Prolog

Nervös und fahrig putzte die Kätzin noch einmal ihr Fell. Unruhig sah sie zum Waldrand. Ihr Pelz sträubte sich leicht, ihre Pfoten wollten nie stillhalten, während sie im Kreis lief. Sie wartete.

Auf ihn. Würde er noch kommen?

Es fühlte sich schrecklich an, sie so zu verraten, aber sie musste es tun, musste sich auf ihn einlassen, um das Richtige zu tun. Der SternenClan hatte ihr berichtet, und auch die anderen wussten es.

Aber warum fühlte das Richtige sich bloß so falsch an?

Ihr Blick huschte zum  Waldrand. Ihre Augen funkelten golden im Abendlicht, doch je wie sie ihren hübschen Kopf neigte, veränderte sich die Farbe zu grün, blau, orange, gelb. Denn sie hatten jede Farbe.

In den aufkommenden Schatten glänzten sie grau wie der aufziehende Sturm unten im Tal. Angespannt pendelte ihre Schweifspitze über den Boden, während die aufziehende Dunkelheit das Abendlicht verschluckte, welches ihren Pelz golden aufflammen ließ.

Und in der pechschwarzen Nacht zwischen den Bäumen bewegten sich Schatten. Als müssten sie warten, bis das Licht verschwand, um Gestalt anzunehmen, schienen sie sich immer mehr in dunkle, fremde Katzen zu verwandeln.

Diese Wesen in den Schatten jagten der Kätzin einen eisigen Schauer über das Fell. War sie in einen Hinterhalt geraten? Hatte er sie hierhergelockt, um sie auszulöschen?

Aber was wäre der Sinn dahinter? Und wo war er? Denn er konnte es als einziger mit ihr aufnehmen. Denn sie herrschte über diesen Wald, über das Tal, über alles. Sie konnte diese Katzen vernichten.

Und er konnte sie vernichten.

Ein knackender Zweig. Im Gebüsch raschelte es. Sie fuhr herum. Ein eisiger Wind rauschte durch die Bäume und ließ die Äste beben. Er wisperte in den Blättern und zerzauste ihr Fell.

Endlich. Ein großer Kater trat aus den Schatten hervor und ging gemächlich auf sie zu. Fasziniert betrachtete sie ihn. 

Sein ehemalig schwarzweiß geflecktes Fell schien dunkler zu werden, die pechschwarzen Stellen hatten sich vergrößert, seit sie ihn zuletz gesehen hatte. Seine hellgrünen Augen hatten einen rötlichen Ton bekommen, doch die Narben waren geblieben. Sein halblanges Fell war gepflegt und ordentlich, schien aber kürzer geworden zu sein.

Was war mit ihm passiert? Eine dunkle Ahnung schlich sich in ihr Herz, aber sie ließ den Gedanken nicht zu. Sie musste sich konzentrieren.

"Wie ich sehe, hast du dich entschieden." Er stand direkt vor ihr und sah auf sie herunter. Seine Augen glitzerten höhnisch, aber auch freundlich. Zumindest ein bisschen. Wie freundlich konnte der Gott der Schatten schon sein?

Während ihr Schweif wütend über den Boden peitschte, zwang sie sich zur Ruhe und sah ihm in die Augen. "Ja, das habe ich."

"Du bist also bereit, ein Ritual durchzuführen, um in der Gestalt einer jungen Katze im Tal wiedergeboren zu werden?" hakte der Kater nach.

"Ja, das bin ich." antwortete die Göttin stolz, während ihr Herz in ihrer Brust jagte. Reg dich nicht auf, befahl sie sich. Du bist die Göttin der Katzen, du herrschst über alle Katzen, du lenkst alle Katzen!

"Und warum?" kam schon die nächste Frage. Die, die sie so sehr gefürchtet hatte. Aber nun war sie stark. Stolz. Groß. Mutig. Und angesichts Schattens herablassenden Tonfalls explodierte etwas in ihr.

"Um dich aufzuhalten!" fauchte sie. "Um deine Nachkommen zu vernichten! Um deine Macht auszulöschen!"

Schatten blieb ruhig, auch, wenn in seinen Augen ein gefährliches Feuer loderte. "Du wirst es nie schaffen, alle Dunkelheit von der Erde zu verbannen. Es wird immer Schatten geben, denn je mehr Licht es gibt, desto mehr Schatten zieht es an."

"Du wirst nicht umsonst der Verbannte genannt!" knurrte die Göttin. "Wir haben es schon einmal geschafft, dich zu besiegen, und wir werden es wieder schaffen."

"Sehe ich besiegt aus?" Schatten wieß mit dem Kopf auf die lauernden Katzenwesen in der Dunkelheit. "Ich habe Macht erlangt, mehr Macht, als ihr euch vorstellen könnt. "Er lachte hart. "Mit der Verbannung habt ihr mir sogar einen Gefallen getan."

"So?" Empört stellte sich ihr Nackenfell auf. Ihr nun buschiger Schweif peitschte über den Boden, während ihre Fell ein raschen Wechsel von goldweiß zu braun, getigert und schwarz durchzog, wie immer, wenn sie sich aufregte.

Töte ihn, flüsterte eine boshafte Stimme in ihr. Dieselbe Stimme, die Schatten und seine Anhänger erschaffen hatte. Töte ihn, dann hast du deine Ruhe. Wenn du ihn tötest, dann sind seine Schützlinge frei. Los, greif ihn an! 

Vielleicht hätte sie  es getan, doch Schatten schien ihr alles anzusehen. Mit einer geschmeidigen Bewegung warf er sie auf den Rücken und nagelte ihre Pfoten am Boden fest. Seine dornenscharfen Krallen schnitten durch ihr Fell.

"Ich werde nicht zulassen, dass du meine Pläne durchkreuzt." knurrte er, seine blitzenden Augen gefährlich nahe an den ihren. "Und wenn ich dich dafür töten muss, dann soll es so sein."

Die Göttin trat mit den Hinterpfoten nach ihm und stieß sie ihm in den Bauch. Keuchend rollte der große Kater von ihr weg, sprang aber gleich wieder auf die Pfoten. Lauernd umkreisten sie sich, das Fell gesträubt, jeden Muskel bis zum Zerreißen angespannt.

Ein warnendes Knurren virbierte in der Brust der Göttin, während die Luft zu knistern schien. Die Schattenwesen hatte sie beinahe vergessen, kurz wandte sie sich um, um einem Hinterhalt zu entgehen, doch keine rührte sich.

Dafür nutzte Schatten ihre Ablenkung, sprang vor und ließ einen Schauer an Krallenhieben auf ihre Flanke niedergehen. Scharf  wie Hagelkörner bohrten sich seine Krallen in ihr Fell, als sie versuchte, sich wegzuducken. Seine silberhellen, unnatürlich langen Krallen blitzten auf, als er ihr ein Büschel Fell wegfetzte. 

Mit aller Kraft riss sie sich los und schlug ihre Fänge in seine Vorderpfote. Schatten jaulte auf wie ein Wolf, riss sich los und wich taumelnd zurück. Blut rann aus dem Maul der Kätzin, als sie ihn zufrieden betrachtete. Seine Genutuung hatte einen Funken in ihr entzündet, ein Meer aus hasserfüllten Flammen. Sie war stark. Sie konnte sie alle vernichten, und das wusste sie.

Fellbüschel flogen, als Schatten sich wieder auf sie warf. In einem Knäuel aus goldenem, weißem und schwarzem Fell rollten die beiden über den Boden, während die Schattenwesen sie ungerührt beobachteten. Mittlerweile war die Göttin sich sicher, dass sie gar nichts anderes konnten, denn sie starrten nur mit leeren Augen an ihr vorbei, als sie und Schatten beinahe gegen einen Baum prallten.

Flink kletterte sie den Baum hinauf und krallte sich in einen Ast über Schatten. Wovor hatte ich nur Angst? fragte sie sich, während sie auf dem Ast balancierte. Schatten sah mit hasserfüllten Augen zu ihr hoch und fletschte die Zähne wie ein Hund, was aber eher lächerlich aussah.

Sie ließ sich auf seinen Rücken fallen und hörte etwas knacken. War es seine Rippe? Offenbar schon, denn Schatten rollte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht weg, schnappte nach ihrem Schweif und riss sie nach hinten.  Ein lodernder Schmerz, fauchend wie eine wütende Katze, schoss durch ihren Körper.

Fauchend fuhr sie herum und hieb mit den Krallen nach ihm, ohne richtig hinzusehen. Sie schlug einfach blind zu und hörte ihn aufheulen, dann war ihr Schweif wieder frei.

Nun zog er seine dornenscharfen Krallen über ihre Schulter. Schmerzerfüllt zuckte sie zusammen und wich zurück, während heißes, golden schimmerndes Blut über ihr Fell rann. Schatten nutzte das aus und warf sich gegen sie. Mittlerweile konnte die Göttin die weißen Fellbüschel gar nicht mehr auseinanderhalten. Waren es ihre oder seine? Sie stieß ihm die Pfoten hart gegen die Brust und er taumelte keuchend zurück, während sie ihn zu Boden riss.

Schatten sah aus, als hätte ein Blitz ihn getroffen. Sein Fell stand zuberge wie das Stachelkleid eines Igels, sein buschiger Schweif peitschte über den Boden, seine flach angelegten Ohren sah man kaum noch.  In seinen Augen loderte purer Hass. Er versetzte ihr einen Prankenhieb, dass ihr Kopf zur Seite geschleudert wurde, dann noch einen und immer mehr. Blutige Striemen zogen sich über das Gesicht der Göttin, als sie zurückwich. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen.

"Wusstest du eigentlich schon, was mit deinem Körper hier passiert, wenn du das Ritual durchziehst?" fragte er sie schließlich im Plauderton, während er einen weiteren Angriff vortäuchte, sodass sie noch mehr zurückwich.

"Was denn?"  Alarmiert sah die Göttin Schattens triumphierenden Blick. "Was passiert dann?"

"Du löst dich auf." Zufrieden bleckte Schatten die Zähne. "Deine Seele wohnt so lange in dieser kleinen Katze, bis sie stirbt."

"Und das heißt?"

"Das heißt, dass deine Schützlinge hier oben...nun, schutzlos sind." 

Die Göttin zuckte zusammen. "Sie sind also wehrlos gegen deine Schattenwesen?"

"Nicht doch, traust du den Deinen so wenig zu? Sie können sich natürlich verteidigen, aber du kannst ihnen nicht helfen." beschwichtigte Schatten sie. "Du musst also dein Reich bei den Toten aufgeben, um die Lebenden zu retten."

"Was? Wovor?" Die Göttin schrie fast. Wut blitzte in ihren gerade grüngoldenen Augen. "Was hast du vor, Verbannter?" Ihr entging nicht, wie Schatten zusammenzuckte.

"Ich führe das Ritual ebenfalls durch und werde auch im Tal leben. Ich werde dem Wald der Finsternis und dem Wald der Toten Zugang zu den Lebenden verschaffen. Ich werde deine Anhänger da unten mit Stürmen und Naturkatastrophen vernichten! Und du darfst zusehen." erklärte er genüsslich.

"Warum? Schatten, warum?" fauchte sie.

"Warum nicht?" Gelassen begann Schatten, sich das Blut von seinem zerzaustem Fell zu putzen. "Und du kannst mich nicht aufhalten, weil nur ich das Ritual kenne."

Ergeben atmete die Göttin aus. "Führen wir es jetzt durch?"

"Ja, komm." Schatten stand auf und lief über die Lichtung nach Süden. Die Göttin folgte ihm und sie sahen hinunter ins Tal. Feiner Rauhreif bedeckte das Gras und ein kühler Wind ließ die beiden frösteln.

"Bald beginnt die Blattleere." murmelte die Göttin. Schatten nickte. "Die Tage beginnen dunkler werden und die Nächte werden länger."

"Ausgerechnet jetzt. Ich kann Kälte nicht ausstehen." fügte er hinzu.

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