Die Begegnung
Plötzlich packte mich jemand und hob mich hoch. Mein kleines Herz pochte wie verrückt gegen meine Brust. Bestimmt hatten sie mich gefunden. Ich war nicht schnell genug gewesen, nicht ausdauernd genug und nicht stark genug. Mit allen Kräften wehrte ich mich. Ich biss und kratzte um mich, doch die Hand ließ mich nicht los. Behutsam nahm sie mich auf den Arm und streichelte mich.
"Alles gut", flüsterte die Frau, "hier kann dir nichts passieren."
Mein Herz pochte immer noch schnell. Ihres auch. Sie presste mich gegen ihre Brust, bis ich aufgehört hatte zu zittern. Vor Kälte und vor Angst. Zögerlich schnupperte ich. Ihr Geruch war mir unbekannt, weshalb ich zu hoffen wagte, dass mein Schicksal noch nicht besiegelt war. Dann setzte sie mich in eine Plastikkiste. Der Boden war glatt und rutschig. Ängstlich guckte ich mich um. Grün. Die Kiste war grün. Ein seltsames Grün, eines, durch das man hindurchsehen konnte. Langsam wurde ich panisch und wollte wieder hinausspringen, doch da legte sich ein dunkler Vorhang über die Kiste. Ich hatte Angst, konnte mich aber nicht rühren. Ich presste mich auf den Boden und machte kein Geräusch. Hier würde mich eh keiner hören.
Auf einmal ging ein Ruck durch die Kiste und ich spürte, wie sich die Frau in Bewegung setzte. Nach kurzer Zeit sah ich schwache Lichteffekte und hörte, wie etwas geöffnet wurde. Eine Autotür. Ich erinnerte mich an meine erste Reise in so einem Ding. Dann schlug die Tür wieder zu. Stattdessen öffnete sich kurze Zeit später eine andere und die Frau stieg ein. Der Motor hustete erst auf, dann ging das Geräusch in ein gleichmäßiges Schnurren über.
Nach nervenaufreibenden Minuten im Auto hörte ich Steine unter den Reifen knirschen. Dann stand das Fahrzeug still und die Frau stellte den Motor ab. Ich hörte ein Klacken, sah aber nichts. Eine Tür flog geräuschvoll zu. Gedämpfte Schritte, dann öffnete sich die Tür auf meiner Seite. Wieder dieses Schwindelgefühl, als die Kiste schwankte, weil ich erneut hochgehoben wurde. 'Bumm'. Die Tür schlug zu. Die Schritte der Frau auf dem Kies waren so laut in meinen Ohren, dass sie fast die anderen Geräusche übertönten. Wir waren nämlich nicht die einzigen hier. Lauter fremde Geräusche und Gerüche. Ich zitterte auf dem kalten Boden der Plastikkiste. Mein Fell war noch nicht richtig wärmend, obwohl der Winter wohl schon beinahe zu Ende war.
Die Schritte von drei Personen kamen näher. Plötzlich eine Stimme. Sie war warm und herzlich. Dann die Stimme der Frau. Ich wusste nicht, über was sie redeten, aber wahrscheinlich ging es um mich. Ein Schütteln ging durch die Kiste, als die Frau nickte. Immer wieder musste ich erneut das Gleichgewicht finden. Doch so schnell würde ich wohl keinen festen Boden unter den Füßen haben. Eine zweite Stimme fing an zu reden. Sie war ziemlich hoch. Manchmal stammelte sie, aber sie klang beruhigend, verständnisvoll. Kurz wurde die Decke von meiner Kiste ein wenig angehoben. Ein paar Sekunden später war es wieder dunkel. Die Stimmen hatten erneut zu reden begonnen. Dann schallte ein Lachen über die freie Fläche. Die dritte Stimme meldete sich nicht zu Wort. Plötzlich wurde die Decke auf meiner Kiste wieder angehoben und ich hinausgenommen. Ich kratzte panisch um mich. Was passierte mit mir? Das Mädchen roch völlig fremd. Ihr Herzschlag pochte kurz und eilig in ihrer Brust, ebenso wie ihr hastiger Atem. Aber alles ging so schnell, dass ich dies nur nebenbei mitbekam. Ich wurde in eine Box gesetzt mit einer vergitterten Tür. Durch ovale Öffnungen an den Seiten fand etwas Tageslicht den Weg ins Innere. Es war nicht gerade geräumig, aber mit einer Decke ausgelegt. Alles roch fremd. Nach jemandem Fremden. Nach Tod. Ein Zittern durchlief meinen Körper. Das metallene Gitter quietschte, als das Mädchen es verschloss. "Alles guuut", flüsterte sie mir zu. Noch kurz redeten die Stimmen, dann verabschiedeten sie sich. Die Frau ließ mich alleine.
Die drei Leute stiegen in ein anderes Auto. Das Mädchen nahm mich auf den Schoß. "Ruhiiig", murmelte sie immer wieder. Auch der Junge sagte jetzt etwas. Seine Stimme war holprig. Etwas rau.
Nur das Schnurren des Motors war zu hören und die Stimmen, die sacht dahinplätscherten. Ab und zu redete mir das Mädchen beruhigend zu. Sie hielt ihre Hand an das Gitter, dass ich ihren Geruch erschnuppern konnte. Vielleicht würden wir irgendwann gute Freunde.
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