Vorwort

VORWORT
Julian

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Der heutige Trainingstag ist alles andere, als einfach gewesen. Nachdem wir am Samstag eine eigentlich vermeidbare Niederlage gegen Frankfurt kassiert und somit, mal wieder, die Chance auf den ersten Platz verspielt haben, ist unser Trainer nicht gerade gut auf uns zu sprechen – wem wundert das bitte schön.
Ich bin's auch nicht. Auf das Team, dass an dem Tag vergessen hat, wie man eben als dieses spielt und auch mich, der zu viele Chancen vergeigen musste.
Schweißgebadet, lasse ich mich auf der Sitzbank in der Umkleidekabine fallen, stütze meine Arme auf meinen Knien ab und lasse den Kopf hängen. Ich versuche mein polterndes Herz zu beruhigen, mein Atem zu stabilisieren. Spüre dabei die Anspannung und den ganzen Groll, der über jeden einzelnen Spieler, wie eine dicke Gewitterwolke schwebt.
Nachdem mein Herz sich ein wenig abgekühlt und ich an meiner AppleWatch sehen konnte, dass sich mein Puls langsam normalisiert, lasse ich einen ersten vorsichtigen Blick, über die wenigen Mitspieler in der Kabine schweigen. Einige haben bereits ihre Sachen gepackt und sind in den durchgeschwitzten Klamotten abgedampft. Ein anderer Teil, verschwindet unter den Duschen, während mit mir, nicht mal eine Hand voll Spieler in dem nach Achselschweiß und Käsefüßen kontaminierten Raum sitzen bleiben. Spieler, die gefühlt aus dem Kindergarten entlassen worden sind und schon in der ersten Bundesliga spielen. Ab und an, mal ein paar »ältere Spieler«, wie meine Wenigkeit, obwohl ich mit meinem Jahrgang 1996, nicht gerade alt bin. Trotzdem fühle ich mich zwischen den ganzen Milchbubis wie ein Rentner. Wie alt sich Marco fühlen muss? Unser Kapitän, einen Typen, zu dem ich immer aufsehen konnte, seitdem ich 2019 aus Leverkusen gewechselt bin, den man so viel gegönnt hat, sei es einen Meistertitel, oder einen Weltmeisterschaftstitel, wären da nicht die bescheuerten Verletzungen. Verletzungen, die er sich immer vor den wichtigen Spielen einheimste. Marco ist älter als ich, laut seinem Ausweis, dem er im Gegensazu zu seinem Führerschein auch wirklich besitzt (mittlerweile hat er einen), Ende der achtziger geboren, hat so einen dermaßen kranken Kampfgeist, dass selbst Kontra K neidisch wäre. Marco kann man nicht kleinkriegen – wie auch immer der Kerl das anstellt. Entweder liegt es an seiner Frau May, mit der man sich nicht wirklich anlegen will (ich habe einmal den Fehler gemacht, weil ich mit ihr geflirtet habe. Marco hat mir das nicht übel genommen), oder seinen beiden Kindern, denen er stets immer ein gutes Vorbild sein will. Aber jetzt gerade wirkt er mehr als niedergeschlagen. Fertig. Falten haben sich auf seiner Stirn gebildet, als er nachdenkt. Er sitzt in einer Welt voller Gedanken fest.
Als er meinen Blick jedoch bemerkt, schaut er auf und setzt dann sein motiviertes, schräges Schmunzeln auf. Dann springt er plötzlich auf und verschwindet schweigend in Richtung Duschen.
In der Reflexion des Spiegels, kann ich sehen, dass sein Schmunzeln einer starren, traurigen Miene gewichen ist. Keine aufmunternden Worte von Marco. Vermutlich, weiß er selbst nicht mehr, was er noch sagen kann. Verübeln kann ich ihm das nicht. Mir ist auch überhaupt nicht zum Lächeln zu Mute. Die persönliche Standpauke vom Trainer, ja selbst von den größten Tieren des Vereins, setzen mir noch immer zu. Ist ja nicht erstmal so, dass ich meine katastrophale Spielweise und die Niederlage verarbeiten muss, dass ich selbst weiß, dass ich momentan nicht da bin. Nein, dass kann ich ja vergessen haben. Da hab ich nicht mal einen Schritt, nach Abpfiff in die Katakomben des Westfalenstadions gemacht, da wurde ich auch schon von den Vorsitzenden Spatzke und dem Präsidenten Lunovic, höchstpersönlich am Kragen gepackt. Ohne Scheiß, wortwörtlich. Mein Arsch haben die mir nicht gepudert. Auf jeden Fall, habe ich, ICH, (Fußball ist anscheinend kein Teamsport mehr und man sucht sich einzelne Spieler raus), eine Ansage kassiert, und was für eine. Ich verwette, meinen blassen Arsch darauf, dass das Gemotze und Getobe der Beiden, selbst in der Veltins Arena zu hören gewesen ist. Komischerweise hat Schalke das Spiel noch in der Nachspielzeit gegen Leipzig drehen können. Ob die noch den Klassenerhalt schaffen, obwohl da Hopfen und Malz verloren ist?
    Naja, um Spatzke, mehr oder weniger, zu zitieren, es fehlt mir die Zeit und die Lust, und außerdem, will ich nicht schon wieder vor Wut heulen: Ich sei kein Teamplayer und ich sei unfähig. Das waren nur zwei von den Dingen, die mir, ich wiederhole, nur mir, an den Kopf geworfen wurden. Teamsport und so. Dann wurde ich noch gefragt, ob eine weibliche Bekanntschaft mir die Abseitsregeln aus dem Kopf gevögelt habe. Erstens, hab ich schon ein paar mal blöde im Abseits gestanden. Das gebe ich zu. Zweitens, gibt es keine weibliche Bekanntschaft, die mir sämtliche Regeln aus dem Kopf vögeln könnte. Kaum zu glauben, dass ein Mann in den sechzigern und Falten so tief, wie das Profil an frischen Winterreifen, so eine Wortwahl beherrscht. Lunovic fügte netterweise noch hinzu, dass sie nur mit den Fingern schnipsen müssen, und ich würde solange auf der Bank verrotten, bis ich wieder nach den unterirdischen Bremern abgeschoben werde. Meinen netten Hinweis, dass ich, bevor ich zum BVB gewechselt bin, bei Leverkusen gespielt habe, ignorierte man. Die Drohung, vom Fingerschnipsen und Rauschmiss wurde abermals wiederholt. Nett und irgendwie enttäuschend, da ich so ein Verhalten eher vom Vorstand des FC Bayern München erwartet habe. Auch, wenn man wütend ist, kann man doch als Geschäftsmänner, was die beiden ja in diesem Fall sind, anständig reden. Normal reden ist nicht. Eine Antwort, wieso ich momentan nicht in der richtigen Verfassung bin, würde ich denen auch nicht mehr geben. Es sei denn, die Scheiße ist so richtig am Dampfen.
Zumal ich bin kein bisschen allein Schuld, an der momentanen Situation in der Mannschaft. Wie gesagt, Teamsport. Die ganze Mannschaft befindet sich irgendwie im Formtief und unser Trainer, weiß selbst nicht mehr, was er machen soll. Ist einer nicht zu hundert Prozent da, vor allen Dingen ein wichtiger Schlüsselspieler, zieht es nach und nach die ganze Mannschaft runter und wenn der Rose, unser Trainier, nicht mal weiß, damit umzugehen, ist die Katastrophe nicht abzuwenden.
Niederlagen, Unentschieden, Ausscheidungen aus wichtigen Wettbewerben – das tritt noch mal so richtig heftig nach. Genau in die Eier. Volle Kanne.
»Mach dir nichts daraus«, hat Marco zu mir gesagt, der die ganze Szenarie in den Katakomben mitbekommen hat. »Bei uns muss sich einiges ändern. Das kriegen wir schon gebacken.«
»Schön wär's.« Er hat mir noch aufmunternd auf die Schulter geklopft, ehe er mich allein gelassen und wenig später von Spatzke und Lunovic abgefangen wurde. Wie die Hyänen stürzten die beiden sich auf den armen Kapitän, der am wenigsten dafür kann.
Traurigerweise, habe ich keine Bekanntschaft, die mir die Abseitsregel aus dem Kopf vögeln kann. Momentan will ich das ja nicht mal, auch wenn's langweilig klingt: ich bin da eher der klassische Beziehungstyp, was man heutzutage in den jüngeren Generationen, so gar nicht mehr sieht. Sinnfreie Befragungsvideos auf irgendwelchen Socialmedia-Apps, in denen Zumutungen von Jugendlichen über ihr Liebesleben befragt werden – teilweise auch junge Erwachsene, die sich auf Krampf anpassen wollen. Fremdgehen wird als normal angesehen und dann reden die Dilaras auch noch wie Mehmet. Zitat: »Du siehst aus wie mein linker Zehfuß, Junge.« Okay, man kann nicht alle Jugendlichen über einen Kamm scheren, möchte ich auch gar nicht, aber dieser eine Teil, der zukünftigen Steuerzahler... das muss doch nicht.
Wenn man in der Öffentlichkeit steht, als ranziger Z-Promi, der durch irgendeine zurückgebliebende Dating-TV-Show bekannt wurde, als Influencer, der seine verpeilte Zuschauerschaft manipulierend Billigware für eine Niere verkauft, oder eben als Fußballer, wie meine Wenigkeit, dann kennen alle deinen Namen. Entweder sind es die, die sich wirklich für diesen Sport interessieren und Fan der Mannschaft sind, oder die, die das ganz gut Vorheucheln, nur um Aufmerksamkeit über die Sozialmedien zu generrieren. Aufmerksamkeit ist auch wieder Geld.
Ein Trauerspiel. Ich bin froh, dass ich eine Kindheit ohne Tiktok und Co gehabt habe. Damals, als man sich noch Hals über Kopf aufm Schulhof verknallt hat und nicht über diese ganzen Plattformen, weil man das große Geld erschnüffelt. Ich sehe es an meinen Kollegen, an mir selbst.
Man gerät, in letzter Zeit, viel zu oft, an die falschen Personen. Freunde, die keine Freunde sein wollen. Frauen, die einen Ausnutzen. Und ich schwanke schon wieder komplett ab.
Ich bin so in Gedanken vertieft, nicht mal mehr wegen Spatzke und der Mannschaft, nicht wegen den blöden Gedanken, ob ich vielleicht einsam sterbe, sondern, ob ich mir die Frechheit rausnehme, trotz straffen Trainingsplans und Championsleague, für ein paar Tage in meine Heimat zu fahren. Um für meine Familie da zu sein. Sie brauche mich. Glaub ich zumindest. Meine Oma braucht mich, obwohl ich nicht mal mehr weiß, ob sie in der Lage ist, sich überhaupt an mich zu erinnern.
Der bescheuerte Alzheimer, ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie sich selbst nicht mal an Opa erinnert, ihren geliebten Mann, mit dem sie schon seit dem siebzehnten Lebensjahr verheiratet war. Ein Mann, der bis daton immer in ihrem Kopf geblieben ist. Es mag sein, dass ich Mitschuld, an dem Disaster von Spielweise bin, weil ich mit meinem Kopf einfach nicht hier bin. Außerdem hab ich mich vor dem Anpfiff, über den akutellen Gesundheitsstatus meiner Oma erkundigt. Natürlich hat es mich aus der Bahn geworfen. Auch wenn meine Mama sich weigerte mir Auskunft zu geben, weil sie eben weiß, dass mich das komplett lahm legen würde, hab ich meine Cousine so lange in den Ohren gelegen, bis diese mich anrief. Videoanruf. Direkt aus dem Altersheim. Ich habe es sofort bereut, als Sabrina, die Kamera auf Oma richtete. Eingefallene Wangen, die Falten noch tiefer, als vorher. Sichtlich abgemagert. Wenn Oma nicht ihre stechend blauen Augen gehabt hätte, hätte ich sie für eine andere alte Dame gehalten, die ihr Dasein im Altenheim fristete. Die stechend blauen Augen, die das aufregende, freche Funkeln, schon längst verloren hatten. »Du Dummkopf, hast es nicht anders gewollt«, hat Sabrina noch sagen wollen, aber da hab ich den Anruf schon beendet.
Das Spiel verkackte ich natürlich so richtig.

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