Leben mit der Erkenntnis

Leben mit der Erkenntnis hieß, leben mit der Erkenntnis, dass ich ein krankhaftes Verhalten aufgezeigt hatte und versucht hatte, mich umzubringen. Es war vielleicht nicht für alle auf den ersten Blick zu erkennen, was ich durchgemacht hatte, aber es machte mich krank, wie die Leute starrten, wenn ich zum Beispiel einer Verkäuferin Geld gab und mein Ärmel etwas hinunter rutschte, sodass man meine Narben sehen konnte. Manchmal fragte jemand danach, manchmal hörte ich die Leute nur leise ,,Krank." flüstern.

Tracey würde wohl kein Teil von meinem Leben mehr werden. Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte, ich hatte einen dämlichen Sozialarbeiter, da ich alleine lebte, obwohl ich erst Siebzehn war. Ich lebte in einer sozialen Einrichtung für Jugendliche, die nicht mehr Zuhause wohnen konnten. Ich arbeitete tagsüber in einer Gastronomie, nicht, weil mir das so viel Spaß machte, sondern weil mein Sozialarbeiter sagte, dass ich gut mit anderen Menschen könnte, was nicht wahr war. Ich nahm es ihm nicht übel, dass er keine Ahnung von mir hatte, obwohl er das sollte; es war besser, Dinge für sich zu behalten und keine Fragen gestellt zu bekommen. 

Meine Kollegen auf der Arbeit ignorierten mich, wir sprachen nur, wenn wir das Trinkgeld unter uns aufteilten, dann trafen mich ihre Blicke, wieso ich so viel bekommen hatte und sie nicht, obwohl sowieso alles aufgeteilt wurde. Vielen dachten ich sei kriminell, weil mein Sozialarbeiter, den ich Derek nannte, obwohl ich ihn mit Herr Harl ansprechen sollte, besuchte, um zu sehen, wie es lief. Es lief einsam, monoton, es war langweilig, aber ich tat eben, was man mir sagte.

Wenn ich dann pünktlich um achtzehn Uhr Feierabend hatte, da Derek meinte, dass er es nicht gut fände, wenn ich im Dunkeln noch durch die halbe Stadt fahren müsste, dann nahm ich wie immer den Bus, kam pünktlich zur Einrichtung und meldete mich bei der Rezeption. Wie immer fragte mich Frau Salbert, wie es war und wie immer log ich und sagte, es war gut. 

Ich vermisste mein spannendes Leben, nicht die Drogen, sondern einfach, dass immer etwas los war, naja, zumindest am Anfang war immer etwas los gewesen. Am Anfang ging ich noch mit meinen ,,Freunden" auf Partys, die sich schnell als falsche Freunde herausstellten und mich süchtig gemacht hatten. Ab da hatte ich mich immer weiter abgeschottet und mich in meinem Kinderzimmer zugedröhnt. 

Ich erinnerte mich genau an die erste Party, auf der ich war und dachte, ich wäre angekommen. Ich dachte ich hätte endlich auch mal Spaß, wäre nicht nur die kleine, die keiner leiden konnte. 

Ich erinnerte mich genau, wie ich den Bass der Musik durch meinen Körper summen spürte, wie die flackernden Lichter meine Augen blendeten und die Musik mich gleichzeitig lebendig und frei und dann müde und träge gemacht hatte. An viele Partys konnte ich mich nicht erinnern, auf den meisten war ich so zugedröhnt gewesen, dass ich am nächsten Morgen in meiner Kotze oder in der von jemand Fremdem aufgewacht war. 

Diese eine erste Party war das beste und schlechteste was mir passieren konnte zugleich...

Ich drehe mich in Richtung DJ Pult, die Menge tanzt immerzu zu den Bässen und Tönen der Musik, ich fühle mich frei, endlich einmal nicht fehl am Platz so wie sonst. Es war gut, mit Lara mitzugehen, auch wenn sie und ihre Freundinnen jetzt weg sind. Sie haben mich bevor wir losgegangen sind geschminkt und mir Klamotten von sich gegeben. Ich frage mich, wieso sie so nett zu mir sind, obwohl sie mich doch eigentlich hassen. Ich wollte immer zu ihnen gehören und dass ich jetzt mit ihnen auf einer Party bin ist etwas, was ich mir nie erträumt hätte. 

Ich frage mich, wo sie sind, doch rede mir schnell ein, dass sie sich nur ein paar Drinks von der Bar holen. Ich, das schüchterne Mädchen, das sonst nur in Büchern versunken ist, trinkt Alkohol. Dann wird mir schlecht, ich stürme durch die Menge, werde panischer, weil ich mir keinen Weg hindurch zur Toilette bahnen kann. Nach einigen Ellenbogen, die in mein Gesicht gestoßen werden, erreiche ich gerade noch rechtzeitig das Klo, um mir folglich die Seele aus dem Leib zu kotzen. 

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