~28~
Alexander
Nachdem ich mich nach Magnus Besuch mehrmals übergeben musste und mir immer heißer wurde, habe ich tatsächlich seinen Rat zu Herzen genommen. Ich habe Max für zwei Stunden besucht. Ihm scheint es gut zu gehen, auch wenn er Izzy und mich schrecklich vermisst. Das Ehepaar ist sehr nett. Sie haben mir Tipps gegeben. In mir kam ein kurzer Funken von Traurigkeit auf. Denn die beiden haben sich wirklich Zeit genommen. Sie waren mehr Eltern in dieser Zeit als unsere in den gesamten neunzehn Jahren es nicht waren. Gerade bin ich wieder nach Hause gekommen. Ich ziehe mich um und lege mich dann auf die Couch. Meine Glieder schmerzen etwas und schnell greife ich nach dem Eimer um mich zu übergeben. Ich schalte den Fernseher an und lasse dann meinen Gedanken freien Lauf. Sie wandern zu aller erst zu Magnus. Gestern als wir uns begrüßt haben, ist irgendetwas passiert. Etwas gravierendes. Die Luft hat nach Vertrautheit gerochen. Die Berührung hat gekribbelt. Es hat mir eine Gänsehaut verpasst. Mein Herz hat kurz ausgesetzt um dann viel schneller zu schlagen. Es hat sich alles so richtig angefühlt. Der Augenblick war so zart. So wie ein Schmetterlingsflügel. Zerbrechlich, sanft und dennoch stark. Mit Magnus habe ich nie über Sexualität gesprochen. Ich weiß nicht ob er auch Männer anziehend findet. Vielleicht sieht er mich wirklich nur als besten Freud. Ich kann zu viel darein interpretieren. Doch ich glaube an das was da ist. Er bedeutet mir viel. Und ich mag ihn mehr, als ursprünglich geplant. Aber so ist doch das Leben, oder? Es hat ganz eigene Pläne für die Menschen entworfen und ich sollte eben kein Fotograf werden. Vielleicht sollte alles so ablaufen. Es gibt für alles einen Grund, warum es passiert. Auch wenn ich auf vieles hätte verzichten können. Aber irgendwann werden doch auch mal bessere Zeiten kommen, oder? Wo alles wieder glatt läuft und auch mal die Sonne wieder scheint? Obwohl ich Magnus habe und natürlich auch Imogen und Izzy, die mir helfen, fühle ich mich doch etwas hilflos. Leider gibt es kaum Beratungsstellen, die einen in schwierigen Lebenslagen helfen. Mein Kopf den ich die ganze mit meiner Hand gestützt hatte, sieht nun auf. Das ist es. "Weil du es selbst verstehen sollst. Und das geht nicht in ein paar Sekunden. Du musst es sehen und dann weißt du, dass es das Richtige ist." Magnus Worte hallen durch meinen Kopf. Er hatte recht. mit wackeligen Beinen gehe ich in mein Zimmer und setze mich an meinen Laptop. Kurz betrachte ich meinen Hintergrund. Es ist das erste Bild welches ich von Magnus, bei dem Sonnenuntergang, geschossen habe. So haben wir uns ja irgendwie kennen gelernt. Obwohl auch das Café dazu beigetragen hat. Ich habe noch heute morgen mit Helen und Aline geredet. Ich habe ihnen meine Situation erklärt und sie haben mich verstanden. Ich habe erstmal frei. Sie haben mir versichert das ich meine Stelle behalte und allein dafür war ich ihnen schon sehr dankbar. Izzy habe ich immer noch nichts gesagt und das wird solange bleiben, bis ich mich auskuriert habe. Ich brauche wirklich die Zeit für mich. Es wird mir erst jetzt bewusst aber viel länger wäre es wirklich nicht mehr gegangen. Ich recherchiere und schreibe mir viel heraus. Vielleicht ist es nur eine Schnapsidee aber es wäre eine Möglichkeit, doch einen neuen Traum zu leben. Die Zeit vergeht wie im Fluge und schnell wird es dunkel. Müde klappe ich meinen Laptop zu. In der Küche mache ich mir noch fix einen Tee sowie eine Suppe. Währenddessen genieße ich die Stille, die in dieser Wohnung in der letzten Zeit gefehlt hat. Die in mir gefehlt hat.
Es ist die erste Nacht nach vielen, die ich durch schlafe und überhaupt schlafe. Ich nehme mir die Zeit um im Bett noch etwas zu schlummern. Man konnte nie mit denken aufhören, aber manchmal da dachte man genau an das "Nicht denken". Es war nichts bestimmtes, eher eine gewisse Leere und doch Vollständigkeit, die ich begrüßte. Ich schaffte es den ganzen Tag über mich nicht zu übergeben und auch meine Temperatur ist etwas gesunken. Ich hatte gelesen, weiter recherchiert und dann gab es Momente wo ich nur da gelegen habe. Ich habe meine Decke gemustert und an all das gedacht, wofür ich in der letzten Zeit keinen Platz hatte. Ich räumte die Wohnung auf, weil mich aufräumen schon immer herunter gebracht hat. In meinem Zimmer fiel mein Blick auf die ganze Kamera Ausrüstung die ich besaß. Seit fast vier Monaten hatte ich sie nicht mehr in der Hand. Auch dafür war kein Platz. Ich sah nach draußen. Die Welt drehte sich gerade so, das es wirkte, als ob die Sonne untergehen würde. Ich ging näher und hob sie hoch. Sie lag wie gewohnt schwer und kühl in meiner Hand. Für Außenstehende musste es so aussehen, als hätte ich noch nie eine Kamera in der Hand gehalten. "Vielleicht hilft es ja." Ich schnappe mir noch ein Objektiv und ziehe mich dann an. Der Abend hat die Welt bereits abgekühlt. Ich belüfte meine Lungen mit der kalten Luft. Meine Beine tragen mich zu dem Park, wo ich Magnus fotografiert habe. Es war dieses mal anders. Der Himmel war nicht orange, rötlich. Sondern eher dunkel bis hellblau. Durchzogen von rosa und roten Streifen, die wie tiefe Wunde wirkten. Auch der See wirkte nicht endlos, wie ein Meer. Man sah die Begrenzung und trotzdem war das Stückchen zureichend. Die Sonne, die wie ein Halbkreis noch am Horizont tanzte, ließ die Wasseroberfläche glänzen. Einzelne Glühwürmchen spielten Fange und ließen dadurch alles noch viel magischer wirken. Ich hob die schwere Kamera vor mein linkes Auge und drückte ab. Es war verschwommen, denn das waren mein erstes Bild immer. Ich mochte wie es immer schärfer wurde und man dann diesen 'Wow' Moment hat. Und so schoss ich weiter. Selbst als die ersten Sterne sich für ihren nächtlichen Auftritt bereit machten, hörte ich nicht auf. Zu sehr genoss ich diesen Augenblick, vollkommener Ruhe und Zeit für mich. Es war befreiend mal wieder die Linse vor dem Auge zu haben. Ich habe es vermisst. Ich knipste mir sozusagen die Sorgen vom Leib und für einen Wimpernschlag war alles ok.
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