45 Augenblick.
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Stumm saßen Harry und ich uns in der Küche gegenüber und beschrieben je 25 Karten. Es waren lauter Vordrucke mit abstrakten Motiven und ich fragte gar nicht erst, wo er sie her hatte. Sammelte man nicht in der Regel Kitschpostkarten oder welche mit seltsamen unlustigen Sprüchen drauf?
Harry war eben immer für eine Überraschung gut.
„Fertig", sprach ich und beobachtete meinen Freund dabei, wie er die Stirn runzelte und die Lippen aufeinander presste. Dann sammelte er seine Karten zusammen: „Wenn auch nur die Hälfte wahr wird, dann können wir mit 30 sagen, das es nichts mehr gibt, das wir im Leben machen wollen."
Scherzkeks.
Ich würde immer etwas finden, was mich mit Harry begeistern würde. Einfach, weil er selbst ein riesengroßes Abenteuer war. Wir teilten die Ballons auf, befestigten die Karten und schlüpften in unsere Schuhe. In Harrys Garten sah es noch immer aus, als wäre ewig kein Mensch mehr dort gewesen.
Auf dem matschigen Rasen blieben wir stehen. Ich sah in den grauen Himmel: „Lassen wir sie alle auf einmal fliegen?"
„Nein", Harry schüttelte den Kopf. „Einer nach dem Anderen und vorher lesen wir laut vor was draufsteht."
Prompt lief ich knallrot an. Scheiße, sein Ernst?
„Ich muss noch mal rein und ein paar Dinge ändern", rutschte es mir raus, doch Harry stellte sich mir in einem Schritt in den Weg: „Nichts da, komm schon! Wie sollen wir die Wünsche denn wahr werden lassen, wenn wir sie nicht beide wissen."
„Na schön, aber du fängst an und wehe du lachst bei auch nur einem einzigen Wunsch", mein Kopf leuchtete wie eine Tomate. Vielleicht konnte ich aus Versehen ein paar Ballons loslassen.
Harry schien in meinem Gesicht lesen zu können: „Wage es nicht, ich weiß genau woran du denkst und ich schwöre du kriegst einen zweiten Hund von mir, wenn du das machst! Oder eine Katze und dann sorge ich dafür, dass es Fluffys größtes Hobby sein wird hinter ihr her zu hecheln."
Also ergab ich mich dem Schicksal und hielt die Ballons fester. Er zog den ersten Ballon hervor und las auf der Karte: „Wir werden auf jeden Fall in Japan bei einem Sushi-Meister vorbeischauen."
Nun musste ich laut lachen: „Ist Japan nicht etwas weit? Es gibt doch bestimmt auch einen in London."
Harry ließ den blauen Ballon los, er flog gen Himmel und wurde fast vom Grau der Wolkendecke verschluckt. „Nein, wenn schon, dann definitiv in Japan. Und jetzt du."
Ich fing mit etwas Harmlosen an und wenig später flog mein roter Ballon in den Himmel. „Weihnachten, das nächste Mal möchte ich mit dir zusammen feiern."
„Dann feiern wir bei deiner Familie und ich sage meiner Mutter am Telefon, dass es nichts wird mit trauter Verwandtschaft", zeigte sich Harry sofort einverstanden und ich würde mir im Herbst Gedanken darüber machen müssen, wie ich meiner Mutter beibrachte, mit wem ich zusammen war. Oder ich ließ es einfach weiterhin drauf ankommen.
Es folgte ein Wunsch nach dem Nächsten. „Nach Hawaii fliegen!" Etwas, wo wir beide ganz scharf drauf waren. Wir wollten Silvester in New York verbringen, den Louvre besuchen, Harry wollte mir zeigen wie man Stand Up Paddling machte und es war schön zu hören, was alles noch vor uns liegen könnte. Vor allem aber wollten wir uns durch den kulinarischen Himmel fressen. Pizza in Italien war nur eines davon.
„Ich möchte mit dir tanzen", sprach Harry und ließ den Ballon in Form einer Giraffe los. Verwirrt runzelte ich die Stirn: „Das haben wir doch schon, nämlich als du mir einen Einführungskurs über deine Lieblingsmusik gegeben hast."
Daran schien auch er sich zu erinnern: „Jap, aber ich meine eine andere Art zu tanzen. Mehr so, deine Hand in meiner, romantische Gedudel im Hintergrund."
„Über uns die Sterne", stieg ich übertrieben kitschig ein und musste lachen: „Hätte nicht gedacht, dass du so ein Romantiker bist."
„Das bin ich auch nicht", gab Harry zu. „Aber ich möchte das einfach gerne machen. Oh, und wenn wir schon dabei sind, ich habe seit sieben Jahren einen Motorradführerschein und bin erst zweimal gefahren. Das will ich mit dir zusammen ändern."
Erneut flog ein Ballon davon. Ich wusste nicht, was ich schöner fand, all die Pläne oder dass einige von ihnen wirklich realistisch waren. Wir wollten zusammen kochen, richtig kochen und nicht nur ein paar Nudeln ins heiße Wasser werfen und Ketchup drüber spritzen. Dann schwor Harry auf Musicals, die mit Ballett gekreuzt wurden. Ich dagegen war scharf auf den Spaß in einer Trampolinhalle.
Es gab so viele Dinge zu erleben und auszugraben.
Harry nahm sich vor, dass wir einen Musiker fanden, den wir beide mochten und ich sah mich jetzt schon, wie ich ständig mit Songs beschallt wurde. Ließ ich ihm die Hoffnung, dass mir Musik irgendwann Spaß machen würde.
Gleichzeitig wirkte er mäßig begeistert darüber, dass ich mit ihm Wandern wollte. Und zwar so richtig. Ich war durch und durch ein Stadtmensch, aber meine beste Freundin Amanda war der Meinung, dass nur eine Odyssee über Stock und Stein eine Beziehung auf Herz und Niere prüfen würde.
Das Bisschen Natur würde uns schon nicht umbringen. Vielleicht machte es sogar Spaß und wenn nicht, hatten wir auf jeden Fall eine Menge zu erzählen. Und darum ging es schließlich, um neue Erinnerungen.
Nach und nach wurden es weniger Ballons. Ich sah dem kitschigen Einhorn nach, den glitzernden Ballons, den Regenbogenfarben und am Ende hatten wir nur noch je einen.
„Ladys first", meinte Harry, doch ich wehrte dankend ab: „Du hattest den Anfang, also überlasse mir das glorreiche Ende."
Tief seufzte er: „Na schön, von mir aus. Also, mein letzter Wunsch, wir streiten nie wieder länger als 24 Stunden. Die Woche, die wir wegen diesem Vertrag nur Stress hatten, das war unnötig. Im Endeffekt haben wir nur Zeit verloren, die wir auch zusammen hätten verbringen können."
„Das ist wahr", stimmte ich zu. Es war wirklich unnötig gewesen, doch ich war immer noch froh darüber, dass ich Harrys Vertrag nicht einfach nachgab. Ich hätte mich danach einfach nur schlecht gefühlt.
Wir sahen beide dem Ballon nach, den Harry in den Himmel fliegen ließ, dann machte er einen Schritt auf mich zu: „Okay, was ist dein letzter Wunsch?"
„Es ist weniger ein Wunsch", gab ich zu. „Eher ein mega kitschiges, blödes, schleimiges Versprechen."
„Ein Bisschen mega, kitschiges, blödes Geschreibsel bringt niemanden um, jetzt lies schon", drängte Harry. Beschämt rieb ich mir mit der Hand über das Gesicht und ließ den Ballon los. Mein Herz pumpte, wie nach einem halben Marathon und verriet, was ich aufgeschrieben hatte.
„Im nächsten Leben finde ich dich früher."
Es war raus.
Und jetzt durfte meine Birne bitte explodieren. Doch als ich den Kopf hob, da bemerkte ich, dass Harry dem Ballon hinterher blickte. Er wirkte nachdenklich und grinste schließlich: „Gut, ich zähle auf dich. Aber bitte nicht zehn Jahre früher, mit sechzehn war ich ein Trottel."
Erleichtert nickte ich: „In Ordnung, merke ich mir."
„Und bitte begegne mir nicht, wenn ich mit Kumpels abhänge, du würdest mich peinlich finden", schob er nach. Ich verzog das Gesicht: „Wie wäre es, wenn ich hinter einer Hecke hervorspringe, wenn du alleine zur Schule gehst und brülle: Hab dich!"
„Das wäre wiederum gruselig."
Einfach so machte Harry es weniger kitschig. Aber das änderte leider nichts daran, dass die Zeit uns durch die Finger glitt. Ganz automatisch packten wir wenig später unsere Sachen zusammen, auch wenn Harry schon komplett fertig war. Er wuchtete das Gepäck in den Flur, darunter auch einen Gitarrenkasten.
„Das ist ziemlich viel", fand ich auf der Treppe hockend und er nickte: „Ja, ich komme mehrere Monate nicht nach Hause und das Wichtigste muss einfach mit."
„Hm", das wäre nichts für mich. Ich kam gerne Abends nach Hause und so lange Unterwegs zu sein, es schlauchte doch sicher. Allerdings machte Harry diese Arbeit seit Jahren, er würde wissen, worauf es sich einließ und scheinbar mochte er es.
„Hier", sprach er plötzlich und hielt mir eine Magnetkarte samt Zettel hin. Irritiert nahm ich an und klappte den Zettel auf und erkannte einen achtstelligen Code.
„Das Haus steht dir offen, wenn ich nicht da bin", erklärte Harry. „Nur gib den Code bitte nicht zweimal falsch ein, weil dann verriegelt sich das System automatisch und die Nachbarschaftswache wird informiert."
„Dann lasse ich es lieber, ich will nicht unbedingt von hinten angeleuchtet werden und auf einer Polizeiwache meine Unschuld beteuern müssen", meinte ich, denn ich kannte mich gut genug, dass ich irgendeinen düsseligen Fehler machte vor Nervosität. „Außerdem bist du nicht da, es gibt keinen Grund hier aufzutauchen."
Harry lächelte: „Trotzdem, ich möchte, dass du die Möglichkeit hast hier rein zu kommen. Und wenn du nur mal einen Tag ruhe brauchst. Fühl ruhig den Kühlschrank, breite dich aus, wie du möchtest."
Die Beziehung wurde ernster und ernster. Mir gefiel das sehr.
Eine Stunde bevor wir abgeholt wurden, zog ich mich fix noch einmal um und betrauerte den Verschluss meines Kleides, der Definitiv hin war. Vielleicht konnte Soyun ihn mir erneuern, sie hatte schließlich geschickte Hände.
Ich zog die neuen Chucks von Amanda an. Sie hatte sie mir mit dem Expressversand geschickt und wahrscheinlich eine Nachtschicht eingelegt. Keine Ahnung, wo sie die kitschigen Schnürbänder mit dem 1D-Logo her hatte, doch ich mochte es, dass auf schwarzen Stoff in weiß fein säuberlich einige Zeilen geschrieben hatte. Vermutlich kamen diese von den Songtexten.
Sunny überließ mir eines ihrer neuen Merch-Shirts in Grau. („Ist mir sowieso viiiiel zu groß!" - Wer es glaubte.) Ich kam mir ein bisschen albern vor, doch Sunny war der festen Überzeugung, dass man das als One Direction-Freundin so machte. Über meiner Brust verlief der Bandname in weiß und es war eine Comicartige Weltkugel abgebildet mit einem Flugzeug und Strichen, wie auf einer Schatzkarte.
Dazu trug ich Jeans und vermisste sofort meine übliche Kleid + Leggins + Cardigan – Kombi. Sie war bequemer und ich hatte immer Panik, dass der Jeansbund Speckröllchen zeigte. Besonders anstrengend war es sich da reinzustrampeln und ich war froh, dass das Shirt ein Bisschen über den Hintern ging.
Schnell packte ich meine kleine Tasche, damit ich den Rucksack bei Harry verstauen konnte. Die Haare ließ ich auf und als ich die Treppen nach unten ging, da sah ich, dass der Personenschützer da war und den Wagen belud.
Jerry schien sich nicht über die Masse an Gepäck zu wundern, ich begrüßte ihn höflich: „Hallo Mr Davis."
„Jerry reicht", sprach er trocken und seufzte, dann wandte er sich an Harry: „Die Gitarre muss auch mit? Ich dachte, dass für die Bühne ein extra Transport hat."
„Sie gehört mir persönlich, ich will privat auf ihr spielen", erklärte mein Freund. „Niall hat mindestens drei Gitarren mit, wieso wirkt es, als würde meine ein Problem werden?"
„Weil wir Nialls Babys eingeplant haben, aber Louis, Liam und du plötzlich alle auf dieselbe Idee gekommen seid und auch ein Privatjet nur ein gewisses Maß an Ladefläche hat", sprach Jerry. Er griff trotzdem nach dem Gitarrenkoffer. „Vielleicht findet er bei eurer Akustikband noch Platz." Damit stampfte er nach draußen.
Harry drehte sich in meine Richtung, auch er hatte sich bereits umgezogen. Das Hemd war schwarz, was mich verwirrte war die schmale graue Anzugshose und die passende Jacke. An den Seiten war schwarze Pailletten in einem breiten Streifen. „Du willst damit echt auf die Bühne?"
„Hey, du siehst auch nicht aus, wie jemanden, den man ohne Fragen in den Backstage-Bereich lassen würde", er sah an mir auf und ab. „Allerdings mag ich's. Wirkt als würde ich einen Fan daten."
Ich war so viel Fan, wie Harry Gärtner und lachte: „Vielleicht sollte ich wirklich was anderes anziehen. Denn ich möchte nicht, dass man mich hinterher rauswirft."
„Höchst unwahrscheinlich", meldete sich Jerry zu Wort. Er schnappte sich den letzten Koffer und wir sahen ihn fragend an. Knapp zog er die Augenbrauen zusammen: „Ihr zwei Turteltauben solltet einmal am Tag Twitter abchecken, statt euch gegenseitig. Dann wärt ihr vielleicht auf dem Laufenden." Dafür war jedoch nicht viel Zeit. Wir mussten los.
Erst im geräumigen Range Rover kam Harry dazu sein Twitter anzumachen. Gleichzeitig nahm ich von Jerry eine Karte an, an welcher ein Bändchen befestigt war. Ich kannte den VIP- oder den Backstagepass.
Überraschend hilfreich drehte sich Jerry im Auto zu mir um: „Nicht verlieren, nur mit diesem Ding kannst du dich hinter der Bühne bewegen." Ich nickte verstehend und er fuhr los zum Wembley-Stadion.
„Tja", kam es trocken von Harry. „Also habe ich mir gestern doch nicht eingebildet, dass wir beobachtet wurden." Er reichte mir sein Handy und ich sah vier Bilder, die man im Andy's von uns machte als wir auf das Essen warteten.
Dieses Mal konnte man uns ziemlich gut erkennen. Ich lächelte, weil es seltsam war sich selbst zu sehen, aber was mir gefiel, war die Art, wie wir fotografiert worden waren. Nun verstand ich, wenn Noah behauptete, ich würde zu viel verknallte Luft absondern. Vielleicht himmelte ich Harry wirklich zu offensichtlich und zu häufig an.
„Kannst du es mir schicken? Ich würde es gerne als Hintergrund nutzen", sprach ich und reichte Harry sein Handy zurück. Kurz blinzelte er, schließlich schlich sich ein Grinsen über seine Lippen: „Ich weiß etwas besseres. Sobald wir im Wembley-Stadion sind, machen wir ein vernünftiges Selfie. Diese Stalkerfotos sind leicht zu toppen."
„Das sagt der Typ, der keine Selfies auf seinem Instagram hat", konterte ich und outete mich selbst als Stalker. Denn Harrys Instagram sah aus, als würde jemand anderes ihn verwalten und nicht Harry selbst.
Je näher wir dem Wembley-Stadion kamen, umso mehr fielen mir draußen die Menschen mit bunten Flaggen und in ganzen Grüppchen auf. Neben mir sank Harry tiefer ins Polster, während ich fasziniert feststellte, dass die Leute ähnlich drauf waren, wie bei meinem ersten One Direction - Konzert im O2, nur, dass es jetzt sehr viel mehr Menschen waren.
Die Laune schien glänzend, so wie damals die von Noah. Ganze Massen wanderten zum Wembley und als ich es von Weitem sah, da wurden meine Augen größer. Ich war noch drin gewesen, weil ich weder ein Fußballfan, noch ein Konzertgänger war. Doch so riesig hatte ich es mir nicht vorgestellt.
Na hoffentlich war das Ding halbwegs ausverkauft. Leere Blöcke würden bestimmt dämlich aussehen.
An einer Ampel hielt Jerry kurz an und ich wandte mich Harry zu. Im selben Augenblick glitt seine rechte Hand in meine linke und verschränkte unsere Finger miteinander.
Jetzt hieß es die letzten Stunden zusammen zu genießen.
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