch. Wenn ein Detail nicht so ist, wie er es haben will, dann wird er daran solange herumnörgeln, bis es genauso ist, wie er es haben will. Ein waschechter Perfektionist, der uns alle schon ein ums andere Mal in den Wahnsinn getrieben hat."
„Allerdings musst du zugeben, dass die Gesamtkomposition immer überaus gelungen ist und in jedem Hochglanzmagazin abgedruckt werden könnte", hält Yugyeom dagegen.
„Deswegen arbeitet er ja auch in der Branche. Aber ich könnte seinen Sinn für Ästhetik wesentlich mehr wertschätzen, wenn er uns nicht dafür die ganze Zeit herumscheuchen würde. Wer schminkt denn Models, seit er damals die Uni abgebrochen hat? Das ist sicherlich nicht er!" Youngjae schimpft vor allem mit seinem Gesicht, seine Hände sind die Ruhe selbst und zeigen, wie gut er wirklich in seinem Job ist.
Yugyeom seufzt und Mark muss ein wenig lachen, was ihm prompt einen Schlag auf den Hinterkopf von Youngjae einbringt, worüber Yugyeom ganz und gar nicht erfreut ist, denn inzwischen ist er dabei, die Haare in strukturierte Unordnung zu bringen, die er in mühevoller Kleinarbeit auf Marks Kopf konstruiert. Nur dass dieses ordentliche Chaos jetzt sehr platt an Marks Kopf anliegt.
„Sieh nur, was du angestellt hast!", ruft er Youngjae aufgebracht zu und fuchtelt mit dem Haarspray in der Hand durch die Gegend.
Youngjae zuckt lediglich mit den Achseln. „Ich seh' da keinen Unterschied."
„Wie bitte?! Das, was ich hier mache, ist Kunst!"
„Dann benutz nächstes Mal mehr Haarspray, damit dein ‚Kunstwerk' nicht so leicht zu zerstören ist", antwortet Youngjae ungerührt und nimmt die Hände aus Marks Gesicht, um seine Arbeit mit einigem Abstand zu begutachten. Zufrieden nickt er. „Du kannst dich jetzt anschauen, Mark", weist er an und tritt ganz zurück, um seine Materialien wieder in dem Mäppchen zu verstauen, das er zuvor auf dem Schminktisch ausgebreitet hat.
„Bist du völlig verrückt geworden?" wird Yugyeom laut, „Mehr Haarspray? Ich will doch nicht Marks Haare einbetonieren! Wie sollen seine Haare messy sein, wenn sie festbetoniert sind?!"
„Das, was ich sehen kann, sieht wirklich gut aus, Yugyeom", versucht Mark beruhigend einzuschreiten und wendet den Kopf ein bisschen, da Yugyeom gerade nichts mit seinen Haaren macht und lieber Youngjae finstere Blicke zuwirft.
„Natürlich tut es das. Deine Haare säßen bereits perfekt, wenn sich jemand", ein tödlicher Blick in Youngjaes Richtung, "nicht für wichtiger halten würde, als er eigentlich ist!", stichelt Yugyeom und trifft damit Youngjaes wunden Punkt.
„Und das von jemandem, der nur Haare legt!", schießt Youngjae zurück und die beiden sind kurz davor, sich gegenseitig die Nasen zu brechen, auch wenn Mark verzweifelt hofft, dass ihre jahrelange Freundschaft sie wieder zur Besinnung bringen wird. Oder wenigstens seine Anwesenheit.
Zu seinem Erschrecken sehen sie aber sehr kampfbereit aus, und er will gerade einschreiten, als jemand in die Öffnung der Stellwände tritt, die auf der anderen Seite des improvisierten Raumes liegt, was bedeutet, dass Mark sie über den Spiegel gut im Blick hat.
Der Mann hat ein katzenhaftes Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen und um seinen Mund sitzt ein genervter Zug, der seine Augenbrauen zusammenschiebt und Schatten über seine schmalen Augen wirft. Er trägt ein weites weißes Shirt und eine Ripped Jeans.
Mark ahnt nichts Gutes, als er das Spiegelbild des aufgebrachten Mannes sieht, und wie zur Bestätigung friert Youngjae, der der Öffnung zugewandt steht, in seinen Bewegungen ein.
Nur Yugyeom scheint nichts von der drohenden Gefahr mitzubekommen und auch Marks diskretes Kopfschütteln nimmt er nicht wahr. Er macht einen Schritt auf Youngjae zu.
Gott sei Dank bringt eine tiefe Stimme ihn endlich zum Anhalten, bevor er irgendetwas Dummes sagen kann.
„Kim Yugyeom, Choi Youngjae, wenn Sie nicht augenblicklich Ihre lächerlichen Streitereien in den Griff bekommen, dann können Sie Ihre Sachen packen und gehen."
Niemand bewegt sich.
„Nur zu, niemand wird Sie aufhalten."
Die beiden schauen betreten zu Boden.
„Das dachte ich mir", murmelt JB und tritt in den Raum hinein, sein Blick noch genauso finster wie zuvor, nur diesmal landet er auf Mark, der augenblicklich in den Stuhl zu schrumpfen scheint und wegschaut. „Choi, pudern Sie die Nase und die Stirn nach und benutzen Sie", er schaut sich kurz Youngjaes ausgebreitete Materialien an und zieht dann zielsicher einen hellen Lipgloss heraus, „diesen Lipgloss. Der, den Sie ausgesucht haben, ist abscheulich. Die Models sollen natürlich wirken, nicht wie die Porzellanpuppen ihrer Großmutter." Er drückt Youngjae den Lipgloss in die Hand.
Mit verkniffener Miene greift Youngjae nach der Tube. Dann stellt sich JB hinter Mark und begutachtet die Frisur.
„Benutzen Sie weniger Haarspray, Kim. Und lassen Sie die Haare mehr abstehen. Herr Tuan ist nicht durch einen Regenschauer gelaufen, um hierherzukommen."
Dann ist er weg und Youngjaes und Yugyeoms Wut hat ein neues Ziel gefunden. Trotzdem sprechen sie nicht miteinander, während sie die Anweisungen ihres Bosses mit großem Unmut ausführen.
Die Stimmung drückt Mark aufs Gemüt.
So stark, dass er nicht wirklich in das Feeling hineinkommt, das er sonst immer bei Shootings hat. Hinzu kommen auch noch seine Schmerzen, die er möglichst vermeidet, aber dadurch verliert seine Haltung steif und unnatürlich wirken. Er dreht sich hin und her wie ein Anfänger, sehr zum Missfallen JBs.
Dieser hat die Kamera noch nicht einmal angehoben, da verdunkelt sich sein Gesicht bereits. „Schauen Sie zur Seite, Körper nach vorne ausgerichtet, Arme hängen lassen. Ich sagte, Arme hängen lassen!" Mit einem genervten Seufzer dreht er seinen Kopf von Mark weg, die Kamera stellt er auf einen kleinen Klapptisch, auf dem weitere Objektive liegen. „Gehen Sie. Machen Sie eine Pause", sagt er dann und winkt Mark beiläufig aus dem ausgeleuchteten Set.
Mark stockt, Angst fließt aus seinem Bauch heraus durch seinen Körper und lässt ihn erstarren.
Jaebum sieht aus dem Augenwinkel heraus, dass Mark sich nicht rührt und sein Unterkiefer krampft zusammen. Seine Wut ist nicht zu übersehen. „Ich sagte, gehen Sie", befiehlt er bedrohlich leise und Mark flieht mit hastigen Schritten vor dem sehr ungeduldigen Mann.
„Wir verlegen die Einzelbilder von Park Jinyoung nach vorne", ruft JB durch die hohe Halle und ein Assistent verschwindet in Richtung der Stellwände, um den Schauspieler zu holen.
Dann führen seine Schritte ihn zu Marks Manager, der eigentlich seinen Schützling abfangen wollte. Nicht um ihm nette und aufbauende Worte mitzugeben und ihn zu beruhigen. Es ist ganz offensichtlich Marks Schuld, dass dieses Shooting schrecklich verläuft. Und es wird nicht an Mark hängen bleiben, den Unmut von oben über eine verbockte, wirklich große Chance auszubaden. Nein, er wird für das Fehlverhalten eines anderes angeschissen. Und genau das ist es, was auch JB vorhat, als er den Mittvierziger zur Rede stellt.
„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, mir so ein nichtsnutziges Model aufzuzwingen. Denken Sie, weil ich jung bin, werde ich mir so eine Nummer gefallen lassen?" Er grinst ohne zu lachen und es lässt ihn noch bedrohlicher aussehen. Hung-Joon sieht, dass JBs jung erreichter Erfolg nicht nur an seinen guten Fotos liegt, sondern vor allen an seinem Selbstbewusstsein und seinem Durchsetzungsvermögen. „Sie können damit rechnen, dass Charm's Ihre Agentur nicht mehr anfragen wird. Wir werden uns ein anderes Model für den Shoot suchen."
Damit lässt er Hung-Joon stehen und geht zu einer Frau Mitte dreißig und beginnt leise auf sie einzureden. Konzentriert nickt die Frau immer wieder, bevor sie mit gerunzelter Stirn hektisch aus dem Gebäude hinausstöckelt, das Handy in der Hand. Währenddessen trifft Park Jinyoung ein, und beginnt sich mit JB zu unterhalten, dessen Miene wieder kalt und steinern geworden ist. Auch er nickt immer wieder und stellt sich dann in den Lichtkegel. Er fängt an zu posieren und JBs Anweisungen so umzusetzen, wie es eigentlich auch Mark vor nur wenigen Minuten hätte tun sollen.
Mit verkniffener Miene betrachtet Hung-Joon das Ganze, ist aber mit den Gedanken wo anders. Er ist wütend auf Mark, aber auch auf sich selbst, weil er dachte, dass ein Student wirklich für so einen großen und wichtigen Shoot die beste Wahl sei. Wie konnte er nur denken, dass diese halbe Kind mit dieser Art von Druck umgehen könnte? Dieser Fehler wird ihm nie wieder unterlaufen. Und auch wenn er gefeuert wird, einmal noch, will er seine Stellung ausnutzen.
Seine Schritte klatschen auf dem ebenen Steinfußboden, als er in Marks Umkleideraum stürmt. Mark ist gerade dabei sich den Schal umzuwickeln und das Make-Up an seinem Kinn ist von dem Stoff verschmiert, sodass die Blutergüsse, die seinen Hals zieren, zu sehen sind. Als er die lauten Schritte hört, fährt er verschreckt herum und starrt Hung-Joon an wie ein ängstliches Kaninchen den großen bösen Wolf. Er hat Angst, gefressen zu werden.
Hung-Joon ballt seine Hände zu Fäusten, um den Drang zu unterdrücken, Mark eins reinzuhauen. „Was war das da draußen?", fragt er beherrscht. An seinem Hals treten die Sehnen hervor, so angespannt ist er.
„Ich –", beginnt Mark, bricht dann aber ab, und schaut betreten zu Boden.
„Willst du oder kannst du dich nicht erklären?", brüllt Hung-Joon auf einmal los.
Mark zuckt zusammen, und verharrt dann weiter mit hängenden Schultern und Kopf in der Mitte des vollgestopften Raumes.
„Weißt du, wie wichtig dieser Job war? Natürlich weißt du das, ich habe es dir zigmal gesagt! Trotzdem kommst du zu spät! Da hätte ich schon misstrauisch werden müssen! Und dann verhältst du dich auch noch wie ein Anfänger, bist ungelenk und hast Knutschflecken auf deinem Hals!" Während er schreit, geht Hung-Joon immer weiter auf Mark zu, der mit kleinen Schritten zurückweicht. Erst als sie am anderen Ende des Raumes stehen, besinnt sich Hung-Joon und tritt von Mark weg. Seine Stimme ist wieder leiser. „Lass dich nicht mehr blicken. Du warst für die kürzeste Zeit ein Model bei uns. Ich kann nicht glauben, dass ich wirklich dachte, du wärest für den Job geeignet."
Als Mark sich nicht bewegt, platzt Hung-Joon der Kragen. Wie kann dieser Junge es wagen, ihm erst alles zu versauen und dann auch noch seine Autorität bezweifeln?! „Verschwinde!"
Mit gesenktem Kopf stürmt Mark an Hung-Joon vorbei, aus der Umkleide und dem Fabrikgebäude heraus und beißt sich dabei so fest auf die Innenwangen, dass es erneut anfängt zu bluten.
Letzter Besuch
Den ganzen Weg nach Hause zittert Mark unkontrolliert. Nicht von der herrschenden Kälte, die sich in seine Wangen frisst und seine Augen austrocknet, bis er nicht mehr weinen könnte, selbst wenn er es wollte.
Er zittert, weil er Angst hat. Weil in seinem Leben gerade alles schief läuft. Weil er allein damit umgehen muss. Weil er wirklich dachte, aus seiner Modeling Karriere könnte etwas werden. Weil es ihm gerade alles zu viel ist.
Da ist kein Gedanke in seinem Kopf, der ihn irgendwie aufheitern könnte. Kein positiver Lichtblick. Ihm graut es davor, mit seiner Familie darüber zu sprechen, mit seinen Freunden. Ihm graut es vor dem Brief von seiner Agentur, der garantiert kommen wird. Ihm graut es vor einem Treffen mit Jackson, weil er über das ganze Drama das Gefühl von dessen Händen auf seinem Körper nicht vergessen konnte, von seinen Lippen, von der federleichten Berührung seiner Haare und der warmen Haut unter seinen eigenen Fingerkuppen. Ihm graut es vor seinen eigenen Gefühlen, die er nicht akzeptieren kann, obwohl er das in diesem Moment am meisten bräuchte: Akzeptanz. Für sich selbst. Von anderen Leuten. Aber er hat Angst davor, weil Akzeptanz heißt Vertrauen. Und seit vier Jahren hat er panische Angst davor, sich jemandem anzuvertrauen. Denn Vertrauen heißt, sich auf jemanden einlassen, diesem Jemand bedingungslos und ohne Fragen alles zu geben, was man hat. Und er weiß nicht, ob er den Fall danach, wenn das Vertrauen bricht, ein weiteres Mal überstehen kann.
Damals, als Jackson mit ihm Schluss gemacht hat, ist für ihn eine Welt zusammengebrochen. Er wusste nicht warum Jackson ihre Beziehung beendete, er hat auch nie danach gefragt. Einmal abgewiesen zu werden, reicht ihm vollkommen. Irgendwie hat sich der Chinese allerdings doch wieder in sein Leben geschlichen. Und anscheinend bestehen seine Gefühle für seinen Ex-Freund nicht nur aus der angenommen Freundschaft, Gleichgültigkeit und der erdrückenden Empfindung des Betrugs. Augenscheinlich hofft etwas in ihm auf Jacksons Liebe und diese wieder zu bekommen. Wie naiv. Wie ein Kind, das nicht aufgeben will und blauäugig von einer Situation in die nächste stolpert, ohne aus den gemachten Fehlern zu lernen. Und genau das wurmt Mark so ungemein. Macht ihn wütend. Lenkt ihn ab von seiner Einsamkeit. Er kann nicht glauben, dass er immer noch romantische Gefühle für Jackson hegt. Er ist wütend auf Jackson, auf sich selbst. Aber unter dieser Schicht aus Wut ist er nur enttäuscht. Enttäuscht von sich selbst, dass er nicht stärker ist, rationaler ist als seine Gefühle. Dass er tatsächlich so wenig Kontrolle über sich selbst hat.
Als dann vor seiner Wohnungstür steht und Jackson daneben an der Wand sitzen sieht, ist er wütend. So unendlich wütend und fertig mit der Welt, dass er dem schlafenden Jackson in die Seite tritt, bevor er die Tür aufschließt und ohne noch einmal nach hinten zu blicken, die Tür zuschlägt.
Sofort ist Jackson auf den Füßen. „Mark!", ruft er und hämmert gegen die Tür.
In der Wohnung bleibt es still.
„Mark! Bitte! Ich will nur mit dir reden!", bittet Jackson durch die Tür und hört auf gegen das Holz zu schlagen.
Seine Worte stacheln Mark nur noch mehr an. So sehr, dass er nach gerade mal acht Sekunden aufhört, Jackson zu ignorieren und stattdessen erneut die Tür aufreißt.
„Ach ja?", brüllt er dem verblüfft schauenden Jackson ins Gesicht, der nicht damit gerechnet hat, dass er Mark so schnell wieder zu Gesicht bekommt. Normalerweise ist Mark nicht der, der in einem Streit laut wird. Stattdessen ignoriert er den Streit komplett, sperrt sich ein und lässt niemanden an sich heran. Aber dass er sich jetzt anders verhält, spielt Jackson in dem Moment nur in die Hände. Zumindest glaubt er das.
„Mark", versucht er ihn zu beruhigen, aber Mark scheint ihn nicht einmal mehr zu hören, so in Rage ist er.
„Wolltest du gestern auch nur mit mir reden? Darüber, dass du mich vermisst? Dass du mich ficken willst? Dass du wieder mit mir zusammen sein willst? Denn das ist gewaltig nach hinten losgegangen. Alles was du kannst, ist mit deinem Schwanz denken, und dabei rechnest du mit keinen Konsequenzen, denn die betreffen dich ja nicht! Aber ich lasse das nicht mehr mit mir machen. Du verschwindest jetzt von meiner Türschwelle und aus meinem Leben, oder ich hole die Polizei wegen Hausfriedensbruch!" Tränen stehen Mark in den Augen, aber er macht keine Anstalten, sie wegzuwischen, als er Jackson erneut die Tür ins Gesicht knallt.
Betroffen steht dieser da und starrt auf den Punkt, an dem eine Sekunde zuvor noch Marks Nasenbein war. Die Tür registriert er nicht. Seine Arme hängen hilflos an seinen Seiten in der Luft, seine Finger geöffnet, als wolle er nach Mark greifen. Aber er konnte ihn nicht festhalten.
„Mark!", ruft Jackson erneut, aber hinter der Tür rührt sich nichts mehr. Kurz zaudert er, entscheidet sich dann aber, dass es egal ist, ob Mark ihn hört oder nicht. Und wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass Mark ihn wieder zurück haben will, nach allem, was er getan hat, dann wird er diese Chance nutzen müssen. „Mark, du... Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben, seit ich dich kenne. Vielleicht nicht von Anfang an, aber... Na ja, du weißt, was ich meine. Als ich mit dir Schluss gemacht habe... Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich damals wirklich so dumm war und dich gehen gelassen hab. Den Fehler bereue ich immer noch. Und ich hab nicht vor, ihn zu wiederholen." Tief Luft holend lehnt Jackson die Stirn an die kühle Oberfläche der Tür. Es ist befreiend das zu sagen, auch wenn es nichts erklärt. Ein Teil von dem, was vor ihm liegt, hat er bereits hinter sich gebracht. Jetzt hat er bereits angefangen, also kann er auch noch alles Restliche durchziehen. Leise fügt er noch den Satz hinzu, vor dessen Antwort er so Angst hat, und den er die letzten Jahre seit der Trennung nicht gewagt hat auszusprechen: „Wenn du mich wieder haben willst."
Der Funken Hoffnung in seinen Augen wird immer kleiner, je länger er auf eine Antwort wartet.
Mark scheint ihn wirklich allein gelassen zu haben. Mark scheint ihn nicht mehr zu wollen.
Jackson kneift verbissen die Augen zusammen, bevor er von der Tür wegtritt. Auch wenn er sich sagt, dass es egal ist, ob Mark ihn gehört hat oder nicht, spricht die Enttäuschung in ihm eine ganz andere Sprache. Aber er ist nicht gewillt, Mark so leicht aufzugeben. Wie er bereits sagte: Diesen Fehler wird er nicht noch einmal wiederholen.
Mark sitzt im Flur seiner Wohnung. Der Mantel, der Schal und seine Schuhe liegen verstreut auf dem Boden, noch von seinem Wutausbruch dorthin geworfen worden. Er selbst sitzt im Türrahmen des Badezimmers, der zwei Meter von der Wohnungstür entfernt die Wand durchbricht. Er hat jedes von Jackson ausgesprochene Wort gehört. Blank und emotionslos starrt er auf das schmale Brett, gegen das sein ausgestreckter Fuß drückt. In seinem Kopf ist alles zum Erliegen gekommen, sein Atem wird ruhiger, nicht mehr abgehackt und wütend.
Geistesabwesend tastet er nach dem Bluterguss an seiner Schulter und umarmt sich dabei selbst. Die Berührung bricht den ohnehin bereits rissigen Damm und Tränen strömen seine Wangen hinunter. Sein Herz krampft sich zusammen, als eine Welle an Traurigkeit durch seinen Körper schwemmt. Nostalgie packt die alten Erinnerungen an seine Beziehung mit Jackson aus, tränkt sie in seinen Tränen, bevor Mark sie anschauen kann. Das kleine Lächeln, das sich sonst immer auf seine Lippen stiehlt, wird durch einen unterdrückten, heiseren Schluchzer fortgejagt. Mark macht sich so klein wie möglich, zieht die Knie an und legt die Arme darum, als er anfängt, hemmungslos zu weinen.
„Mark?", fragt Jackson, als er Marks Schluchzen hört und eilt wieder an die Tür.
Mark verschluckt sich vor Schreck darüber, dass Jackson ihn gehört hat. Statt zu verstummen, muss er husten, weil er sich an seiner eigenen Traurigkeit verschluckt hat. Mühsam hustet er sie wieder hoch, sie reibt in seiner vom Weinen rauen Kehle und setzt sich dort als Kloß fest, den er um keinen Preis dort herauskriegt.
„Mark, bitte. Lass mich... lass mich einfach nur rein. Bitte", fleht Jackson, seine Stimme ruhig und gefasst, obwohl in seinem Inneren ein Sturm tobt. Hat Mark ihn doch gehört? Und wenn ja, was bedeutet das dann? Heißt das, dass er ihn absolut nicht wieder haben möchte? Ansonsten hätte er ihm doch geantwortet, oder nicht? Sein Herz wird von einer kalten Hand umschlossen, die zwischen seinen Rippen hindurchgreift und den pumpenden, einfältigen Muskel in seinem Brustkorb zusammendrückt.
Aber nichts passiert. Die Tür bleibt weiterhin verschlossen. Was für eine Taktik könnte Jackson jetzt noch anwenden, um Mark hinter dieser Mauer hervorzulocken, hinter die sein Freund sich verkrochen hat?
„Der Abend gestern... Ich gebe zu, es ist nicht so gelaufen, wie ich es mir erhofft hatte. Ich wollte eigentlich–", beginnt Jackson zögerlich, eine Hand hat er gegen die Tür gestützt. Er fühlt sich Mark dadurch näher, nicht so abgewiesen und allein.
Aber Mark unterbricht ihn, die Wut bricht aus seinem Herzen aus und steckt den Kloß der Traurigkeit in Flammen, verbrennt ihn zu nichts als heißer Luft, die so unbedingt aus seinem Mund dringen und Jackson verletzen will. „Ach, du hattest also nicht vor, mich zu ficken?!", fragt er aufgebracht durch die Tür, in einer Lautstärke, die ihm unter normalen Umständen peinlich wäre. Er sitzt noch immer auf dem Boden, aber streitlustig nach vorne gelehnt und versucht durch die Tür Löcher in Jackson zu bohren, die ihm hoffentlich wehtun.
Jackson kann nicht anders, als das Gesicht zu verziehen, als er Marks Vorwurf hört. „'Ficken' ist so ein hässliches Wort. Und nein, eigentlich wollte ich dich einfach nur bitten, wieder mit mir zusammen zu sein, weil ich es nicht mehr länger ohne dich an meiner Seite aushalte."
„Du meinst, ohne mich in deinem Bett", spuckt Mark aus. Seine Bindungsängste, vor allem zu Jackson, ziehen die Mauern höher und höher, mit jedem Wort, das Jackson spricht. Er kann sich nicht noch einmal auf Jackson einlassen und dann erneut so enttäuscht werden. Er weiß nicht, ob er das aushalten würde, also versucht er es nicht einmal und verschließt sich all den bedeutungsschweren Worten, die über Jacksons Lippen durch die Tür dringen.
„Ich meine ohne deine Hand in meiner, ohne dein Lachen in meinen Ohren und ohne dich am Morgen. Ohne dein Gesicht, zu dem ich aufwachen kann. Ohne deine Neckereien, die mich von meinen trüben Gedanken ablenken. Ohne deine realistischen Ansichten, die du in viel zu blasse Worte packst, um mich nicht abzuschrecken. Ich brauche dich einfach mehr als nur noch als einen Freund", versucht Jackson sich zu erklären.
Im ersten Moment flattert Marks Herz in seiner Brust, doch beinahe augenblicklich verbietet er sich selbst die aufsteigenden wehmütigen Gefühle. Ein Gedanke vergiftet zusätzlich sein Herz und macht es schwer. „Du hast Kunpimook", sagt er leise, verletzt.
Jackson kennt Mark schon lange genug, um die Nuance in seiner Stimme zu deuten, die er versucht dort herauszuhalten. Jackson weiß, dass es Mark wehtut, Kunpimook zu erwähnen. Und diese Erkenntnis gibt ihm den Rest Hoffnung zurück, um sein Vorhaben doch nicht in den Sand zu setzen, trotz seiner lauten Worte darüber, dass er Mark um jeden Preis wieder zurückhaben will. „Ich bin schon seit vier Monaten nicht mehr mit Kunpimook zusammen", gesteht er also, in seiner Stimme ein zaghaftes Lächeln, das aus der Hoffnung heraus sprießt, Mark würde ihn zumindest bis zum Ende anhören.
„Aber", sagt Mark überrascht, ein kleiner Tropfen Freude, der sein Herz wieder reinigt. Die folgenden Worte schluckt er herunter, zusammen mit seinem Herz, dass ihm in die Kehle springt vor Aufregung.
„Wir sind im Freundlichen auseinandergegangen. Es war für uns beide eher eine Zweckgemeinschaft als wirklich etwas Ernstes. Er wollte seinen Ex-Freund eifersüchtig machen, und ich hatte nichts und niemanden mehr zu verlieren, also habe ich zugestimmt, ihm zu helfen", erklärt Jackson, während er gedankenverloren die Maserung der Tür mit dem Finger nachfährt. Leiser hängt er an: „Vielleicht habe ich auch gehofft, dass es dir etwas ausmachen würde. Dass du dich um mich bemühen würdest."
Mark hat das Gefühl, er müsse sich verteidigen, was er eigentlich nicht muss, aber er kann die Worte diesmal nicht zurückhalten. „Ich jage keinem vergebenen Mann hinterher. Das letzte bisschen Stolz hast du mir damals gelassen." Erschrocken schlägt er sich die Hände über den Mund. Der letzte Satz ist ihm herausgerutscht, ohne dass er es wollte. Sehr zu seinem Verhängnis, denn damit bestätigt er nur, dass Jackson ihm damals wehgetan hat. „Aber das war damals", fügt er noch schnell hinzu, was seine Aussage eigentlich nur noch fragwürdiger erscheinen lässt.
„Es tut mir Leid, wirklich. Ich weiß, dass meine Worte niemals als Entschuldigung ausreichen werden, aber sie sind durch diese Tür das Einzige, was ich dir geben kann. Ich habe dich verletzt und kann diese Wunden nie wieder richtig verheilen lassen, aber was ich kann, ist, es dir einfacher zu machen."
Jackson hat recht. Eine Entschuldigung wird nie genug sein. Mark ballt seine Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß sind und öffnet sie. Seine Finger liegen auf dem kalten Boden. Ein Schauer läuft seine Wirbelsäule hinunter.
„Dann geh", sagt Mark gleichgültig, alle Emotionen in den hintersten Winkel seines Kopfes verdrängend. Alle Wut zusammen mit der Bitterkeit und der Freude. Die Liebe schiebt er in ihren angestammten Platz neben Vertrauen in die schwärzeste Ecke. Er kann nicht noch einmal fallen. Selbst wenn er verbluten müsste, er kann einfach nicht. Die Angst in ihm ist zu groß.
„Das ist das Einzige, was ich nicht für dich tun werde. Ich will dir nicht noch einmal wehtun, Mark", erklärt Jackson eindringlich. Seine Augen starren durch die Tür hindurch und in Marks, die er auf der anderen Seite vermutet, in dem ihm so bekannten Gesicht in dem so bekannten Flur.
Mark hält es nicht länger aus. Alle Rationalität fliegt zum Fenster hinaus. „Verstehst du denn nicht, dass du mich bereits so tief verletzt hast, dass du es nie wieder gut machen kannst?", brüllt er und springt auf die Füße. Tränen steigen ihm zu Kopf und spülen alle Gedanken und Gefühle mit sich hinaus, die er bis gerade eben noch verschlossen hielt.
„Lass es mich doch wenigstens versuchen!", bittet Jackson. Eine Hand ballt sich zu einer Faust aus Frustration. Er will Mark nicht wehtun. Aber gleichzeitig ist er zu egoistisch, um jetzt einen Rückzieher zu machen. Und er ist sich sicher, dass er Mark helfen kann, wenn dieser ihn einfach nur reinlässt.
Gleichzeitig weiß Mark, dass es für ihn vorbei ist, sobald er diese Tür erneut öffnet und Jackson noch einmal gegenüber steht. Er weiß nicht, ob er die Kraft hat, sie dem anderen noch einmal ins Gesicht zu knallen. „Du hast schon genug angerichtet! Noch einmal lasse ich es nicht zu, dass du mich so zerstörst", erwidert Mark bockig und tritt einige Schritte von der Tür weg. Auch seine Hände sind zu Fäusten geballt, um sie davon abzuhalten in der Zwiespältigkeit seiner Emotionen doch die Tür zu öffnen und Jackson hereinzulassen.
"Mark", sagt Jackson und ein trauriges Lächeln zeigt seine Zähne, "ich hab es dir doch gesagt: Ich lasse dich nicht noch einmal alleine. Dass du dich so allein und hilflos fühlst, ist meine Schuld. Ich habe damals einen Fehler gemacht und Schaden angerichtet, den ich nie wieder werde gut machen können. Aber ich werde es versuchen, weil ich es dir und mir schuldig bin. Weil mein Gewissen mich dazu drängt. Weil ich dich immer noch liebe." Tief ausatmend, lässt er seine Arme herabhängen. "Lass mich rein. Bitte."
Mark bleibt still.
Jackson sieht das als Ermutigung dafür fortzufahren. "Wenn du mich nur reinlässt, kann ich anfangen, dein gebrochenes Herz zu kitten. Bitte, Mark. Lass mich meinen Fehler versuchen gut zu machen." Vielleicht hat er Mark abgeschreckt. Vielleicht sollte er nicht direkt seine unendliche Liebe gestehen, sondern Mark Manövrierraum lassen. Hastig haspelt er: "Wir müssen keine feste Beziehung führen! Du musst dich auf nichts einlassen, zu dem du dich nicht bereit fühlst! Ich zwinge dich unter keinen Umständen zu irgendetwas. Das Einzige, was du nicht von mir verlangen kannst, ist, dass ich dich allein lasse."
"Ich", beginnt Mark, zögert aber. Ist er bereit, Jackson etwas zu erklären? Vielleicht hilft es ihm, sich zu sortieren. Augen zu und durch. „Ich habe Angst. Ich vertraue dir nicht mehr. Du hast mich damals fallen gelassen, ohne mir einen Grund zu geben. Und nun kommst du wieder, viel zu spät, um das, was wir haben, mehr als nur Freundschaft zu nennen, wieder ohne Grund. Woher weiß ich, dass du irgendwann nicht wieder entscheidest, dass das zwischen uns nicht halten kann? Auch wenn du sagst, du hättest aus deinem Fehler gelernt, habe ich nichts lernen können. Und ich will nicht, dass du ihn noch einmal begehst, weil es so unglaublich wehtut."
Ich hab es echt verkackt, denkt Jackson. Seine Augen hat er gepeinigt zusammengekniffen. Er hat Mark noch mehr verletzt, als er dachte. Kann er das wirklich wieder gut machen?
„Mark", beginnt er, bricht wieder ab.
Er kann es Mark nicht versprechen. Er dachte auch mal, er bliebe für immer mit Mark zusammen, aber seine Situation, die ständige Ungewissheit, die er Mark, aber vor allem sich selbst, durch seinen fehlenden Job aufgebürdet hat – wer weiß, ob irgendetwas ihn nicht wieder aus ihrer Beziehung hinaustreibt? Und muss er Mark nicht gerade deswegen gehen lassen, weil er weiß, wie erdrückend diese Ungewissheit sein kann? Muss er es nicht gerade deswegen tun, weil er Mark liebt? Weil er sein Bestes will?
Hinter der Tür bleibt es still.
Sekunden strecken sich zu zwei Minuten, recken sich zu zehn Minuten.
Zaghaft öffnet Mark die Tür.
Jackson ist gegangen.
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