Kapitel 2 - "Wehe, du gibst auf!"

Greta hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Sie war in einer Fieberwelt gefangen, die sie nicht so einfach freigab. Sie träumte viel. Meist waren es Albträume von ihren Brüdern, die sie jagten.

Du entkommst uns nicht, Greta! Wir bekommen dich und du wirst sterben!

Sie wusste nicht, wie oft sie im Fieberwahn aufschrie und wild um sich schlug.

Immer wieder wurden ihre Hände festgehalten und jemand sprach beruhigend auf sie ein.

„Ruhig, Greta. Du bist in Sicherheit! Sie bekommen dich nicht! Ich passe auf, dass hier niemand reinkommt!"

Sie wehrte sich gegen die Arme, die sie festhielten, wenn sie wieder anfing zu schreien. Doch sie wurde festgehalten und gegen einen Körper gepresst, bis sie wieder ruhig war.

Sie fror erbärmlich, dann war ihr wieder heiß.

Und immer kam genau das, was sie benötigte.

„Mach den Mund auf! Du musst schlucken, Greta. Nein, kein Gift. Es ist Suppe! Nur Suppe!"

„Nein! Halte still. Ich kühle dich nur ab!"

Sie hatte keine Ahnung, wer das war. Aber er ließ nie locker.

Egal, wie oft sie aufgeben wollte, er hinderte sie daran. Forderte sie! Gab ihr aber auch Ruhe, wenn sie zu aufgewühlt nach einem Albtraum war.

Doch irgendwann schien auch er verzweifelt zu sein.

„Greta! Tu mir das nicht an! Wehe du gibst jetzt auf!"

Und irgendwie schaffte sie es dann auch immer wieder neue Kraft zu schöpfen.

Es dauerte lange, aber dann wurde ihr Schlaf ruhiger, die Albträume hörten auf.

Sie wachte auch auf, hatte aber keine Ahnung, wo sie war.

Alles war ihr unbekannt.

Das erste Mal, als sie aufwachte und einigermaßen bei Sinnen war, blickte sie sich verwundert um. Sie war in einer Hütte. Alles war völlig fremd für sie. Es gab einen Kamin, in dem ein Feuer prasselte. Ein Topf hing über dem Feuer und es roch herrlich nach Eintopf. Als sie den Kopf hob, sah sie verschiedene Waffen und auch getrocknetes Fleisch von der Decke baumeln. Es war eine kleine Hütte, aber sie war sauber und ordentlich. Suchend drehte sie ihren Kopf, aber sie war alleine. Sie wollte sich aufsetzen, aber ihr fehlte die Kraft. Seufzend fiel sie wieder in die Decken und schlief ein.

Das nächste Mal wurde sie geweckt.

„Du musst essen, Greta!"

Sie öffnete die Augen und sah endlich das Gesicht des Mannes, der sie wohl gerettet hatte. Langsam kamen wieder die Erinnerungen, als er sie gefunden und mitgenommen hatte. Damals hatte sie nur seine Augen gesehen. Doch nun sah sie sein ganzes Gesicht. Gut, das meiste war mit einem Bart bedeckt, aber die blauen Augen blickten sie schelmisch und gleichzeitig besorgt an. Er war groß, soweit sie das beurteilen konnte. Die Nase war wohl schon einmal gebrochen gewesen, aber er hatte es wieder geraderichten können. Dass er stark war, wusste sie schon, seit er sie mit Leichtigkeit und ohne große Anstrengungen durch den Schnee gezogen hatte. Aber nun sah sie zum ersten Mal seine Muskeln und die waren sehr beeindruckend. Seine Kleidung war einfach und schlecht genäht, aber ordentlich und sauber. Seine Haare waren zwar geschnitten, aber eher schlecht als recht. Seine Locken standen wild vom Kopf ab.

Er trug eine kleine Schale, aus der es köstlich duftete. Doch er setzte sie auf dem Boden ab und half Greta sich auf zu setzen. Einen Moment wurde ihr übel und sie würgte.

„Langsam! Atme tief durch. Du hast sehr lange geschlafen! Es kann auch sein, dass es dir schwindlig wird!"

Oh ja! Sie riss kurz die Augen auf, als der Schwindel über sie kam. Doch es verging rasch.

Er setze sich zu ihr und nahm die Schale wieder auf.

„Bald wird es dir bessergehen. Du brauchst nur noch etwas Ruhe und gutes Essen."

Als er ihr einen Löffel an den Mund hielt, wollte sie erst protestieren und ihm erklären, dass sie selbst essen könnte. Doch die verflixte Schwäche lehrte sie besseres.

So kam es, dass er sie fütterte wie ein kleines Kind.

Aber Greta musste zugeben, dass der Eintopf wirklich sehr lecker schmeckte. Sie aß, bis er aufhörte ihr den Löffel an den Mund zu heben.

„Das reicht erst einmal. Möchtest du trinken?"

Sie nickte.

Trotz der Flüssigkeit des Eintopfs, war ihr Hals ausgetrocknet. Er gab ihr gesüßten Tee zu trinken. Sie riss erstaunt die Augen auf.

„Was ist das? Das ist...süß?"

Er lachte leise.

„Ich habe Honig in den Tee getan. Ich dachte, du magst es etwas süßer!"

Sie nahm noch einen Schluck und schloss verzückt die Augen.

„Ich habe noch nie Honig gegessen!"

Nun war er es, der verblüfft die Augen aufriss. Aber es dauerte nicht lange und er nickte wissend.

„Ich denke mal, du kommst auch aus so einem Dorf in dem nur die Männer das Sagen haben und die Frauen davongejagt werden, wenn sie Mädchen zur Welt bringen oder schlauer als die Männer sind!"

Sie nickte vorsichtig. Konnte sie ihm trauen? Gut, er hatte sie gerettet, aber das sagte ihr nicht, dass er sie nicht zu ihren Brüdern bringen würde, sobald sie wieder bei Kräften war. Doch der nächste Satz erklärte es eigentlich deutlich.

„Ich bin auch abgehauen! Ich war der Jüngste von zehn Söhnen. Ich wurde geschlagen und hatte nichts zu Hause zu sagen. Irgendwann erklärte ich meiner Mutter, dass ich keine Frau haben will, wenn ich sie wieder davonjagen muss, nur weil sie das falsche Kind bekommt. Das hat niemand in meiner Familie verstanden. Meine Brüder haben mich verprügelt und ich bin in der Nacht fort. Hier bin ich zwar alleine, aber es ist immer noch besser, als das was ich erleben musste!"

Er hob die Hände.

„Natürlich hast du Schlimmeres erlebt."

Sie runzelte die Stirn.

„Woher willst du das wissen?"

Er stand auf und nahm die Schale in die Hand.

„Du hast ziemlich viel gesprochen, als dein Körper mit dem Fieber kämpfte. Dieser Norwin...er ist dein Bruder. Habe ich Recht? Und du meinst, er ist immer noch hinter dir her!"

Sie nickte.

„Ja! Ich bin mir sehr sicher. Er hasst mich. Seiner Meinung nach bin ich daran schuld, dass meine Eltern verschwunden sind. Bin ich ja eigentlich auch!"

Einar stellte die Schale neben eine große Schüssel. Sie nahm an, dass er dort das schmutzige Geschirr sammelte. Doch nun hielt er inne und senkte seinen Kopf.

„Nein. Du bist nicht schuld daran. Ich nehme mal an, deine Mutter wurde vertrieben und dein Vater liebte sie so sehr, dass er ihr folgte."

Greta nickte.

Einar holte tief Luft.

„So wie dein Bruder denken viele. Das ist leider so. Die Traditionen müssen gewahrt werden. Aber dass die Männer ohne die Frauen es kaum überleben würden, das würde niemand zugeben."

Sie nickte. Dann sah sie ihn fest an.

„Du denkst aber anders darüber!"

Er lachte bitter auf und stellte die Schale und den Löffel in die Schüssel.

„Und was hat es mir eingebracht? Meine eigene Mutter hat mich verraten und ich wurde von meiner Familie verprügelt. Wenn ich nicht geflohen wäre, dann hätten sie es wahrscheinlich geschafft und mich totgeprügelt. Oder mir wäre etwas anderes passiert."

Greta stellte die Beine hoch und legte ihren Kopf auf die Knie.

„Frauen und anders Denkende. Ziemlich unfair, oder?"

Er zuckte mit den Schultern.

„So ist es eben!"

Er spülte schweigend die Schale und das restliche Geschirr. Greta beobachtete ihn dabei. Bisher hatte sie noch nie einen Mann gesehen, der so etwas freiwillig getan hätte. Aber Einar machte es, ohne darüber nach zu denken. Gut, er hatte auch keine andere Wahl. Schließlich war er alleine. Er hatte es sich wohl alles selbst beibringen müssen. Dennoch tat er es mit einer Routine, die sie sich nicht einmal bei Dag oder Kal vorstellen konnte.

Einar hatte in der Hinsicht Recht, dass die Männer, wenn die Frauen von jetzt auf nachher alle verschwinden würden, wohl kaum zu Recht kommen würden. Die einfachsten Handgriffe im Haushalt beherrschten die meisten doch gar nicht. Und wenn sie weiterhin so stur waren, würde genau das ihr Untergang sein.

„Hattest du eigentlich einen Plan? Ich meine, außer der Flucht! Was wolltest du tun, wenn du ihm entkommen bist?"

Einar hatte sich an den Tisch gesetzt und sich eine Pfeife angezündet. Greta kniff die Augen zusammen. Gerade im Moment erinnerte er sie stark an ihren Vater und an Dag. Auch sie hatten sich abends immer an den Tisch gesetzt und Pfeife geraucht. Und sie erinnerte sich daran, wie ihr Vater dann auch immer mit ihrer Mutter gesprochen hatte. Es waren keine Vorwürfe, die er ihr machte. Er wollte einfach nur immer wissen, was sie gemacht hatte. Von anderen hatte sie gehört, dass ihre Väter nur mit ihren Frauen geredet haben, wenn sie diese ausschimpfen konnten. Also war ihr Vater schon in dieser Beziehung anders gewesen. Norwin hätte das doch auch erkennen müssen.

Einar betrachtete sie immer noch ruhig. Obwohl er ihr eine Frage gestellt hatte, die sie bis jetzt nicht beantwortet hatte, wurde er nicht ausfallend oder böse.

Greta räusperte sich.

„Hast du meinen Rucksack noch?"

Er nickte und stand auf. In einer Ecke standen beide Rucksäcke.

„Ich habe nur die Lebensmittel herausgenommen. Ansonsten habe ich alles so gelassen, wie es war!", versicherte er ihr.

Das glaubte sie ihm sogar. Denn wenn er den Zettel gesehen hätte, wären seine Fragen bestimmt anders ausgefallen.

Sie holte die Karte von Dag heraus und reichte sie Einar.

Der sah sich die Karte durch. Dann pfiff er staunend durch die Zähne.

„Woher hast du die Karte her?"

Sie zuckte mit den Schultern.

„Ich habe sie von meinem Bruder. Woher er sie hat, weiß ich nicht. Aber da stehen auch Dinge darauf, die man nicht einfach erfinden kann. Ich glaube fest daran, dass es auch andere Orte gibt."

Einar nickte wissend.

„Du kannst also lesen? Sehr ungewöhnlich!"

Greta wusste das auch.

„Meine Mutter hat es von meinem Vater gelernt. Und als sie nicht mehr da war, um es mir bei zu bringen, hat es einer meiner Brüder übernommen!"

Er reichte ihr die Karte wieder.

„Auch wenn es nun dumm klingt, war deine Familie schon außergewöhnlich. Bis zu dem Zeitpunkt eben, als deine Mutter verstoßen werden musste. Ich nehme mal an, dass nicht all deine Brüder böse sind?"

Gegen ihren Willen musste Greta lächeln.

„Nein! Dag und Kal haben immer versucht, mich zu beschützen. Kal hat mir auch alles beigebracht, was er wusste. Norak hat sich zwar immer rausgehalten, aber ich glaube nicht, dass er böse war. Nur Norwin und Fjolnir wollten mich quälen und töten. Norwin ist der Treiber in der ganzen Sache. Fjolnir ist einfach nur ein Nachahmer. Wenn Norwin in eine Schlucht gesprungen wäre, hätte er es auch getan."

Einar grinste.

„So einen Bruder hatte ich auch. Heimir! Eine Nervensäge und nicht der Hellste! Aber ich verstehe immer noch nicht, was die Karte mit deinen Plänen zu tun hat!"

Sie faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn in den Rucksack.

„Nun, es ist auch schwer nach zu vollziehen und vielleicht liege ich auch falsch. Aber egal, wer sie geschrieben hat, war schon dort. Vielleicht ging derjenige auch weiter."

Einar hob seine Augenbraue.

„Stimmt! Ich denke mal, dass er nicht weiter an der Karte schrieb, weil er einfach die Eiswüste nicht noch einmal durchqueren wollte oder konnte."

Sie nickte lächelnd.

„Genau! Also nahm ich an, dass es irgendwo einen Ort gibt, in der Frauen nicht so herabgesetzt werden."

Einar wirkte nachdenklich.

„Was? Habe ich falsch gedacht?"

Er schüttelte schnell den Kopf und paffte wieder an seiner Pfeife.

„Nein! Nicht unbedingt. Ich überlege mir nur gerade, was ist, wenn es nicht so ist. Was machst du dann?"

Wollte er ihr es nun ausreden? War er vielleicht doch nicht anders, als die Männer ihres Stammes?

Er überlegte lange und auch Greta machte im Kopf Pläne, wie sie diesem Mann entkommen konnte, wenn er sie genauso mies behandeln würde, wie sie es gewohnt war.

Auf einmal sprang er auf und legte seine Pfeife auf einen Teller.

„Nein! Du wirst nicht zweifeln Greta. Und ich sollte es auch nicht. Es kann nicht nur eine Männerdominierte Welt sein, in der wir hier leben. Es muss auch etwas anderes geben. Du wirst nicht aufgeben. Und ich auch nicht!"

Sie sah ihn verblüfft an.

„Wie meinst du das?"

Er grinste sie an.

„Wir werden beide auf der Flucht sein! Ich begleite dich!"



Es dauerte noch lange, bis Einar und Greta sich auf den Weg machten.

Das lag zum ersten daran, dass sie wirklich im tiefsten Winter waren. Auch wenn sie sich in einer Eiswüste befanden, so spielte die Jahreszeit eine entscheidende Rolle. Greta hatte nun selbst einen Sturm erlebt und wusste, dass sie ohne Einars Hilfe gestorben wäre. Gesundheitlich war Greta auch noch etwas angeschlagen und sie wollte wirklich erst wieder losziehen, wenn es ihr gut ging.

Aber das war nur einer der Gründe.

Der andere war, dass Einar ein ziemlicher Pedant war, wenn es um Veränderungen ging. Er hing abends, wenn nichts mehr zu tun war, über den Karten und verglich seine eigene mit der von Dag. Er plante die Route die sie laufen würden und erstellte Listen, was sie alles mitnehmen konnten.

Greta wurde immer mehr bewusst, wie anders Einar war.

Nicht nur, dass er wirklich nichts von ihr wollte, erledigte er die meisten Arbeiten selbst und verlangte nicht von ihr, dass sie halb krank aufstand und die Hütte in Ordnung hielt.

Er hatte seinen geregelten Tagesablauf und ihr war auch klar, dass sie diesen gewaltig störte, alleine durch ihre Anwesenheit. Aber er sagte nie ein böses Wort.

Morgens aß er immer reichlich, bevor er seinen Rucksack packte und nach draußen ging. Meistens war er lange unterwegs. Er jagte und sammelte Holz und andere Sachen, die in seinen Augen wichtig waren. Im Moment sammelte er Tannenzapfen und legte sie abends zum Trocknen vor den Kamin hin. Am Morgen sammelte er die Samen ein, die durch die Wärme herausgesprungen waren und die Zapfen umwickelte er mit Stroh, ehe er die Päckchen in einen Sack legte.

Als sie ihm nach dem Grunde fragte, meinte er nur, dass man die Samen essen und die Zapfen als Feuerholz nutzen konnte.

Greta kam sich neben ihm ziemlich dumm vor, aber er lachte, wenn sie das sagte.

„Ich bin zehn Jahre älter als du. Und ich hatte das Glück als Junge geboren zu sein. Ich durfte lernen. Du nicht!"

Das stimmte zwar alles, trotzdem war Greta frustriert, weil ihr bewusstwurde, wie kopflos sie die Flucht begangen hatte.

Wenn Einar den Tag über verschwand, begann sie seine Bücher zu lesen. Sie hatte gedacht, dass sie gut lesen konnte, doch das war ein Trugschluss. Sie las sehr langsam und es strengte sie auch sehr an. Doch es wurde von Tag zu Tag besser.

Einar hatte einige Bücher, aber er selbst hatte schon zugegeben, dass er alle mindestens schon fünfmal gelesen hatte und sie für ihn langweilig wurden.

Aber Bücher waren selten. Das wusste auch Greta. In ihrem Stamm hatte nur ein Mann Bücher besessen. Und das war der Dorfälteste gewesen. Er war ein harter und unbarmherziger Mann gewesen, der nur seine eigene Meinung gelten ließ. Das Wissen, auf das er immer so stolz war, hatte er nur aus drei Büchern. Einmal hatte Greta einen Blick auf die Bücher erhaschen können. Es waren alles neuere Werke, welche die Männer geschrieben hatten, die darauf pochten, dass die Männer die eigentlichen Herrscher waren und die Frauen für nichts anderes gut waren, als den Männern zu dienen.

Hier hatte sie Bücher, die vor langer Zeit geschrieben waren. Es gab ein Buch über Landwirtschaft. Eines war wohl für Kinder geschrieben worden, die sich früher „Pfadfinder" genannte hatten. Das fand Greta sehr interessant. Vor allem wegen den Bildern, die alles erklärten. Eigentlich waren alle Bücher, die Sachen erklärten. Nur ein Buch war anders. Es war von einer Frau geschrieben und handelte von einem Mann und einer Frau, die eigentlich verschieden waren, sich aber ineinander verliebten. Manche Stellen waren wirklich sehr pikant und sie war froh, dass Einar in dem Moment nicht hier war. Er hätte bestimmt darüber gelacht, was sie da las. Deswegen versteckte sie es unter ihrem Kissen, so dass er es nicht sah.

Nach einer Woche war sie so weit, dass sie einen Teil der Arbeit auch erledigen konnte. Einar sagte nichts. Er bedankte sich abends immer nur für die Arbeit, die sie getan hatte.

Er beschwerte sich nur einmal, als sie ihr Lager auf der anderen Seite der Hütte aufbaute und ihm wieder das Bett überließ.

„Ich habe es lange genug in Beschlag genommen. Du arbeitest den ganzen Tag hart. Also hast du auch das Bett verdient und solltest nicht auf dem Boden schlafen!"

Er schnaubte leise.

„Aber du bist krank!"

Sie sah ihn genervt an.

„Ich bin zäher als du denkst. Und ich bin schon lange nicht mehr so krank, wie du vielleicht denkst."

Er ging an das Buchregal. Einen Moment war er stutzig, dann zog er aber ein Buch heraus und öffnete es.

„Da! Lies selbst! Hier steht, dass man sich nach einer Grippe schonen muss. Und du hattest die Grippe. Die Symptome waren eindeutig."

Sie riss die Augen auf.

„Du hast alles nachgelesen?"

Er zuckte mit den Schultern und stellte das Buch wieder ins Regal.

„Ich war noch nie krank. Deswegen musste ich nachlesen, wie ich dir helfen kann. Aber es war nicht viel, was ich machen konnte. Ich habe diese Medikamente nicht, die sie hier verlangen."

Sie lächelte.

„Du hast mir geholfen und mich gerettet. Schon alleine deswegen muss ich dir auf ewig dankbar sein. Und nun willst du mich sogar begleiten, obwohl du hier alles hast, was du brauchst!"

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder ans Regal.

„Du denkst vielleicht, dass ich hier alles habe! Aber so ist es nicht!"

Sie legte den Kopf schief.

„Nein?"

Er schüttelte den Kopf.

„Nein! Du bist die Erste, mit der ich seit über einem Jahr rede! Ich hatte nur die Bücher zur Unterhaltung. Du meinst vielleicht, es ist selbstlos, dass ich dich begleite, aber es ist eher egoistisch. Ich will nicht mehr alleine sein! Ich möchte mehr sehen, als Schnee und Eis. Wer weiß, was im Süden alles auf uns wartet?"

Sie lächelte.

„Ich bin dann auch egoistisch. Denn ich freue mich, wenn ich nicht alleine flüchten muss. Und ich bin froh, dass du mich begleitest!"



Einar kam in die Hütte gestürmt.

Er war sehr hektisch und das war ungewöhnlich für ihn.

Er schnappte sich die Rucksäcke von ihr und raffte das provisorische Lager zusammen. Dann öffnete er eine Luke im Boden und schmiss alles hinein.

„Greta! Geh da rein! Ich glaube, ich habe jemanden gesehen! Und er kommt direkt auf unsere Hütte zu."

Greta stellte nicht lange Fragen, sondern kletterte in das Loch. Es war kalt hier unten und sie sah, dass Einar hier gekühlte Sachen aufbewahrte. Die Luke schloss sich und es wurde sehr dunkel. Nur ein paar Ritzen vom Boden der Hütte ließen etwas Licht hier herunter. Sie hörte, wie Einar den Tisch auf die Luke schob. Und sich dann an ihn setzte und eine Pfeife anzündete.

Sie wickelte sich in die Decke und setzte sich in eine Ecke.

Eine ganze Weile geschah nichts.

Greta wollte schon fragen, ob Einar sich nicht getäuscht hatte, als es energisch an der Tür klopfte.

Sie zuckte zusammen und drängte sich weiter in die hinterste Ecke.

Einar stand auf und ging an die Tür.

„Ich grüße dich! Verzeih meine Störung, aber ich bin auf der Suche!"

Greta fing an zu zittern.

Es war Norwin. Nur dass er nicht gehässig klang, sondern freundlich und respektvoll.

Sie hörte Einar brummeln.

„Ich glaube zwar nicht, dass ich es habe, aber komm rein!"

Schritte erklangen über ihr und dann scharrte ein Stuhl.

„Ich kann dir Tee anbieten. Mehr nicht. Schlechter Tag heute!"

Norwin lachte leise.

„Ja, bei dem Sturm ist die Jagd immer schlecht! Aber ein Tee genügt mir!"

Einar ging zum Kamin. Greta hoffte, dass Norwin nichts von ihrer Anwesenheit hier bemerkte.

„Was suchst du denn?", hörte sie Einar.

Er beschäftigte sich am Kamin und ging irgendwann wieder an den Tisch.

Sie roch wieder seine Pfeife, was sie irgendwie beruhigte.

„Ich suche meine Schwester. Du weißt wohl wie Frauen sind. Nicht gerade schlau. Ich war wütend auf sie und sie ist einfach abgehauen! Verstehe einer die Weiber!"

Einar brummte wieder.

„Weil du wütend warst, ist die abgehauen?"

Norwin seufzte schwer.

„Na ja. Sie wollte nicht den Mann heiraten, den ich ihr ausgesucht habe. Aber das ist jetzt Nebensache. Hast du eine Frau gesehen? Nicht gerade klein. Sie dürfte dir bis ans Kinn gehen. Sie hat blonde lange Haare und ein Brandmal an der rechten Wange!"

Unwillkürlich strichen ihre Finger über die Narbe.

Einar nahm seine Tasse und sie hörte ihn trinken.

„Vor drei Wochen fand ich eine Leiche. Es war eine Frau. Sie hatte eine Narbe auf der Wange. Es sah aus wie ein Totenkopf."

Norwin lachte, aber man hörte, dass er verärgert war. Wahrscheinlich sah Einar wohl gerade auf den Ring, den er immer trug.

„Das könnte sie vielleicht sein. Wo finde ich die Leiche?"

Wieder herrschte eine Weile Ruhe. Dann holte Einar tief Atem.

„Gehe etwa drei Tage nach Nordosten. Du kommst an einen See, der nun gefroren ist. Umrunde ihn und laufe einen Tag weiter nach Norden. Dann findest du ihr Grab."

Einar grunzte verächtlich.

„Du hast sie vergraben?"

Einar stand auf.

„Denkst du, ich will die Wölfe und Bären hierherlocken? Deswegen habe ich sie so weit wie möglich fortgeschafft und verscharrt. Willst du mir nun einen Vorwurf daraus machen, dass ich mein Heim schützen will?"

Sie hörte die Wut in Einars Stimme. Mit ihr hatte er noch nie so schroff gesprochen. Doch bei Norwin mimte er wirklich den Einsiedler, für den ihn alle halten sollten.

Norwin schien ihm das zumindest ab zu nehmen.

„Nein! Ich hätte genauso gehandelt, wenn ich sie nicht gekannt hätte."

Einar brummte.

„Gut! Dann kannst das Grab suchen!"

Es war schon beinahe unfreundlich, wie Einar Norwin zu verstehen gab, dass er hier unerwünscht war. Norwin verstand es zumindest.

„Ich werde dich dann in Ruhe lassen. Mein Dorf ist am Eissee. Wenn du Pelze tauschen willst, dann bist du willkommen!"

Einar brummte wieder und dann wurde die Tür geöffnet.

„Ich werde sehen. Ich komme eigentlich nie in die Nähe des Eissees!"

Bevor Norwin etwas sagen konnte, war die Tür zu.

Einar ging langsam ans Fenster.

Erst nach einer ganzen Weile schob er den Tisch fort und öffnete die Luke. Er nahm ihre Sachen wieder entgegen und hob zum Schluss sie hinaus.

Greta kauerte sich auf den Boden und schwieg. Einar nahm ihr Gesicht in die Hand und drehte die Wange so, dass er ihre Narbe sehen konnte.

„Hat er sie eingebrannt?"

Sie nickte.

„So ein Arschloch! Wahrscheinlich wollte er mir noch erzählen, dass du selbst schuld warst!"

Wieder nickte sie.

„Wahrscheinlich!"

Er stand auf.

„Der zweite Schlitten ist fertig. Wir packen zusammen und verschwinden so schnell wie möglich!"

Greta stand auf.

„Meinst du, er kommt wieder, wenn er merkt, dass es kein Grab gibt?"

Einar lachte böse.

„Es gibt ein Grab. Aber darin liegt keine Frau! Wenn er das herausfindet, wird er wiederkommen!"

Greta hob den Kopf.

„Du hast wirklich ein Grab ausgehoben?"

Er nickte.

„Ich wusste, dass der Tag einmal kommt, an dem mich jemand so etwas fragt. Und so konnte ich deinen Bruder ablenken. Und nun beeilen wir uns lieber. Ich will sehr weit fort sein, wenn er wiederkommt!"

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