47 Der kleine Tod.

┊  ┊  ┊          ★ ISABELL

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Tief atmete ich durch.

In meinem Kopf rauschte es. Der Kloß in meinem Hals schien nicht zu platzen und mein Herz raste. Um mich herum schien die Party endlos. Der Bass unter meinen Füßen fühlte sich brutal an und ich war froh, als er endete.

Zur Überraschung aller bauten die Jungs je von jedem einen Solosong ein. Sie hatten es so gelöst, dass es nie seltsam wirkte, wenn einer alleine performte. Im Gegenteil, vielleicht lag es jedoch auch an den Fans, die feierten als hätte sich in all der Bandzeit nichts verändert.

Als Louis seinen Song sang, da filmte Eleanor ihn und wirkte furchtbar stolz. Sie schien kein Problem damit zu haben, dass sie ihren Freund nun mit Millionen Menschen teilen musste. Wie machte sie das?

Störte sie das nicht?

Zahlreiche Fragen schossen mir durch den Kopf und nach über einer Stunde war ich fast schon erleichtert, als Eleanor mit den Kopf zur Tür nickte. Im selben Moment stimmten die Fans Happy Birthday für Harry an. Das Konzert lief noch, doch wir verließen den oberen Bereich und machten uns auf dem Rückweg.

Eleanor wandte sich mir zu und sprach laut: „Das wird gleich alles sehr schnell gehen, die Jungs müssen Ruckzuck zum Flieger. Wir können sie vor dem Auto abfangen."

Knapp nickte ich und schluckte hart. Auf der anderen Seite der Saaltüren ging der Spaß und die Show weiter, alleine der Lärm erdrückte mich. Dabei konnte ich nicht einmal erklären wieso. Erst im Backstagebereich atmete ich wieder frei und fühlte mich leichter. Ich holte meinen dunkelgrünen Parka und den Schal.

Jerry wurde von Preston zu sich gepiffen und ich bemerkte, dass bereits einige Leute gewisse Dinge in einen Lagerwagen verfrachteten. Eleanor sprach: „Komm, wir gehen in die Tiefgarage, da sind wir nicht im Weg."

Kühle Luft empfing uns und sie sah ab und an auf die Uhr: „Was ist los, du wirkst nicht, als habe dir das Konzert gefallen."

„Oh, es war gut", antwortete ich hastig. „Sehr groß."

Wir schwiegen und lehnten uns gegen die kahle Wand, über uns brummte das Licht von Neonleuchten und vor uns räumten Leute Autos ein. In den Händen hielt ich den Schal, den ich von Harry bekommen hatte und knetete ihn überfordert.

Beinahe stolperte ich, als Eleanor mich mit den Ellenbogen anstieß. Sie grinste: „Das Einzige, was hier groß zu sein scheint, ist dein Schock."

Vielleicht. Ich sollte aufhören so erschrocken darüber zu sein, wie viele Menschen Harry begeisterte und welche Reichweite Musik hatte. Mir war das in der kleineren Halle einfach nicht aufgefallen, wie anders er wirklich wirkte, wenn er auf der Bühne stand.

Natürlich, er spielte eine Rolle. 

Aber er spielte sie so gut, dass es sich echt anfühlte. Dann diese ganze Hysterie bei Unmengen von Mädchen. Da hatten welche geheult. Andere waren aus der Menge gezogen worden oder umgefallen. Der gesamte Hormonhaushalt schien da durcheinander zu sein. Ich wusste nicht, was ich von dieser leidenschaftlichen Begeisterung halten sollte.

Wussten sie, dass das, was Harry auf der Bühne verkaufte, nur Show war? Genauso, wie die anderen Jungs?

„Soll ich dich gleich mit dem Auto mitnehmen?", bot Eleanor mir an, doch ich schüttelte den Kopf: „Nein danke, ich wollte mit Noah etwas trinken gehen und bin Ruckzuck da, wenn ich die Tube nehme. Sie fährt ja direkt hier um die Ecke. Willst du mit?"

Nun schüttelte Eleanor den Kopf: „Nein, ich muss nach Hause, die Hunde müssen raus und ich will nicht, dass Fizzy die Runde alleine geht."

„Kann ich verstehen", gab ich zu. Ich sah, wie Judy zwei Helfer zusammenstauchte und schmunzelte, dann rang ich mich dazu durch Eleanor zu fragen: „Wirst du Louis nicht vermissen?"

„Doch natürlich", bekräftigte sie. „Am Meisten allerdings unsere Ruhe und Privatsphäre, denn wenn ich ihn auf Tour besuche, dann ist es immer ziemlich stressig. Doch dieses Mal wird es definitiv besser."

Ich runzelte die Stirn: „Wieso?"

Sie lachte: „Na du kommst doch hoffentlich mit." Leicht knuffte sie mich in die Seite. „Früher habe ich viel mit Sophia unternommen, also Liams Exfreundin. Mit seiner Neuen, Cheryl, kann ich nicht so gut. Sie gibt mir ständig das Gefühl etwas Besseres und Wichtiger zu sein, irgendwie finden wir keinen Zugang zueinander."

„Miss California ist ja auch da", bemerkte ich und nun brach Eleanor in schallendes Gelächter aus: „Fang du nicht auch noch an Hailee so zu nennen! Letztens wäre mir das bei Niall fast rausgerutscht. Er mag es nicht, wenn wir seine Freundinnen veralbern."

Aufmerksam hörte ich ihr zu. Denn es gab eine Miss Australia alias Melissa Whitelaw, eine Miss Hungary, anders genannt auch Barbara Palvin und eine Miss Belgium mit den interessanten Namen Celine Vandycke. Für eine Holly Scally und einer Zoe Whelan hatte es nicht mehr für einen Spitznamen gereicht.

„Haben alle Freundinnen oder Ex irgendwelche Spitznamen?", horchte ich. „Wie wirst du genannt?"

„Keine Ahnung", gab Eleanor frustriert zu. „Ich bin ganz sicher, dass die Jungs einen Spitznamen für mich haben, aber niemand rückt damit raus. Was den Rest angeht, ja... irgendwie schon. Wir nennen Cheryl immer Old Lady, wenn Liam uns nicht hört. Und wenn über seine Ex, Sophia, geredet wird, dann heißt es; die Vorgängerin."

„Wie charmant", fand ich, dann fiel mir etwas ein: „Was ist mit Taylor Swift, Kendall Jenner und den Rest?"

„Milchtüte und die-gemachte-Nase", platzte es aus Eleanor raus. Ich wusste sofort, wer wer war. Gerade wollte ich darüber lachen, als mir ein komischer Gedanke kam: „Habe ich auch schon einen Spitznamen?"

Zu meiner Überraschung gab Eleanor zu: „Irgendwie haben wir uns noch nicht so geeinigt. Niall bringt ständig etwas durcheinander und nennt dich Inge und Liam faselt von der Neuen."

„Damit kann ich leben", meinte ich. „Für mich ist Liam auch der Zuhälter und Niall der, mit den komischen Namen."

Nun kicherte Eleanor und ich merkte, dass meine Laune besser wurde. 

Unsere Unterhaltung wurde jäh gestört, weil es plötzlich ziemlich hektisch wurde. Ein Koordinator zischte Anweisungen, nun legten alle einen Zahn zu. Techniker liefen an uns vorbei, zwei Bodyguards ebenfalls und ein Geländewagen, so groß wie eine Transportkiste, fuhr vor.

Jemand sprach in ein Funkgerät und machte Handzeichen. Eleanor blickte erneut auf die Uhr: „Das Konzert ist vorbei. Zeit sich zu verabschieden." Sie stieß sich von der Wand ab, Jerry eilte an uns vorbei und rutschte auf den Beifahrersitz des schwarzen Wagens.

Ein weiterer Personenschützer stieß zu uns und sah sich um, Eleanor sagte etwas zu ihm, aber wegen all dem plötzlichen Durcheinander verstand ich ihr Gespräch nicht. Doch das war auch unwichtig.

Als erstes zischte Louis durch die Tür und sprang seiner Freundin wie ein übereifriger Welpe in die Arme. Ich nahm prompt zwei Meter Abstand von ihnen und wandte mich höflich ab, damit beide ihren persönlichen Abschied hinter sich brachten.

Liam eilte keuchend zum Wagen und auch Niall war klatschnass geschwitzt. Beide wirkten erschöpft und hatten je eine Wasserflasche in der Hand. Jedes Mal, wenn die schwere Tür zur Garage auf glitt, dann hörte ich den Lärm des Stadions. Dort tobte noch immer der Bär.

Harry stolperte fast über seine eigenen Füße, als er endlich erschien und ich erschrak bei seinem Anblick. Er trug nur noch das Hemd, das ihm halb aus der Hose hing, sein Haar war feucht und seine Haut sehr blass, doch all das wurde überstrahlt von seinem glücklichen Lächeln.

Augenblicklich schämte ich mich für die schlechten Gefühle während des Konzerts. Denn er schien völlig vom Adrenalin berauscht. Ich zwang mich zu grinsen und in einem Ruck zog Harry mich zu sich.

Noch einmal konnte ich ihn für längere Zeit umarmen und reckte den Hals um ihn genüsslich zu küssen. Seine Lippen schmeckten nach ihm und setzten mich innerlich direkt in Flammen. 

Der Lärm, die Hektik, all die Leute um uns herum verschwanden für einen Moment. Wie in Zeitlupe löste Harry den Kuss und wir sahen einander an.

Das Grün seiner Augen durchbohrte mich und ich wünschte... wir könnten einfach unsere Hände miteinander verschränken und gehen.

Doch das war kindisches und kitschiges Wunschdenken. Sanft strich Harry über meine Wange und presste die Lippen aufeinander, er schien etwas sagen zu wollen und gerade, als er Luft holte, da dröhnte Preston: „NICHT KNUTSCHEN, TEMPO, LOS, LOS, LOS! DER PRIVATJET WARTET NICHT!"

Nur zögernd löste Harry sich, er schien hin und her gerissen und dann geriet alles durcheinander. Preston zerrte ihn zum Auto und irgendjemand brüllte was. Harry rief mir noch etwas hinterher, was ich nicht verstand und mein Herz begann erneut zu rasen.

„Pass auf dich auf!", schrie ich und er hob die Hand um mir zu signalisieren, dass er genau das tun würde. Jemand rempelte mich grob an, ein Techniker versperrte mir die Sicht und dann war der Wagen einfach weg.

Ich blieb zurück und es fühlte sich an, als hätte ich etwas Wichtiges einfach losgelassen. 

Neben mir seufzte Eleanor laut und ordnete ihr zerzaustes Haar. „Das war's."

„Das war's", wiederholte ich ebenfalls. 

Um mich nicht vom Abschied überrumpeln zu lassen, was bereits durchaus passiert war, straffte ich die Schultern. „Okay, bringt ja nichts hier Tränchen zu vergießen. Wo kommt man hier denn raus?"

„Du solltest noch ein wenig warten", sprach Eleanor. „Jetzt werden die Ausgänge überschwemmt von Fans und die Tube voll sein. Komm, wir trinken noch was, dann vergeht die Zeit schneller."

Das klang nach einem Plan und im Backstagebereich war die Bar durchaus noch da. Ich schrieb Noah eine kurze Nachricht, nippte an meiner Cola und futterte die Erdnüsse dort weg. Eleanor verabschiedete immer wieder jemanden, den sie aus der Crew kannte, fing hier und da ein Gespräch an und ich beobachtete die Aufräumarbeiten.

Dafür, dass ein Konzert nur eine bestimmte Überlebensdauer hatte, wurde ein ganz schön heftiger Aufwand betrieben. Jeder schien jedoch genau zu wissen, wo er gebraucht wurde.

Eleanor und ich warteten etwas länger als eine Stunde, dann sprach ein Bühnenarbeiter, dass der Parkplatz draußen fast leer war und die Luft rein war.

„Wartest du nach jedem Konzert?", wollte ich wissen und sie schüttelte den Kopf: „Nein, manchmal bin ich sogar vor Louis weg. Kommt ganz drauf an, wo sie spielen."

Sie zeigte mir den Ausgang und wir fröstelten an der kühlen Luft. Mittlerweile war es richtig dunkel. Der Parkplatz wurde zwar gut beleuchtet, doch ich hoffte, dass der Weg zur Tube-Station ebenfalls genug Licht hatte. Wenn nicht würde ich die Taschenlampe im Handy anmachen müssen.

„Und du bist sicher, dass ich dich nicht mitnehmen soll?", fragte Eleanor noch einmal und ich musste mich nun anstrengen ihr Mundbild zu sehen. Sofort wehrte ich ab: „Nein, nein. Fahr du mal nach Hause, das kurze Stück ist bei mir nicht der Rede wert."

Zum Abschied umarmten wir uns und versprachen uns gegenseitig zu schreiben. Damit verschwand auch Eleanor und eilte auf ihren Wagen zu. Ich vergrub die Hände in den Taschen meines Parkas und machte mich auf zur Tube.

Die kühle Luft tat mir gut, das seltsame Klingeln in meinem Kopf ließ nach und die ganze Anspannung wich aus meinem Körper. Die Zeit unter Hörenden war enorm anstrengend und ich raffte mich auf die CI's auszumachen. Sofort schaltete mein Körper einen Gang zurück und obwohl ich nun auf Sparflamme lief, war es gut so.

Ich war unglaublich erleichtert über diese Stille.

Ein paar Bier mit Noah würden dafür sorgen, dass ich heute Nacht schlief wie eine Tote, denn die Erschöpfung würde sich durch meinen kompletten Körper fressen.

In den folgenden Tagen musste ich auf jeden Fall zu Sunny, sie wollte alle News, die sie kriegen konnte. Stumm schrieb ich mir ein Memo, dass ich Harry am Besten einmal fragte, ob es möglich war meine kleine überdrehte Freundin auf Niall treffen zu lassen.

Völlig in Gedanken schleppte ich mich den schwach beleuchteten Weg entlang, wich einem Radfahrer aus und dachte daran, dass ich meinte gesehen zu haben, das Niall ein Stück von Sunnys Kuchen aß. Denn wie Harry gesagt hatte, es blieb kein Krümmel davon übrig.

Sie würde austicken.

Unwillkürlich musste ich lächeln. Zumindest Sunny konnte man sehr leicht glücklich machen. Ich holte mein Handy noch einmal hervor und schrieb ihr direkt ein paar dankende Worte. Noahs Antwort war auch schon eingetroffen.

Die Tube-Station war näher, als ich geglaubt hatte und ziemlich leer. Hier und da zogen ein, zwei Leute an mir vorbei. Hastig teilte ich meinem besten Freund mit, dass ich unterwegs war und er schon mal einen Platz im Speck-Eck suchen sollte. Dann packte ich das Handy weg und durchquerte die Ankunftshalle der Tube. 

Es roch nach Erbrochenem und Alkohol, hier und da flackerte Licht.

Aus den Augenwinkeln sah ich drei Mädchen, doch ich verdrängte sie sofort als ich nach den richtigen Bahnsteig suchte. Schnell war die Nummer der Tube gefunden und ich nahm müde die Rolltreppe.

Zuerst bemerkte ich es nicht, doch dann fiel ein merkwürdiger Schatten und ich wandte mich um. Hinter mir standen nun die drei Mädchen von eben auf der Rolltreppe. Alle drei trugen die Regenbogenflagge wie eine Decke über den Schultern. Auf ihren Wangen war verschmierte Farbe. Sie waren vielleicht Anfang zwanzig und eine von ihnen schob sie die übergroße Brille zurück auf die Nase.

Zuerst dachte ich, dass ich ihnen im Weg stände und machte einen Schritt zur Seite, damit sie an mir vorbei konnten. Zu meiner Verwunderung quasselte die in der Mitte wütend auf mich ein, ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie sie mir plötzlich einen Stoß gegen die Schulter versetzte.

„Was läuft denn mit dir falsch?", entwich es mir prompt. Sichtlich ungehalten wollte ich mich von ihnen abwenden und einige der fahrenden Stufen nach unten nehmen. Doch im gleichen Augenblick griff das Mädchen von links nach meinem Schal und zerrte brutal an ihm.

Wollte sie mich erwürgen, oder was! Was stimmte nicht mit denen!

Ich setzte mich zu Wehr und das war mein großer Fehler. 

Unter meinen Füßen ruckelte die Rolltreppe. Kaum hatte ich den Schal aus ihren Händen gerissen, da tickte die in der Mitte völlig aus. Sie spuckte mich an und vergrub ihre rot lackierten Nägel in mein Gesicht, als wäre es ein Stecknagelkissen.

Ihre scheiß Krallen schnitten mir ins Fleisch, ich wollte sie von mir stoßen, aber gleichzeitig schubste mich die Kleine mit der Brille. Ich verlor das Gleichgewicht und versuchte mich irgendwo fest zu halten. Statt die Stufe tiefer zu erwischen, knickte ich mit dem Knöchel um.

Und der Fall war unaufhaltsam. 




FORTSETZUNG FOLGT

Teil II ist online

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