4
Diese Abende wurden bald zur Gewohnheit, obwohl anfangs bloß ein kleiner Crash-Kurs geplant war. Doch nun verbrachten Adam und Leo fast jeden freien Abend in Leos Wohnzimmer und tanzten, worüber Leo sich keinesfalls beschwerte.
Mit jedem Mal merkte er, wie Adam besser wurde. Seine Bewegungen fühlten sich stetig flüssiger und vertrauter an und Leos Annahme, dass in seinem Freund ein verstecktes Talent schlummerte, wurde jedes Mal stärker. Er konnte Leos Hinweise auf Figuren fast immer direkt erkennen und folgen. Ein kleines Drücken der Hand, ein leichtes Heben des Arms, jede noch so unauffällige Veränderung in Leos Bewegung reichte aus und Adam reagierte. Leo hatte bereites mit so vielen Menschen getanzt, doch mit niemandem hat es so gut gepasst, wie mit Adam. Da war eine Verbindung. Etwas besonderes.
Und Adam machte beim Tanzen nicht nur große Fortschritte, sondern schien auch von Mal zu Mal entspannter zu werden. Seine Apathie schien mit jeden Tag mehr zu schwinden und er schien mittlerweile wirklich Freude daran zu haben. Das gab er zwar nicht wirklich zu, aber Leo hatte gelernt zwischen den Zeilen zu lesen. So beschwerte er sich weniger, lächelte mehr und seine Kommentare klangen immer weniger gehässig.
Zwar konnte er sie sich noch immer nicht wirklich verkneifen („Tanzen ist schon ein Spiegel des Patriarchats. Der Mann macht, was er will und die Frau muss darauf so reagieren, dass sie sich nicht beide aufs Maul legen"), doch er meinte es nicht wirklich ernst. Sonst würde er nach einem „Ach, halt doch die Fresse" von Leos Seite aus, nicht so dämlich grinsen.
Mittlerweile beherrschte Adam erstmal genug Tänze, weshalb Leo beschlossen hatte, nun eher ins Detail zu gehen und ihm weitere Figuren zu zeigen. Zunächst legten sie dieses Mal aber erstmal ein kleine Wiederhohlungseinheit ein, in der zum Abschluss nun auch Adam mal führen durfte.
Es war nicht das erste Mal, dass sie die Rollen tauschten, doch Adam hatte anfangs noch Probleme damit gehabt, umzudenken und die Schritte anzupassen. Aber diese anfänglichen Schwierigkeiten waren zu Leos Überraschung nun vollends verschwunden.
Und wie schon oft hob sich wieder Adams Talent hervor, fand Leo. Denn auch wenn Adam kaum Erfahrung hatte, führte er erstaunlich gut.Er tanzte sicher und gab in den richtigen Momenten die richtigen Signale. Aber vor allem führte er.
Viele Anfänger neigen dazu einfach ihre Schritte abzulaufen und zu hoffen, dass der Partner das Gleiche tat. Doch Adam führte Leo durch die Schritte. Er zog, schob und hielt ihn fest. Sie bildeten eine Einheit. Genauso sollte es sein.
Adam machte es so gut, dass Leo seinen Kopf ausschalten konnte und sein Körper automatisch den Rest übernahm. Er liebte es, wenn sich das Tanzen so anfühlte. Dann gab es nur ihn und die Musik, in der er sich verlor, während alles andere um ihn herum verschwand.
Doch jetzt war etwas anders.
Zwar fühlte er, wie sein Körper und seine Bewegungen eins mit der Musik wurden und alle anderen Gedanken in den Hintergrund gedrängt wurden, wie sonst auch, aber er war nicht allein.
Denn obwohl er sich in seinen üblichen Tanz-Tunnelblick befand, spürte er noch immer den sanften, aber kräftigen Druck von Adams Hand auf seinem Rücken und in seiner Hand. Er hörte seinen Atem, spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging und als er einen kurzen Blick zur Seite riskierte, sah er, wie trotz dessen konzentriertem Blick, ein Lächeln Adams Lippen umspielte.
Das gedimmte Licht warf Schatten in seinem Gesicht und wenn sie gerade richtig standen, spiegelte es sich für einen kurzen Moment in Adams Augen.Dieser Anblick erinnerte Leo an die Sonnenuntergänge am alten Angelplatz, als alles so schrecklich und perfekt zugleich gewesen war.
Es war das erste Mal, dass er nicht allein in seiner eigenen kleinen Welt war. Das erste Mal, dass jemand es geschafft hatte, ihm dorthin zu folgen, auch wenn Adam sich dessen vermutlich gar nicht bewusst war. Und auch wenn Leo diese einsame kleine Welt eigentlich mochte, störte Adams Anwesenheit ihn keineswegs. Im Gegenteil. So wohl hatte er sich dort noch nie gefühlt.
Für diesen Moment, diesen Tanz, gab es nur sie zwei. Keine Fälle, kein Stress, keine Schatten der Vergangenheit, keine Geheimnisse...keine Probleme. Nur sie zwei.
Und Leo wünschte sich, dass dieser Moment niemals enden würde.
Doch es kam, wie es kommen musste und irgendwann verhallten die letzten Klänge des Liedes, was Leo zu seinem eigenen Bedauern, wieder in die Realität zurück schickte. Doch die Magie des Augenblicks war noch immer nahezu greifbar und auch wenn sie sich wieder von einander gelöst hatten, standen sie noch einen Moment lang wortlos in Leo Wohnzimmer und sahen sich an, bis Adam plötzlich zu grinsen begann und meinet: „Also, ich könnte jetzt ne Pizza vertragen. Du auch?"
Leo nickte perplex, auch wenn nicht wirklich hungrig war. Wobei das schwierig festzustellen war, bei dem was in seinem Inneren vor sich ging. Noch immer spürte er den Nachhall von Adams Berührungen und auf seinen Herzschlag hätte er einen Tango tanzen können, wenn auch einen sehr schnellen.
Doch bevor er noch mehr darüber nachdenken konnte, steckte Adam seinen Kopf durch die Tür: „Was soll ich für dich bestellen?"
Adam war da und das war alles, was vorerst zählte. Mehr brauchte er im Moment nicht.
Also beschloss er, dass sich Zukunfts-Leo damit weiter beschäftigen würde und setzt es ganz oben auf die Agenda für seine allabendliche Overthinking-Session. Auch wenn ihm das Ergebnis eigentlich schon klar war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top