24 Deaf Slam.

┊  ┊  ┊           ★ HARRY

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„Warum bist du eigentlich so nervös?", fragte ich und beobachtete von der Couch aus, wie Isabell von A nach B stiefelte und gedanklich eine Liste abarbeitete. Sie war die Nacht vom 21 auf den 22 Dezember bei mir geblieben und wir hatten sehr, sehr lange darüber geredet, wie wir unsere Beziehung halten wollten.

Alleine, wenn ich an das Wort 'Beziehung' dachte, kribbelte mein Nacken, denn plötzlich war all das ernst und gefühlt real. Das Management wollte, dass ich Abmachungen mit Isabell schriftlich festhielt, aber das wollte ich nicht. Wir mussten zuerst sowieso entscheiden, was wir zusammen wollten.

Option eins war für uns ein inoffizielles Outing. Ich würde sie überall mit hinnehmen können, auf Konzerte, Flügen, in Hotels und in die Öffentlichkeit. Der Nachteil war gleichzeitig auch der Vorteil. Man würde sie kennen, mein Umfeld konnte sie zuordnen. Aber damit käme auch die große Masse.

Option zwei war, dass wir alles unter dem Radar laufen ließen. Isabell würde ihre Privatsphäre behalten, aber ich würde sie nicht fest in meinen Alltag integrieren können. So wie immer, wie bei all den Beziehungen, die ich heimlich gehabt hatte und die das nach ein paar Monaten nicht mehr ertrugen.

Ich hatte Isabell zu Option eins überreden wollen, doch schlussendlich wollte sie, meine Welt, wie es sie nannte, Schritt für Schritt kennenlernen. Die Masse an Informationen und die Größe der One Direction – Manier behagte ihr nicht.

Eigentlich sollte ich das verstehen, doch es blieb die Angst im Nacken, dass das hier lief, wie es immer bei mir war: Es ging in die Brüche, bevor es richtige angefangen hatte. Dieses Mal musste es anders sein und noch hatte ich keinen Plan, wie ich das anstellen sollte.

„Isabell", begann ich noch einmal, „hör auf so gestresst zu sein."

Sie blieb stehen und ich ließ meinen Blick über ihre Klamotten wandern. Ich sah sofort, dass dieses schwarzweiße Karo-Kleid neu war und die Strumpfhose ebenfalls. Einzig diese schwarzen Batman-Chucks waren wie üblich selbstgemalt. Für den Abend gab sie sich echt Mühe.

„Tut mir leid, ich bin etwas angespannt. Noah hat versprochen meine beste Freundin vom Bahnhof abzuholen, was er auch getan hat, aber beide kriegen sich schnell in die Haare", erzählte sie. Prompt erinnerte ich mich, diese Amanda würde ich heute zum ersten Mal treffen. Isabell schien das unglaublich wichtig zu sein und mittlerweile wusste ich mehr über Amanda, als sie wahrscheinlich selbst über sich selbst.

Eigentlich hatte ich den letzten Abend vor Weihnachten mit Isabell alleine genießen wollen, aber sie war von diesem Deaf Slam nicht abzubringen und weil Eleanor sich ebenfalls einklinkte, inklusive Super-Rebell Fizzy Tomlinson, sahen meine Chancen mau aus. Seit drei Tagen lebte Fizzy nun bei Louis und ich wusste, dass dort buchstäblich die Bude brannte.

Vielleicht war es ganz gut, wenn Fizzy heute mal dort rauskam.

„Okay!", Isabell begriff selbst, dass sie die Zeit mit unsinnigen hin und her laufen verplemperte und zog ihre Übernachtungstasche, die sie nun bei mir lassen würde, zu sich. „Ich weiß, wir haben nichts abgemacht, aber ich habe ein Weihnachtsgeschenk für dich."

Sofort sprang ich von der Couch auf: „Gott sei dank! Sonst hätte ich meines für dich wieder umtauschen müssen." Ich zog das verpackte Päckchen aus einer Schublade und Isabell grinste: „Wenn es doof ist, dann kannst du es behalten."

Der E-Book-Reader war das Neuste, was ich auf dem Markt gefunden hatte und ich war mir sicher, dass Isabell ihn gebrauchen könnte. Zuerst hatte ich ihr eine Kiste voll Bücherklassiker fertig machen wollen, aber ich wusste nicht, was sie bereits gelesen hatte. Exemplare doppelt zu haben kam mir nicht gerade toll vor.

Isabell setzte sich neben mir auf die Couch und strahlte: „Wir dürfen sie nicht vorher aufmachen."

„Was?", ich hatte ihr gerade ihr Geschenk feierlich überreichen wollen, als ich inne hielt. „Wieso nicht?"

„Das macht Weihnachten kaputt. Geburtstagsgeschenke vorher aufzumachen ist auch nicht gerade der Knaller", behauptete sie und ich sah mit an, wie sie mein Geschenk unter einen der Bäume legte, wo ich bereits die Überraschungen für meine Familie lagerte, immerhin tanzte die ganze Sippe bei mir an.

„Dann musst du mit deinem Geschenk auch warten", forderte ich und das nahm sie völlig gelassen hin. Für den Deaf Slam nahm Isabell nur einen kleinen Rucksack mit und packte ihr Geschenk dort vorsichtig rein. Sie konnte gerade noch so den Rucksack schließen. Dann musterte sie mich: „Ist es okay für dich, dass ich dich mitschleppe?"

Verdutzt runzelte ich die Stirn: „Zum Deaf Slam? Klar, ich habe zugesagt, oder nicht?"

„Das schon", langsam nickte Isabell und ließ sich neben mir fallen. „Aber du musst nicht mit, nur um mir einen Gefallen zu tun. Wenn du zu tun hast oder andere Pläne, dann ist das völlig in Ordnung."

Ich begriff den Gedankengang dahinter: „Nein, das ist kein Gefallen. Wir haben doch beide gesagt, dass wir versuchen ein Mittelding zu finden." Oder anders gesagt, wie Isabell es so metaphorisch formulierte, ein eigenes Universum schafften. Dazu gehört auch, dass ich wusste, wer ihr Umfeld war, wie es funktionierte. Ich konnte nicht verlangen, dass sie sich in meiner Welt zurecht fand und ich nicht wusste, was bei ihr abging.

Tief atmete Isabell durch und sie gestand: „Ich möchte nicht, dass du dich heute ausgeschlossen fühlst oder irgendwie seltsam. Falls es so ist, dann würde ich das total verstehen. Sag Bescheid und wir können sofort geh-!"

„Isabell", sprach ich gelassen, „du bist auch nicht abgehauen und hast zugesagt, dass wir Silvester bei Louis und Eleanor verbringen. Da werde ich mich beim Deaf Slam doch anpassen können." Trotzdem war es süß von ihr sich direkt solche Gedanken zu machen. „Ich werde den Abend schon klarkommen, außerdem sind Eleanor und Fizzy dabei."

Leicht neigte sie den Kopf, dann fragte sie: „Wie sind die beiden so?"

„Nett", fasste ich es ziemlich kurz zusammen. Als ich Isabells Miene sah, begriff ich, dass sie ein bisschen mehr Details erwartete, also setzte ich hinzu: „Sie sind beide unkompliziert und wahrscheinlich total neugierig. Mach dir nicht so einen Kopf, das heute wird bestimmt ganz interessant."

Zumindest hoffte ich das. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde und hoffte einfach, dass der Abend kein Desaster wurde. Schließlich hatte ich Jerry nicht Bescheid gegeben. Ohne Personenschutz musste ich einfach darauf vertrauen niemand aufzufallen. Oder eher darauf, dass es Isabells Umfeld am Arsch vorbeiging, wer ich war.

Ich beugte mich zu ihr und zog sie näher zu mir. Irgendwie hatte ich viel zu wenig Zeit sie zu küssen und einfach nur ihre Anwesenheit zu genießen. Stattdessen kam es mir vor, als müssten wir ständig etwas erledigen. Sie roch so zart nach Parfüm und wenn ich könnte, dann hätte ich ihr vorgeschlagen den Abend zu Hause zu bleiben.

Doch die Ruhe hatten wir nicht und ich hoffte, dass wir nach den Weihnachtsfeiertagen Raum fanden, nur für uns zu sein. Unser Universum weiter aufzubauen. Ich wollte so viel mehr, ich wollte Isabell zuhören, gleichzeitig erzählen, mit ihr Erinnerungen schaffen und ihr nahe sein.

Näher als ich es bislang gewesen war.

Isabell lehnte sich zurück, ihre weichen Lippen verließen meine und es blieb der Geschmack von Zimtkekse. „Ist das ein Versuch mich indirekt dazu zu bringen, dass wir heute hier bleiben?"

„Nein", wehrte ich mich belustigt und wollte sie wieder küssen, doch Isabell war standhaft. Stattdessen kämpfte sie sich aus meinen Armen und stand auf. Energisch klatschte sie in die Hände: „Wir müssen los, Harry. Komm schon, Eleanor und Fizzy warten darauf, dass wir sie pünktlich abholen."

Ich sah sie an, als hätte sie zu heiß gebadet: „Weißt du, normale Frauen kuscheln sich zurück in meine Arme und fragen, ob sie ihre Socken ausziehen sollen, oder nicht."

Einen Augenblick lang sah Isabell mich ratlos an, dann grinste sie süffisant: „Sex mit Socken ist also nichts aufregendes mehr für dich. Gut zu wissen." Es klang wie eine Feststellung. Nun griff sie nach meinen Händen und zog mich energisch von der Couch.

Ich gab mich geschlagen und wenig später schnappten wir uns unsere Jacken. Wir nahmen den schwarzen Range Rover und automatisch machte ich mittlerweile die Musik aus. Ich hatte mir das in Isabells Nähe angewöhnt und ihr Lächeln färbte sofort auf mich ab. Wenn ich sie durch so Kleinigkeiten glücklich machen konnte, dann tat ich das einfach.

„Ich bin immer noch total baff, dass Eleanor mitkommen wollte", sprach sie während ich den Wagen auf die dunkle Straße lenkte. Ich räusperte mich: „Na ja, vielleicht... war ich ein bisschen zu arg Tratschtante."

Isabell sah mich fragend an, also fuhr ich fort: „Als wir uns angefangen haben zu treffen, musste ich mit jemanden darüber reden. Mit Louis konnte man nicht viel anfangen und Eleanor ist unparteiisch."

„Ist Louis dein bester Freund?", wollte sie wissen und ich hielt an einer roten Ampel. Nachdenklich runzelte ich die Stirn: „Nein, er ist eher wie ein Bruder, genauso wie Niall und Liam."

Nun wandte sich Isabell komplett meiner Richtung zu. „Was ist der Unterschied?"

„Brüder wirst du im Leben nicht mehr los, egal welcher Scheiß war", fasste ich zusammen. „Natürlich gibt es Phasen, da ist man sich echt leid, aber das, was wir erlebt haben und wir zusammen aushielten, das hast du mit Freunden nicht." Genau so sah ich es. Für meine Brüder würde ich durch die Hölle gehen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Das Band ist intensiver und nicht zu zerreißen." Es hielt ein Leben lang, bei jedem Hoch und Tief.

Ich glaubte nicht, dass Isabell mich verstehen würde, aber sie sah mich lange und schweigend an. Statt das Thema schließlich zu vertiefen, stellte sie die nächste Frage: „Was ist mit Liam los? Er wirkt etwas, als würde er außen stehen."

„Keine Ahnung", platze es ehrlich aus mir heraus. „Im Moment scheint er ein wenig neben sich zu laufen, aber ich bin sicher, dass er sich wieder einkriegt. Und wenn nicht, dann wird er schon was sagen." Darauf vertrauten wir, denn so funktionierte das zwischen uns.

Ich konnte es kaum abwarten mit den Jungs wieder auf Tour zu gehen, wohl wissend, dass es dieses Mal anders sein würde. Besonders nach der langen Pause. Aber anders war nicht automatisch schlecht.

Fizzy schien an der Haustür gewartete zu haben, als wir das private Grundstück von Louis erreichten. Sie sprintete fast die Treppen zum Auto runter und riss die Tür auf als sei sie auf der Flucht. 

„Hallooooo!", dröhnte sie. Irgendwie war sie dünner geworden und hastig strich sie sich das dunkle Haar nach hinten.

Breit grinsend beugte sich Fizzy dreist vor und sprach laut: „Ich bin Félicité, aber sag ruhig Fizzy. Und du bist Harrys neues, ultra, großes Geheimnis?"

„Du kannst auch Isabell sagen statt neues, ultra, großes Geheimnis", antwortete meine Freundin gelassen. Meine Mundwinkel zuckten prompt.

Ich sah nun auch Eleanor förmlich aus der Haustür rasen und verzog verwirrt das Gesicht: „Was ist denn los bei euch, dass ihr es alle so eilig habt?"

„Mein Bruder spinnt", brachte es Fizzy knapp auf den Punkt. Mit den Zeigefinger malte sie Kreise neben ihrem Kopf. „Völlig von der Rolle, der Große."

„'n Abend!", begrüßte Eleanor uns und wuchtete sich auf den anderen Platz der Rückbank. „Gib Gas, Harry."

Ich kam mir vor, als wäre ich der Fahrer für einen Bankraub. Doch ich tat, was sie verlangte und ließ mir von Isabell sagen, wo genau ich hinfahren musste. Während ich also den Fluchtfahrer spielte, beugte sich Fizzy erneut vor und wollte wissen: „Nur, damit ich das richtig verstanden habe, ein Deaf Slam ist quasi die Musik für Gehörlose?"

Isabell drehte sich zu ihr und ich war kurz davor zu prüfen, ob die Damen in meinem Wagen überhaupt angeschnallt waren.

„Ja, das Ganze findet auf einer Bühne statt, es wird Poesie dargestellt und vieles mehr", erklärte sie und kurz darauf lauschte ich ihrer Erzählung. Sie sprach von der Grammatik in der Gebärdensprache, aber auch von der poetischen Form. 

Einige Leute gebärdeten Geschichten, da wurde das Fingeralphabet, mit den Buchstaben, den Handformen zu einer Bewegung, die eigentlich von einer anderen Gebärde kam. Alles ging fließend ineinander über.

Wieder andere arbeiten mehr mit dem Körper und mit der Mimik. Es wurden nur einzelne Elemente der Gebärdensprache genutzt und der jeweilige Rhythmus verändert. Manchmal schmückten sie die Gebärde mit Mimik und zusätzlichen Bewegungen aus.

„Das ist kein Spiel, sondern eine andere Art der Sprachkunst, auch wenn es wie ein Spiel wirkt", schloss Isabell. „Aber nicht alle machen da Kunst raus. Manchmal wird eine Geschichte, ein Gedicht auch in reiner sauberen Gebärdensprache erzählt. Total nüchtern"

„Das klingt voll abgefahren", fand Fizzy. „Sehen wir heute alles davon?"

Isabell nickte und ich erfuhr, dass es heute darum ging ein Ticket nach Chicago zu gewinnen und dort an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Es wurde also um einen Titel geslamt und ich fragte mich, ob es ähnlich inspirierend war, wie ein normaler Poetry Slam. Bei meiner Schwester an der Uni hatte es so etwas mal gegeben und undercover konnte ich mir das nicht entgehen lassen.

„Hoffentlich wird es für euch nicht zu langweilig", befürchtete Isabell, doch Fizzy winkte ab: „Quatsch, das wird der ruhigste Abend seit 2010 für uns." Das schien meine Freundin nicht zu verstehen und vielleicht war das auch besser so.

Die Adresse führte uns in einen abgelegenen und versteckten Teil von London. Sobald ich den Wagen geparkt hatte, da schien Isabell genau zu wissen, wo wir hin mussten. Wir schlichen durch schmale Gassen und die Dunkelheit machte das Ganze noch geheimnisvoller.

Ich zog die Schultern hoch und sah auf die drei Frauen vor mir. Die Erste hetzte, die Zweite flitzte und die dritte schwebte. Stumm machte ich mir ein Memo und beschloss Louis auf sein Drama zu Hause mal ganz vorsichtig anzusprechen.

Schließlich verließen wir die schmale Gasse, überquerten eine Straße und landete in einem großen Hinterhof. Hier wurde es heller, zahlreiche Lichterketten leuchteten und ich kam mir vor als wäre ich in ein Weihnachtsdorf gestolpert. 

Eine Schlange aus Menschen reihte sich vor einen kleinen Eingang und überall sah ich fuchtelnde Hände, Mienen, die sich innerhalb von Sekunden veränderten und sämtliche Anwesenden schienen sich zu kennen. Immer wieder wurde ganz heftig mit der Hand gewunken und zum ersten Mal an diesem Abend verlangsamte sich mein Gang.

Ich sah, wie Isabell auf eine Gruppe zuging, die sich um eine junge Rollstuhlfahrerin versammelt hatte. Eine Frau, in einem roten Mantel, sprang Isabell an als hätten sie sich Jahre nicht gesehen und umarmte sie fest. Von der Beschreibung her wusste ich, dass dies Amanda sein musste. Überschwänglich begrüßten sie sich.

Eleanor gab mir einen Stoß gegen die Schulter und sorgte so dafür, dass ich mich wieder in Bewegung setzte. Gleichzeitig wandte Isabell sich um und stellte mich schließlich vor: „Amanda, das ist Harry, Harry meine beste Freundin Amanda."

„Hallo", sprach sie und lächelte so breit wie ein Frosch von Disney. „Toll n' Gesicht sehn' zum Namen." Ihre Stimme klang seltsam, die Betonung passte an einigen Stellen nicht und ich versuchte mir das nicht anmerken zu lassen.

 „Freut mich ebenfalls." 

„Das sind Eleanor und Fizzy", fuhr Isabell fort und ich bemerkte nur am Rande, wie das Mädchen im Rollstuhl zuerst mich anstarrte und schließlich die anderen beiden. Seltsam belegt sprach sie: „Ich glaube mir wird schwindelig."

„Mach nisch Unfug", sprach Amanda grammatikalisch nicht ganz richtig. „Wir ham' deinen Eltern versprochen, du nicht machen Blödsinn."

„Du verstehst das nicht", behauptete das junge Mädchen und gebärdete Zeitgleich. Sie sah Isabell an: „DAS ist mein Geschenk?"

Entsetzt veränderte sich der Gesichtsausdruck meiner Freundin: „Er ist niemandes Geschenk, benehme dich bitte, Sunny. Sonst war es das letzte Mal, dass ich Harry mitgebracht habe." Isabell erklärte mir direkt: „Sunny hat heute Geburtstag und hebt ein bisschen ab."

„Dann herzlichen Glückwunsch", sprach ich freundlich, wenn auch überfahren, denn von allen Seiten mischte sich immer wieder jemand ein. Hier fuchtelte jemand mit der Hand vor dem Gesicht meiner Freundin herum, da wollte man von Weitem ihre Aufmerksamkeit.

Es war ein großes Durcheinander und noch dazu direkt vor mir ein Mädchen, dass mich ansah, als würde sie gerade gedanklich planen, wie sie mich vom Rollstuhl aus überwältigen und kidnappen konnte.

Völlig verblüfft registrierte ich, dass Eleanor ihren Namen gebärden konnte, was nur dazu führte, dass Amanda sie noch glücklicher anstrahlte. Fizzy schien sich rundum wohl zu fühlen, denn sie starrte unverhohlen auf all die Menschen, die sich mit ihren Händen unterhielten. Ich dagegen fühlte mich etwas fehl am Platz.

„'Arry!", dröhnte eine Stimme, die ich irgendwoher kannte. Ich musste zweimal blinzeln, ehe ich den Kerl von der Themse wiedererkannte. Mozzie, oder so ähnlich, groß wie ein Berg und blond, schüttelte meine Hand, als würde er sie abbrechen wollen „Cool dassu da bis'!"

„Ja", antwortete ich und bemerkte, wie er mir konzentriert auf die Lippen starrte. Isabell tat das manchmal genauso, besonders wenn ich Auto fuhr, aber nun machte mich das irgendwie ein bisschen nervös. „Hätte nicht gedacht, dass so viel los ist."

„Yo", nickte Mozzie und seine Miene entspannte sich wieder. „Sin' viele gekomm."

„Leute, ich störe nur ungern aber-!"

Meine Laune bekam einen Dämpfer, denn der arrogante Kameramann von der Themse tauchte auf. Benny schien ebenfalls nicht begeistert zu sein mich zu sehen, er nickte mir knapp zu und wirkte, als würde er mich abscannen, erst dann wandte er sich Isabell zu und zog etwas aus seiner Manteltasche: „Ich habe es eilig, hier sind die Karten, damit ihr alle reinkommt und – Na hallo!"

Er hatte Eleanor bemerkt und schenkte ihr ein sympathisches und freundliches Lächeln, aber bevor auch nur irgendetwas weiter passieren konnte, nahm Isabell ihm schon die Karten ab und sorgte dafür, dass er fix abdampfte: „Mit deinem 'Hallo' hast du schon genug gesagt. Verdufte, Dicky braucht deine Hilfe im Inneren."

Gut so, Benny waren wir so schnell los, wie er gekommen war. Mir entging jedoch nicht das amüsierte Grinsen, das Isabell auslöste. Konnte sein, dass meine Freundin leidenschaftlich über ihn her zog, aber Benny schien den Zweikampf nicht halb so nervig zu finden, wie sie.

Nachdem er abdampfte, stellten wir uns an der Schlange an und zu uns stieß Isabells bester Freund. Noah schien glänzende Laune zu haben, begrüßte mich mit einem schiefen: „'ello", und reichte sowohl Eleanor und Fizzy die Hand. Leicht deutete er eine Verbeugung an, dann kommunizierte er wieder mit den Händen.

„Du kennst ja schon so einige hier", behauptete Eleanor erstaunt und ich wehrte ab: „Nein, nur ein paar Gesichter." Ich beobachtete, wie Fizzy versuchte mit Mozzie zu kommunizieren, irgendwie redeten sie aneinander vorbei, doch wenn sie das merkten, schien dies nicht wirklich ein Problem zu sein.

Wir standen nur fünfzehn Minuten an, aber es reichte, damit ich verstand, wieso Isabell sich Sorgen darüber gemacht hatte, ob ihre beste Freundin es überhaupt bis zum Deaf Slam schaffen würde. Noah fing sich zweimal eine Kopfnuss ein, während Amanda ihm ein Bein stellte und mehrmals versuchte ihn aus der Reihe zu kicken.

Das Ganze endete erst, als Noah durch den Stoß dieser Sunny auf den Schoß plumpste und der ganze Rollstuhl zu kippen drohte. Energisch verkündete Sunny mit wütendem Gesicht, dass sie genug von diesen Kinderlein hatte. Sie sei heute 17 geworden und wollte sich mit zivilisierten Leuten treffen und nicht mit Vorschulbabys.

Ich bewunderte das Mädchen, wie sie zeitgleich sprechen und gebärden konnte, ihre Bewegungen wirkten umso zorniger. Meine Mundwinkel zuckten, denn das Chaos hier war nicht anders, als das, was ich mit den Jungs hatte.

Neben mir merkte ich, wie sich Isabells Hand in meine schob und sofort umschloss ich ihre Finger. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht war anders und ich verstand, dass sie sich hier wohl fühlte und glücklich darüber war, dass ich mitkam. Ich legte den Arm um ihre Schulter und zog sie zu mir.

Hier fiel ich nicht auf und zur Abwechslung war das ein ziemlich tolles Gefühl. Auch, wenn sich dazu ein wenig Fremde mischte.

Am Eingang hob Mozzie Sunny aus dem Rollstuhl, der sofort von Noah zusammengeklappt wurde. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass die Gruppe so aufeinander Rücksicht nahm, denn im Inneren gab es erst einige Treppen zu gehen.

Isabell klärte unsere Karten ab und dann betraten wir den großen Raum, wo der Deaf Slam stattfinden sollte. Es gab zentral eine Bühne, rechts und links konnte man Emporen hochgehen, die einen Meter über der Erde endeten. Jemand winkte uns zu und ich erkannte dieses asiatische Mädchen von der Themse.

Vor der Bühne waren zahlreiche Reihen Stühle aufgebaut, doch das schien nicht Mozzies Ziel. Isabell erklärte: „Oben können wir alle zusammen sitzen und Sunnys Rollstuhl stört niemanden."

„Gibt es ein Programmheft?", fragte Eleanor ins Blaue und Isabell schüttelte den Kopf: „Die meisten Slamer melden sich heute erst an. Es ist voll hier, deshalb denke ich, dass es heute auch viele sind, die etwas vortragen."

Die ganze Truppe befand sich nun auf der Empore, man sorgte für einen guten Platz für Sunny und ich sammelte die Jacken ein, die ich zur Garderobe brachte. Dort überrumpelte mich die Tatsache, dass man sich auch dort mit Händen verständigte. Zum Glück musste ich nur die Jacken durchzählen und mir Marken geben lassen.

Doch statt direkt zurück zu den anderen zu gehen, ließ ich den Blick schweifen. Überall wurde sich unterhalten, doch der Lärmpegel war bescheiden und das irritierte mich beinahe. Die Leute unterhielten sich über den Köpfen von anderen hinweg und eine Entfernung schien nicht zu existieren.

Dabei blieb alles so... leise.

Wenn ich das verglich mit dem, was bei mir so los war, dann könnte der Kontrast nicht stärker sein. Der Abend hatte gerade erst angefangen und irgendwie hatte ich mir das leichter vorgestellt.  Isabell zur Themse zu begleiten und einen Deaf Studio - Dreh zu sehen, war die eine Sache. 

Das hier jedoch eine ganz Andere. 

Knapp warf ich diese negativen Gedanken von mir.

Würde schon werden, vielleicht gab es hier Inspiration, denn Isabell ließ bereits durchsickern, dass der Deaf Slam Sprachkunst war und Kunst war immer gut.

So sehr ich mich auch selbst motivieren wollte, umso lauter wurde da eine Stimme im Hinterkopf, die mich spöttisch dafür auslachte. 

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