Kapitel 4

Kapitel 4
Julian

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Am nächsten Morgen, werde ich von meiner Hündin geweckt. Liebevoll und so völlig aus dem Nichts. Hat sie mir ihren vollgesabberten und quietschenden Teddy ins Gesicht geschleudert. Ich würge angewidert, als ich den triefenden, mit Sabberfaden getränkten Teddy von meinem Gesicht ziehe und auf den Laminatboden fallen lasse. Flatsch – die Zweite. Dann greife ich nach meinem T-Shirt, welches neben mir auf dem Bett liegt und wische mir, noch immer würgend, die Sabber aus dem Gesicht. Nala, hat sich mittlerweile wieder ihrem Mr Bean-Teddy-Teddy geschnappt und tollt durch mein Schlafzimmer. Gähnend richte ich mich auf, fahre mir durch zerzauste Haar und lasse meine überglückliche Hündin nicht aus den Augen. Wie kann man nur so früh, so gut drauf sein?

Ich checks einfach nicht. Draußen ist es bereits hell und da die elektrischen Rollladen noch oben stehen, knallt mir die morgendliche Sonne direkt in die Fresse. Flatsch – die Dritte.

Dieses Mal landet der alte Teddy, mit der Wucht, die ein Labrador so aufbringen kann, an der Fensterscheibe, klebt dort, wie eine Scheibe Käse fest und rutscht dann ganz langsam in Richtung Boden. Nala beobachtet das ganze ebenfalls, wackelt freudig mit ihrem ganzen Körper. Einige Hunde, wackeln mit dem Schwanz, wenn diese sich freuen. Nur nicht Nala. Bei ihr steckt im ganzen Körper die Passion. Der nasse Teddy hinterlässt eine Schneise von Sabber auf der frischgeputzten Fensterscheibe. Meine Hündin, scheint es sehr zu schätzen, dass ich unter Tränen und Fluchen die Fenster, streifenfrei, geputzt habe. »Ich werde mit dir das Fenster putzen, Dicke!«, zische ich.

Sie ignoriert mich, auch meine Frage, ob ich mit ihr noch mehrere Fenster putzen möchte, stürzt zu ihrem Teddy, den sie sich schnappt und schleudert diesen durch die Gegend. Super. Nala hat schon wieder den armen Teddy geköpft. Unbeeindruckt schnappt sie sich nur den Torso und türmt aus dem Zimmer. Ich höre, wie sie die Treppen nach unten rennt. Wieso auch immer hört sich das bei ihr an, als würde eine Rentnerin die Treppen runterstürzen - und das mit Anlauf. Teddys Kopf liegt vor der Kommode, das einzig übrig gebliebene Auge (das andere hat Nala im Park wieder ausgeschissen), starrt mich an. »Guck nicht so blöd«, murre ich und schlage die Decke von meinen Beinen weg. Dann setze ich mich auf und greife nach meinem Handy, welches auf dem Nachttisch sein Dasein fristet. Flugmodus aus und schon werde ich mit etlichen Benachrichtigungen bombadiert. Verpasste Anrufe, SMS, Nachrichten über Whatsapp, Emails. Rose, mein Papa meine Cousine, mein Berater, der eigentlich mein Vater ist, aber mit seinem »Business-Berater-iPhone« (seine Worte) versuchte, bei mir anzurufen. Dann noch meine Brüder. Meine Mama. Die Familien-Whatsapp-Gruppe 1, in dem nur wir fünf sind und dann die andere, die ich eigentlich auf Stumm gestellt habe, weil meine Onkel und Cousins nur Scheiße reinsenden. Vermutlich wollen die nur wissen, wie es mir geht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die mittlerweile von meinem »dramatischen« Autounfall aus den Nachrichten erfahren haben. Ich habe gestern keine Lust mehr gehabt, meine Eltern anzurufen. Muss ich nachholen, sonst kriege ich keinen Kasslerbraten zu Weihnachten.

Ja, mein Unfall hat Online die Runde gemacht. Twitter, diese Klatschzeitung mit vier Buchstaben, sogar Promiflash (würg) und das schlimmste in meinen Augen: TikTok, der Inbegriff von Cringe, berichten von meinem Unfall – bei dem natürlich Clickbait betrieben wurde.

»Meine Fresse«, fluche ich und schließe den Internetbrowser wieder. Gerade rechtzeitig. Mein Handy kündigt einen Anruf an. Emily, meine vernünftigere Cousine. Halb sechs in der früh? Brennts bei der? Ich drücke sie nicht weg, nehme das Gespräch aber auch nicht an, weil ich jetzt noch kein bisschen Telefonieren will. Ich muss wach werden, einen Kaffee exen und dann mal schauen. Außerdem will ich jetzt nicht über Oma reden. Ich schreibe in die Große Familiengruppe der Brandts, dass es mir gut geht und ich mich nachher mal bei Mama oder Papa melden werde. Dann überspringe ich nur die Nachrichten, die halt wegen dem Unfall in die Gruppe geschickt wurden. Als ich sehe, dass in irgendeiner Nachricht das Wort Oma steht, gehe ich aus dem Chat raus und lege das Handy neben mir aufs Bett. Ich will nicht über Oma reden und auch nicht wirklich nachdenken, aber trotzdem macht mein Kopf das automatisch. Ich soll mir das mit Oma nicht so zu Herzen nehmen und mich auf den Fußball konzentrieren, würde mein Dad jetzt sagen. Das würde mich schon ablenken, meint Mama.

Wie soll das bitte schön gehen? Wir reden hier, von meiner Oma, die ich absolut nicht wiedererkenne, die ich nicht mal mehr nach belieben besuchen kann, weil ich wegen meines engen Trainingsplans und während des eigentlich verschissenen Meisterschaftsrennen nicht einfach abhauen kann. Vielleicht, will ich das auch gar nicht, weil es mir jedes Mal aufs Neue das Herz zerreißt. Meine Oma erinnert sich nicht mal mehr an mich und möchte sie auch ehrlich gesagt nicht, so wie sie jetzt ist, in Erinnerung behalten. So mager, so dürr, vergesslich, krank, ausgelaugt von diesem verfickten Alzheimer. Dem Tod so nah.

Ich will es nicht noch einmal erleben, wie sie mich mit diesem leeren Blick anschaut und mich fragte, ob ich mich in der falschen Tür geirrt habe, und ob ich meinen Opa, oder meine Oma besuchen wolle, obwohl sie mich einen Tag vorher noch freudig erkannt hat – mich in den Arm genommen hat.

Kaum hab ich mich auf dem Stuhl, der neben ihrem Bett steht, gesetzt, fing sie an zu schreien. Sie hat keine Kinder, oder Enkelkinder, sie ist doch erst siebzehn. Ich, der fremde Junge, solle weggehen.

Den Strauß Lilien, Oma Lillis Lieblingsblumen, hab ich trotzdem dagelassen, als ich heulend, aus dem Zimmer getürmt bin.

Heulen. Japp, genau, das mache ich gerade wieder. Ich fühle mich beschissen und mir geht es auch nicht besser, als ich die Nachricht meiner blöden Cousine (Emilys ältere Schwester) lese:

Sabrina:
Was auch immer in letzter Zeit mit dir los ist, du hast noch eine Familie die sich sorgen um dich macht. Opa, deine Eltern, deine Brüder und sogar ich. Wenn auch nur minimal. Ich hab's dir doch vor dem Spiel gesagt, dass dich das aus der Bahn werfen wird, aber wenn man so dumm ist, kann ich dir auch nicht weiterhelfen. Alles schön und gut, dass du leidest, aber wir leiden auch wegen Oma Lilli und es bringt absolut nichts, dass du jetzt die ganze Aufmerksamkeit auf dich lenkst, weil du mit deinen Gefühlen einfach nicht klar kommst. Junge, du bist 26. Werde mal erwachsen. Such dir Hilfe. Und ruf deinen Vater an.

Sabrina, ist wirklich so einfühlsam wie eine Planierraupe. Ihre Worte verletzen mich. Mal wieder. Ob da ein Fünkchen Wahrheit dran ist, oder nicht, aber es tut weh. Ob sie es gut meint, oder es doch nur aus Bosheit und Eifersucht sagt, weil sie als Älteste keinen guten Draht zu Oma hat, wie ich, der Zweitälteste der Enkelkinder – keine Ahnung. Sabrina ist einfach nur Scheiße. Brandt-Gene hin oder her. Manchmal hab ich das Gefühl, dass sie keine Brandt ist und ihre genauso gefühlskalte Mutter, die Kröte in die Familie geschmuggelt hat.

Ich lenke doch nicht mit meinem Verhalten alle Aufmerksamkeit auf mich? Oder? Wenn ja, dann will ich das ganz bestimmt nicht. Ich will auch nicht, dass die Leute, meine Familie, sich um mich sorgen machen. Aber ich will auch nicht mit ihnen reden. Ich bin noch nicht bereit dazu. Wir würden uns nur gegenseitig runterziehen – und das ist kontraproduktiv.

Oma ist noch da. Sie lebt. Leidet. Und solange sie leidet, leiden auch wir ganz unbewusst oder bewusst mit. Ist Oma noch da, oder nicht? Es ist zum verfluchen.

Nala stolpert zurück ins Schlafzimmer und springt, ohne zu zögern, zu mir aufs Bett. Als hätte sie es gerochen, legt sie sich mit ihrem Körper auf meine Oberschenkel und bettet ihr Kopf in meiner Armbeuge. Schniefend lege ich meinen Arm, um Nalas wuchtigen Körper und ziehe sie weiter zu mir. Dann versenke ich mein Gesicht in ihrem weichen Fell und weine weiter. Sie schnaubt abfällig. »Ich weiß, du hältst mich für einen Lappen, Nala. Es tut mir leid, dass ich dich als Taschentuch missbrauche.« Ich hebe meinen Kopf an, weil diese sich schnaubend windet. Sie hat schon wieder keine Lust auf mich und Kuscheleinheiten – geht ja auch nicht nach ihrer Schnauze. Oder ihre Blase drückt, oder sie hat Kohldampf.
Angewidert rümpfe ich die Nase. Ich korrigiere mich sofort. Nala muss raus, aber richtig. Den Furz, den sie dagelassen hat, und in dem ich qualvoll zu verrecken drohte, krempelt meinen Magen auf links. Da malt doch schon der Stift.

»Scheiß mir nicht schon wieder in die Wohnung, Nala«, rufe ich und stürze hinterher.

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