Kapitel 5

Kapitel 5
Julian

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Ich gehe meine morgendliche und sichtlich langweilige Morgenroutine durch (jeder bescheuerte Influencer würde daraus aber trotzdem ein Video mit unnötigen, nicht funktionierenden Produktplatzierungen machen) und damit spreche ich nicht indirekt meine Exfreundin an. Also nicht ganz. Während Nala im Garten einen Haufen nach dem anderen legt, bereite ich mir einen Kaffee zu. Nagut, ich stelle nur die Tasse unter dem Vollautomaten, bete, dass er nicht gereinigt werden muss, die Kaffeebohnen nicht wieder aufgefüllt werden müssen, oder ich einen Ausdruckstanz hinlegen muss, damit ich meinen Kaffee bekomme und drücke auf die eingespeicherte Option 1. Kaffee. Schwarz. 4 von 5 Bohnen. 0815, eben. Lauthals meldet sich die Maschine zu Wort und zermahlt den Kaffee.

Nala tollt durch den Garten und jagt irgendein Federvieh. Sobald ich meinen Kaffee getrunken habe, werde ich mich nicht den Fitnessgeräten im Keller zuwenden, sondern meiner Konsole.

Ich pfeife Nala zurück ins Haus, die Haufen werde ich später aufsammeln und schließe die Verandatür. Bevor ich mich an die Konsole setze, bereite ich Nala noch Frühstück zu. Ihr Lieblingshundefutter aus der Dose. Huhn mit irgendwas.

Nicht mal zehn Minuten später, sitze ich an der Konsole und versuche mich mit ein paar Runden »COD« abzulenken. Da bin ich heute eher so mäßig erfolgreich – und das gegen die Bots. Das ist schon armselig. Hab ich die überhaupt auf die mittlere Schwierigkeitsstufe gestellt? Ach, keine Ahnung.

Konzentrieren kann ich mich so oder so nicht. Erst recht nicht, als sich mein iPhone zu Wort meldet. Ein Anruf. »Nö«, zische ich das Gerät an und blicke auf den Bildschirm. Papa. Ich werde gerade eine Granate vor den Füßen meines Soldaten, dieser brüllt: »Dai-Blim-Blim« und wird kurzerhand von eben dieser Granate in die Luft gejagt. Dann pausiere ich das Privatmatch gegen die Bots und greife nach meinem klingelnden Handy. »Brandt.«

»Julian«, flucht Papa, obwohl er eigentlich immer mit »Jo, hier leider auch«, antwortet. Kann man ihn nicht verübeln. Er platzt fast vor Wut und Sorge – das höre ich an seiner zittrigen Stimme. Oder er steht wieder auf diesem komischen Sport-Board, welches Vibriert und angeblich Pfunde purzeln lassen soll. Kompletter Humbug. Spazieren gehen hilft mehr. Außerdem hat Papa das nicht nötig. Groß, Sportlich, aber das kleine Umstandsbierbäuchen eben. »Jürgen!«, gebe ich im selben Ton zurück und klemme mir das Handy zwischen Ohr und Schulter, damit ich wenigstens ein bisschen weiterzocken kann. Ich beende das Spiel und gehe in »Fortnite«, mal gucken, ob ich da wieder was reißen kann.

Papa atmet tief. Ich weiß, dass mein Vater immer mit der Tür ins Haus fällt und sehr direkt ist, und Mama ihn deswegen schon ein paar Mal die Ohren hat langziehen müssen. »Reden. Jetzt.«

»Richtig, machen wir gerade«, antworte ich. »Gute Auffassungsgabe, Sherlock.«

»Werd mir hier nicht frech. Also, magst du reden?«

»Nein, nicht wirklich«, winke ich ab. Ich liebe ja meinen Papa, oder meine Mama, nicht nur, weil sie meine Eltern sind und ich muss (ich mach das ganz freiwillig), aber ich will selbst nicht mal mit Papa reden, obwohl ich mit ihm über alles reden kann. Mit niemanden. Nicht mit meinem drei Jahre jüngeren Bruder, oder mit Kai, meinem besten Freund aus Leverkusen-Zeiten, der jetzt sein Dasein in Chelsea fristet und vermutlich die Meisterschaft holen kann.

»Nicht mal mit mir?«

»Hm, nö.«

Papa gibt einen genervten Laut von sich. »Und der Unfall gestern? Hast du dich arg verletzt?«

»Mir geht's gut. Ich habe keine Verletzung, oder sonst was. Das Auto ist halt nur komplett fritte. Aber hab gestern sofort ein Neues bekommen. Die Frau von Marco hat dafür gesorgt, dass ich sofort ein Neues bekomme.«

»Schön, wieder ein Audi?«

»BMW X5 G05 in einem dunklen Grau.«

»Diesmal ein Panzer also. Lässt sich der gut fahren?«

»Kann mich nicht beklagen. Ich schicke dir die Unterlagen, wegen dem Leasingvertrag die Tage per E-Mail zu, Paps.«

»Und was ist mit der Versicherung?«

»Hab keine Schuld an den Unfall, also werde ich wohl nichts blechen müssen, sondern Hermes, oder der Paketbote selbst, keine Ahnung, wie das da läuft. Der hat den VW auf mich draufgeschoben.«

»Und der Fahrer aus dem VW. Was ist mit dem?«

»Der Fahrer, ist eine Fahrerin. Platzwunde, vermutlich eine Gehirnerschütterung, Brandwunde am Arm durch den Airbag. Lebt aber.«

»Ach du Kacke. Ist eine ganz schöne Wucht hinter diesen Dingern. Gut, dass da nichts weiteres passiert ist. Autos kann man ersetzen, einen Menschen nicht.«

»Eben. Die Frau aus dem VW hat übrigens eine Dashcam im Auto gehabt. Hab schon gedacht, dass sie zu mir wenig Abstand gehalten hat, aber nö, der Typ im Lieferwagen, war schnell unterwegs, trotz stockenden, fast stehenden Verkehres und hat sie richtig auf mich draufgeschoben. Außerdem ist er zu dicht aufgefahren, hat gedrängelt, Lichthupe gegeben und hatte auch noch ein Handy in der Hand. Sie drückt den Lieferanten eine Anzeige wegen Nötigung im Straßenverkehr rein.«

»Hab die Fotos vom Unfallort gesehen. Immerhin sind noch keine online, die dich, oder die anderen Unfallverursacher zeigen. Dafür ist Kläusken schon dabei.« Kläusken war unser Familienanwalt und hat den ein oder anderen Brandt schon mal aus der Scheiße gezogen. Gut Klaus Brandt ist auch mein Onkel und der Vater von Sabrina und Emily. »Ich hoffe, der Fahrer kriegt so richtig einen auf den Deckel. Unglaublich sowas. Echt.«

»Japp.« Kurzes Schweigen, ehe Papa das Thema wechselt. »Ähm, ich hab mit Emily gesprochen.«

»Und?«

»Ich weiß, dass dich das mit Oma ganz schön mitnimmt, Großer. Oma Lilli und du, hattet schon immer ein enges Verhältnis zueinander. Du bist ihr Liebling von all ihren Enkelblagen, um sie zuzitieren.«

»Klar, bin ich das. Mich kann man wenigstens ertragen. Die anderen sind komplette Zumutungen.« Auch ich zitiere meine Oma. Sie meint das alles natürlich nicht so (hoffe ich). Oma Lilli hat halt nur ein klassisches, sarkastisches Kottermaul, wie es im Buche steht.

»Es nimmt uns alle mit, Julian.«

»Cool, willst du mir das Gleiche sagen, was Sabbi mir gesagt, oder geschrieben hat? Das ich mit meinem Verhalten für Sorgen sorge und ich nicht egoistisch sein soll? Das ich mir Hilfe suchen soll?«

»Nein«, unterbricht Papa mich sofort. »Das du dir auch die Worte vom ranzigen Kuhfladen immer so schnell zum Herzen nimmst, Junge. Hat die das wirklich geschrieben?«

»Mal wieder. Ja. Keine Ahnung, ob sie es einfach nicht merken will, oder sie einfach nur dumm ist, aber mit ihrem Verhalten verletzt sie andauernd die Menschen um sich herum.«

»Hm, ja, ja... naja, deine Cousine ist... wie soll ich das sagen, ohne böse zu klingen... hm... dieser Kuhfladen ist einfach zurückgeblieben, Julian. Ich weiß nicht, ob sie zu nah an der Hauswand geschaukelt ist, oder ob sie einen Dreifachen-Rittberger vom Wickeltisch gemacht hat – wer weiß das schon. Kann auch sein, dass ich sie mal, versehentlich, hab fallen lassen... oder war das Jannis? Ich weiß das gar nicht mehr... naja, auf jeden Fall Scheiß auf die Alte. Das sage ich den Lütten auch immer.« Mit Lütten, meint Papa meinen jüngsten Bruder. Jascha. Der ist genauso eine Heulboje wie ich und nimmt sich alles zu Herzen. Jannis, das Sandwichkind, ist eher der Eisklotz und kann Sachen gut von sich abprallen lassen. Er beleidigt Sabrina einfach zurück, und das schlimmer und dreifach. »Ich würde Sabrina gerne eine Socke in den Mund stopfen.«

»Du redest noch immer von deiner Nichte, Papa. Deinem Patenkind.«

»Ja und? Deine Mutter hat mich doch gezwungen, dass Paten-Amt zu übernehmen. Ich hätte mir am liebsten die Augen mit einer Gabel ausgestochen und mich im Weihwasser ertränkt, aber das wäre wieder zu viel unnötiges Drama.«

»Reizende Wortwahl.«

»Ach, nur die Wahrheit, Großer. Ich mag Sabrina nicht. Ich mag Karen und ihre Barfußschuhe nicht.«

Ich verziehe, dass erste Mal seit langem meine Lippen zu einem kleinen Schmunzeln. »Japp.«

»Also, Junge, wenn du nicht mit mir reden magst, ist es okay. Vielleicht magst du ja jetzt noch nicht quasseln, was auch völlig okay ist. Aber du sollst wissen, wenn du reden willst, dass ich immer zwei offene Ohren für dich habe. Ems genauso. Oder der Jannis, der macht sich auch sorgen, obwohl der das nicht zugeben will.«

»Ja, wenn ich reden will, melde ich mich schon zu Wort. Aber ich fühle mich momentan einfach nicht danach. Versteh das bitte, okay?«

»Natürlich, wie du möchtest.«

»Papa?«

»Ja?«

»Danke und meine Worte, die stehen übrigens immer noch. Ich will, dass ihr mich sofort anruft, wenn es Oma schlechter geht... so richtig schlecht. Ich mach mich dann sofort auf den Weg, okay?«

»Das weiß ich. Mach ich.« Er räuspert sich. »So genug, Papa. Jetzt bin ich dein Berater.« Och nee, auch das noch. Dann muss ich das wohl oder übel über mich ergehen lassen. »Ich habe Samstag, direkt nach dem Spiel einen Anruf von Rose bekommen und gestern auch. Gestern wollte er mit dir reden. Hast du das vergessen, oder verdrängt?«

»Beides«, gestehe ich. »Wie sauer ist Rose auf mich?«

»Ziemlich sauer. Er wollte dich fürs nächste Spiel rausnehmen und auf die Bank verfrachten, gibt dir aber für heute nach dem Training noch eine Chance für ein Gespräch. Nimmst du das Gespräch nicht an und haust wieder ab, verfrachtet er dich für das kommende Championsleague-Halbfinale und das letzte Bundesligaspiel auf die Bank.«

»Aha, und wenn ich das Gespräch, mehr oder weniger doch annehme?«

»Dann auch. Er ist echt pissig, weil du gestern einfach abgehauen bist. Du sitzt die letzten zwei Spiele, so oder so auf der Bank, es sei denn, du küsst Ärsche.«

Ich schlucke. Ganz bestimmt nicht. »Keine Ahnung, Papa, dann nehme ich das wohl im Kauf. Ich kann nicht wirklich eine Bindung zu Rose aufbauen. Wer weiß, ob der überhaupt noch bleibt und nicht nach der Saison rausgeschmissen wird.«

»Ja, sieht wohl so aus. Hör zu, rede mit ihm. Das wird halt die Situation nicht deichseln, du bleibst trotzdem auf der Bank. Es sei denn, es geschieht ein Wunder. Aber ein bisschen besser kannst du das schon machen. Deinen Willen zeigen, dass dir was an deiner Karriere liegt, und so.«

»Ja, ich versuch mein Glück mal. Ist noch was anderes, Papa, oder kann ich mich fürs Training fertig machen?«

»Nein, dass war es soweit. Melde dich nur mal ab und an bei deinen Brüdern. Vor allen Dingen beim Lütten. Hast du jetzt auch schon einige Tage nicht mehr gemacht. Skipper.«

»Mach ich. Außerdem schreiben wir jeden Tag, auch wenn es nur Memes sind. Ist dasselbe. Wir wissen, der andere lebt noch.«

»Aha, okay.«

»Gib Mama einen Kuss von mir.«

»Mach ich. Lieb dich. No Homo.«

»Ach Papa, lass das bitte sein. Das ist...«

»Kwinsch. Ich weiß.«

»Bitte was!?«

»Kwinsch«, wiederholt Papa sich selbstbewusst. »Das hab ich auch gelernt.«

»Papa, dass heißt Cringe. Ist das englische Wort für merkwürdig und komisch und das ist diese Telefonat gerade.«

»Genau hast recht. Kwinsch.«

»Ja, genau, Papa. Jetzt ist gut. Wir schreiben und ich schick dir die neuen Unterlagen.«

»Hau rein, Habibi.«

»Papa«, jaule ich aber da hat dieser bereits schon aufgelegt. Das ist doch ein Fiebertraum. Ich lege mein Handy neben mir auf die Couch und wende mich wieder meiner Konsole zu.

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