~25~

Alexander

Ich sehe den Mann vor mir an. Das hat mir gerade noch gefehlt. "Ok, kommen sie doch herein." Ich trete einen Schritt zur Seite und lasse den Mann durchtreten. "Jemand hat uns den Tipp gegeben, das Maxwell momentan unter vielen Streitereien leidet." Ich fahre mir über das Gesicht. Eine Angstwelle bricht über mich zusammen und dennoch zwinge ich mich ruhig zu bleiben. "Das stimmt nicht. Natürlich haben sich unsere Eltern gestritten aber seitdem er hier ist, hat er Ruhe. Ihm geht es gut." Ernst sieht mich der Jugendamt Typ an. Er ist mir unsympathisch. Ich bin froh das die Wohnung ordentlich ist. "Aber sie sind nicht der Erziehungsberechtigte." Ich nicke und biete Mr. Starkweather einen Sitzplatz am Küchentisch an. Sofort holt er einige Unterlagen heraus. "Bei der Adresse wo Maxwell gemeldet ist, habe ich niemanden erreicht. So viel ich weiß sind sie der große Bruder." Ich nicke nur. "Wie lange und warum ist er bei ihnen?" Ich seufze. Lügen bringt sowieso nichts. "Unsere Eltern haben sich getrennt und unsere Mutter ist jetzt in einer Klinik für Alkoholsucht. Max lebt seit einem halben Jahr hier." sage ich monoton. "Wie kommen sie zurecht?" Ich räuspere mich. Am liebsten würde ich ihm sagen, das alles zuviel ist und ich bald selbst in eine Klinik muss, wenn es so weiter geht. Aber ich setze ein lächeln auf. "Sehr gut. Ich bringe ihn zur Schule, danach geht er noch in den Hort. Währenddessen gehe ich arbeiten oder zur Uni. Nachmittags mache ich mit ihm Hausaufgaben. Es funktioniert alles." Ich möchte Imogen und vor allem auch Isabelle da raus halten. Wenn jemand ärger bekommt, dann soll ich es sein. "Kann ich mit Maxwell reden?" Ergeben nicke ich. "Er ist in seinem Zimmer." Ich zeige ihm dieses und gehe dann wieder in die Küche. Ich raufe mir die Haare. Mein Handy klingelt und ohne drauf zu sehen gehe ich heran. "Hallo?" Es knackt kurz bevor ich ein rascheln höre. "Alec? Hörst du mich?" Es ist Simon, der fast schon panisch klingt. Sofort bin ich in voller Sorge. Er ruft mich sonst nie an. "Simon, was ist los?" Wieder rascheln und im Hintergrund ein Stimmenwirrwarr. "Iz, sie ist zusammen geklappt." Vor wenigen Minuten hätte ich noch gesagt das es nicht schlimmer kommen kann. Jetzt würde ich es wieder sagen. Warum kommt jetzt alles auf einmal. Und was habe ich getan, das mich mein Leben so verflucht? "Wie ist das passiert?" Ich gehe hektisch auf und ab. "Sie hatte soviel mit der Schule zu tun und dann hat sie einen neuen Job angenommen, um dich zu unterstützen. Ich glaube sie hat nicht mehr richtig geschlafen oder sogar gegessen. Die wollen mir keine Auskunft geben, da ich kein Familienangehöriger bin." Erschöpft seufze ich auf. "Ich komme sofort. Geb mir nur paar Minuten." Wir verabschieden uns und im nächsten Moment kommt auch schon Mr. Starkweather mit Max wieder. Kritisch sehe ich ihn an. "Alec." Max schmeißt sich in meine Arme und ich hebe ihn hoch. Drücke ihn ganz fest. Der Typ schaut auf seine Uhr. "Ich werde diesen Fall mit meinem Chef besprechen. Sie werden morgen von mir hören. Ich finde allein heraus. Guten Abend." Mein Griff um Max wird unbewusst stärker. "Der Mann hat gesagt, das ich vielleicht in einer anderen Familie besser aufgehoben bin. Aber ich finde es hier doch so toll." Am liebsten würde ich mich jetzt verkriechen. Dieser Besuch hat mir nur gezeigt, das ich doch nicht gut genug für alles bin. Vielleicht bin ich schon längst gescheitert. "Sie werden dich nicht weg nehmen." Max sieht mich durch seine Brille an. "Du bist toll." Ich lächle leicht und muss dabei aufpassen das mir keine Träne entwischt. "Du auch mein Großer. Und für wen gibt es jetzt den größten Teller mit Spagetti?" Fragend sehe ich ihn an. "Ich!" quietscht er. "Wirklich? Ich denke eher ich." Er schüttelt nur wild den Kopf und lacht als ich ihn leicht kitzle. Solange es ihm noch gut, bin ich halbwegs zufrieden. Mir fällt Izzy ein. "Max, wir müssen nochmal wohin. Danach gibt es aber Nudeln, versprochen." Er nickt und so ziehen wir uns an. Im Krankenhaus, frage ich nach meiner Schwester. Die bereits auf einer Station liegt. Momentan sind mir das viel zu viele Kliniken. "Simon." sage ich als ich den Freund meiner Schwester auf einen der Stühle sehe. Sofort springt er auf und begrüßt erst Max und dann mich. "Kannst du kurz auf ihn aufpassen? Ich suche mal einen Arzt." Simon nickt und sieht mich dann kritisch an, sagt allerdings nichts. Worüber ich sehr froh bin. Schnell habe ich einen Arzt gefunden. "Ah ja Mrs. Lightwood hatte einen kleinen Schwächeanfall. Ein paar Tage Ruhe und dann geht es ihr wieder ausgezeichnet. Morgen können sie, sie bereits mit nach Hause nehmen. Sie bleibt nur zur Kontrolle." Etwas erleichtert atme ich auf und teile diese Nachrichten dann Simon mit. "Kannst du sie morgen abholen? Und auch wieder mit zu dir nehmen? Ich glaube da kann sie sich besser ausruhen als bei mir." Wieder nickt er nur. "Klar, ich nehm mir auch frei um auf sie aufzupassen." Ich bedanke mich und gehe dann allein in das Zimmer. Sie sieht etwas blass aus aber ansonsten ist es immer noch Izzy. Als sie mich erblickt zeichnet sich sofort Schuld auf ihrem Gesicht ab. "Alec, es tut mir leid. Aber ich wollte dich wenigstens finanziell unterstützen." Ich setze mich auf die Bettkante und ergreife ihre Hand. "Hauptsache dir geht es gut. Und das mit dem Job lässt du. Ich hab alles im Griff." Meine Stimme ist fest obwohl ich mich gar nicht danach fühle. "Wirklich?" Ich nicke. "Simon wird dich morgen wieder mitnehmen und ich würde mich leider schon verabschieden. Ich habe Max Nudeln versprochen." Sie grinst. "Oh, das Versprechen solltest du nicht brechen." Ich lächle auch. Ich umarme sie und muss dabei aufpassen nicht los zu weinen. Gerade als ich durch die Tür treten möchte, höre ich noch ein "Hab dich lieb, Alec." Schnell blinzle ich. "Ich dich auch."

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Ich habe diese Nacht wieder nicht geschlafen. Ich wollte wenigstens eine Aufgabe für die Uni fertig machen. Gerade habe ich Max in die Schule geschafft und jetzt sitze ich hier. In dem Büro meines Klassenlehrers. Es riecht wie dieser typische Geruch von Schule und alten Lehrbüchern, die schon hunderte in den Händen gehalten haben. "Mr. Lightwood es ist auch mal schön sie wieder zu sehen." Seine Stimme ist ernst. "Entschuldigen Sie bitte. Es war viel los" Es klingt schon fast wie eine Untertreibung. "Sie haben vierzig Pflichtstunden verpasst. Drei zu bewertende Arbeiten nicht abgegeben und das Seminar für bewegende Bilder verpasst, worauf es ebenfalls eine Note gegeben hätte." Ich schließe die Augen. "Noch dazu kommen die ganzen Vorlesungen, die durchaus wichtig gewesen wären, für ihre Teilprüfung, die im übrigens gestern statt gefunden hat. Und ich bin mir fast sicher, das sie keinen Krankenschein haben. Das bedeutet überall die schlechteste Note." Ich schüttle nur den Kopf und sehe dann auf meine gefalteten Hände. "Sie waren einer der besten Mr. Lightwood." Damit reicht er mir drei Blätter. "Das erste ist die schriftliche Bestätigung das sie hiermit von dem Studium ausgeschlossen werden. Das andere ist ihre bisherige erbrachte Leistung und das letzte ist die Begründung warum sie vom Studium zurück gezogen werden." Aus großen Augen sehe ich ihn an. "Warum kann ich nicht einfach nächstes Jahr neu anfangen?" Mitleidig sieht mich mein Klassenlehrer an. "Das hätten sie gekonnt wenn sie rechtzeitig uns bescheid gesagt hätten oder sie eine Krank Schreibung vorlegen könnten. Die Vorsitzenden des Kriteriums haben ebenfalls festgelegt das sie das Studium Fotografie nirgends wo mehr anfangen können. Sie sind vollkommen ausgeschlossen." Es kann doch noch viel schlimmer kommen. Mein Traum ein professioneller Fotograf zu werden ist hiermit geplatzt. "Es tut mir leid, ich konnte nichts mehr für sie tun." Ich nicke nur. "Darf ich gehen?" Er reicht mir seine Hand. Kraftlos schüttle ich sie und verlasse dann die Universität. Erschöpft und vollkommen durch den Wind komme ich im Café an. Ich ziehe meine acht Stunden durch und möchte dann in das Auto steigen um zu Magnus zu fahren. Seine Nähe könnte mir helfen um ein paar Minuten hinunter zu kommen aber mein Handy klingelt mal wieder. "Magnus?" frage ich vorsichtig. "Richtig geraten." Tief atme ich durch. Seine Stimme ist wie Balsam für die Seele. Auch wenn es nur eine dünne Schicht ist. Aber es hilft. Auch wenn ich dies nicht gern zugebe. "Ich wollte gerade zu dir fahren." sage ich mit einem kleinen lächeln. Imogen hat recht. Ich muss mir klar werden was ich fühle. "Deswegen rufe ich an. Ich habe heute nur Therapie. Erst morgen darf mich wieder jemand besuchen." Mein lächeln verfliegt, denn die Hoffnung ihn wieder zu sehen um mit ihm zu reden, erlischt. "Oh na dann komm ich morgen. Aber da wirst du mich nicht mehr so schnell los." versuche ich gespielt fröhlich rüber zu bringen. "Das möchte ich auch gar nicht. Schließlich musst du mir erzählen was bei dir los ist." Es ist verrückt das er es sogar durch das Telefon hört. "Ich denk an dich." flüstert er leise und die Tränen in meinen Augen lassen meine Sicht verschwimmen. "Ich auch an dich, Magnus. Bis morgen." Er verabschiedet sich ebenfalls und nachdem ich die Tränen weg geblinzelt habe, fahre ich los. Bei meiner Mum kann ich erst am Wochenende vorbei schauen. "Alec, du bist schon wieder zu Hause." Imogen kommt aus der Küche und umarmt mich kurz. "Ja, ich mach gleich wieder los um Max vom Hort abzuholen." sage ich ihr, doch sie schüttelt den Kopf. "Das habe ich bereits gemacht. Du kannst dich jetzt schön mal wieder auf die Uni konzentrieren." Ich möchte ihr nicht die Wahrheit sagen. "Nein, da habe ich schon alles erledigt. Du kannst jetzt Feierabend machen." Ein gespieltes Lächeln findet auf meinen Lippen Platz. "Na gut. Meldest du dich wenn ich vorbei kommen soll? Ich passe doch so gerne auf den Kleinen auf." Ich nicke nur und begleite sie zur Tür. "Alec?" kommt es sofort von Max. "Ja mein großer?" schreie ich zurück, während ich zu seinem Zimmer gehe. "Spielst du etwas mit mir?" Ich kann nicht antworten, denn dreimal darf man raten, was mich abhält. Man liegt richtig wenn man die Klingel der Wohnung gedacht hat. Davor steht der Jugendamt Typ mit zwei Polizei Beamten. Ich ziehe nur die Augenbrauen hoch. "Mr. Lightwood ich muss ihn mitteilen das, das Jugendamt entschieden hat, das Maxwell Lightwood erstmal in einer Pflegefamilie untergebracht wird." Mir schnürt es die Luftröhre ab. "Was aber warum?" Die Männer treten ein. Der eine reicht mir ein Blatt, worauf der Beschluss feststeht. "Überforderung?" frage ich entsetzt. "Sie sind zu jung um sich um ihren kleinen Bruder zu kümmern. Er braucht eine anständige Erziehung und nicht einfach jemand der nur auf ihn aufpasst." Damit wendet er sich ab und geht in die Richtung von Max Zimmer. Ich möchte ihn aufhalten, mich schützend vor meinen kleinen Bruder stellen, aber die Beamten greifen mich und halten mich fest. "Machen sie es nicht noch schlimmer." sagt der eine und ich hätte ihm gerne seine viel zu lange Nase gebrochen. Wenig später kommt Max zu mir gerannt. Die Beamten lassen mich frei und ich kann meinen kleinen Schatz in die Arme schließen. Er weint bitterlich und auch mir fällt es schwer alles zurück zu halten. "Sie es als Urlaub an. Du lernst neue Leute kennen und sicherlich sind die auch ganz nett." Er schüttelt nur den Kopf an meiner Halsbeuge. Ich drücke ihn wie gestern ganz fest an mich. "Du kannst bald wieder zu mir zurück kommen. Ich hol dich ab." Aus tränenunterlaufenen Augen sieht er mich an. Seine Brille ist verrutscht. "Versprochen?" Ich nicke nur und hauche einen Kuss auf seine Stirn. "Sei schön brav." Ich lasse ihn herunter und sofort steht Mr. Starkweather neben ihn, mit einer Tasche. "Sie können ihnen zu bestimmten Zeiten besuchen. Schönen Tag noch." Ich winke Max hinter her und sehe wie weiterhin große Tränen über seine Wangen rollen. Er reißt sich los und rennt wieder auf mich zu und wieder drücke ich ihn ganz fest an mich. "Izzy und du seid die einzigen, die ich habe. Nicht mal Mum wollte auf mich aufpassen und jetzt können sie mich dir nicht wegnehmen." Ich versuche für Max stark zu sein. "Wir schaffen das, schneller als du schauen kannst, bist du wieder bei uns." Mr. Starkweather vertrete die Augen. Kurz darauf fiel die Haustür zu und genau jetzt, in diesem Augenblick war dieser Moment gekommen, wo alles zu viel wurde. Meine Beine gaben unter dem Gewicht dieser ganzen Sorgen nach. Meine Knie prallten schmerzhaft auf den Boden und die Tränen konnte ich ebenfalls nicht mehr aufhalten. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und schlug diese immer wieder gegen den Boden. "Nein!" Ich schrie aus vollem Leibe. Ich schluchzte auf und gleichzeitig schrie ich. Ich konnte nicht mehr. All die Last brach zusammen, wie ein Kartenhaus im Wind. Das Licht der Hoffnung erlosch und ich merkte selbst wie ich alles gute verlor. So wie ich mein Studium verloren habe, meine Eltern, Max. Alles war zu viel und ich wollte alles nicht mehr. Es war zu viel. Immer wieder schlug ich auf den Boden ein, schrie und rang nach Luft, nur um wenig später komplett zusammen zu brechen. Jegliches Adrenalin verließ meinen Körper und so weinte ich einfach stumm leise vor mich hin.

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