Prolog

"Ich glaube, mir wird schlecht", stöhnte Lini und lehnte sich erschöpft in ihrem Sitz zurück. Warum musste dieser bescheuerte Bus auch so viele Kurven fahren? 

"Achtung, das Baby macht gleich Bäuerchen!", höhnte Jael und warf ihrer kleinen Schwester einen abfälligen Blick zu. Lini war mit ihren 13 Jahren mit Abstand die jüngste Teilnehmerin des Feriencamps - da war es wohl klar, dass ihre große Schwester keine Gelegenheit auslassen konnte, sie damit aufzuziehen. 

"Geht es?", erkundigte sich nun Cosima, eine der Betreuerinnen, mit ein wenig Besorgnis in der Stimme, "Oder sollen wir eine Pause machen?" 

"Nein, nein, das passt schon", krächzte Lini und wischte sich eine ihrer blonden schulterlangen Strähnen zurück. Das war klar, dachte Jael und verdrehte die Augen. Immer musste ihre kleine Schwester die beste sein - Schwäche zeigen ging da natürlich nicht. 

"Kotz mich aber bitte nicht voll", murrte nun auch Jaels Freundin Helene - auch als Löne oder Lenchen bekannt - , die den beiden Schwestern gegenüber in dem Vierersitz hockte und bis gerade eben gelangweilt aus dem Fenster geblickt hatte. 

Seit Stunden rumpelte der Bus nun schon durch die Gegend, die Autobahn hatten sie vor Ewigkeiten verlassen und tuckerten nun über eine schlecht befestigte Landstraße. 

"Sommer, Sonne, Sonnenschein". Das war es, was der Flyer der Ferienfreizeitorganisation versprochen hatte. "Wolken, Reiseübelkeit und Langeweile" beschrieb es bis jetzt besser. Wieso hatte sie sich nur von Jael, Lini und Leoni überreden lassen können, an dieser Freizeit teilzunehmen? Genauso gut hätte sie mit ihren Eltern nach Italien fliegen können... Da schien jetzt wenigstens die Sonne und es gab sicher spannenderes zu sehen als Bäume, vertrocknete Wiesen und Dörfer, die genau aus einer Straße bestanden... 

Helene ließ den Blick durch den Bus schweifen. Die beiden Betreuerinnen Cosima und Cynthia saßen in der ersten Reihe und plauderten mit einem Mädchen von etwa 16 Jahren. Sie war zwar nur knapp 1, 50 groß, dafür gingen ihr die glänzenden braunen Haare fast bis zur Hüfte. Und ihre Aufgekratztheit machte die mangelnde Körpergröße auch wieder wett. Sie kicherte am laufenden Band und schien die ein oder andere Dummheit vom Stapel, denn einige der Menschen in ihrer Umgebung verdrehten immer wieder die Augen. 

"Langsam reicht es aber auch, Mila", jammerte nun auch Cynthia, "wir haben verstanden, dass du sämtliche Flachwitze des Universums kennst!" Mila ließ sich von ihrer Betreuerin jedoch nicht beeindrucken, sie kicherte ununterbrochen weiter. 

Die andere Betreuerin, Ulrike, war zeitgleich auch die Busfahrerin und konzentrierte sich zu Helenes Erleichterung voll und ganz auf die Straße und blendete die teils sehr aufgedrehten Mädchen glücklicherweise. 

Einige der vielen Mädchen hatten sich hinter ihren Büchern versteckt, so auch das Mädchen mit den brustlangen braunblonden Haaren, in dem grünen Kapuzenpulli, das (vertraute man auf die Aussagen ihrer Sitznachbarin) den Namen SoMa trug und eine Reihe vor ihnen saß. Interessiert beugte sich Lenchen nach vorne, um einen Blick auf das Buch ihrer Mitfahrerin zu erhaschen. 

"Der Große Ork war da mit dreißig oder vierzig bewaffneten Wachen, und ich sagte mir: Selbst wenn sie nicht mit Eisen aneinandergekettet wären - was könnte ein Dutzend Leute gegen so viele Orks ausrichten?", stand auf der Seite, die diese SoMa gerade aufgeblättert hatte. 

Das Mädchen hielt den Atem an. Das war doch... Der kleine Hobbit von J.R.R. Tolkien! War SoMa etwa auch ein Hobbit-Fan? Das wäre ja der Wahnsinn! 

"Entschuldigung", wagte sie nun zu fragen, "das wirkt jetzt zwar ein bisschen so als würde ich dich stalken, aber sag mal, bist du auch ein Hobbit Fan?"

Erschrocken drehte sich SoMa zu ihr um, dann begannen ihre grün-blauen Augen jedoch zu strahlen. 

"Ja!", freute sie sich, "Du etwa auch?" 

Helene nickte erfreut. "Ja, und meine Freundinnen Jael, Lini und Leoni auch!"

"Wie cool", erwiderte SoMa lächelnd und stupste ihre Sitznachbarin, ein Mädchen mit langen, leicht gewellten braunen Haaren, an, "Sarah auch!" 

Sarah schenkte ihnen ein etwas schüchternes Lächeln, doch das Funkeln in ihren Augen verriet sofort: Sie wirkte auf den ersten Blick zwar ruhig, doch wenn es drauf an kam, konnte man auch richtig Spaß mit ihr haben. 

"Schön euch kennenzulernen", meinte sie nun und grinste noch ein bisschen breiter, "jetzt haben wir endlich mal andere zum Fangirlen. Sonst sind wir nur zu zweit, und das wird auf Dauer ganz schön langweilig..." 

Ein paar Reihen hinter den Mädchen hockte eine etwa 16-Jährige mit blau gefärbten Haaren. Sie hatte sich einen Pulli gekuschelt und plapperte ununterbrochen mit ihrer Sitznachbarin, die den ein oder anderen sarkastischen Witz riss. 

Die beiden Mädchen lachten was das Zeug hielt, bis Milena sich auf die Lippen biss und - noch von Lachkrämpfen geschüttelt - hervorstieß: 

"Du Josie, wir sollten langsam aufhören, Aelis ist glaube ich ziemlich genervt von uns!" 

Tatsächlich blickte Aelis, das Mädchen, das hinter den beiden neben ihrer schlafenden Freundin hockte, ziemlich finster drein. 

"Sorry", entschuldigte sich nun auch Josie, "ich bin oft sehr aufgedreht und Milena auch..." 

Zu ihrer Überraschung errötete Aelis leicht und meinte dann etwas schüchtern: 

"Nein, alles gut, macht ruhig weiter. Ich, äh, also, eigentlich finde ich euer Gespräch ganz spannend. Jessa schläft leider schon, seitdem wir die Autobahn verlassen haben." 

Sie verzog das Gesicht und deute auf ihre Freundin, die sich neben ihr eingerollt hatte. Ihr langes blondes Haar hing ihr über das Gesicht und selbst der enorme Lärmpegel im Bus schien sie nicht zu stören. 

"Ach, dann ist ja gut", lachte Milena, "ich wollte Josie noch die Geschichte von der Hobbit-Convention erzählen, auf der ich letztes Jahr war. Da war ein Typ, der sah wirklich fast so aus wie Bilbo. Cool, oder?" 

"Bilbo", seufzte Josie verzückt, "bitte, erzähl uns davon!" 

Am anderen Ende des Busses saß ein etwa 17-jähriges Mädchen mit langen blonden Haaren und blätterte in einem Buch. Sie hatte sich in eine braune Kuscheljacke verkrochen und trug trotz des bescheidenen Wetters eine Sonnenbrille. 

In diesem Moment fragte das Mädchen mit blonden, etwa bis zur Schulter reichenden Locken, das mit ihrer Freundin eine Reihe hinter ihr saß, vorsichtig mit einem freundlichem Lächeln: 

"Hey, du bist doch Ann-Marie, oder?" 

Ann-Marie zuckte kurz zusammen und blickte erschrocken von ihrem Buch auf. 

"Äh, ja, was ist denn?", gab sie zurück und musterte die beiden Freundinnen misstrauisch. Vor allem die andere blickte sie ziemlich kühl an. 

"Ich bin Lilly", stellte sich das erste Mädchen strahlend vor, "und das da ist meine Freundin Amelia. Hast du vielleicht Lust, eine Runde Mau-Mau mit uns zu spielen?" 

"Zu zweit ist es ein bisschen langweilig", gab Amelia zu, deren wilde braun-blonden Locken ihr bis zur Mitte des Rücken gingen, und nun schlich sich ein feines Grinsen auf ihr Gesicht.

Aha, so kühl war sie anscheinend gar nicht, stellte Ann-Marie fest und lächelte zurück. 

"Gern, das hab ich ewig schon nicht mehr gespielt. Äh, Pink, willst du auch mitmachen?" 

Ihre Sitznachbarin Pink war ein 15-jähriges Mädchen mit hüftlangen dunkelbraunen Haaren und großen grünen Augen, die nun erfreut aufblitzten. 

"Gern", schloss sie sich an, "wenn ihr Spielkarten dabei habt, warum nicht?" 

In diesem Moment spürte Lilly, wie ihr jemand auf die Schulter tippte. Überrascht drehte sie sich um und blickte in die grünen Augen eines etwa 14-jährigen Mädchens mit vielen Sommersprossen. 

"Sorry, dass ich euch einfach so anspreche", meinte sie vorsichtig, "aber, ähm, ich wollte fragen, ob ich vielleicht mitspielen kann. Ich hab mein Buch schon zweimal durchgelesen..." 

"Warum nicht", freute sich Lilly, worauf das andere Mädchen grinste und sich das hüftlange hellbraune Haar zurückstrich. 

"Cool, ich bin übrigens Lucy." 

Nicht nur Pink, Amelia, Lilly, Lucy und Ann-Marie vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen. Auch ein Mädchen, das mit ihren Freundinnen einen Vierersitz im vorderen Teil des Busses besetzten, hatte in der Zwischenzeit ein Kartenspiel hervorgezaubert. 

"Lasst uns doch Uno oder so spielen", schlug sie vor und strich sich das dunkelblonde Haar zurück, "was meint ihr?" 

Ihre Freundin Emilia, die von ihren Freunden nur Emi genannt wurde, kicherte: 

"Mann, Melina. Du hast zwar oft merkwürdige Ideen, aber die hier gefällt mir mal. Wir sind schon viel zu lange unterwegs."

"Du hast recht", stimmte ihre Freundin Lina zu, ein 15-jähriges Mädchen mit langen dunkelbraunen Haaren, deren Spitzen jedoch rötlich schimmerten, "was, wenn wir uns verfahren haben?" 

"Jetzt entspann dich doch mal", stöhnte Sibel, die vierte im Bunde, auf, "du machst dir schon wieder zu viele Sorgen. Als ob wir uns verfahren würden. Und wenn, wäre das auch nicht so schlimm. Uno finde ich übrigens gut, Melina." 

Lina errötete leicht - zu viel Nachdenken war einfach ihre größte Schwäche.

"Ihr habt ja recht", gab sie kleinlaut zu, "und ja, Kartenspielen ist eine gute Idee..." 

Melina machte sich daran, die Karten zu mischen und an ihre Mitspielerinnen zu verteilen. Gerade, als sie Emi die Spielkarten in die Hand drücken wollte, geschah es. 

"Heiliges Kanonenrohr!", schrie Ulrike erschrocken und da machte der Bus auch schon eine Vollbremsung. Die Karten flogen durch die Luft, genauso wie SoMas Buch, das prompt an Milas Hinterkopf prallte. Und die arme Cynthia, die eben aufgestanden war, um Ulrike nach der Ankunftszeit zu fragen, flog durch den halben Bus und knallte gegen die Windschutzscheibe. 

"Was war das denn?", ertönte Ann-Maries erschrockener Ruf, und auch die anderen Mädchen erhoben sich - nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatten - von ihren Plätzen, um nach der Ursache für den ruckartigen Stopp Ausschau zu halten. 

Ulrike saß mit weit aufgerissenen Augen hinterm Lenkrad und starrte fassungslos auf die Straße. 

"Die waren eben noch nicht da", beteuerte sie.

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