No fear I don't care
Noch am gleichen Abend hatten wir uns ausgesprochen. Junhyung hatte sich für sein Abhauen entschuldigt und ich mich für meine nicht vorhandene Rücksicht. Wir würden es besser machen. Es besser hinbekommen, da war ich mir sicher.
Dass ich damals Schluss gemacht hatte, hatte ja doch irgendwo was Gutes. Junhyung und ich verstanden einander besser, so kam es mir vor. Wir redeten offener miteinander und waren uns auch näher. Der Nachteil davon war allerdings, dass wir uns nun öfters stritten und das heftig. Jedoch schweifte uns jeder weitere Streit noch mehr zusammen. Wir waren glücklicher und fühlten uns besser.
Das einzige Problem, dass wir momentan hatten, war Dongwoons Verhalten mir gegenüber. Ich konnte schon gar nicht mehr an einer Hand abzählen, wie oft er und Junhyung sich in letzter Zeit wegen mir gestritten hatten. Yoseob hatte gemeint, dass Dongwoons Verhalten daran lag, dass zuvor etwas für ihn sehr schlimmes passiert war. Man hatte mir nicht gesagt, was genau vorgefallen war, aber ich spürte, dass es sie alle betraf. Auch Junhyung.
Dieser wollte mir jedoch partout nicht sagen, was da passiert war. Ich verstand es und hatte auch nicht weiter nachgebohrt, obwohl ich natürlich neugierig war. Mich ging es einfach nichts an und ich würde es einfach schnell wieder vergessen. Nur Dongwoon konnte es mir nämlich erzählen und das würde er in hundert Jahren nicht tun, vermutete ich.
Übrigens wohnte ich mittlerweile so halb bei Junhyung. Es war einfacher so, da er so nicht immer nach der Arbeit noch durch halb Seoul fahren musste zu mir. Für mich war dies natürlich auch kein Problem, da ich mich prächtig mit seinen Freunden verstand. Meinen Krieg mit Dongwoon vergaß ich an dem Punkt gerne mal.
Es war wirklich faszinierend und bewundernd, wie verschieden die sechs waren. Während Junhyung ja eher der ruhige und ab und zu auch grobe Kerl war, der sich gerne mal verschloss und mit niemanden reden wollte, war Yoseob komplett anders. Man könnte schon fast behaupten, dass er das komplette Gegenteil von meinem Freund war. Er war offen, redete gerne und lachte sehr viel. Außerdem sorgte er sich oft um seine Mitmenschen und schaute immer danach, dass es allen gut ging. Doojoon war vor allem was Letzteres anging genauso. Ansonsten war er eher der ernstere Typ, was natürlich nicht hieß, dass er Spaß aus dem Weg ging.
Mit Kikwang wollte ich gar nicht erst anfangen. Der Kerl hatte einfach nur einen an der Klatsche und war oft so nervig, dass mir auch schon ein paar Mal der Geduldsfaden gerissen war. Und ja, ich hatte ihn getreten oder Sachen nach ihm geworfen und sogar jedes Mal bis jetzt perfekt getroffen. Mittlerweile traute ich mich das nämlich auch. Ich war den jungen Männern gegenüber nicht mehr zurückhaltend und machte auch den Mund auf.
Trotzallem konnte ich schon leiden. Mit ihm war ich auch schon vertrauter als mit den anderen, Junhyung ausgeschlossen.
Hyunseung konnte ich immer noch nicht wirklich einschätzen. Er war oft abwesend, hing seinen eigenen Gedanken nach und spaltete sich von der Gruppe ab. Nichtsdestotrotz konnte ich sagen, dass ich die Zeit, in der Junhyung nicht da war, am öftesten mit ihm verbrachte. Wir waren auf einer Wellenlänge. Mit ihm konnte man sich gut unterhalten, was nicht nur daran lag, dass er einem seine Meinung direkt sagte. Ich schätzte ehrliche Menschen sehr. Sie waren besser, als Menschen, die nicht mit der Sprache rausrückten.
Jedoch musste ich zugeben, dass ich mir Sorgen um den Sänger machte. Oft war sein Blick glanzlos und leblos. Er war immer häufiger abwesend und nahm nichts um sich herum war. Mittlerweile war ich mir sogar fast sicher, dass es ihm echt beschissen ging und das nicht nur wegen seiner beendeten Beziehung. Für so viel Schmerz, Trauer und Verzweiflung war das Ende einer schönen Zeit nie im Leben verantwortlich. Ich hatte Hyunseung schon darauf angesprochen, gemeint, dass er mit mir reden konnte und ich ihm wirklich gerne helfen würde, doch er hatte jedes Mal abgelehnt und gesagt, dass er es schon alleine hinbekommen würde. Daran war nichts seltsam. Das einzige Seltsame war, dass kein andere in diesem Haushalt sich wirklich um den Sänger kümmerte.
Klar, sprachen sie mit ihm und natürlich redete vor allem Yoseob oft mit ihm, aber trotzdem fehlte irgendwas. Ich war mir sicher, dass etwas nicht stimmte und wollte wissen was, doch mir wurde bis jetzt noch keine Antwort gegeben.
Dongwoon zum Beispiel hatte ich noch kein einziges Wort mit Hyunseung wechseln sehen. Und falls doch, dann nur Beleidigungen, Warnungen und deutliches Zeigen davon, dass er ihn nicht ausstehen konnte. Zwischen ihnen war etwas vorgefallen, das konnte keiner mehr verneinen. Ich war nicht blind und blöd schon gleich dreimal nicht.
„Woran denkst du schon wieder?", riss mich mein Freund aus meiner Trance. Seine Stimme war rau und er klang verschlafen. Kein Wunder, er war erst vor höchstens fünf Stunden heimgekommen und hatte unruhig geschlafen. Heute waren wir bei mir in der Wohnung. Ich war den Tag über unterwegs gewesen und hatte keine Lust mehr gehabt zur Wohnung der Jungs zu fahren. Junhyung hatte eh einen Termin in der Nähe gehabt, also war es für ihn auch kein Problem gewesen. Außerdem tat uns die Auszeit von den Fünf wirklich mal gut. Meistens hatten wir ja nie Zeit für uns, weil immer einer dazwischen funkte. Kikwang ärgerte uns am liebsten, was nicht wirklich verwunderlich war. Der Kerl langweilte sich oft.
„Hyunseung", antwortete ich kurz angebunden und starrte weiter die Decke an. Mein Freund seufzte leise und fing an mit meinen Strähnen zu spielen. Das machte er immer, wenn wir im Bett lagen und noch nicht aufstanden.
„Schon wieder? Du machst dir zu viele Sorgen. Ihm geht es gut", versuchte er es schon wieder. Jedes Mal, wenn dieses Thema aufkam, versuchte er meine Gedanken von dem Sänger abzuwenden. Junhyung wollte nicht, dass ich so viel über Hyunseung nachdachte und ich konnte es ihm auch nicht übel nehmen. Ich war seine Freundin und sollte nicht über einen anderen Kerl nachdenken, auch wenn ich mir nur Sorgen um diesen machte.
„Ich kann nicht anders. Ihm geht es überhaupt nicht gut und ihr ignoriert das regelrecht!"
„Tun wir nicht. Soomin, auch wenn es nicht den Eindruck auf dich macht, aber wir alle sind für Hyunseung da. Das Problem ist nur, dass Hyunseung nicht mit uns reden will. Er ist bei bestimmten Situationen, wie jetzt dieser, noch verschlossener als ich", beruhigte er mich oder versuchte es zu mindestens. Ich machte mir trotzdem Sorgen und hatte sogar ein wenig Angst. Der junge Sänger war depressiv, das war auch nicht mehr zu verleugnen. Seine gesamte Ausstrahlung erzählte mir das.
„Wir passen auf ihn auf, also mach dir keine Sorgen, ja?"
Schwach nickte ich und schloss die Augen. Junhyungs Finger strichen über meine Wange, dann über meine Lippen und plötzlich lagen seine Lippen auf meinen. Der Kuss war sanft und so unglaublich unschuldig, dass ich zu lächeln anfing. Es war schön einfach nur dazu liegen und die Berührungen des anderen zu genießen. Endlich hatten wir mal wieder etwas Zeit für uns und wurden von allen in Frieden gelassen. Das dachte ich zu mindestens für ein paar Sekunden, denn im nächsten Moment klingelte irgendjemand Sturm an unserer Haustür. Minyoung war arbeiten, was hieß, dass ich aufstehen musste. Ich hatte keine Lust mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, aber was sein musste, musste nun mal sein.
Stöhnend stand ich auf, rieb mir die Augen und streckte mich erst mal ausgiebig. Von Junhyung war ein Glucksen zuhören.
„Weißt du wer da kommt?", fragte er mich interessiert. Ich schüttelte den Kopf, da ich echt keine Ahnung hatte. Ich erwartete keinen Besuch und hatte auch nichts bestellt. Es verwirrte mich ein wenig, dass schon so früh morgens jemand vor der Tür stand. Minyoungs Freunde müssten eigentlich wissen, dass sie arbeiten war.
Ich machte mich also auf zur Tür und öffnete diese. Gleich darauf bereute ich es und wünschte mir es nicht getan zu haben. Ich hätte das Klingeln einfach ignorieren sollen. Das wäre besser gewesen, als der Anblick dieser Person.
„Was willst du hier?", murrte ich und machte die Tür wieder ein Stück zu.
„Ich habe meine Sachen letztens hier gelassen. Nicht das es dich etwas angehen würde", kam es unfreundlich von ihr zurück. Ich würde wütend. Ich hasste Sohees Art. Sie war einer der wenigen Menschen, die ich auf den Tod nicht ausstehen konnte.
„Schön, dann kannst du ja wieder kommen, wenn Minyoung da ist", gab ich sauer zurück und schlug die Tür zu. Ganz zu ging diese aber nicht, weil Sohee schneller reagierte als ich gedacht hatte. Sie stellte ihren Fuß dazwischen.
„Willst du mich verarschen?", fauchte sie mich wie eine Furie an. Ihre Augen funkelten böse und die Wut flammte darin. Sie sah so aus, als würde sie mir gleich die Augen auskratzen. Es wäre kein großer Akt sie einfach herein zu lassen, damit sie ihre Sachen holen konnte, aber mir war nicht danach. Minyoung sollte sich um ihre Freundin kümmern. Ich würde das ganz bestimmt nicht machen. Außerdem war da noch das Problem, dass Junhyung da war. Sohee kannte ihn bestimmt und wusste wer er war. Wenn sie ihn sehen würde, dann hätten wir ein gewaltiges Problem.
„Nein, will ich nicht. Ernsthaft, komm wieder wenn Minyoung da ist", gab ich ruhig zurück und versuchte die Tür zu zubekommen. Leider Gottes klappte das nicht und ich musste ihre Visage noch länger ertragen.
Sohee rollte mit den Augen und sah mich entnervt an. Ich sah ihr genau an, dass ihr die gemeinsten Worte gerade durch den Kopf gingen. Sicher war jedoch, dass sie trotzdem nichts sagen würde. Sie wusste genau, dass dann die Tür gleich wieder zu war.
„Soomin? Wer ist da?"
Ich erstarrte. Sohees Augen wurden groß und das Einzige was mir jetzt durch den Kopf ging, war das wir jetzt wirklich ein Problem hatten. Scheiße! Schon alleine an Sohees Reaktion wusste ich genau, dass sie wusste, wer da nach mir gerufen hatte. Ich brauchte nicht mal mehr nachfragen.
Dadurch dass ich so abgelenkt durch die Frage meines Freundes war, passte ich nicht auf und das war der erste Fehler an diesem Tag. Sohee ergriff diese Chance natürlich gleich und warf sich schon fast gegen die Tür. Mir entkam ein erschrockenes Keuchen, als ich zurück taumelte und fast auf dem Boden landete. Und als könnte es nicht noch schlimmer werden, tauchte Junhyung just in diesem Moment im Flur auf. Seine Reaktion bei Sohees Anblick war nicht so wie meine. Er kannte sie ja nicht. Woher sollte er wissen, dass Sohee ein hinterhältiges Miststück war und wahrscheinlich jedem erzählen wurde, was sie gerade erfahren hatte?
„Jetzt verstehe ich, warum du mich nicht rein lassen wolltest."
Das war eine simple Feststellung. Darauf erwartete sie wohl keine Antwort.
Gott! Ich würde Minyoung umbringen. Warum konnte sie mir auch nicht sagen, dass von ihrer dämlichen Freundin noch Sachen bei uns in der Wohnung waren? Ich hätte mich darauf vorbereiten können, hätte es Junhyung sagen können und genau das hier vermeiden können. Wenn meine Freundin wieder da war, dann konnte sie was erleben, das war sicher.
„Und du bist?"
Junhyung passte sich genau an Sohees unfreundlichen Tonfall an. Seine Mimik war eiskalt und er hatte eine Braue gehoben. In dem Moment war ich sogar irgendwie schadenfroh darüber, dass er so arrogant wirkte. Vielleicht brauchte Sohee das mal. Sie sollte ruhig sehen, dass er auf meiner Seite war und sie hier unerwünscht war.
Allerdings ignorierte Sohee meinen Freund und sah mich stattdessen mit einem gehässigen Grinsen an. Mir wurde ganz anders bei diesem Anblick. Ich wusste genau, dass sie jetzt etwas sagen würde, was mir weh tun würde. Und ich konnte sie nicht mal davon abhalten. Meine Zunge fühlte sich taub an und ich schaffte es einfach nicht den Mund zu öffnen.
„Du hast den Traum, Sängerin zu werden, also immer noch nicht aufgegeben? Ich hätte nicht erwartet, dass du dir einen Star als Freund schnappst, diesen ausnutzt und versuchst wirklich Sängerin zu werden. Eigentlich ist das eine kluge Taktik für jemanden wie dich", verhöhnte sie mich. Ihr stechender Blick, in dem man deutlich Wut und Eifersucht erkennen konnte, lag die ganze Zeit über auf mir, was mir das Abendessen von gestern hochkommen ließ.
Doch diese Worte waren gar nicht so schlimm für mich wie angenommen. Die nächsten Worte trafen mich zielsicher und schmerzhaft.
„Du wirst es eh nicht schaffen. Soomin, wann siehst du endlich ein, dass du nicht singen kannst und eine einzige Lachnummer bist? Ich muss mich ja schon fremdschämen nur wegen dir."
Meine Augen fingen an zu brennen und es fühlte sich so an, als würde jemand meinen Brustkorb zusammen drücken. Dieses Gefühl war unbeschreiblich schlimm.
„Verpiss dich!", fauchte ich sie wütend und verletzt an. Meine Stimme klang gepresst. Ich hatte mich noch so weit unter Kontrolle, dass ich keine Schwäche zeigte. Innerlich brach ich gerade in Tränen aus und schrie. Es tat einfach unglaublich weh. Wenn man schon von klein auf, von solchen Menschen wie Sohee, runtergemacht wird, dann war es kein Wunder, dass man es hasste vor anderen zu singen. Deswegen hatte ich auch nie bei einer Audition mitgemacht. Ich traute mich nicht und das obwohl ich wusste, dass ich singen konnte. Jedoch fehlte mir das Selbstbewusstsein bei dieser Sache.
„Ich will meine Sachen immer noch", informierte mich die Koreanerin monoton. Sie wollte gerade auf Minyoungs Zimmer zugehen, als Junhyung sich ihr in den Weg stellte. Er war angespannt. Seine Augen waren dunkler, was mir zeigte, dass er verdammt wütend war. Ein falsches Wort von Sohee und er würde sie zerfleischen. Ich sah es ihm ganz genau an, dass er wirklich versuchte die Beherrschung nicht zu verlieren.
„Hast du was auf den Ohren? Du sollst dich verpissen!", knurrte er sie mit vor Wut zitternder Stimme an. Sohee schaute ihn einen kurzen Augenblick erschrocken an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte sich allerdings schnell wieder unter Kontrolle und schenkte meinem Freund nun ein spöttisches Lächeln.
„Du hältst also zu ihr? Obwohl du weißt, dass sie dich ausnutzt? Wow. Ihr beide seid echt erbärmlicher, als ich gedacht hatte."
Und da war es rum mit Junhyungs Beherrschung. Sohee konnte gar nicht so schnell reagieren, da hatte er sie schon am Oberarm gepackt und zur Tür gezerrt. Minyoungs Freundin schrie erschrocken auf. Ihre Augen waren geweitet und sie versuchte den Rapper wegzustoßen, was nicht klappte. Bereitwillig hielt ich die Wohnungstür weit auf und sah zu, wie Junhyung unseren ungebetenen Gast in den Treppenaufgang zerrte.
„Wenn du noch einmal hier auftauchst, werde ich nicht mehr so freundlich sein", warnte er sie und knallte, ohne das Sohee noch was erwidern konnte, die Tür zu. Damit hatten wir dann also auch wieder unsere Ruhe. Die darauffolgende Stille war jedoch extrem unangenehm. Für mich.
Ich spürte den stechenden Blick meines Freunds und wollte am liebsten im Boden versinken. Mir war klar, dass er erwartete, dass ich ihm erzählte, was Sohee damit gemeint hatte. Genauso war mir klar, dass es dieses Mal keine Ausreden gab. Ich würde nicht drum herum kommen ihn davon zu erzählen.
Eigentlich war es ja gar nicht mehr relevant. Immerhin war es schon fast ein ganzes Jahrzehnt her. Doch wenn ich das zu Junhyung sagen würde, dann würde er es gleich wieder als Ausrede abstempeln und weiter bohren. Es gab also wirklich keinen anderen Ausweg.
„Was war das gerade?"
Auf diese Frage seinerseits hatte ich nur gewartet. Mir entwich ein gestresster Seufzer. Ich hob die Hände und massierte mir mit den Zeigefingern die Schläfe. Mein Kopf schmerzte und mein Körper fühlte sich schlapp an, obwohl ich vor nicht mal einer Stunde aufgewacht war.
„Lass uns erst was essen", murmelte ich und war dann auch schon Richtung Küche verschwunden. Junhyung trottete mir wie ein treuer Hund hinterher und beobachtete mich mit Argusaugen, als ich das Frühstück vorbereitete. Helfen tat er mir nicht, was vollkommen okay für mich war. Er hatte gerade Sohee vertrieben und dafür war ich dankbar. Ich selber hätte das wohl nicht geschafft.
Der bittere Nachgeschmack wegen ihrem Auftreten blieb allerdings. Mir war mulmig zumute bei dem Gedanken, dass sie jetzt wusste, dass Junhyung und ich zusammen waren. Würde sie es rum erzählen? Bestimmt oder? Das wäre eine perfekte Gelegenheit mir nochmal eins auszuwischen. Sohee war ein Miststück. Schon immer.
Ich war zwar auch nicht gerade ein Engel, aber sie war um einiges schlimmer als ich, wie ich fand.
Junhyung und ich aßen ohne uns zu unterhalten. Die angespannte Atmosphäre machte mich nervös und ließ mich unwohl fühlen. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht mal mehr Hunger. Mir war kotzübel und ich befürchtete schon, dass mir das Frühstück gleich wieder hochkam. Doch trotzdem aß ich artig weiter und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Das war schwer, wenn man bedachte, dass mein Freund mich nebenbei immer noch anstarrte. Hatte er eigentlich nichts Besseres zu tun oder was sollte das? Mir war klar, dass Junhyung wissen wollte, was das gerade gewesen war, aber deswegen musste er mich noch lange nicht so anstarren. Das nervte mich ungemein.
„Wie lange willst du mich eigentlich noch anstarren?", rutschte es mir schärfer raus, als ich wollte. Junhyung sah einen Augenblick überrascht aus. Mit so einer heftigen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Tja, ich war wohl immer wieder für Überraschungen gut.
„Bis du mir erzählst, was zwischen euch vorgefallen ist", antwortete er mir, als er sich wieder gefasst hatte und über meine Reaktion hinweg gekommen war. Ich knirschte mit den Zähnen. Er würde wohl echt nicht nachgeben. Junhyung würde mich dazu bringen, es ihm zu erzählen.
„Es war nichts. Wir können uns einfach nicht leiden."
Die Worte kamen ungewollt über meine Lippen. Sie waren die größte Lüge, die jemals meinen Mund verlassen hatte. Und das wusste Junhyung. Ich sah ihm an, dass es ihm überhaupt nicht gefiel, dass ich ihn anlügte und mich nun so verhielt. Ich fand es ja selber nicht gerade toll, aber was sollte ich denn schon machen? Ich war nunmal so wie ich war. Ich konnte daran nichts ändern.
„Sicher könnt ihr das nicht. Das war auch kaum zu übersehen", murrte er mit genügend Spott in der Stimme, dass es mich verärgerte.
„Soomin, entweder erzählst du es mir oder ich frage Minyoung. Ich habe keine Lust auf deine ständigen Ausreden und Ausweichversuche."
Und damit stellte er mir die Qual der Wahl. Es würde also doch darauf hinaus laufen, dass ich es ihm erzählte. Minyoung würde ich das sicherlich nicht überlassen. Sie würde das ganze Thema nur runterspielen und behaupten, dass ich übertrieb. Doch das tat ich nicht. Sohee hatte mich damals verletzt. Und auch, wenn ich mir schwer tat es zuzugeben, es setzte mir bis heute noch zu, ließ mich an meinen Können zweifeln und mich schlecht fühlen, jedes Mal wenn sie auftauchte.
„Hast du Angst davor, dass ich die Worte von ihr ernst nehme? Dass ich glauben werde, dass du mich ausnutzt?"
Ich konnte nicht darauf antworten und musste wegschauen. Junyhung hatte damit ins Schwarze getroffen, was er wohl auch ohne eine Antwort meinerseits merkte. Ja, ich hatte Angst. Ehrlich gesagt, hatte ich nicht nur Angst sondern fühlte mich auch dermaßen schlecht durch Sohee. Schon alleine wenn ich daran dachte, dass Junhyung und auch Kikwang mich dazu überreden wollte, bei dem Soloalbum von Junhyung mitzuwirken, fühlte ich mich beschissen. Was wenn ich jetzt ja sagen würde? Dann würde sich Sohee in ihren Worten ja nur bestätigt vorkommen.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Mich interessiert es nicht, was sie sagt. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du mich nicht ausnutzen würdest", seufzte Junhyung und griff nach meiner Hand. Mir wurde warm. Seine bloße Annäherung bedeutete mir in dem Moment so viel, dass mir die Tränen in die Augen stiegen. Es tat gut zu wissen, dass er mir glaubte und nicht Sohee.
Das war wohl der letzte Anstoß gewesen, den ich gebraucht hatte, um endlich den Mund aufzumachen und mir die Seele aus dem Leib zu reden.
Mit geschlossenen Augen und einem Lächeln im Gesicht saß ich unter einem Baum und genoss die einzelnen Sonnenstrahlen, die mich wärmten. Es war das vorletzte Schuljahr und ich war echt froh darüber. Ich kam meinem Traum noch ein Stückchen näher. Bald hätte ich meinen Abschluss in der Tasche und konnte mein Vorhaben endlich verwirklichen.
Langsam öffnete ich die Augen, kniff sie kurz zusammen, weil mich die Sonne doch blendete. Als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, ließ ich meinen Blick über den Pausenhof schweifen auf der Suche nach meiner Freundin. Jedoch konnte ich sie nirgendswo finden. Wahrscheinlich hing sie mit Sohee rum und hatte mich schon komplett vergessen. So war das oft. Sohee lullte sie immer so ein, dass Minyoung gar nicht mehr daran dachte, dass ich ja auch noch existierte.
Ich seufzte und strich mir ein paar einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht. Sauer war ich nicht, jedoch verletzte es mich ein wenig. Minyoung ließ sich völlig von Sohee blenden und vergaß oft unsere Verabredungen. Es tat wirklich weh, vor allem wenn man wusste, dass es wieder vorkommen würde. Doch ich konnte sie ja schlecht dafür anklagen. Sohee und sie waren nun mal beste Freunde. Da war es klar, dass sie die meiste Zeit miteinander verbrachten und ich zurückstecken musste.
Doch heute würde ich nicht zu viele Gedanken daran verschwenden. Ich wollte mir nicht die Laune vermiesen lassen, wenn sie schon so gut war.
Ich öffnete meinen Rucksack und zog ein kleines Notizbuch heraus. Ein Kugelschreiber diente als Lesezeichen, damit ich wusste auf welcher Seite ich stehen geblieben war. Das Buch war nicht ganz beschriftet, aber schon zur Hälfte.
Ich schlug also die entsprechende Seite auf und nahm den Stift in die Hand, um weiter zu schreiben. Weit kam ich allerdings nicht, denn ich wurde gestört. Das merkte ich, weil sich plötzlich ein Schatten über mich legte und ein lautes „Hey" nach meiner Aufmerksamkeit verlangte. Fragend hob ich den Kopf und sah in das Gesicht von einem Kerl, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Anhand seiner Kleidung konnte ich allerdings feststellen, dass er auch auf unsere Schule ging. Er trug wie alle anderen Schüler die Schuluniform.
„Was gibt's?", fragte ich den Fremden und klappte automatisch das Buch auf meinem Schoß zu. Das war wie ein Reflex. Ich wollte nicht, dass andere lasen, was ich aufschrieb. Es war mein kleines Geheimnis. Nicht mal Minyoung wusste davon und die war meine beste Freundin.
„Stimmt es, dass du eigene Songs schreibst und aufnimmst?"
Die Frage traf mich unerwartet. Mir wurde plötzlich ganz anders und ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich. Meine Brust zog sich zusammen und mein Mund war ganz trocken.
„Wer sagt das?", hakte ich nach und versuchte mir nichts anmerken zu lassen, was natürlich nicht klappte. Man hörte deutlich, wie sehr mich es traf, dass jemand von meinem Geheimnis wusste.
„Also stimmt es", grinste er und ignorierte meine Frage einfach. Er war mir überhaupt nicht geheuer und ich bekam es wirklich mit der Angst zu tun. Was wenn mehr davon wussten? Wenn man mich mobben würde? Meine Augen brannten und ich versuchte nicht gleich loszuheulen.
Der Kerl sagte nichts mehr, sondern verschwand genauso schnell, wie er aufgetaucht war und ließ mich alleine und verzweifelt zurück.
„Und weiter?", hakte Junhyung nach, als ich ihm den ersten Teil erzählt hatte. Er ließ mich nicht aus den Augen und lauschte meiner Erzählung mit ganzer Aufmerksamkeit, um auch bloß nichts zu verpassen.
„Die ganze Schule wusste es irgendwann. Es hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass ich Songs geschrieben und aufgenommen habe. Ich wurde auch damit aufgezogen, obwohl ich nicht schlecht gesungen habe", erzählte ich weiter und lehnte mich im Stuhl zurück. Die Erinnerungen trafen mich und mir wurde etwas komisch. Ganz losgelassen und darüber hinweg gekommen war ich immer noch nicht, obwohl es schon einige Jahre her war.
„Wie haben deine Mitschüler davon erfahren?"
Humorlos lachte ich auf und bedachte meinen Freund mit einem hasserfüllten Blick, der jedoch nicht an ihn gerichtet war.
„Was denkst du denn? Sohee hat es rumerzählt und das war noch nicht mal so schlimm. Sie ist an eine der Audiodateien auf meinem Handy gekommen. Weiß der Geier, wie sie das geschafft hat. Jedenfalls hat sie diese auch schön verbreitet, so dass wirklich jeder davon wusste und mich fertig machte", erklärte ich ihm. Ich war wütend, wenn ich nur daran dachte, was sie mir damit angetan hatte. Ein Mädchen, dass eh schon kaum Selbstbewusstsein gehabt hatte, wurde so bloß gestellt und das nur weil das andere Mädchen eifersüchtig auf sie war.
Niemals könnte sich Sohee dafür rechtfertigen. Ich würde ihr das nie verzeihen. Wegen ihr waren meine letztens zwei Schuljahre die reinste Hölle gewesen. Und dass Minyoung bis heute noch mit ihr zu tun hatte, regte mich noch mehr auf. Vielleicht konnte Junhyung meinen Hass auf diese Frau nun ein wenig verstehen.
Wieder einmal hatte ich mich im Mädchenklo eingeschlossen und heulte mir die Seele aus dem Leib. Es war schon oft vorgekommen, dass ich mich hier versteckt hatte. So oft, dass ich gar nicht mehr mitzählte, wie oft es jetzt schon passiert war.
Unaufhörlich liefen mir die Tränen über die Wange und tropften schlussendlich auf meine Hose. Die Hände hatte ich auf meinen Mund gepresst, um meine Schluchzer zu dämpfen. Ich zitterte am ganzen Körper und hatte keine Kontrolle mehr über mich. So sehr ich auch aufhören wollte zu weinen, ich konnte nicht.
Ich war in weniger als zwei Wochen zum Gespött der ganzen Schule geworden und das nur wegen Sohee. Wegen ihrer dämlichen Eifersucht und meiner Freundschaft zu Minyoung. Minyoung hatte mittlerweile natürlich auch Wind von der Sache bekommen und wusste, dass ihre beste Freundin dahinter steckte. Sie wusste, dass ich nur wegen meiner Freundschaft zu ihr leidete und das traf sie auch.
Plötzlich wurde die Tür zur Mädchentoilette aufgemacht. Leise Schritte hörte ich. Augenblicklich hielt ich still und verkrampfte mich. Ich wollte nicht entdeckt werden. Man würde mich nur noch mehr aufziehen und mir Beleidigungen an den Kopf werfen.
Die Schritte kamen näher und letztendlich verstummten sie vor der Toilettenkabine, in der ich saß. Mit geweiteten Augen starrte ich auf den Boden und sah verschwommen die Füße der Person, die mich gefunden hatte.
Vorsichtig klopfte jemand gegen die Tür.
„Soomin? Bist du da drin?", erklang Minyoungs Stimme. Sanft und zögerlich klang sie. Ich hörte ihre Sorge um mich heraus. Ich wollte ihr antworten, doch ich konnte nicht. Ich brachte keinen Ton über die Lippen.
„Lässt du mich rein? Bitte?"
Zittrig atmete ich aus und haderte mit mir selbst. Sollte ich sie wirklich rein lassen? Ich wollte nicht, dass Minyoung mich so sah. So schwach und alleine. Ich hasste meinen momentanen Zustand und wollte nicht, dass mich irgendjemand so sah. Es reichte doch schon, dass meine Eomma mich jeden Tag so sah.
„Soomin bitte", probierte sie es nocheinmal. Irgendwas an ihrer Stimmlage ließ mich aufhorchen. Täuschte ich mich oder klang ihre Stimme wirklich brüchig? Es hörte sich so an, als wäre sie ebenfalls kurz vorm Weinen.
Ich wusste nicht was in mich gefahren war, als ich am Ende doch aufstand und die Tür aufschloss. Eigentlich hatte ich das ja um jeden Preis vermeiden wollen, doch es war als würde sich mein Körper selbstständig machen. Wieder einmal hatte ich keine Kontrolle über ihn.
Die Tür schwang sofort auf und Minyoung quetschte sich zu mir in die kleine Kabine. Die Tür schloss sie gleich wieder hinter sich ab. Einen kurzen Augenblick musterte sie mich wortlos. Der Schreck über meinen Zustand und die Besorgnis standen ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Dann machte sie einen Satz nach vorne und umarmte mich fest. Ich konnte nicht anders als laut aufzuschluchzen und mich an ihrer Schuluniform festzukrallen. Minyoung strich mir beruhigend über den Rücken und murmelte tröstende Worte. Ihre Geste tat mir gut. Sehr gut.
Sie war für mich da und genau in dem Augenblick wusste ich, dass ich nicht alleine sein würde. Minyoung brauchte nichts sagen, ich wusste auch so, dass sie mich nicht mehr so schnell alleine lassen würde.
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