Kapitel 6 - Eindrücke
Einar grub mehrere Gräber, während Greta auf einem Stein hockte, ihre Knie umschlungen und sich selbst vor und zurück wiegte.
„Ich weiß, dass der Anblick schlimm ist. Aber wir müssen jederzeit mit so etwas rechnen!", versuchte er sie zu beruhigen.
Sie schniefte leise vor sich hin, nickte dann aber.
Es war der erste gute Tag seit langem. Sogar die Sonne schien und der Eisregen hatte endlich einmal aufgehört.
Greta hatte wieder mit dem Frühstück auf ihn gewartet und wollte danach die nächsten Häuser erkunden. Einar war froh, dass sie wirklich ohne Angst los lief, als ob alles ein großes Abenteuer und keine Flucht für sie wäre. Sie wirkte fröhlich und nicht mehr so verängstigt wie das vorher der Fall gewesen war.
Das erste Haus war in etwa so gewesen, wie das, was sie nun bewohnten. Am dritten Haus hatten sie einen kleinen Silo gefunden. Getreide war darin gewesen. Bestimmt war es schon sehr alt, aber durch das Eis sehr gut konserviert. Greta hatte es im zweiten Haus ausgebreitet und dort den Ofen angemacht. Sie hoffte, sie konnte von dem Getreide noch etwas retten.
Einar hatte dort auch einen Wagen gefunden, der viel mehr Sachen tragen konnte, als die Schlitten. Er hatte beschlossen, dass er den Wagen und einen Schlitten mitnehmen würde. Den anderen Schlitten würden sie hierlassen.
Voller Vorfreude war Greta in das nächste Haus gerannt, bevor Einar sie aufhalten konnte.
Sie hatte geschrien und er war ihr hinterhergerannt. Sie war in dem Wohnraum gestanden und hatte nicht aufgehört zu schreien. Vor ihr lagen Skelette. Es waren vier. Zwei in ihrer Größe und zwei kleinere. Man konnte erahnen, dass es sich hier um eine Familie gehandelt hatte.
Er hatte sie in seine Arme genommen und nach draußen getragen.
Immer wieder hatte er ihr über den Rücken gestreichelt und ihr beruhigende Worte gesagt. Doch es hatte lange gedauert, bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.
Irgendwann hatte sie gebeten, ob er Gräber ausheben konnte.
Es war Schwerstarbeit, da der Boden immer noch gefroren war. Am Anfang hatte sie mitgeholfen, aber immer wieder hatte sie angefangen zu weinen, bis er sie auf diesen Stein gesetzt und alleine weiter gemacht hatte.
„Ich bin bald fertig damit. Wenn du sie nicht noch einmal sehen willst, dann solltest du weggehen!"
Sie nickte und entfernte sich.
Er holte die Skelette und legte jedes in ein Grab. Dann schaufelte er alles wieder zu.
„Greta! Ich bin fertig."
Seltsamerweise kam sie von dem Haus, in dem die beiden die Skelette gefunden hatten.
„Der Vater hieß John! Die Mutter Anne und die Kinder John Junior und Elisabeth!"
Einar hob eine Augenbraue.
„Du hast nach den Namen gesucht?"
Sie nickte.
„Ja. Ich...ich weiß, es ist wahrscheinlich dumm...aber...aber..."
Sie holte Bretter aus dem Haus. Es waren wohl einmal Schranktüren oder so etwas Ähnliches gewesen. Sie hatte alle beschriftet.
Wortlos nahm Einar ihr die Bretter ab und rammte sie in die Erde, die nun gelockert war.
„Es ist nicht dumm. Es zeigt, dass wir sie ehren!"
Er legte ihr einen Arm um die Schulter.
„Es war wohl ein anstrengender Tag. Oder? Ich denke, wir machen Schluss für heute und ich werde morgen alleine losgehen."
Sie schüttelte bestimmt den Kopf.
„Nein! Du hattest Recht. Wir müssen immer wieder mit so etwas rechnen. Ich darf nicht so weich sein! Es hat mich nur erschrocken, dass ich sie so gefunden habe! Es tut mir leid."
Er zog sie noch näher an sich heran.
„Hör auf damit. Du brauchst dich dafür nicht entschuldigen."
Sie schluchzte wieder. Einar seufzte und umarmte sie nun.
„Nein! Nicht weinen! Es ist alles gut!"
Langsam verebbten die Schluchzer, aber sie hob ihren Kopf nicht.
„Du bist so ruhig geblieben."
Ihre Stimme war sehr leise, aber er hatte verstanden, was sie gesagt hatte.
„Das liegt nicht daran, dass ich hart oder ein Mann bin, Greta. Es liegt daran, dass ich schon oft Leichen gesehen habe."
Nun sah sie ihn endlich an.
„Warum?"
Er zuckte mit den Schultern.
„Ich habe über ein Jahr in der Eiswüste gelebt. Man findet dort immer einen Jäger, der die Eiswüste nicht überlebt hat und von seinen Leuten zurückgelassen wurde."
Sie starrte ihn an.
„Das Grab! Es gab wirklich Gräber. Du hast sie alle begraben?"
Er nickte.
„Es ging mir dabei um Respekt, den die anderen nicht für die Toten hatten!"
Sie strich ihm über die Wange.
„Du bist wirklich ein besonderer Mann, Einar!"
Norwin fluchte.
Wieder einen Tag, den sie nicht weiterkamen.
Sie saßen in einer Höhle und mussten warten, bis das Wetter besser wurde.
Fjolnir schwieg.
Das war ungewöhnlich, denn eigentlich redete sein Bruder immer ohne Unterlass. Nun saß Fjolnir am Feuer und starrte dumpf vor sich hin. Norwin schnaubte.
„Was ist?", schnarrte er.
Fjolnir sah ihn an und Norwin sah, dass die Bewunderung in ihnen fehlte, die er immer in den Augen seines kleinen Bruders gesehen hatte. Stattdessen war da Vorsicht und auch ein Hauch Verachtung.
„Was soll sein? Nichts ist! Wir sitzen fest und wir kommen nicht vorwärts!"
Norwin nickte.
„Das stimmt. Ich befürchte auch, dass Greta mittlerweile schon einen meilenweiten Vorsprung hat!"
Fjolnir sah wieder in die Flammen.
Ganz offensichtlich ging es ihm nicht mehr um die Jagd auf ihre Schwester. Irgendetwas anderes trieb ihn. Etwas, was Norwin nicht verstand.
Er legte sich wieder in seine Felle, stützte seinen Kopf auf den Unterarm.
„Warum hasst du Greta so?", fragte Fjolnir auf einmal.
Norwin drehte seinen Kopf zu ihm.
„Sie ist eine Frau! Schon alleine das sollte genügen. Aber sie war der Grund, warum Mutter verbannt wurde. Vater folgte Mutter und unsere Familie ist in Ungnade gefallen. Du kennst die Geschichte und weißt, wie lange wir gebraucht haben, dass die Männer nicht vor uns auf den Boden gespuckt haben!"
Fjolnir zuckte mit den Schultern.
„Dag hat sich unseren guten Ruf wieder zurückgeholt und trotzdem hast du Greta verachtet."
Norwin nickte.
„Es heißt ja nicht, dass wenn wir etwas richtigstellen, dass sie keine Schuld mehr daran hat. Sie wird immer Schuld an dem tragen."
Fjolnir sah wieder ins Feuer. Er schien nach zu denken.
Norwin war es Recht. Er wollte sich nicht mit einem dummen Jungen über seine Beweggründe sprechen.
Er hatte Greta gehasst, als er sie das erste Mal gesehen hatte. Dabei war er selbst noch ein halber Junge gewesen. Seine Mutter hatte so glücklich ausgesehen, als sie das Bündel in den Armen hielt. Obwohl sie wusste, was ihr bevorstand, liebte sie das Balg. Und auch sein Vater trug Greta öfters auf seinen Armen. Man sah den Schmerz in seinen Augen, aber er hatte nie ein böses Wort gegen Greta gerichtet.
Die Verbannung hing wie ein Damoklesschwert über seiner Familie. Sie wussten alle, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Ältesten beschlossen, seine Mutter zu verbannen. In der Zeit durfte sein Vater seine Mutter nicht berühren oder Anfassen. Trotzdem hatte er es getan. Immer wieder hatte er sie in seinen Armen gehalten, als ob sie das Wertvollste war, was er besaß. Dabei hätte er sie hassen sollen, weil sie ihm nur ein Mädchen geboren hatte.
In Norwins Augen war sein Vater, obwohl er ein Mann wie ein Baum war, sehr schwach.
Als er vor ein paar Tagen in sein Heim gekommen war, hatte Dag ihn so sehr an seinen Vater erinnert und er hatte auch angefangen Dag für diese Schwäche zu hassen. Waren alle Männer in seiner Familie solche Waschlappen? Sogar Fjolnir fing an, Dinge zu hinterfragen. War er der Einzige, der wirklich einem Mann entsprach, wie der Älteste es verlangte?
Norwin war schon in anderen Siedlungen und Dörfern gewesen. Dort war es auch Sitte, dass die Frauen nichts wert waren. Aber nie hatte er davon gehört, dass sich ein Mann in seine Frau verliebt hatte. Nur sein Vater und nun auch sein Bruder hatte dieser Fluch ereilt. Und es war ein Fluch.
Ein Mann musste stark sein für seine Söhne. Er durfte keine Schwäche zeigen. Und die Frauen hatten zu tun, was der Mann verlangte. Er hatte selbst gelesen, dass dies die Götter verlangten. Verdammt, er war jeden Tag damit aufgewachsen, sobald er alt genug dafür war, beim Ältesten zu lernen. Es wurde ihnen beinahe eingeprügelt. Und dann sah Norwin seine schwache Familie, für die er sich schämte. Nicht einmal sein Zwillingsbruder verstand ihn.
Und Greta?
Nun, sie war dazu bestimmt Thorstan zu heiraten. Norwin war auch bei ihm gewesen, doch Thorstan wollte nichts davon wissen, seiner verlorenen Braut hinterher zu gehen. Er hatte eine Neue und mit der war er offenbar zufrieden.
Es schien so, als ob sie ihn alle nicht verstehen würden.
Greta hatte sich ihrer Verantwortung entzogen und war dann auch noch bei einem völlig fremden Mann untergekommen, der sich der Familie nicht einmal vorgestellt hatte. Aber so wie er Greta kannte, war er bestimmt ein Schlappschwanz, der sich mit Leichtigkeit um den Finger wickeln ließ!
„Ich würde gerne wissen, welcher Mann sich mit einer Frau belastet! Freiwillig!", murmelte er.
Fjolnir sah ihn seltsam an.
„Ich habe die Hütte gesehen, die er besessen hatte. Egal, wer er war, aber er schien schon länger dort zu leben. Und wer mitten in der Eiswüste lebt, verdient Respekt!"
Norwin war ganz anderer Ansicht.
„Er war kein alter Mann! Ich kenne die Einsiedler, die normalerweise in der Eiswüste leben. Es sind meist die, die ihre Frau verbannt haben. Sie haben keine Söhne und sind zu alt, um noch ein Weib zu nehmen. Aber das war er nicht. Er war etwa in Dags Alter. Er überragte mich und trotz der warmen Kleidung konnte ich erkennen, dass er stark war. Außerdem habe ich dort Bücher gesehen. Keine, wie wir sie kennen. Es waren alte Bücher vom alten Volk."
Fjolnir hob eine Schulter.
„Vielleicht hat er einfach keine passende Frau abbekommen. Vielleicht wollte er hier zur Ruhe kommen, bis sich etwas Passendes findet!"
Norwin schnaubte.
„Und dann haut er mit unserer Schwester ab? Gerade mit ihr? Jeder anständige Mann hätte sie verprügelt und sie nach Hause gebracht. Aber er nicht!"
Fjolnir schien keine Lust mehr zu haben, über den Kerl zu diskutieren. Wortlos legte er sich in seine Felle und drehte Norwin den Rücken zu.
Der sah zur Decke.
Wirklich niemand verstand ihn.
Greta wurde hochgehoben.
Verschlafen öffnete sie die Augen.
„Einar?", murmelte sie.
Er lächelte sie an.
„Schlaf weiter. Ich bringe dich nach oben."
Ihr Kopf ging automatisch zu seiner Brust, als ob er dort hingehören würde.
„Bin ich eingeschlafen?"
Er nickte.
„Es war wohl etwas zu aufregend heute für dich."
Das konnte man wohl so sagen.
Nachdem Einar die Skelette begraben hatte, waren sie doch noch einmal in das zweite Haus gegangen, um nach dem Getreide zu sehen. Leider war der größte Teil wirklich verdorben und mit dem anderen Teil konnte man nichts anfangen, weil sie mickrig waren. Einar hatte heftig geflucht und war aus dem Haus gegangen. Greta hatte die Getreidekörner in einen dieser Beutel getan und sie in ihre Jacke gepackt. Sie konnte nicht sagen, warum sie das getan hatte, aber es erschien ihr in dem Fall sinnvoll.
Als sie aus dem Haus gehen wollte, hatte sie noch eine Tür bemerkt, die sie am Morgen wahrscheinlich übersehen hatten. In dem kleinen Raum dahinter, hatte sie wieder viele von den Beuteln entdeckt und auch Bücher.
Sie hatte alles zusammengepackt und in ihr Haus getragen.
Einar hatte sich schon wieder beruhigt und nach dem Essen begannen beide zu lesen.
Greta war dann wohl eingeschlafen.
Einar legte sie auf die Schlafstelle und deckte sie zu.
Es dauerte eine Weile bis er sich auch zu ihr legte und die Kerze löschte.
Sobald es dunkel wurde, kamen Greta wieder die Bilder der Skelette in den Sinn. Sie zitterte, als sie daran dachte, wie eine Familie ausgelöscht worden war.
Greta hatte den Männern oft heimlich zugehört, wenn sie sich unterhalten hatten, was wohl passiert war. Einige Männer glaubten nämlich nicht daran, dass es schon immer diese Eiswüste gegeben hatte. Und auch wenn sie es vor den Ältesten nie laut ausgesprochen hatten, waren sie sich sicher, dass es ein Ende der Eiswüste gab.
Greta konnte das ja jetzt bestätigen.
Es war ganz offensichtlich, dass die meisten geflohen waren. Vor was auch immer.
Aber diese Familie schien allem getrotzt zu haben und war in ihrem Heim geblieben. Wahrscheinlich hatten sie wirklich nicht lange überlebt.
Wieder ging ein Zittern durch ihren Körper und sie drückte ihre Faust gegen den Mund, damit Einar nicht hörte, wie sie wieder anfing zu weinen.
Auch wenn er gesagt hatte, dass sie ruhig weinen sollte, wenn ihr danach war, fühlte sie sich peinlich berührt. Sie wollte nicht vor ihm weinen.
Sie spürte einen Arm, der sie nach hinten zog und dann wurde sie schon an Einars Körper gedrückt.
„Du denkst wieder an diese Familie, oder?"
Sie nickte, unfähig den Mund auf zu machen, ohne dass ein Jammern herauskam.
Er drehte sie zu sich um, damit ihr Gesicht an seiner Brust lag. Seine ruhigen Atemzüge beruhigten sie etwas.
„Ich weiß nicht was geschehen ist!", fing er nach einer Weile an. Sein Kinn rieb sanft auf ihrem Haar. „Aber sie waren zusammen, als sie gestorben sind. Das ist zwar jetzt kein großer Trost, aber sie hatten sich!"
Sie nickte und er zog sie noch näher an sich.
„Meinst du, sie sind verhungert?"
Er schüttelte den Kopf.
„Nein! Ich glaube eher, sie haben sich selbst etwas angetan!"
Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust und schlug sich eine Hand vor den Mund.
„Sich selbst etwas angetan? Wie kann man seine Kinder umbringen?"
Sofort bereute sie ihre Worte wieder. Sie erinnerte sich, wie er von seiner Mutter erzählt hatte, die vor seinen Augen die Mädchen umgebracht hatte.
„Es tut mir leid, Einar. Das hätte ich nicht sagen sollen!"
Er zuckte müde mit den Schultern.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es stimmt doch! Ich wäre nie in der Lage gewesen, mein eigenes Kind zu töten. Egal ob es ein Mädchen wäre. Ich denke, ich bin in der Beziehung deinem Vater nicht unähnlich. Aber was diese Familie angeht...wir wissen nicht, was passiert ist. Vielleicht war die Lage so aussichtslos, dass die Eltern beschlossen haben, die Kinder nicht weiter zu quälen."
Greta wurde nachdenklich. Dann sah sie Einar an.
„Sie müssen wirklich verzweifelt gewesen sein, wenn die Eltern zu solchen Mitteln griffen."
Einar nickte.
„Das denke ich auch! Ich denke, wir sollten nicht immer gleich vorschnell über andere urteilen!"
Sie lächelte leicht und kuschelte sich einen Moment wieder an ihn.
„Ich glaube, ich war die Einzige, die vorschnell ein Urteil gesprochen hat. Dafür möchte ich mich entschuldigen."
Er lachte leise.
„Du entschuldigst dich heute sehr oft. Dabei gibt es nichts zu entschuldigen."
Er zog sie näher an sich.
„Du solltest jetzt schlafen. Ich will nicht mehr lange hierbleiben. Wenn das Wetter morgen genauso gut ist, wird morgen Nacht die letzte hier in Opal sein!"
Sie seufzte. Es war warm in seinen Armen und sie merkte, wie die Müdigkeit wieder Oberhand nahm.
„Eigentlich sehr schade!"
Er lachte wieder leise.
„Glaube mir, wenn da nicht die andere Sache mit deinem Bruder wäre, würde ich hier auch nicht wegwollen!"
Sie nickte und schloss die Augen.
„Ich auch nicht!"
Dag suchte Freya.
Er war von einem der Dorfältesten aufgehalten worden und war spät dran. Das Essen war auf dem Tisch und Kal war alleine dort gesessen und hatte auf ihn gewartet.
„Wo ist Freya?", hatte er seinen Bruder gefragt, der mittlerweile der Einzige war, der hier noch wohnte. Aber Kal hatte sich arrangiert und sich einen Anbau neben der Scheune erschaffen. Dort hatte er sein eigenes Zimmer und kam Dag und seiner Frau nicht ins Gehege. Er selbst schien sich noch nicht für eine Frau entschieden zu haben.
Nowak hatte das Mädchen, das er sich ausgesucht hatte, schnell geheiratet und sie lebten in einer sehr kleinen Hütte neben Dag. Aber es reichte ihnen offenbar. Ylva, so hieß Nowaks Frau, kam oft zu Freya während die Männer weg waren. Auch wenn er Nowak nichts mehr zu sagen hatte, bestimmte Dag, dass sie mindestens dreimal in der Woche alle zusammen aßen.
Es hatte sich eine Gemeinschaft in der Gemeinschaft gebildet, was den Ältesten ein Dorn im Auge war. Besonders, weil Dag und Nowak ihren Frauen gewisse Freiheiten gönnten, die sie störten.
Dass die Beiden ihre Frauen als gleichberechtigt ansahen, ließ Dag lieber nicht in die Öffentlichkeit kommen.
Aber genau um das hatte sich das Gespräch gedreht, das Dag mit dem Dorfältesten geführt hatte.
Natürlich wurde Dag wieder die Tat seines Vaters vorgeworfen und eine versteckte Drohung hat es auch gegeben, dass er wieder in der Gunst der gesamten Dorfgemeinschaft sinken würde, wenn er vom rechten Weg abkommen würde.
Auch wenn es Dag geärgert hatte, sich wie ein kleiner Junge schelten zu lassen, hatte er zähneknirschend dem Ältesten versichert, dass die Frauen wieder in die Kandare genommen werden würden. Selbstverständlich hatte er es nicht vor, aber er musste mit Freya reden, dass sie und Ylva vorsichtiger sein sollten. Besonders, wenn sie mit anderen Frauen zusammenkamen, was selten, aber dennoch vorkam.
Die meisten Frauen hatten bei ihren Männern nichts zu sagen, aber dennoch hatte sich ein Netz gebildet, welches einige Frauen gesponnen hatten, die sich Vergünstigungen versprachen, wenn sie Informationen an ihre Männer weitergaben. Es waren die Frauen, deren Männer die Mächtigsten im Dorf waren und die ihre Frauen eigentlich besonders grausam behandelten.
Dag nahm an, dass die Eifersucht eine gewisse Rolle spielte.
Aber das Netz dieser Frauen hatte schon zu einigen Bestrafungen geführt und Dag wollte seine Frau davor schützen.
Er war ganz in Gedanken versunken gewesen, als Kal ihm einen Holzlöffel an den Kopf geschmissen hatte und ihm erklärte, dass Freya in der Scheune wäre.
Und dort war er jetzt, aber von Freya fehlte jede Spur.
Die zwei Schweine, die er gefangen hatte, grunzten friedlich, aber ansonsten war es ruhig. Er wollte schon wieder hinausgehen, als er das Schluchzen hörte, das von hinten herkam.
„Freya?", fragte er leise, doch sie antwortete nicht.
Er folgte dem Schluchzen und fand seine Frau in einer Ecke sitzend. Sie musste schon eine ganze Weile geweint haben, denn ihr Gesicht war angeschwollen und die Nase rot.
Schnell kam er zu ihr und umarmte sie fest, was sie wieder zum Weinen brachte.
Verdammt, wer hatte seiner Frau so wehgetan, dass sie sich kaum beruhigen ließ? Er würde denjenigen umbringen.
„Was ist los, Freya? Was ist passiert?"
Sie schluchzte wieder leise.
„Es tut mir leid, Dag. Ich wollte nicht, dass es so früh geschieht. Ich meine, wir sind gerade einmal zwei Monate verheiratet und nun..."
Wieder schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte.
Dag verstand gar nichts. Was war zu früh geschehen? Was meinte sie?
„Beruhige dich, Mädchen und dann erkläre mir, was dann passiert ist!"
Sie sah ihn traurig an und Dag hätte in dem Moment alles getan, nur um diesen Gesichtsausdruck von ihr zu nehmen. Sie war wirklich verzweifelt.
„Ich...ich bin schwanger!"
Dag stockte der Atem. Ungläubig starrte er sie an. Dann grinste er breit.
„Das ist es? Das macht dir Sorgen? Verflixt, Freya, du hast mir einen Schrecken eingejagt!"
Er nahm sie in seine Arme und küsste ihre Schläfe.
„Das sind doch großartige Neuigkeiten. Ich freue mich so auf unser Kind!"
Sie erstarrte in seinen Armen und drückte ihn dann von sich weg.
Dag verstand nicht, was er falsch gemacht hatte.
„Auch auf ein Mädchen?"
Nun verstand er und seine erste Freude bekam einen kräftigen Dämpfer. Doch dann lächelte er.
„Ja, ich freu mich auch auf ein Mädchen!"
Sie schlug ihm auf die Brust.
„Du bist ein Blödmann, Dag. Du freust dich vielleicht, aber dann muss ich gehen!"
Sie senkte den Kopf.
„Ich will dich nicht verlassen!", murmelte sie.
So vorsichtig wie möglich nahm er sie in seine Arme. Er wiegte sie eine Weile wie ein kleines Kind. Dann hob er mit seinem Zeigefinger ihr Gesicht an.
„Glaubst du wirklich, ich würde dich gehen lassen? Glaubst du, ich würde hier mit unserer Tochter bleiben und seelenruhig zusehen, wie du in die Eiswüste gehst?"
Sie zuckte mit den Schultern.
„Du müsstest es tun! Und dann musst du dir eine neue Frau suchen und hoffen, dass sie unser Mädchen nicht schlägt oder misshandelt. Ich würde in die Eiswüste gehen und dort sterben! So wie deine Schwester! Ich glaube den Mist nämlich nicht, den Norwin erzählt hat. Sie konnte dort nicht überleben! Sie hatte nicht die Ausrüstung dazu! Und keine Erfahrung! Wie soll sie sich denn in der Eiswüste zu Recht finden ohne irgendwelche Hinweise oder Kompass! Und ein junger Mann, der Eremit spielt? Das glaube ich schon mal gar nicht. Norwin wird sich in seinem Wahn etwas eingebildet haben!"
Dag verzog etwas das Gesicht, aber Freya merkte es sofort. Sie sah ihn empört an.
„Du verschweigst mir doch etwas, Dag!"
Er holte tief Luft.
„Es ist im Bereich des Möglichen, das Greta sehr wohl überlebt hat. Sie hatte einen Kompass und eine Karte. Und den Mann gibt es wirklich. Ich habe nachgefragt. Ein gewisser Einar hat sich in die Eiswüste zurückgezogen, weil seine Mutter ihn umbringen wollte."
Das traurige Gesicht war verschwunden und stattdessen machte sich Staunen darin breit.
„Ich glaube, du hast mir etwas zu erklären, Dag!"
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