~33~

Magnus

Mit wippendem Bein saß ich vor dem Behandlungszimmer. Neben mir wie immer Lilly. Vor dem wiegen war ich immer nervös, obwohl ich noch nicht mal wusste warum. Wahrscheinlich lag es daran, das ich mich zu Hause jeden Tag mehrmals gewogen habe. Vor und nach dem Hände waschen, nach dem Sport, nachdem ich auf Toilette war, nach den Treffen mit Alexander. Einfach immer. Hier wurde man einmal in der Woche gewogen. Fünfhundert Gramm musste man in der Woche zu nehmen. Es klang erstmal nicht viel, aber wenn man jeden neuen Gramm an sich selbst sah, war es schwer. Ich wog mich blind, das heißt ich schaue nicht hin. Diese Zahl war immer eine Bestätigung das ich etwas konnte. Sie war quasi ein Beweis, etwas woran ich festhalten konnte. Jetzt wollte ich es gar nicht mehr wissen, denn es würde mich sowieso nur fertig machen. "Kommt dein Schatz heute vorbei?" fragte mich Lilly plötzlich. Ich schüttelte den Kopf. "Er besucht heute seine Mum und außerdem kommen auch noch meine Eltern." Es war zwar kaum vorzustellen, aber ich hatte sie ungern hier. Ich wollte nicht das sie mich so sehen. Der Blick von meiner Mum schmerzte. So mitleidig und schuldbewusst. Obwohl sie es nicht hätte aufhalten können. Alexander war da anders, worüber ich sehr dankbar war. Er sah mich immer noch so an, wie im Café wo wir uns immer wieder gesehen haben und alles so normal erschien. "Ich freu mich übrigens, das ihr beide es endlich geschafft habt, zusammen zu kommen." Unbewusst musste ich lächeln. Nur zu gern erinnerte ich mich an den Kuss zurück. Unsere Lippen, gemischt mit unseren Tränen und diesen endlosen Gefühlen, war es eine bittersüße Empfindung, nach der ich mich immer wieder sehnen würde. Alexander als meinen Freund zu bezeichnen, war immer noch ungewohnt aber keines falls abstoßend. Eher beruhigend und sinnlich. "Schon komisch was für eine Wirkung er auf dich hat." lächelte mir Lilly entgegen. Fragend zog ich die Augenbraue hoch. "Du hast endlich aufgehört mit deinem Bein zu wackeln, das spielen mit dem Saum hast du ebenfalls abgestellt und selbst deine Eltern bringen dich nicht aus der ruhigen Verfassung. Und das alles nur, weil du an diese einzelne Person denkst." Unbeholfen zuckte ich mit den Schultern. "Ich weiß auch nicht wie das sein kann. Aber ich bin froh Alexander zu haben." Sie greift meine Hand und drückt sie kurz. "Magnus? Kommst du bitte?" Langsam stehe ich auf und gehe in den Raum. Dieser bestand nur aus einem Waschbecken, der Waage und einer Behandlungsliege sowie einen kleinen Tisch wo Lydia saß. Selbst beim wiegen versuchten viele zu schummeln. In dieser Klinik gab es genau zwei Jungs. Mich und noch jemanden. Um diesen schien es allerdings schlecht stehen. Die Krankheit war eher unter Mädchen verbreitet. Sie waren anfälliger dafür. Nur zehn bis zwanzig Prozent waren männliche Patienten. Ich schämte mich nicht dafür. Ich war eher froh das ich trotzdem in so einer Klinik behandelt wurde. Denn viele nahmen Jungs nicht an, sie sollten direkt in einem allgemeinen Krankenhaus behandelt werden, was für mich unmöglich erschien. Aber naja, zurück zu den Tricks. Viele steckten sich irgendwelche Metallteile in den Bh oder Dutt, um ihr Gewicht höher zu treiben. Deswegen wurde man auch zu aller erst mit einem Detektor kurz gescannt. Ich selbst nahm diese Therapie hier sehr ernst und wollte deswegen nicht mit so etwas anfangen. Nachdem man bei mir nichts fand, stellte ich mich mit geschlossenen Augen, Socken und zitternden Händen auf die Waage. Lydia ließ die mir unbekannte Zahl ab und ich durfte wieder gehen. Erst draußen konnte ich richtig durchatmen. Mit dem essen war das hier das schlimmste. Es zog an den Kräften, die man sowieso nicht in Mengen besaß. Lily ging nach mir herein. Für sie war es auch nicht einfach. Obwohl sie immer so Taff erschien, hatte sie doch einen weichen, zerbrechlichen Kern. ich schätze sie sehr und hoffe das wir auch nach der Klinik Kontakt halten können. Unbewusst musste ich an meine besten Freunde denken. Cat und Ragnor habe ich immer wieder von mir gestoßen. Ich habe mich gar nicht mehr gemeldet. Die Fassade, die ich über die drei Jahre aufrecht erhalten konnte, schmerzte immer mehr. Ich wollte den beiden nichts mehr vorspielen und da Ana mir gesagt hatte, das sie mich so niemals mögen würden, habe ich es gelassen. Jetzt vermisse ich sie. Ich würde mit ihnen gerne einfach mal wieder reden. Aber wenn ich sie hier her bitten würde, dann müsste ich alles erklären und das wollte ich nicht. Also ließ ich es einfach dabei. "Na mein kleiner Träumer." Lilly grinste mich frech an. Ich streckte ihr nur die Zunge heraus. Zusammen gingen wir in ihr Zimmer, um uns dort die Zeit zu vertreiben.

Keine zwei Stunden später waren meine Eltern da. Beide schlossen mich in ihre Arme. Es war fast der einzige Moment den ich wirklich genießen konnte. Ansonsten ging es nämlich nur um mich und die Krankheit. Ganz anders bei Alexander, der mir auch von seinen Problemen erzählte. Auch wenn ich nicht so viel ertrug wie vor ein paar Jahren, musste ich doch nicht mit Samthandschuhen angefasst werden. "Na mein Schatz. Wie geht es dir heute?" In einer Sitznische die man in jedem Gang findet und von großen Fenstern belichtet wird, setzen wir uns hin. Auch wenn die Frage so simpel erschien, war sie für mich alles andere als das. Es fährt im Kopf ein Karussell und alles dreht sich irgendwie zu schnell. Da war kein Gedanke greifbar. "Ganz gut." gebe ich deswegen wieder. Eine Standard Aussage, die man entweder so hin nahm oder hinter fragte. "Und wie waren die Therapien?" Tief atmete ich ein und aus. Mein Blick war nach draußen gewandt. Sollte ich ihnen sagen, was ich für Alexander empfand? Oder sollte ich erstmal warten? Mochten sie ihn überhaupt? Würde das irgendetwas an dieser jetzigen Situation ändern? Ich wünschte mir das lockere Verhältnis zu meinen Eltern zurück. Das hier war beklemmend und nichts was ich für immer so führen wollte. Meine Mum griff nach meiner Hand und riss mich somit aus diesem Karussell heraus. "Magsy?" Ich habe es mir schon mit meinen Freunde verdorben, ich sollte wenigstens meinen Eltern jetzt Antwort stehen. "Entschuldige, ich bin etwas müde. Könnt ihr wann anders wieder kommen? Ich würde mich lieber hinlegen." Verständlich nicken sie. Also wir aufstehen, umarmen sie mich wieder und ich bin fast erleichtert, das ich dieses Gespräch abwenden konnte. Als sie dann weg sind, merke ich wirklich die Müdigkeit. Ohne nochmal bei Lilly vorbei zu schauen, gehe ich in mein Zimmer und schlafe in dem Augenblick, wo mein Körper die Matratze berührt, ein.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top