9.Kapitel - von Unterkleidern und unliebsamen Erinnerungen

A/N: Und? Wie gefällt euch Roxie? Sie werdet ihr später noch einmal kennenlernen, seid also ruhig gespannt;)

Phoebe atmete tief ein. Die Seeluft roch salzig und nach Freiheit und so anders als in London.

Sie spazierte gerade alleine an der Uferpromenade entlang und genoss es, dem geschäftigen Treiben um sie herum zuzuschauen. 

Jeder hier hatte etwas zu tun, nicht so wie in London, wo sich manche beinahe zu Tode langweilten.

Mittlerweile war sie schon eine Woche hier. Ihre Mutter hatte Recht behalten, sie konnte immer besser schlafen und war weniger schreckhaft.

Sie zog ihren Mantel mit den tausend Knöpfen zurecht und lief gemütlich weiter. Am Fishersgate blieb sie stehen und schaute aufs Meer.

Wie es Charles wohl ging? Er hatte so geknickt ausgesehen, als sie Lebewohl zueinander gesagt hatten.

Geschäftiges Treiben herrschte am Hafen und sie schaute den Fischern zu, wie sie eifrig arbeiteten. Auch am Ufer sassen welche und redeten über irgendetwas, während sie wild gestikulierten.

Am Rande sass einer der Fischer und nahm gerade einen Fisch aus. Das Messer blitze in der Sonne und Phoebe erstarrte.

Sie konnte nicht mehr atmen und hatte ihre Augen weit aufgerissen, während sie unablässig auf das Messer starrte. Sie musste wohl mitten auf der Strasse stehen geblieben sein, denn eine ungeduldige Stimme fragte sie:

„Könnten Sie wohl zur Seite gehen, Miss?"

Phoebe reagierte nicht. Ihre Lungenflügel brannten.

Miss?", fragte die Stimme und eine Hand wedelte vor ihrem Gesicht herum.

Ein Messer im Arm. Da steckte in Messer in ihrem Arm. Sie konnte den Schmerz fühlen.

„Nicht bewegen, sonst knarrt die Diele", murmelte sie zu sich selbst.

Plötzlich wurde sie am Arm gepackt und zur Seite geschoben. Dabei konnte sie endlich ihren Blick vom Messer lösen und atmete röchelnd ein., während sie sich erschöpft zu Boden gleiten liess.

Als sich ihr Atem wieder normalisiert hatte, hob Phoebe ihren Kopf und war überrascht, als das Mädchen, das sie vorhin ungeduldig darum gebeten hatte, den Weg frei zu machen, immer noch vor ihr stand.

„Ich bin Roxie Aldrington", meinte diese und liess sich neben Phoebe auf den Gehsteig fallen, sich nicht darum kümmernd, dass ihr Kleid staubig wurde.

„Bist du neu hier? Ich hab dich noch nie gesehen und ich kenne in diesem gottverdammten Kaff beinahe jede Menschenseele", fragte sie neugierig und Phoebe nickte, ein wenig überrascht von der Wortwahl des Mädchens.

„Wir sind vor einer von London hierher in die Preston Road gezogen. Wir haben dort unser Landhaus.", erklärte Phoebe.

„Da will ich auch mal hin. London meine ich.", sagte das Mädchen und ihr Gesichtsausdruck wurde verträumt.

Phoebe sagte nichts und war froh, als Roxie nicht weiterfragte.

„Wie dem auch sei, ich muss weiter, sonst kriege ich eine Standpauke, wenn ich zu spät komme.", grinste sie verschmitzt und zwinkerte Phoebe zu. Ihre fröhliche Art war ansteckend und Phoebe konnte nicht anders als zurückzulächeln.

„Kommst du heute Abend auch zum Tongdean-Ball?", fragte Roxie sie, während sie sich den Staub von ihrem Mantel klopfte.

„Ich weiss nicht.", meinte Phoebe zögerlich, aber Roxie liess nicht locker.

„Komm schon! Wenn in diesem gottverlassenen Kaff schon einmal etwas passiert, dann muss man das ausnutzen!", rief sie aus. Brighton war wirklich ein kleines Dörfchen und nicht viel passierte hier, aber ein immenser Vorteil war, dass nicht unbedingt eine chaperone benötigt wurde. So konnte Phoebe spazieren gehen, wann sie wollte und stehenbleiben, ohne dass ihre Begleitung nervös wurde. 

Von Roxie's lauter Deklaration wurde sie wieder aus ihren Gedanken gerissen.

„So, aber jetzt sollte ich wirklich los. Bis heute Abend! Ich lass dir die Einladungen zukommen!", rief sie Phoebe schon im Gehen zu und winkte noch kurz. Nach einigen Augenblicken war sie schon um die nächste Ecke gebogen und nicht mehr zu sehen.

Phoebe lächelte immer noch. Roxie war eine so quirlige Person, dass sie Phoebe gerade angesteckt hatte und diese nun ebenfalls quirlig war. Dass Roxie sie sofort geduzt und sich eigentlich nicht an die Regeln der Höflichkeit und Etikette gehalten hatte, machten sie um so sympathischer.

Sie erhob sich und machte sich ebenfalls auf den Weg zu ihrem Haus in der Preston Road.

Gut gelaunt betrat sie ihr vorübergehendes Zuhause und zog sich den verhassten Mantel mit den tausend Knöpfen aus, der nun völlig staubig war.

„Mama?", schrie sie durchs ganze Haus und grinste, als deren Kopf verwundert aus dem drawing room lugte.

„Hast du Lust heute Abend einen Ball zu besuchen?", fragte sie mit einem Augenzwinkern und ihre Mutter grinste zurück.

Punkt acht Uhr abends standen sie vor dem Haus der Tongdean's und liessen sich von Dienern die Mäntel abnehmen.

„Schau mal, was für ein schönes Haus!", rief ihre Mutter entzückt aus und fügte im gleichen Atemzug hinzu, „daran könnte sich Mr. Wilton mal ein Beispiel nehmen."

Sehr zu Mrs. Wiltons Leidwesen war der Landsitz der Wiltons nämlich spärlich ausgestattet, nur das Nötigste war vorhanden, und das störte sie gewaltig. Es wäre unfair zu behaupten, Mrs. Wilton sei oberflächlich, denn das war sie nicht, aber trotzdem verschmähte sie Luxus keineswegs.

Kaum waren sie in den grossen Saal getreten, raste Roxie auf sie zu und packte Phoebe bei den Händen.

„Ich habe dir doch gesagt, dass du den Ball nicht verpassen darfst! Schön, dass du da bist!", meinte sie mit einem Lächeln und wandte sich ein wenig zerknirscht an Mrs. Wilton.

„Das gilt natürlich auch für Sie."

Es wäre untertrieben zu sagen, dass Phoebe an diesem Abend gut gelaunt war. Sie war überschwänglich, begeistert und entdeckungsfreudig. Das ging so weit, dass sie und Roxie sich sogar in den Kartenraum der Herren schlichen und deren Gespräche zu belauschten.

Als Phoebe spätabends, oder eher frühmorgens wieder heimkam, war sie so glücklich wie schon lange nicht mehr. Und sie wusste jetzt, welche Farbe die Unterkleider von Mister Hangleton hatten. 

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