Hass
Hass
Es war keine Liebe. Natürlich war es keine Liebe. Es war so weit von Liebe entfernt, wie eine Emotion nur sein konnte. Oliver war so voller Hass – denn genau das war es; tiefer und purer Hass - , dass er glaubte, jeden Moment übersprudeln zu müssen. Wie das wohl aussehen würde? Knallroter Rauch, der langsam, aber gefährlich aus seiner Nase und seinem Mund quoll? Nein, rot war falsch. Rot war Liebe. Vielleicht war der Rauch auch giftgrün. Vielleicht würde er auch giftgrüne Fontänen speien, wenn der Gryffindor letztendlich platzte vor lauter Hass. Wahrscheinlich aber machte ihn dieser Hass schon so verrückt, dass langsam die Fasntasie mit ihm durchging.
„Weißt du, was das Problem ist, Oliver?“, hatte Lee gesagt. Natürlich wusste er, wo das Problem lag.
„Wir trainieren nicht hart genug. Das liegt an den Prüfungen. Wenn die nicht...“
Der Kommentator hatte gelächelt. Wie man über naive Kinder lächelte, die wach blieben, um dem Weihnachtsmann eine Falle zu stellen.
„Das Problem ist, dass man von Hass genauso besessen sein kann wie von Liebe. Vielleicht schlimmer. Deshalb kannst du das nicht unterscheiden.“
Wood war darauf nicht eingegangen. Warum auch? Lee (aber nur, wenn er ohne sein beiden ständigen Begleiter, den Zwillingen, auftauchte) stellte ständig solche abstrusen Behauptungen auf.
Er war es auch gewesen, der Oliver eines Tages aus heiterem Himmel gesagt hatte, er würde übermäßigen Ehrgeiz, was Quidditch anging, entwickeln, weil diese Sportart das Einzige war, was seine Eltern einte, und er glaubte, sie so beeindrucken zu müssen. Unnötig zu erwähnen, dass Lee seine Eltern noch nie getroffen hat und er sie auch nie erwähnt hatte.
Ausgemachter Blödsinn eben. Ihm machte Quidditch und seine Position als Hüter Spaß, das war das Ende dessen, was es darüber zu sagen gab.
Auch diesmal machte Lees Behauptung keinen Sinn. Natürlich wussten sie beide, wen er meinte, wenn er von Hass sprach. Wahrscheinlich wusste die halbe – wenn nicht die ganze – Schule, wer gemeint war, wenn es um den Dunkelblonden und Hass ging.
Marcus Flint.
Ein paar Zweitklässler auf dem Weg zu ihren Schlafsäälen, die ihm entgegen kamen, zuckten erschrocken zusammen, als sich sein Gesichtsausdruck alleine beim Denken dieses Namens erheblich verfinsterte. Normalerweise war Oliver ja relativ friedlich, doch der Slytherin war die einzige Person, die er wirklich hasste. Er ließ ihn Gift und Galle spucken.
Jeder, der der Meinung war, Liebe – ganz gleich, in welcher Form – sei die intensivste aller Emotionen, lag falsch. Schlicht unf ergreifend falsch.
Das sanfte, verliebte Flattern im Bauch war nichts gegen die krampfartige Wut im Magen, die hinaus wollte und sich bis in deine Kehle hochätzte. Das leichte Erröten der Wangen vor Verlegenheit war nichts gegen den knallroten Kopf und die Hitze in deinem Gesicht, die dich wortwörtlich kochen ließ. Die leichte Verwirrung war nichts gegen die absolute Orientierungslosigkeit, wenn du vor lauter Hass den Fokus verloren und vergessen hast, wo du dich befindest und was du gerade tust. (Letzteres führte übrigens in regelmäßigen Abständen zu Stafarbeiten für beide Konfliktparteien. Immerhin etwas Gerechtigkeit gab es noch in der Welt.)
Deshalb verstand Wood nicht, wie Lee glauben konnte, er würde diese beiden Emotionen verwechseln. Er war durchaus schon verliebt gewesen. In seinem dritten Jahr hatte er eine kleine Schwärmerei für Angelina gehabt und im fünften Schuljahr hatte der Gryffindor sogar eine Freundin. Dabei hatte er dann gleich die Lektion gelernt, dass Fernbeziehungen mit Muggelmädchen nicht funktionieren konnten. Entgegen der Meinung der Verliebten reichten die Ferien eben doch nicht aus. Aber das war ein anderes Thema.
Tatsächlich war Lees leere Behauptung nicht das wahre Problem. (Denn, um ehrlich zu sein, Lee war sowieso ein Fall für sich. Es würde nicht einmal etwas passieren, falls er entscheiden sollte, nun in die Welt zu setzen, Wood sei in Marcus Flint verknallt – an diesem Punkt verfinsterte sich sein Gesicht erneut, diesmal sah es allerdings niemand. Niemand hörte Lee wirklich zu. Er erzählte ständig irgendwelchen Unsinn. Dass man Draco Malfoy und Ron Weasley nicht in einen Raum sperren sollte, falls man sie nicht verkuppeln wollte. Wenn man den Schotten fragte, wäre eine Leiche das Ergebnis des Tests. Ob Ron oder Malfoy ihn nicht überstehen würden, blieb mal dahin gestellt. Außerdem behauptete Lee nun schon seit einer Weile, irgendsoein Slytherin, dessen Namen er sich nicht gemerkt hatte, hatte eigentlich eine tolle Persönlichkeit und Jordan würde ihn gerne näher kennen lernen würden. Und seit Jahren war er sich sicher, dass Fred und George einander heiraten würden, wenn sie nur könnten. Lee war also als nicht ganz zurechnungsfähig einzustufen.)
Das wahre Problem und der Grund für seine schlechte Laune im Moment war logischerweise Mister Arschloch persönlich, Marcus Flint. Sie hatten eigentlich eine relativ normale Feindschaft. Versuchten sich im Quidditch zu übertrumpfen und warfen sich Beleidigungen an den Kopf, wann immer es ging. Oliver dabei immer etwas kinderschutzfreundlicher als er, aber was wollte man von einem Slytherin erwarten. Es hatte sogar gut getan, alle Frustrationen auf ihm abzuladen. Dass er dafür auch seine abbekam, war ein unwillkommener, aber erwarteter Nebeneffekt.
Doch gab es kein schlimmeres Gefühl, als jemanden zu hassen, dem man plötzlich egal geworden war. Der Hass verpuffte in der Luft und fand kein Ziel mehr. Der jüngere blieb also darauf sitzen und wurde von Minute zu Minute frustrierter. Seit ein paar Tagen hatte Flint beschlossen, dass er seiner Zeit nicht mehr wert sei. Also ignorierte er ihn. An sich ein ungewohntes Gefühl, machte er doch immer den Anfang. Aber Oliver hatte sich nichts daraus gemacht und ihn stattdessen als Erster beleidigt. Schließlich verließ man sich auf eine gewisse Routine im Leben, richtig? Tja, seine hatte sich verabschiedet, denn mehr als ein paar abfällige Worte bekam er aus Flint nicht mehr heraus. Wood konnte ihn beschimpfen, wie er wollte, sogar mit körperlichen Angriffen drohen, mehr sagte er nicht mehr. Und das, obwohl sie beide wussten, dass der Gryffindor ihm zumindest körperlich unterlegen war. Bisher hatten sie beide immer gleich viel Energie darauf verwandt, einander zu hassen. Er wusste nicht, was Flint mit seinem Hass anstellte – oder, wie er ihn einfach abgeschaltet hatte. Und es machte ihn rasend.
Wie nicht bestellt und trotzdem gekommen, also passend zu seinen Gedanken, kam ihm Flint gerade in diesem Moment entgegen. Oliver hatte ihn nicht bemerkt, weil er während des Gehens grimmig auf seine Schuhe gestarrt hatte, die nasse Abdrücke auf dem Steinboden hinterließen. Quidditchtraining musste zu jeder Zeit sein, auch wenn man dabei alleine war und es wie aus Strömen goss. Wenigstens das nahm etwas von dem Druck, der sich in seinem Inneren aufstaute. Ich hatte allerdings aufgesehen, als ich Schritte in dem ansonsten eher abgelegenen Korridor gehört hatte. Sein Blick fand sofort Marcus', doch er verdrehte nur abfällig die Augen und wollte an ihm vorbei gehen. Der kleinere jedoch war so voller Wut, dass er sich ihm einfach in den Weg stellte. Der Slytherin starrte ihn mehr genervt als wütend an, was den Hüter widerum beinahe überkochen ließ. Er nahm den Besen von seiner Schulter und streckte ihn seitlich von mir weg, so dass nun der komplette Gang versperrt war.
„Wood“, knurrte Flint leise und machte eine ruckartige Kopfbewegung, die ihm bedeutete, sofort aus dem Weg zu gehen. Nur, dass Oliver nichts dergleichen vorhatte.
„Flint“, erwiderte er ungleich lauter und energischer.
Er verschränkte die Arme und tat einen halben Schritt zurück. Noch etwas, das neu war. Noch vor einer Woche hätte Flint sich lieber in Höhe der Quidditchringe vom Besen gestürzt, als einen Schritt zurück zu machen. Und er hatte keine Angst davor gehabt, Wood körperlich zu nahe zu kommen. (Was einige Narben, die sie beide trugen, eindrucksvoll beweisen konnten.)
„Was willst du?“, fragte er. Ganz ohne Beleidigung. Nur ein leicht abfälliger Ton, aber mittlerweile bezweifelte der Gryffindor ernsthaft, dass seine Stimme anders klingen konnte.
„Ich will...“, begann Oliver, unterbrach sich dann aber. Ja, was wollte er eigentlich? Seine gute, alte Feindschaft zurück. Ein Ziel für seinen Hass. Ein Ziel, an dem er all seine Wut auf sich selbst, die Welt und andere auslassen konnte. Das war immer ziemlich praktisch geworden.
„Was hast du für ein Problem?“, fragte er deswegen provokant zurück, anstatt seine Frage zu beantworten. Marcus zog die Augenbrauen zusammen. Normalerweise ein sicheres Zeichen für ein nahendes Donnerwetter, aber offenbar versuchte er sich stark zusammen zu reißen. Das verwunderte Oliver. Die alte Abscheu ihm gegenüber war also noch da, aber er unterdrückte sie. Warum?
„Da du derjenige bist, der wie ein nasser Hund trieft – und im Übrigen auch riecht – und irgendwelche Gänge versperrst, würde ich sagen, du hast hier das Problem. Zu deinem Pech interessiert mich das nicht mehr als der Klatsch der Hufflepuff-Erstklässler. Weniger als gar nicht also. Ich würde also vorschlagen, du gehst hübsch brav zur Seite und niemandem passiert etwas. Mir passiert sowieso nichts, aber bei dir wäre ich mir da nicht so sicher.“
Wood hätte beinahe triumphierend aufgelacht. So gefiel ihm das! Das war schon viel mehr der alte Flint, den er kannte und hasste.
„Na also, geht doch“, konnte er es sich nicht verkneifen, zu sagen.
„Und ich dachte schon, du hättest da unten im Kerker zu viele Zaubertrankdämpfe eingeatmet.“ Sein Unterkiefer spannte sich an.
„Verstehe ich dich gerade richtig, Wood?“
Marcus sprach langsam, als wäre Oliver geistig zurückgeblieben.
„Dich stört es, wenn man dich nicht mehr wie einen Fußabtreter behandelt, sondern einfach ignoriert?“
„Ja! Nein. Ich meine, was meinst du? Nein, natürlich will ich nicht so behandelt werden.“
Er hob eine Augenbraue auf seinen relativ sinnlosen Ausbruch.
„Das ist nicht dein Ernst. So bescheuert kannst nicht mal du sein“, erwiderte er beinahe amüsiert. Auf kalte und sadistische Art amüsiert, selbstverständlich.
Der Schotte dachte einen Moment nach und starrte ihn dabei angestrengt an. Er regte sich kein Stück.
„Jetzt weiß ich es“, verkündete er schließlich.
„Du hast endlich eingesehen, dass ich nicht nur im Quidditch, sondern in jedem nur denkbaren Bereich um Welten besser bin als du.“
Sein Unterkiefer spannte sich weiter an und seine normalerweise grünen Augen verdunkelten sich so sehr, dass sie beinahe schwarz waren. Der löwenhafte Hüter war dabei eine Grenze zu übertreten, die ihn vorher immer ausgebremst hatte. Aus einem guten Grund.
„Du hast Angst vor mir, Marcus.“
Es ging alles ziemlich schnell. Nur einen Augenblick später spürte Oliver, wie die Hand des Slytherins grob an seinen noch immer nassen Haaren riss. Die andere schubste ihn an der Schulter, sodass er hart gegen die Steinmauer knallte. Wie Flint ihn zur Seite gedreht hatte, hatte er nicht einmal mitbekommen. Bevor sein Hinterkopf eine Chance hatte, sich von dem harten Aufprall zu erholen, war Marcus direkt vor ihm und drückte ihn jetzt mit beiden Händen kräftig gegen die Mauer, deren Unebenheiten sich schmerzhaft in seinen Rücken bohrten. Er konnte nicht anders, als in diesem Moment erschrocken aufzuwimmern.
„Scheiße“, flüsterte der Quidditchkapitän und hob den Kopf etwas, um ihn ansehen zu können.
Seine Augen waren jetzt komplett schwarz.
„Richtig erkannt, Gryffindor-Abschaum. Scheiße. Für dich.“
Er hob eine seiner Hände und hielt Oliver's Kinn in Position, so dass dieser nicht mehr wegsehen konnte. Seine Augen waren voller Hass für ihn und er müsste lügen, würde er behaupten, dass er nicht wenigstens das etwas genoss.
„Du hast es nicht anders gewollt, du Idiot.“
Und schon spürte er den Mund des Schwarzhaarigen auf seinem. Genau genommen presste der dessen Lippen so heftig gegen seine, dass sein Kopf ein zweites Mal mit der Mauer Bekanntschaft machte. Dem Dunkelblonden wurde schwindelig und er schrie leise auf, als Marcus ihn so heftig biss, dass er augenblicklich zu bluten begann. Bevor Oliver reagieren konnte, spürte er, wie seine Zunge das Blut wegleckte und er sich kurz darauf wieder von ihm löste. Für einen Moment starrten sich die beiden Kontrahenten erneut in die Augen. Der hasserfüllt, der andere erschrocken.
Flint ließ Oliver los und dieser stellte sich gerade hin. Der Schwindel in seinem Kopf erschwerte das Nachdenken darüber, was gerade passiert war, ziemlich.
„Du hast es nicht anders gewollt“, wiederholte der Slytherin. Mit einer Hand schubste er Wood nun zum dritten Mal gegen die Mauer, dann entfernte er sich endgültig von ihm. Mit einem letzten, verachtenden Blick verließ er die Stätte des Geschehens. Natürlich nicht, ohne seinem Besen, der irgendwann im Laufe des Vorgangs zu Boden gefallen ware, einen kräftigen Tritt zu verpassen. Erschrocken, schwer atmend, mit schmerzendem Kopf, schmerzender Lippe und starkem Schwindel blieb Oliver zurück.
Doch jetzt wusste er, was passierte, wenn nicht er, sondern Marcus vor Hass platzte. Und der Druck in seinem Inneren war wie weggeblasen.
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