Drei
Got that head on overload
~ "That's my Girl" by Fifth Harmony ~
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„Mum, Telefon für dich!" Jemand rüttelte ihr mit nicht besonders viel Kraft an der Schulter.
Ginny vergrub ihren Kopf unter dem Kissen. Sie war zwar schon seit einer Stunde wach, aber ein Telefonat mit wem auch immer konnte sie sich sparen. Ihr war gerade eher nach Trübsal blasen. „Sag, ich bin nicht da."
„Mum sagt, sie ist nicht da!", krähte ihr ältester Sohn da auch schon in den Hörer.
„Bei Merlin!", fluchte Ginny und warf das Kissen beiseite. „Gib her", forderte sie James ein wenig unwirsch auf und nahm, nun immerhin schon in einer sitzenden Position, das Telefon entgegen. „Ja?", fragte sie peinlich berührt.
„Hallo Ginny, hier ist Hermine."
Der Rothaarigen blieb fast das Herz stehen. Oh Scheiße, formte erschrocken mit den Lippen und scheuchte ihren Sohn aus dem Raum. Sie hielt den Hörer zu. „Essen kommt gleich!" Fürs Übelste gewappnet, nahm sie die Hand vom Hörer. „Tut mir leid, ehrlich. Du kannst jetzt nicht anders, als jemand anderen einzustellen, ich weiß."
„Es ist alles geregelt", sagte Hermine. „Die Auroren sind wieder in der Zentrale. Die Einzige, die noch fehlt, bist du."
Ginny meinte, sich verhört zu haben. „Ich... ich... Was ist mit...?" Sie stotterte, aber sie konnte sich nicht helfen.
Hermines Lächeln konnte sie durch das Telefon hören. „Wie gesagt, du kannst wiederkommen. Ich brauche die Chefin der Aurorenzentrale. Und zwar am besten jetzt gleich."
Sie verstand nicht, wie es möglich war, dass nun alle einfach den Streik aufgegeben hatten, aber sie würde sich nicht beschweren. „In Ordnung. Ich meine, das ist toll. Ich bin gleich da."
~*~
Ihre Mutter war alles andere als begeistert, als Ginny ihr beim Abliefern der Kinder die Kurzfassung der ganzen Geschichte erzählte, presste aber diesmal bloß die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und blieb still, wofür ihr ihre Tochter insgeheim ziemlich dankbar war. Widerworte hätten ihr momentan nicht gutgetan.
Im Ministerium wurde sie immer noch schräg angesehen, aber diesmal überwog die Erleichterung, dass sie ‚ihren' Job nun doch behalten durfte.
Die Auroren waren tatsächlich vollständig wieder erschienen, auch wenn sie darüber nicht besonders glücklich zu sein schienen.
Ginny verteilte die Aufträge und hoffte von Herzen, dass der Streik heute nicht von Neuem losbrechen würde. Noch einmal würde sie das nicht verkraften. Sie tat alles, damit es nicht passierte. Sie mied Astoria, ließ Emely ihre Arbeit machen, dopte sich selbst erst mit Kaffee, dann mit Kakao und versuchte, der Flut von Memos beizukommen, die eintrafen. Was war denn nur los? Hatte ganz Großbritannien heute einen kriminellen Tag?
Erst in der Pause rückte ihr wieder die traurige Tatsache ins Bewusstsein, dass die Leute, die nun schweigend und ohne zu murren ihre Befehle ausführten, dieselben waren, die gestern einen Aufstand gegen sie geprobt hatten. Rachel, so hieß die blonde Frau, wie sie beim gelangweilten Durchkämmen der Personalakten feststellte, warf ihr immer wieder prüfende Blicke zu. Pansy tat so, als würde sie sie nicht hören, als Ginny sie fragte, was sie so im Privaten machte.
Deprimiert reduzierte sie ihre sozialen Interaktionen auf das Schlürfen ihres geliebten Kakaos. Der konnte ja nicht anders, als sich ihr von seiner Schokoladenseite zu zeigen.
Die Memos, die sich über ihr an der Decke ansammelten und auf ihre Ausführung warteten, versuchte sie zu ignorieren, aber nichtsdestotrotz stresste es sie, dass über die Pause hin immer mehr dazukamen.
Die massive Tür zur Zentrale öffnete sich und Ginny war überrascht, Draco Malfoy plötzlich vor sich stehen zu sehen.
„Eine Weile nicht gesehen, Weasley", bemerkte er, ein humorvolles Funkeln in den Augen.
Ginny war sich nicht ganz sicher, was sie von diesem ganz anderen Draco halten sollte, und brachte daher nur ein verunsichertes „Potter" hervor.
„Stimmt ja, du hast ja geheiratet", sagte er, als sei ihm das eben erst wieder eingefallen. Auf einmal wirkte er interessiert. „Ist eigentlich was an den Gerüchten dran?"
„Nein", fauchte Ginny, auf einmal gereizt. Konnte die Welt nicht einfach vergessen, dass jemals so etwas über sie gesagt worden war? Mit Schrecken fiel ihr ein, dass Astoria diesen Quatsch erst vor einem Tag in Umlauf gebracht hatte. Bis Gras über die Sache gewachsen war, würde sie sich noch ein wenig gedulden müssen.
„Schon gut, schon gut." Beschwichtigend hob er die Hände, als wäre sie auf ihn losgegangen. Seltsamerweise machte das Ginny nur noch wütender. In der nächsten Sekunde hatte er die Memo-Sammlung an der Decke bemerkt.
„Kein Kommentar. Bitte." Die Rothaarige vergrub das Gesicht in den Händen, um zu verstecken, dass sie aus Verlegenheit über ihre eigene Faulheit erneut quietschrot geworden war. Dieser Job würde ihr eines Tages noch ihr Schamgefühl vollständig abverlangen.
„Brauchst du Hilfe? Ich könnte dir ein paar Teams zusammenstellen", bot er an.
Ginny, die von klein auf gelernt hatte, Slytherins nicht über den Weg zu trauen, egal wie nett sie im Moment auch scheinen mochten, lehnte dankend ab. „Nein, ich kriege das schon alleine hin", behauptete sie. „Danke, Malfoy, und tschüss. Außer du willst noch etwas mit deiner liebenswerten Frau besprechen." Sie sah ihn fragend an.
„Warum der Sarkasmus?", fragte er, doch sie hatte sich bereits wieder ihrem inzwischen nur noch lauwarmen Kakao gewidmet. „Okay, nein, dann gehe ich wieder. Astoria ist in letzter Zeit tatsächlich etwas grantig."
Er war kaum aus der Tür, da prustete Ginny auch schon schadenfroh in ihr Getränk. Wenn sogar Draco Malfoy seine Astoria schlimm fand, dann sah ihre Welt schon ein bisschen heller aus.
~*~
Vielleicht hätte sie Malfoys Hilfsangebot doch annehmen sollen, dachte sie, als sie schließlich vor dem Problem stand, dass alle guten Auroren bereits für die einfachen Missionen unterwegs waren und nur die zwei neuen Auszubildenden sowie das unter diversen Verletzungen leidende Aufspür-Team blieben.
Genervt und ein bisschen von sich selbst enttäuscht, wartete sie auf die Rückkehr der Gruppen. Padma, Daphne, Twist und Harvey waren die ersten, die wiederkamen. Bei der neuen Einteilung reduzierte sie die Anzahl der Auroren in einem Team auf drei. So würde sie insgesamt mehr Aufträge versorgen können.
Doch trotzdem war und blieb ihr Tag anstrengend.
Um den Stresslevel niedrig zu halten sang sie in Gedanken ein Lied, das heute morgen im Radio gelaufen war, als sie ihre Kinder in möglichst kurzer Zeit mit Essen versorgt hatte, und blätterte quer durch die Personalakten, um herauszufinden, welche Auroren eine Ausbildung hatten, die sie für die drei ausstehenden Missionen qualifizierte.
Who's been working so damn hard
You got that head on overload?
Got yourself this flawless body
Aching now from head to toe
Ain't nothin', ain't nothin'...*
Gerade noch konnte sie sich davon abhalten, laut mitzusummen. Sie war sowieso schon unbeliebt, da musste sie nicht auch noch seltsam werden.
Drei Stunden, bevor sie endlich nach Hause gehen durfte, klingelte zum ersten Mal, seit sie hier war, das ein wenig altmodische Telefon auf ihrem Schreibtisch. Stirnrunzelnd nahm sie den Anruf entgegen.
„Spreche ich mit Ginevra Potter?"
Ginny bejahte.
„Hier ist das Sankt Mungo's Hospital. Ihr Mann hat einen erneuten Herzstillstand erlitten, ist aber momentan wieder stabil. Wir sollten Sie informieren, sobald so etwas nochmal passiert", sagte der Sprecher.
Die junge Hexe war blass geworden. „‚Nochmal'? Er hatte schon mal einen Herzstillstand?" Ihr eigenes Herz raste vor Sorge.
„Ja." Die Stimme klang irritiert. „Gestern Abend. Sie waren doch dabei und haben veranlasst, dass wir Sie anrufen, wenn dergleichen Probleme auftreten. Aber unter der Handynummer, die Sie uns gegeben haben, konnten wir Sie nicht erreichen, deshalb haben wir Sie am Arbeitsplatz angerufen."
Ginny war vor Schreck erstarrt. Die Hand hatte sie vor den Mund geschlagen.
„Mrs. Potter?"
Sie flüsterte, als sie antwortete: „Aber ich war gestern doch gar nicht im Mungo's..."
~*~
Im Teil der Klinik, in dem Harry untergebracht war, herrschte rege Betriebsamkeit.
Ginny hatte sich vor gerade mal zwei Minuten bei der Zaubereiministerin höchstselbst abgemeldet und war hergefloht. Ihre beste Freundin war ziemlich erschrocken gewesen, als sie erfahren hatte, was passiert war. Auch die Sache mit dem Besucher in Ginnys Gestalt hatte sie ziemlich beunruhigt, weshalb sie ihr erlaubt hatte, Leute auf diesen Fall anzusetzen. Denn was, wenn dieser Eindringling Schuld daran trug, dass Harry gestern fast gestorben war? ... Oder überhaupt erst im Koma lag. Diesen Gedanken hatte sie bereits gehabt, ihn jedoch als Schwachsinn abgetan. Warum sollte jemand Harry ins Koma fallen lassen? Ein ehemaliger Todesser hätte ihn doch gewiss versucht zu töten und nicht in einem derartigen Zustand am Leben gelassen. So jedenfalls ihre Überlegungen. Doch wenn jemand das hier tatsächlich beabsichtigt hatte, dann stellte er sich ziemlich ungeschickt an, wie sie nur kurze Zeit später finden würde.
„Darf ich rein?", fragte sie die für den Helden der Zaubererwelt zuständige Krankenschwester.
„Sicher doch, Schätzchen." Die ältere Frau hielt ihr die Tür auf.
Und dann stand sie vor Harrys Bett. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Farbe, seine Hände waren verkrampft. Um die Nasenlöcher konnte sie hellrote Blutschlieren erkennen. Am Mund entdeckte sie Schaumreste.
Das war Gift, schoss es ihr durch den Kopf. Jemand hatte versucht, ihn zu vergiften.
Als sie leicht verstört einen Arzt darauf aufmerksam machte, wurde ihr geantwortet, dass man ihr das doch schon gestern mitgeteilt hatte. Diesmal nickte sie nur, als würde sie sich nun auch erinnern. Sie würde keinen Aufstand machen.
Besorgt betrachtete sie ihren Mann. „Oh, Harry..." Deprimiert zog sie sich den weißen Plastikstuhl ans Bett heran und hielt für die nächste halbe Stunde seine Hand, die sich mit der Zeit immer mehr entkrampfte. Ihr Daumen streichelte seinen Handrücken.
Sie hatte Angst um ihn, aber sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen, denn sie wollte nicht, dass er das unterbewusst mitbekam.
Später an der Rezeption erkundigte sie sich nach der Handynummer, die hinterlassen worden war. Ihr Fehler war, dass sie erwähnte, dass es wohl jemand gewesen sein musste, der ein Metamorphmagus war oder sein Aussehen anderweitig verändern konnte, sodass er ihr glich. Möglicherweise könnte auch Vielsafttrank im Spiel gewesen sein. Daraufhin wollte der nette Herr ihr die Nummer nicht mehr rausrücken. Datenschutz, er werde die Nummer heute Abend an die Aurorenzentrale schicken. Frustriert informierte Ginny ihn darüber, dass sie die Leiterin dieser war und es nur einen Umweg bedeuten würde. Aber er ließ nicht mit sich reden, da war es auch nicht förderlich, dass er nicht viel von Quidditch hielt und daher auch noch nie von den Holyhead Harpies gehört hatte. Ansonsten wäre das ihr Trumpf im Ärmel gewesen, doch das zog nun leider auch nicht.
Geistig ausgelaugt musste sie sich schließlich ohne die Handynummer verabschieden und ärgerte sich über ihre eigene Dummheit.
~*~
Ins Zaubereiministerium zurück ging sie nicht mehr. Stattdessen flohte sie auf direktem Wege zu ihren Eltern, nachdem sie Hermine per Sprachnachricht darüber in Kenntnis gesetzt hatte, dass Harry offensichtlich vergiftet worden war und sie sich jetzt nicht imstande sah, ihre Arbeit auch nur noch die letzte halbe Stunde fortzusetzen. Hatte das Aurorenbüro eben mal früher Schluss.
„Kind, was machst du denn schon so früh hier? Ist alles in Ordnung?" Molly zog sie in die übliche knochenbrechende Umarmung, kaum dass ihre Tochter aus dem Kamin gestolpert war.
Ginny genoss die Wärme und den Geruch nach Zuhause, den ihre Mutter innehatte. Doch sie musste diesen schönen Moment beenden, denn die Worte wollten aus ihr heraus. „Mum, nichts ist in Ordnung. ... Jemand hat versucht, Harry umzubringen."
Sie wurde umgehend in den beigefarbenen Ohrensessel bugsiert, mit einer Kuscheldecke sowie einer Tasse selbstgemachten Kakaos versorgt und aufgefordert, alles zu erzählen. Als sie fertig war, herrschte Schweigen.
Arthur war aus seiner Werkstatt gekommen und hatte sich aufs Sofa gesetzt. Auch er war von dieser völlig neuen Wendung der Ereignisse überrumpelt. Schließlich wollte er wissen: „Und die Sicherheit von Harrys Zimmer wurde nicht erhöht?"
Ginny schüttelte den Kopf. „Feuerschutzrichtlinien."
Ein verächtliches Schnauben von Molly. „So ein Quatsch. Denen ist das nur zu teuer, weil die so schlechte Zuschüsse kriegen."
Die Weasleytochter nahm einen Schluck von ihrem süßen Getränk. „Ich würde es ja bezahlen. Aber garantiert wird mir dann eine andere Ausrede aufgetischt."
„Muuuuuum!", krakeelte auf einmal James, der vom Spielzimmer aus ihre Stimme gehört haben musste. Der dreijährige Junge flitzte zu ihr und umarmte ihr Knie, was sie ihn müde lächelnd auf ihren Schoß heben ließ, nachdem sie die Tasse abgestellt hatte.
Sie streichelte ihrem Sohn durch das dichte hellbraune Haar. Er schmiegte sich an sie. Binnen weniger Sekunden war sie eingeschlafen.
Arthur stand auf, nahm den kleinen Racker von Ginnys Schoß und deckte seine Tochter zu, die davon schon gar nichts mehr mitbekam.
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* entnommen aus: „That's my Girl" by Fifth Harmony
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