Stahl
Die Ratssitzung war noch nicht lange her. Zwei, vielleicht drei Stunden, und einen Ritt zurück ins Lager, und erst jetzt, als er im Inneren seines Zeltes saß, fiel Griffith auf, wie sehr er sich verboten hatte, auch nur daran zu denken.
"Doldrey hat wieder einen neuen Gouverneur." Die Stimme war eine von vielen gewesen, der Satz einer der unzähligen, die ihre Spione und Berichterstatter aus allen Ländern zusammentrugen. "Garahel Gennon." Griffith war still geblieben.
Die übliche Ruhe, dasselbe nichtssagende Gesicht, nachdenklich und mit dem leisen Hauch eines höflichen Lächelns, was an seinen Mundwinkeln zupfte. Er dachte nicht daran, sich zu Wort zu melden. Um genau zu sein, dachte er gar nichts - sein Kopf war in angenehmes weißes Filterrauschen gehüllt, dass normalerweise mit Müdigkeit einsetzte oder dann, wenn es galt, ihn vor Langeweile zu bewahren. Die Worte waren an ihm vorüber geflossen, während er den Blick durch ihre Runde schweifen ließ und sich an kleinen Details aufhielt, während sein innerer Monolog schwieg.
"Gennon? Was wissen wir über ihn?"
Blätterrascheln. Seiten wurden umgekehrt, Berichte entfaltet. Griffith verlagerte sein Gewicht unmerklich, als ihm seine Position zu unbequem wurde.
"Ehemaliger Lord von Lanquin. Er ist einer der Nobelleute, der die Kriegsbemühungen der Tudors mit großzügigen finanziellen Mitteln unterstützte-", las Baron Remfrey, ehe er sich zu einem Schulterzucken herabließ. "-vermutlich der Grund für den neuen Posten."
"Irgendwas darüber, wo er das Geld herhat?", wandte sich ein weiterer Mann an die Runde. "Lanquin ist alles andere als fruchtbares Land. Unsere Spione berichten von darbender Bevölkerung."
"Ah, ja - eine der städtischen Tuchhändlergilden hat unter Aufsicht seiner Inquisition Verrat an der Krone gestanden. Ihr Hab und Gut wurde beschlagnahmt, und der Lord wusste es gut anzulegen." Mehr Blättergeraschel. "Keine Frau, keine Kinder. Wenig diplomatische Ansatzpunkte. In einem der Berichte wird er als Philanthrop beschrieben, hat anscheinend über die Jahre viele Kriegswaisen an seinen Hof geholt."
Soviel, blitzte es in Griffith Geist auf, hätte ich euch auch verraten können. Und mehr.
Nicht, dass er das selbst unter Folter tun würde.
Und - er hatte gut verdrängt, nicht wahr? Griffith war später wieder ins Gespräch eingestiegen, als es um potentielle Punkte zum Vorrücken ihrer Armeen ging, er hatte höflich gelacht, charmant Konversation betrieben, den Rückweg über noch gewitzelt mit Judeau und Gastan.
Nur jetzt, allein im Zelt, wollte es ihn nicht loslassen. Wie sein Gehirn einfach dicht gemacht hatte. Alles war blank gewesen, und angenehm, und er hatte es nicht einmal aktiv bemerkt. Hätte er noch vernünftig antworten können, wenn man ihm Fragen gestellt hätte? Oder wäre er zu beschäftigt mit dem Gedanken an
- Hände auf seiner Haut, Enge in seiner Kehle, wie breit er lächeln konnte, wenn er doch eigentlich kotzen wollte, oder vielleicht zubeißen, dem alten Mann Nase und Haut vom Gesicht reißen, nur aus einem Impuls heraus -
an andere Dinge?
Seine Rüstung schimmerte auf dem Ständer neben ihm, poliert, wieder glattgeschlagen, symbolträchtig und nutzlos. Dumm, dass sie ihn nur unberührbar fühlen ließ, wenn er sie auch tatsächlich trug. Dumm, dass Griffith klüger sein wollte, als Trost in leeren Symboliken zu suchen. Er rang noch ein wenig mit sich, der Form halber, aber eigentlich war die Entscheidung schon längst gefallen. Irgendwas würde er tun müssen.
Griffith schlüpfte in seine Stiefel, um nicht barfuß über den klammen Rasen laufen zu müssen, und streckte seinen Kopf zur Zelttür heraus. Die Stimmen, die er in einiger Entfernung gehört hatte, entpuppten sich als Casca und Judeau. Beide Gesichter leuchteten auf, als sie seiner Gewahr wurden. Zumindest eines von ihnen fiel wieder zusammen, als er die Stimme erhob.
"Habt ihr Captain Guts gesehen?" Er gab vor, nicht wahrzunehmen, wie die junge Frau einen Flunsch zog und mit leichter Bitterkeit zurück auf die Karte starrte. Die Rivalität zwischen Guts und Casca war ein Problem für den Griffith der Zukunft, nicht für jetzt und heute. Aktuell sorgte sie ohnehin nicht für Schwierigkeiten, wenn die zwei den Anstand besaßen, nicht direkt vor seinem Krankenzimmer aufeinander einzuprügeln.
"Der Captain ist bei den neuen Rekruten, die wir aus Douglas Söldnerscharen zusammensammeln konnten. Sie sind unten bei den Feldern.", ließ Judeau verlauten, und Griffith schenkte ihm ein kurzes, dankbares Nicken, ehe er sich herauswand und den Eingang zu seinem Zelt verschloss.
Die letzten Tage war es sehr warm gewesen, als würde der Sommer sich weigern, sie jemals ganz aus seinem Griff zu entlassen, doch seit dem Regenguss letzte Nacht hatten sich die Temperaturen herabgekühlt. Zum ersten Mal seit diesem Frühling stellte Griffith fest, dass er wieder fror, wenn er sich lediglich im Leinenhemd durchs Lager bewegte. Er grüßte zu den Seiten, nickte dem einen oder anderen Gesicht zu, lächelte kurz, wo ihm enthusiastisch gewunken wurde, und wand sich mit wenigen Worten heraus, sobald jemand versuchte, seine Aufmerksamkeit für mehr als ein paar Sekunden zu fangen. Sollten sie sich an Casca wenden. Er hatte zu tun.
Die Landschaft weiter Felder, über denen ihr Lager an einem beginnenden Hügel hing, stand in voller Blüte. Auf den Wiesenflächen davor konnte er etwa dreißig Mann sehen, in verbeulten Rüstungen, zerschrammt und umgeben vom Geruch, der Männer immer begleitete, wenn sie lange im Feld unterwegs waren. Viel Adrenalin und zu wenig Bäder. In solchen Momenten war ihm seine Sonderbehandlung unangenehm - Griffith, dem man heute morgen im Hauptfeldlager extra eins eingelassen hatte, fügte sich in ihre Reihen so gut wie ein Lilienstrauß auf einem Abort. Er wusste über die Vorteile, die es brachte, mit Äußerlichkeiten hervorzustechen, aber das hieß nicht, dass er es immer mochte. Vor allem dann nicht, wenn er Blicke im Rücken spürte, die ihm verrieten, dass 'Kommandeur' nicht das erste war, woran seine Leute bei seinem Anblick dachten.
Die Unruhe, die seine Überlegungen verursachten, blieb nur kurz. Sie verschwand, als er näher an den Kreis der Männer herantrat, die mal johlten und mal mit offenem Mund beobachteten, wie einer der ihren gerade in den Staub gerungen wurde. Griffith drängte sich zwischen sie und wartete den Moment, den es brauchte, bis Guts seinem Gegner das Schwert aus der Hand gewunden hatte und hinter sie warf. Der Mann in Guts Würgegriff wirkte massiv, mindestens so groß oder sogar größer als sein Captain. Den ungläubigen Blicken um sich herum nach war es wahrscheinlich das erste Mal, dass er so rasch verlor. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte Griffith das Aufflackern in Stolz in sich spüren. Richtig. Die Bande des Falken war nicht irgendeine Söldnergruppe, Und es schien, als reiche heutzutage ein einziger Blick auf seinen Captain, und die Leute verstanden es, noch bevor sie es in Worte fassen konnten.
"Kommandant!" Guts Kopf hatte sich gehoben - lange genug, um ihn zu erkennen und die arme Sau in seinem Griff zu entlassen. Der Mann fing sich ungelenk und rappelte sich auf, während der Ruf dafür sorgte, dass die Männer rund um Griffith endlich aufmerksam genug wurden, um sich in Stellung zu bringen. Er winkte ab, als einzelne von ihnen salutieren wollten.
"Lasst euch nicht aufhalten. Ich möchte lediglich mit meinem Captain sprechen." Ein auffordernder Kopfwink hin zum anderen Ende der weiten Grasfläche, wo sie ihre Stallungen improvisiert hatten, und er musste schon gar nicht mehr weiterreden. Guts schulterte seine Waffe, verschwendete keinen zweiten Blick auf den Gegner und machte sich daran, ihm hinterher zu stapfen. Gut.
Griffith hatte sich die Zeit genommen, seinen Gehrock vor dem Ausritt zu holen, und inzwischen konnte er nicht anders, als sich dafür innerlich auf die Schulter zu klopfen. Der späte Nachmittag hatte erneute Wolken aufziehen lassen, und durch ihre Decke verlor sich jedes Licht, das den Boden noch hätte aufwärmen lassen.
Das Wetter gibt sich Mühe, zu meiner Stimmung zu passen, spottete es in ihm, aber ganz korrekt war das auch nicht. In manchen Momenten fiel es Griffith leicht, sich in Schwermütigkeit zu verlieren, aber nicht in Augenblicken wie diesen. Gerade hörte er das sachte Traben von Guts Pferd, und obwohl sie nicht sprachen, reichte die Nähe des anderen, um seine Gedanken leichter zu machen.
Griffith wusste nicht, warum er sein Pferd schließlich zum Halten anhielt. Der Ort war keineswegs perfekt. Er war höchstens... gut genug. Die Sonne war am Sinken und ließ Strahlen goldenen Lichts durch die Decke grauer Wolken brechen, die Luft roch nach Regenguss, und die dichten Bäume über ihren Köpfen hatten dafür gesorgt, dass die Findlinge, die den steinernen Abhang übersäten, vom Wetter bisher verschont geblieben waren. Er stieg vom Pferd, band es an einen Baum und trottete zwischen Kiefern hindurch, während er lauschte, wie sich Guts Stiefel hinter ihm in Erde und Nadeln gruben.
Der Abhang führte zu einer Klippe herunter. Als er sich ihrem Rand näherte, ließ er sich sinken, die Beine im Schneidersitz gelegt. Guts hielt neben ihm inne, und Griffith konnte die Frage in seinen Augen förmlich sehen. Hast du mich hierhin entführt, nur um jetzt die Aussicht zu genießen? Nein. Aber er hatte auch nicht vor, direkt mit der Sprache herauszurücken. Das wusste er ja nicht einmal gegenüber sich selbst wirklich zu tun, wie sollte er es dann für Guts in Worte fassen? ... Und Ablenkung war genug da.
"Siehst du das Gelände da unten?", erkundigte Griffith sich und hielt den Blick auf ein malerisches Tal gerichtet, grün trotz des beginnenden Herbstes. Ein wilder Fluss schlängelte sich hindurch. Guts blinzelte.
"Was ist damit?" Er stand immer noch. Erst, als Griffith ein wenig auffordernd neben sich klopfte, ließ auch Guts sich sinken. Seine Augen waren schon dabei, besagtes Gelände konzentriert aufzunehmen, und Griffith fühlte Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfen. Der Anblick war zu vertraut.
"Es gehört zu den Ländereien König Auguste Wyndhams. Und wir täten gut daran, es zu erforschen, bis wir es auswendig kennen. Er wünscht, dass unsere Truppen seine diesjährige Herbstjagd da unten begleiten." Damit nickte Griffith noch einmal zum grünen Flecken herunter, aber bereits aus den Augenwinkeln nahm er wahr, wie Guts die Stirn runzelte.
"Seine Jagd? ... Wir sind Söldner. Keine verfickten Edelleute." Es war nicht schwer, die Abneigung aus seinen Worten herauszulesen. Guts war selten ein Freund von höfischen Veranstaltungen, noch weniger, wenn verlangt wurde, die Waffen an der Tür zurückzulassen.
"Es ist eine prestigeträchtige Veranstaltung. Mit unserer Ernennung zu seiner Königsgarde spricht er uns subtil seine Billigung aus. Auch, wenn es darum geht, nach mehr zu streben und sich in die höheren Ränge des Reiches einzubringen." Griffith mochte 'uns' gesagt haben, aber beide wussten, was ihm wirklich auf der Zunge lag. 'Mir'.
"Also ist es was Gutes, hm?" Das unwillkürliche Schmollen war noch immer nicht ganz von Guts Gesicht verschwunden.
"Du wirst in Rüstung und Schwert teilnehmen dürfen. Wir sind immerhin als Wache dort." Als er sah, wie sich das Gesicht seines Kameraden erhellte, konnte Griffith nicht anders als grinsen. Guts Anwesenheit sorgte dafür, dass die Welt sich einfacher anfühlte. Dinge, die Griffith an anderen Tagen mit ihrer Komplexität zu erschlagen drohten, fühlten sich in seiner Nähe einfach an. Vielleicht, weil alles an Guts Dasein so einfach erschien? Wenn es ein Problem ist, dann erschlägst du es. Wenn du es nicht erschlagen kannst, ist es kein Problem.
... Wie würde die Guts-eigene Welt reagieren auf Dinge, die Griffith getan hatte, und die ihm unverlangt wieder durch den Kopf trieben? Würde er ihn genauso ansehen wie Casca damals? Ekel - und Schock, Mitleid und Sorge? Oder würde er es einfach hinnehmen? Das war damals, und heute ist heute. Wir alle müssen manchmal schmutzige Dinge tun.
Manchmal hatte er das Gefühl, dass Guts verstand. Mehr als alle anderen. Du verstehst, dass Märchen hässlich sind, dass sich hinter jeder großen Geschichte unsere kleinen, niedrigen Taten verbergen, die erst dafür sorgten, dass sie nach außen hin so glänzen konnte. Ohne funktioniert diese Welt nunmal nicht. Die anderen scheinen es nicht so einfach wahrhaben zu wollen, aber du verstehst.
Und im Hintergrund seines Geistes, leise, weil Griffith es hasste, von wie viel Schwäche die Worte eigentlich sprachen:
Darum kann ich dich niemals gehen lassen.
Aber er würde nichts fragen und nichts erzählen, zumindest nicht nüchtern. Auch für Griffith gab es Hemmschwellen.
"Was zu trinken?" Fast beiläufig löste er den Trinkschlauch von seinem Gürtel, und Guts sah auf, als hätte man ihn aus eigenen Gedanken gerissen. Er nahm ihn an sich, stürzte den ersten Schluck herunter und verzog im selben Moment schon das Gesicht.
"Puh! Warum hast du dieses Zeug mit?"
Griffith konnte nicht anders, als amüsiert zu sein. Die Gedanken von eben zerstoben bereits wieder.
"Dieses Zeug? Wenn ich euch abends am Lagerfeuer besuche, sehe ich dich wesentlich Schlimmeres trinken, mit einer Geschwindigkeit, als wärst du am Verdursten."
"Ja, aber-" Guts wischte sich die Lippen ab und warf einem schrägen Blick zu ihm herüber. "-warum hast du dieses Zeug mit?"
"Man hat mich durch einen ganzen Tag voller Kriegsbesprechungen gezerrt. Irgendwann neigen sie dazu, langweilig zu werden.", sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Gelogen waren die Worte ja nicht einmal ... sie hatten nur nicht das geringste mit Guts Frage zu tun.
"Ich dachte, das ist exakt, was du willst? Macht, Entscheidungsgewalt und so?" Guts nahm weitere Schlucke, so lange, bis Griffith fordernd seine Hand ausstreckte und er den Schlauch wieder weiterreichte.
"Ich will Macht erringen", antwortete Griffith mit kurzem, sinnierendem Lächeln. "Macht haben ist der weniger spannende Teil davon. Zu viel Detailverantwortung." Einen kurzen Moment überlegte er, ob ihm die Implikationen seiner eigenen Worte gefielen. Bevor er zum Ende kommen konnte, hörte er Guts lachen.
"Und was machst du dann, wenn du dein Königreich hast? ... Ein zweites erobern?" Hm. Manchmal neigte selbst er zu vergessen, dass sich ein arbeitender Kopf hinter dem grobschlächtigen Äußeren befand. Dieser Teil von Guts war mitunter so angenehm, wie er problematisch war. Griffith antwortete mit breitem, unschuldigen Grinsen.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dich darüber beschweren würdest, wenn wir neue Fronten eröffnen." Guts lächelte schief. Zucken in den Mundwinkeln, und in den Augen eine Art Ergebenheit, die ihm ein warmes Gefühl in der Bauchregion bescheren wollte.
"Wen scherts, ob ich mich beschwere? Befiehl es mir. Das reicht." Griffith lächelte weiter, aber diesmal war es der Gewohnheit halber.
Fakt ist, er hatte geplant, das Gespräch an einen solchen Punkt zu bringen. Fakt war aber auch, dass in seiner Planung etwa fünfmal so viel Alkohol vorgesehen war, wie sie beide aktuell intus hatten. Er konnte das nicht. Nicht nüchtern. Er würde einfach warten, bis sich ein weiterer Moment ergab, ein besserer, und hoffen, dass Guts nicht zwischendurch verschwand, sich langweilte, das Interesse verlor - Mit neuerlichem großen Schluck wandte er sich der Flasche zu und unterdrückte ein Husten, als die Flüssigkeit in seinem Hals brannte.
"So funktioniert das nicht."
"Was?" Und Guts blinzelte auch noch, so arglos, als hätte er keinen blassen Schimmer, worauf Griffith hinauswollte.
"Du bist nicht der Typ Mensch, der alles macht, was andere ihm befehlen. Irgendwo gibt es Grenzen.", stellte Griffith in den Raum. Und als wolle Guts ihn auf die Probe stellen, antwortete er in derselben Arglosigkeit.
"Du bist aber nicht andere."
Gott, das zielte irgendwo zwischen Wärme im Bauch und Hämmern des Egos in seinem Brustkorb und riss ihm ein Lächeln ab, das er gar nicht kontrollieren konnte. Griffith wusste nicht, warum solche Sätze ihn jedes Mal mehr traf, wenn sie von Guts kamen... vielleicht, weil der sich nichts davon versprach. Er hatte keinen Grund zum Speichellecken, und er hatte keine Angst davor, nicht mehr in seiner Gunst zu stehen. Guts sprach einfach im Impuls, und wahrscheinlich waren seine Aussagen deswegen mitunter ein Schlag in die Magengrube - aber von einer guten Sorte.
Griffith brauchte einen Moment, um sich zu fangen und wieder Worte über seine Lippen zu bringen. Er nahm weitere Schlucke, als würden sie es einfacher machen.
"Es gibt auch Dinge, die ich dir befehlen könnte, die du nicht tun würdest.", versuchte er es von Neuem. Zu seiner Missbilligung konnte er sein Herz klopfen spüren. Andererseits war es nicht verwunderlich. Ein Wagnis einzugehen, gerade nachdem Guts so nett war ihm zu erzählen, dass er ihn über die Menge der Normalsterblichen erhob ... Griffith schluckte unmerklich. Was war, wenn er weitersprach und sein Captain plötzlich nicht mehr auf diese Weise von ihm dachte? Der Gedanke machte ihm Angst. Alles, was danach kommen mochte, machte ihm Angst. Dafür, dass Guts eigentlich herrlich unkompliziert war, schien die Interaktion mit ihm manchmal schwieriger als politisches Drahtseiltanzen. Dinge, die Griffith sich selbst abverlangte - Dinge wie ein bisschen Aufrichtigkeit - erhöhten den Schwierigkeitsgrad um ein Vielfaches.
"Ich glaube nicht.", ertönte neben ihm nach einem Moment des Nachdenkens. Als ob die Welt so einfach wäre.
"Trink.", murmelte Griffith, reichte den Schlauch zurück, und er sah Guts ansetzen, als wäre selbst das ein Befehl gewesen. "...Was, wenn Winter wäre und ich dir befehlen würde, dich auszuziehen?" Er versuchte seine Stimme nonchalant zu halten. Es war nur ein albernes Gedankenspiel unter Kameraden. Nichts Wichtiges. Kein Vorantasten auf gefährlichem Terrain. Guts gluckste bei dem Gedanken.
"Dann frier ich halt." Zu einfach.
"... Wenn ich dir befehlen würde, mich zu verletzen?" Guts lachte. Wahrscheinlich war er immer noch in einer vollkommen hypothetischen Was-wäre-wenn-Situation, die angenehm weit entfernt von der Realität war. Vielleicht sah er den Satz auch nur nicht aus Griffith Blickwinkel.
"Dann wirds dein Problem, nicht meins."
"Und wenn ich dir sagen würde, dass du es jetzt und hier tun sollst?" Griffith lächelte und betete, dass sein Gesichtsausdruck nicht nach einer Falle aussah. Nicht nach etwas Abnormalem, nach 'Ich will dich in dieselbe Grube reißen, in der ich gerade sitze'. Wahrscheinlich vergebens. Guts blinzelte ihm entgegen, als würde er Kushan sprechen.
"...Warum solltest du das tun?"
"Ich bin dein Kommandant. Ich muss meine Befehle nicht begründen." Griffith war froh über das Geschick, das ihm erlaubte, eine ruhige Miene zu bewahren. Hätte auch nur ein Muskel in seinem Gesicht gezuckt, etwas vom rasenden Herzen in seinem Inneren verraten - er hätte einen Rückzieher machen müssen und sie beide abfüllen, bis das Gespräch nur noch ein vager Traum für sie war. Vielleicht musste er das ohnehin, früher oder später.
Guts drehte sich zu ihm, aber sein Zögern sah nicht nach Ablehnung aus. Mehr nach Abwarten. Dennoch wünschte Griffith, in solchen Momenten könnte er ihn gänzlich sezieren, Stück für Stück, bis er die Sicherheit hatte, dass er dem freigelegten Wesen vertrauen konnte.
"Ist das denn ein Befehl?" Inzwischen klang Guts misstrauisch, und vermutlich hätte aller Alkohol der Welt nichts daran ändern können. Griffith, der Personen normalerweise in einem gewissen Rahmen einzuschätzen wusste, hatte keinen blassen Schimmer, wie Guts reagieren würde. Und es gefiel ihm genauso sehr gar nicht, wie es ihm viel zu sehr zu gefallen schien. Er lächelte, weil das eine vertraute Geste war und es ihm ersparte, nach schwierigen Worten zu suchen.
"Ja."
Guts erhob sich. Seine Stirn war gerunzelt, sein Blick starr auf Griffith gerichtet. Manchmal kam er nicht umhin sich zu fragen, wie er aus den Augen seines Captains aussah. Griffith wusste nicht einmal mit Bestimmtheit, wie er aussehen wollte. Ein leises Gefühl sagte ihm, dass es ihn nicht so sehr stören würde, wenn Guts ihn wie manche Männer betrachtete - ein hübsches Stück Fleisch, dass man auf dem Schlachtfeld nicht erwartet hätte. Oder sah er ihn wie manche Aristokraten? Als gewöhnlicher Sohn niedriger Eltern, dem sein Gossengeruch immer anhaften würde, ganz egal, wie sehr er sich mühte, sie zu überstrahlen? Vielleicht so, wie ihn die langjährigen Mitglieder der Bande des Falken zu sehen schienen, als etwas majestätisches, fast übermenschliches ... Aber nicht einmal das würde sich richtig anfühlen. Ein Teil von ihm wollte, dass Guts seinen eigenen Blick für ihn hatte. Einen einzigartigen, nur für Griffith reserviert, der sich auch von all denen unterschied, die man ihm sonst zukommen ließ.
War es zuviel verlangt, wenn er etwas wollte, was ohnegleichen war?
"...Wie?" Die Frage riss Griffith aus dem Konzept, und er fand sich ganz kurz sprachlos. Sein Blick glitt über den Mann vor ihm. Wie soll ich dich verletzen?
"...Du hast Messer dabei." Die Fragen in Guts Augen hätten ganze Bücher füllen können, und Griffith tat es fast leid zu wissen, dass er keine davon beantworten würde. Er beobachtete stumm, wie der große Mann in die Hocke sank - und verdammt nochmal, Guts war wirklich groß geworden, es hatte Griffith ein halbes Jahr lang tatsächlich geärgert, bis er feststellte, dass er es mochte, von seinem Vertrauten und Schlächter überragt zu werden - und eine seiner Klingen aus ihrer Scheide zog. Guts hielt sie so verloren, als würde ihm zum ersten Mal auffallen, dass man sich an ihr schneiden konnte.
Damit war er so ziemlich das Gegenteil von dem, was Griffith wollte - was Griffith glaubte zu brauchen - aber das änderte nichts daran, dass sein Herz bei dem Anblick wieder neues Tempo einschlug.
Griffith Finger waren ein wenig fahrig, als er begann, die Schließen seines Gehrocks zu öffnen. Also war er doch betrunken. Nur bei Weitem nicht genug. Er streifte den ersten Ärmel ab, während er fortfuhr: "Wenn du Spuren hinterlässt, dann achte darauf, dass es nicht an Stellen ist, die man sieht. Wenn es dir hilft, vergiss einfach, wer vor dir sitzt. Behandle mich, als sei ich - ich weiß nicht - dein Feind." Die Worte kamen ihm ruhig über die Lippen, oder zumindest aber mit dem Maß an Selbstkontrolle, das er aufwenden konnte. Er gab sich nicht einmal absichtlich so. Griffith war das kontrollieren seiner Sprache und Handlungen nur viel zu gewohnt, als dass er es würde abschalten können.
Ein weiterer Blick nach oben offenbarte ihm den Ausdruck, mit dem Guts ihn musterte. Griffith konnte nicht anders, er musste unwillkürlich an einen Hund denken, dem man befohlen hatte, das geschätzte Herrchen zu beißen. Vielleicht lag es an den dunklen Augen. Sie machten nicht den Eindruck, als könnten sie jemals Niedertracht enthalten. Es waren wahrscheinlich diese Augen, aufgrund derer er sich gezwungen fühlte hinzuzufügen: "Ich werd dir alles erklären. Versprochen. Aber nicht jetzt." Lüge. Lüge und ein schwacher Versuch zu beruhigen. Aber wenn er Glück hatte, hatte Guts seine Worte vergessen, bis es soweit war.
"...Wenn ich zuweit gehe-?" Wirst du nicht.
"Sage ich Bescheid." Und Griffith lächelte. Nicht, weil es ehrlich war, sondern weil es den Satz so schön wahr klingen ließ.
Nimm mich auseinander. Brich mich, bis ich nur noch Einzelteile bin und keine Gelegenheit mehr habe, mich hinter Fassaden zu verstecken. Vielleicht bin ich dann in der Lage, ehrlich zu reden und dieses spezielle Monster aus den dunklen Kellern meines Kopfes zu locken, damit ich es bei Licht betrachten kann. Und sei es nur mit mir selbst.
Guts schien keinen blassen Schimmer zu haben, was er tat. Wahrscheinlich hätte Griffith den an seiner Stelle auch nicht gehabt. Man hielt seinem... seinem Vertrauten nicht einfach das Messer an die Kehle, nicht einmal, wenn der darum bat. Nicht einmal, wenn er das Ganze mit großen Augen verfolgte, und die hellen Arme verschränkte, und die Nasenflügel bebten vor Nervosität beim Einatmen. Der Stahl kratzte über sein Schlüsselbein, und Griffith spürte die Stressreaktion sofort, die kleine, sanfte Erinnerung, dass er immer noch sterblich war.
Manchmal war das eine Erinnerung, die Griffith brauchte. Irgendwas, was ihn zurück in den Dreck stieß. Manchmal kam sie zum exakt falschen Zeitpunkt auf, wenn das Risiko schon viel zu hoch stand, und er musste sich fragen, ob es nicht einfachere Wege gab, sich zu erinnern.
Das hier war einfacher, weil es nicht wirklich tödlich war - und gleichzeitig fühlte es sich so viel gewagter an als alles, was er hätte tun können.
Als er sich nicht regte und nur dasaß, die Augen riesig und mit erstarrten Gliedern, griff Guts ihn und zog ihn näher zu sich, lehnte Griffiths Körper gegen sein ausgestrecktes Bein.
Üblicherweise wusste Griffith nicht übermäßig viel mit Körperkontakt anzufangen, aber jetzt gerade war ihm, als wäre sein Nervensystem überreizt. Jede Berührung eine zuviel. Die Überdosis war genau, was er brauchte.
Der kalte Stahl bewegte sich über seine Kehle nach oben, federleicht unter seinem Kinn entlang, und Griffith rührte sich nicht, von leichtem Beben einmal abgesehen. Zuerst hatten sich seine Augen irgendwo in den Wolken verfangen, wo sie sich nicht mit Scham auseinandersetzen mussten, aber jetzt, wo Guts die Scheu verlor und vielmehr konzentriert wirkte, spürte Griffith sich wieder und wieder zu ihm herüberblinzeln. Er fühlte sich, als würde er sich nicht sattsehen können.
Die Klinge kratzte seine Wange entlang, zu seinen Lippen. Urplötzlich spürte er, wie sich etwas um seine Haare wand und seinen Kopf über Guts Oberschenkel nach hinten zerrte.
Griffith gab einen überraschten Laut von sich. Er atmete schwer und sah Guts besorgt auf sich niederstarren. Jede Realitätsflucht, die der kurze Augenblick innehatte, war gebrochen.
"Du hast gesagt, ich soll dich wie einen Feind behandeln-", sprudelte über Guts Lippen, und er wirkte entschuldigend und gereizt. Als wäre er derjenige, der etwas falsch gemacht hatte. Als ob es normal und fair wäre, dass Griffith ihn benutzte, um seinem Kopf und Körper falsche Ruhe zu schenken.
Griffith hob den Blick, soweit der Griff erlaubte und hoffte, dass seine geistigen Kapazitäten noch ausreichend waren, um sein Mienenspiel nach seinem Willen zu bewegen. Dann lächelte er, fast schon spöttisch auffordernd.
Es schien zu helfen. Zumindest die Sorge in den dunklen Augen weichte auf.
"Und? Warum tust du es dann nich- Argkh!" Diesmal war der Ruck am Haar fester. Guts mochte ihn noch so finster anblinzeln - es war genau das, was er wollte. Brauchte. Griffith spürte seinen Atem an einer kühlen Klinge abperlen und sein Herz schneller schlagen.
"Was nicht tun? Das hier?", wurde gebrummt, und Guts andere Hand grub sich in seine Wangen, in das weiche Fleisch zwischen Ober- und Unterkiefer. Er drückte nur kurz zu, bis das unangenehme Gefühl Griffith zwang, die Lippen zu öffnen.
"Gah-!" Als er die Kälte des Stahls zum ersten Mal an seiner Zunge spürte, wurde Griffith unangenehm bewusst, dass er hart war. Das hatte er nicht ... eingeplant. Oder voraussehen können. Die Erkenntnis ließ ihn so unwillkürlich zusammenzucken, dass es Guts Geistesgegenwart zu verdanken sein musste, dass er sich nicht schnitt.
"Zuck so weiter, und hier fließt gleich wirklich Blut.", wurde ihm trocken von oben bestätigt, während Griffith sich fühlte wie in der Schwebe. Alles war intensiv und gleichzeitig so weit entfernt, dass er sich im Moment treiben lassen konnte. Er hob den Kopf, blickte Guts aus dichten Lidern an und lächelte - soweit das funktionierte, solange der Stahl ihn dazu zwang, die Zähne offenzuhalten.
"Mein Fehler. Entschuldigung." Guts kannte seine Arten zu Lächeln. Und dem Blick nach wusste er genau, was Griffith mit dieser Art aussagen wollte. Was willst du eigentlich, wissen wir nicht beide, dass ich dir überlegen bin? Die Provokation schien auf furchtbaren Boden zu fallen.
Griffith fühlte das fordernde Rucken an seinen Haarwurzeln und legte den Kopf weiter in den Nacken, bis das Atmen selbst anstrengend schien. Bevor er ganz klaren Entschluss dazu gefasst hatte, ließ er seine Zungenspitze an der Seite der Klinge entlang wandern, und das war der Moment, in dem sie ihm entzogen wurde. Beinahe lag ihm ein Protestlaut auf den Lippen, aber ein neuer Ruck an seinem Haar zog ihn ins Jetzt zurück und ließ ihn scharf einatmen. Dann war die glatte Kälte an seinem Bauch spürbar und zeichnete Muskelstränge nach. Alles in seinem Kopf fühlte sich so wattig an. So richtig.
Ihm war klar, dass er doch betrunkener sein musste als gedacht, und lächerlich erregt; Und dass er nicht besonders gut darin sein konnte, das eine oder andere zu verbergen. Alberne Gedanken, die er als kindisch abtun wollte, als ordinär, weil sie so weit von allem entfernt waren, mit dem Griffith sich eigentlich zu beschäftigen wünschte, wollten ihn nicht mehr in Ruhe lassen.
Wirke ich eigentlich anziehend auf dich, Guts? So wie auf andere?
Wirke ich jetzt gerade anziehend?
Zwischen den ersten Rippen verharrte die Klinge, stellte sich auf die Spitze und drückte sich in trägen Kreisen langsam tiefer in seine Haut. Griffith Atem stockte, als seine Nerven ihm das Unbehagen mitteilten. Er konnte Drang zur Gegenwehr in sich aufkommen spüren und kämpfte ihn nieder. Damit galt es Guts nicht auch noch zu überlasten.
"Du wolltest mir erzählen, was los ist.", hörte er es sachlich über sich. Diesmal blinzelte Griffith in Protest. Falscher Zeitpunkt. Er würde sich nicht auf Reden und die Situation gleichzeitig konzentrieren können. Er fühlte sich ja schon jetzt nicht mehr ganz bei sich.
"Ich habe dir gesagt, dass ich vielleicht später-"
"Nicht vielleicht. Nicht später." Die Klinge drückte tiefer, und Griffith musste seinen Körper diesmal bewusst anspannen, um das Zusammenzucken zu unterdrücken. Nicht gut. Noch weniger gut war, dass sein Kopf ein miserabler Staudamm war und Guts Stimme aus irgendeinem Grund eine Direktleitung zu seinem Unterleib gefunden hatte. "Für Feinde gelten solche Aufschübe nicht."
Das habe ich damit nicht gemeint! Griffith wusste nicht, ob er sich über die Unverfrorenheit aufregen wollte oder ob sie ihn nicht doch amüsierte. Sein Alkohol-geschwängertes Hirn leistete definitiv zu wenig Widerstand und wollte sich auf das neue Spiel einlassen, bevor er überhaupt wirklich Zeit hatte, es zu durchdenken.
"Aber das hier ist-!"
"Kein Aber." Und diesmal konnte er die Klinge einsinken spüren, den kurzen, beißenden, glühenden Schmerz, der durch seine Seite schoss. Griffith war bewusst, dass es sich in seinem überreizten Zustand intensiv anfühlen würde, aber trotzdem entwich ihm ein unwillkürlicher Laut der Pein.
"Okay! Okay, gut-"
"Und zuck nicht so viel, sonst muss ich mehr schneiden, als ich will." Wie von selbst spürte er, wie sein Körper gehorchen wollte. Sich von Guts Stimme anleiten lassen wollte, weich und fügsam zurücksank. Irgendwo war ihm bewusst, dass das hier nicht gut war. Dass er nicht im geringsten bei Sinnen war. Viel zu offen und verletzlich, um Gespräche über irgendwas zu führen, geschweige denn über sich selbst. Aber sein Kopf war schon keinen Warnungen mehr zugänglich, jede Faser seines Körpers nur darauf konzentriert, was mit ihm geschah.
Es war fast lächerlich. Wieso brauchte es Unbehagen und die Androhung von Gewalt, damit er sich so fallen lassen konnte?
"Also.", riss ihn die Stimme in die Gegenwart zurück. "Antworten?"
"Auf was?", ächzte Griffith, weil das leichter war als zu erklären, dass sein Gehirn ihm fern und unterversorgt vorkam und zu viel von seinem Blut sich in seiner Hose staute.
"Warum befiehlt man jemandem, mit einem Messer am eigenen Körper rumzuschneiden?" Griffith konnte die Stimme beim besten Willen nicht einordnen. Interessiert? Vielleicht. Ablehnend, spöttisch, als hätte Guts schon längst seine eigenen Antworten gefunden? Auch vielleicht. Er war zu betrunken, um sich darüber Sorgen zu machen. Er konnte ja noch nicht einmal eigene Antworten in seinem Kopf formulieren. Die Worte rutschten in reinem Impuls von seiner Zunge, noch mehr, als das Beißen der Klinge weiterwanderte.
"Um mich zu erinnern, dass ich nur Fleisch bin." Griffith stockte. Sein umnebeltes Gehirn stritt, ob es das zu umfassend beschrieb oder viel zu wenig. "Um mir zu zeigen, dass es nichts Schlechtes sein muss. Manchmal ist es okay, nur Fleisch zu sein."
Fick Gennon. Und die ganze Welt, all das drumherum, dass ihm gerade nicht egaler sein könnte. Er wusste, selbst wenn Guts genauso wäre - wenn er ihm jetzt befehlen würde, brav stillzuhalten, während eine Hand zwischen Griffith Beine wanderte und das Messer auf seinen Bauch gerichtet blieb - es wäre nicht dasselbe. Nicht einmal wert, in denselben Worten beschrieben zu werden. Guts könnte ihn benutzen, wie andere es tun wollten - getan hatten - und es wäre trotzdem anders. Es würde sich nicht anfühlen, als müsste er einen Teil von sich herausschneiden. Griffith mochte im Kern nicht mehr als Fleisch sein, wertlos, aber bei Guts war das in Ordnung, denn er wusste es und er verurteilte ihn nicht dafür und er war exakt dasselbe-
Griffith hatte kaum bemerkt, dass das Messer verschwunden war. Aber er nahm war, wie man ihn aufsetzte und sich urplötzlich Arme um ihn schlangen, während sein Kopf vorsichtig auf einer breiten Schulter abgelegt wurde. Erst beim verdutzten Blinzeln nahm Griffith wahr, dass ihm warme Tränen aus den Augen rannen. Eine unbeholfene Hand tätschelte seinen Hinterkopf, berührte die weißen Locken so sachte, wie er sie vorher im eisenharten Griff gehalten hatte.
"...Muss ich jemanden umbringen?", erklang die Frage, und Griffith konnte nicht anders. Er begann zu lachen. Es klang zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen.
"Sei nicht albern." Mit dem Ärmel seines Leinenhemdes wischte er fahrig seine Augen entlang, verschmierte die Tränen, ehe er sich zurücklehnte und seinen Captain angrinste. Griffith versuchte, so breit zu lächeln, dass Guts wusste, dass alles gut war. Die Welt war in Ordnung. Er hatte einen guten Job gemacht - so gut, dass es Griffith kurz aus der Fassung gebracht hatte, anscheinend.
Guts sah nicht so beruhigt aus, wie er sich wünschen würde, also fügte Griffith nach dezent unbehaglicher Pause hinzu: "Und mach dir keine Sorgen um das Blut. Ich muss meine Kleider ohnehin waschen lassen." Und wie er das musste. Er hatte bis gerade eben nicht gedacht, dass man schon vor einem Orgasmus Flüssigkeit verlor, aber anscheinend reichte ein bisschen Alkohol und Seele-Entkleiden, damit sein Schwanz ein Eigenleben entwickelte.
Guts sah aus, als hätte er ihn beleidigt. "Als ob ich mich ums Scheißblut sorge!" Und, leiser: "Idiot." Der größere Mann zog ihn wieder zu sich, drückte ihn, und Griffith machte keine Anstalten, sich aus dem warmen Griff zu lösen. Sein Puls mochte immer noch heftig pochen, aber allmählich drang auch zu ihm durch, dass der Untergang der Sonne die letzten Strahlen ihrer Wärme mitgenommen hatte. "Bist du okay?", erklang Guts Frage, riss ihn aus seinen Gedanken, und Griffith nickte noch einmal in der Hoffnung, die letzten Zweifel zu zerstreuen.
"Lass mich noch einen Schluck trinken, dann machen wir uns auf den Rückweg."
"Ich denke, du hast schon genug getrunken", wurde im Hintergrund vorsichtig angemerkt, und Griffith verkniff sich ein amüsiertes Schnauben.
"Ich hab auch Wasser dabei." Guts guckte ihn an, als hätte er ihm ebendieses gerne ins Gesicht geschüttet, aber äußerte sich nicht weiter. Ganz konnte er sich die Reaktion nicht erklären, aber das war nicht sein Problem, entschied Griffith. Er konnte nur sprechenden Menschen helfen.
Griffith war durchaus vertraut mit Märchen. Sie waren das Erste, was seine Kinderhände in die gierigen Finger bekommen hatten, als es darum ging, neue Buchstabenkenntnisse zu erproben. Und er wollte viel lesen. Sobald er begriffen hatte, wie viel Wissen sich in der Tinte auf den Seiten verbarg, gab es für ihn gewissermaßen kein Halten mehr.
Die Dinge, die einen kleinen Jungen mit großer Neugierde brennend interessierten - Wohin reiten die Ritter, wenn sie aus unserer Stadt ziehen? Warum regnet es? Wie werde ich der beste Stockkämpfer auf der ganzen Welt? Wie spiele ich spannende Spiele mit Feuer, ohne hinterher ausgeschlossen im Hausflur übernachten zu müssen? Wie mache ich, dass meine Mama mich liebhat? - waren nicht zu finden in den Büchern, die er in die Hand bekam, aber dafür Märchen. Und der junge Griffith war nicht wählerisch.
Wo es in seiner tatsächlichen Welt wenig Licht gab, fand es sich in Märchen zuhauf. Ritter strahlten, magische Schwerter und Amulette schienen, Perlen an den Kleidern schöner Prinzessinnen schimmerten, und wenn er nicht gerade von Essen träumte, dann träumte er davon, etwas für sich zu haben, das genauso leuchtete. Es würde alles überstrahlen - das Geschrei seiner Mutter. Die gezischten Anschuldigungen seiner Mutter. Die Laute seiner Mutter, wenn sie Männerbesuch empfing und ihn aus dem Zimmer geschickt hatte. Die hässlichen Schluchzer seiner Mutter. Die Blicke älterer Männer, die er manchmal fing, mit Augen, in denen ihre abscheulichen Intentionen so lesbar waren, als wären auch sie in Tinte geschrieben worden. Die Schatten des Ghettos, den Schmutz, die Pisse, das Ungeziefer, das Grollen in seinem leeren Magen.
Griffith war weiß Gott kein einsames Kind, immerhin hatte er Bekannte, eine Bande anderer Jungen, die sich von ihm durch den Tag führen ließen. Aber dennoch hatte er einen Begriff für eine Sehnsucht, die größer war als nur die nach der nächsten Mahlzeit.
Märchen füllten sie eine zeitlang.
Die Entwicklung, die die Bande des Falken die letzten Jahre durchgemacht hatte - das Ziel, das er vor Augen hatte - war durchaus eines Märchens würdig. Zu seinem Unwillen waren sie aber keine Märchenhelden, sondern lediglich Menschen.
Und Menschen gerieten immer in Versuchung, Dummheiten zu machen. Dummheiten, die jedes Märchenbuch zu einer Parodie verunstalten würden.
Griffith hatte eine Dummheit gemacht, diesen Abend, und jetzt, wo der Alkohol in seinem System abzubauen begann, lag er wach und konnte nicht anders, als sich dafür schlagen zu wollen.
Was hatte er sich dabei gedacht?!
Gar nichts, vermutlich. Er hatte sich von Verlangen und Was-wäre-wenn leiten lassen statt Ratio. Ausgerechnet Griffith, der so etwas wie weltliche Begierden vorzugshalber auf die letzte Stelle der Prioritätenliste verschob, hatte ihnen ein Stück zu sehr nachgegeben, sich ein Stück zu menschlich gemacht, und jetzt, wo Guts wusste, was für ein Wrack sein Anführer in Wahrheit war, würde... er... würde er was?
Griffith mühte sich, tief ein- und auszuatmen. Guts würde gar nichts tun. In der Tiefe seines Herzens wollte er das glauben, weil er an Guts glaubte. Weil Guts treu war, nicht gegenüber Griffith als strahlendem Helden und Anführer und der Idee, die sie alle führte, sondern gegenüber Griffith als Mensch. Guts war stark und treu genug, dass er sich nicht aus dem Staub machen würde, sobald er Griffith einmal taumeln sah.
Gott, er wollte so sehr, dass das die Wahrheit war. Er wollte es so sehr, dass es wehtat. Griffith schnappte nach dem Saum seines Kissens, wickelte es halb um sein Gesicht und grollte hilflos in den kratzigen Stoff, während seine Finger sich haltsuchend um den Behelit um seinen Hals schlossen.
"Was?!", schnappte Casca, und Guts bereute, sich auch nur auf Sicherheitsabstand in ihre Nähe begeben zu haben. Jede andere Alternative hätte ihm besser gepasst - aber unglücklicherweise mangelte es an Alternativen zuhauf. Er zwang sich, so etwas wie ein gutmeinendes Lächeln auf seine Züge zu legen. Schlechte Idee. Cascas Miene verdüsterte sich nur.
"Ich will mit dir reden." Es war so früh am Morgen, dass der Tau noch auf dem Gras glitzerte. Auf manchen Feuerstellen glommen vereinzelte Reste der Glut, aber die Sonne war bereits aufgegangen, und selbst die letzten Nachtschwärmer hatten sich in ihre Zelte zurückgezogen und ließen ihr Schnarchen über die Wiese dröhnen.
"Hier bin ich. Rede." Casca verschränkte die Arme. Sie saß am Frühstückstisch ihrer eigenen Zeltstadt, aber Guts hätte außer Judeau keinen der anderen Mitbewohner nennen können. Mindestens eines der Gesichter war so neu, es konnte noch nicht länger als einen Feldzug bei ihnen sein.
"Eigentlich... will ich...", druckste er, ehe er es auf die empathische Schiene versuchte. Also, die, wo er hoffte und betete, dass sein Gegenüber das Ding namens Empathie besaß. "Es geht um Frauenprobleme."
"Oh. Das ist ganz einfach. Wenn du sie nicht normal ablaufen lassen willst, dann nimm Lappen aus Stoff - ein altes Hemd oder so - mach Binden daraus und wechsel sie mindestens einmal am Tag. Falls du stark blutest, dann lieber öfter." Es brauchte ungefähr bis zum zweiten Satz, um Guts merken zu lassen, dass sie ihn auf den Arm nahm. Er hätte es ahnen sollen. So gelassen antwortete Casca nicht, um ihm zu helfen.
"Nicht diese Art von Frauenproblemen." Er blieb stehen. Sie schnappte sich ihr Messer, begann ihr Brot zu schmieren und sich Stücke von der Wurst abzuschneiden, aber als Casca beim dritten Bissen angekommen war und er sich immer noch nicht von der Stelle bewegt hatte, schien es ihr zu bunt zu werden.
"Hrrr. Ist ja gut. Was genau ist das Problem?", grollte sie und ließ sich zurücksacken. Guts sah das als Erlaubnis, sich zu setzen - ein Schritt, der von ihr mit offensichtlichem Argwohn beäugt wurde.
"Es gibt da...", begann er und vermied es, allen und jeden anzusehen. "...ein Mädchen." Guts war ein schlechter Lügner. Aber er war auch schlecht darin, sich wahrheitsgemäß auszudrücken, also machte das vielleicht gar keinen so großen Unterschied. "Und wir waren unterwegs, und sie hat sehr viel getrunken, und es kam zu einer... Situation. In der sie betrunken genug war, mich um etwas Seltsames zu bitten, und ich war zuerst verwirrt. Aber eigentlich wollte sie was ganz anderes als das, worum sie mich bat, und ich weiß nicht, ob ich ihr das geben kann, und vor allem sollte ich nicht so über sie denken, wie ichs tue. Ich meine, ich glaube, sie weiß gar nicht, was sie mit mir macht - ich versteh ja selbst nicht, warums so starken Effekt auf mich hat - aber irgendwie- Argh!" Worte. Guts hielt in seinem Gestikulieren inne und schielte zu Casca, die kaute und ihn ansah, als hätte er den letzten Rest seines Verstandes verloren.
Womöglich hatte er das ja auch.
"Nochmal von vorn. Bist du über das Mädchen gegen ihren Willen hergefallen?"
"Nein!" Ansonsten hätte er sich gestern Nacht verabschiedet, um nie nie wiederzukommen.
"Also wollte sie es?"
"Was?! Nein!" Ansonsten hätte er sich gestern Nacht verabschiedet, um- ... Fuck. Wie sollte er das nur verpacken? Wie ersetzte er 'Mädchen' durch 'mein bester Freund, aber aus irgendeinem Grund denke ich daran, Dinge mit ihm zu tun, von denen ich immer dachte, ich würde sie irgendwann mit Mädchen tun'?
Oder Schlimmeres. Griffith gerötete Wangen, der entblößte Hals, der schwere Blick, als seine kleine rosa Zunge an der Klinge seines Messers entlanggefahren war - fuck. Er war doch gestört. Guts holte tief Luft und korrigierte: "Gar nichts ist passiert. Aber ich will mit ihr reden und sichergehen, dass nichts passiert ist, und ich will... -" Wissen, wie ich dafür sorge, dass niemals etwas passiert. Die Worte versiegten auf seiner Zunge. Guts räusperte sich. "-überlegen... wie man sich... zurückhält, wenns nochmal zu so etwas kommt?" Casca sah alles andere als beeindruckt aus. Wahrscheinlich zurecht.
"Erstens", seufzte sie, als würde sie eine schwere Last auf den Schultern tragen. "Mädchen sind keine fremden Wesen aus einem fernen Land, die deine Sprache nicht sprechen... Rede mit ihr. Normal. Wie du mit mir redest." Sie ließ sich die Worte anscheinend einen Moment durch den Kopf gehen, ehe sie korrigierte: "Geh die Worte vielleicht vorher durch. Aber erzähl ihr deine Sicht der Dinge, und was du willst, und dann frag nach ihrer. Das ist kein Hexenwerk. Und was alles andere angeht..." Casca starrte ihn eindringlich an, als wäre es Guts Schuld, dass er sich in einem Alter zu befinden schien, in dem alles, was Haut entblößte, automatisch tausend Mal interessanter wurde. "-Reiß dich verdammt nochmal zusammen. Denn offenbar bist du der eine Mensch, der zwei gesunde Hände hat und trotzdem zu blöd ist, sie richtig zu benutzen! Zurückhaltung überlegen, ich glaubs ja nicht! Kümmere dich gefälligst selbst um deine 'kleinen Probleme', statt irgendein armes, betrunkenes Mädchen dafür verantwortlich zu machen!" Guts spürte sich mehr und mehr zusammensinken. Es mochte daran liegen, dass Casca weniger und weniger darauf achtete, ihre Stimme im Zaum zu halten. Er hätte sie gerne zur Ruhe angehalten, aber sein gesunder Menschenverstand erzählte ihm, dass das die Sache wahrscheinlich verschlimmern würde.
"Und wenn du das nicht schaffst-", knurrte sie und drückte ihr Messer etwas zu wuchtvoll auf den Tisch zurück. Er wackelte einen Moment. "-dann geh zu Judeau oder Griffith und sag ihnen 'hey, bitte helft mir, ich bin achtzehn Jahre alt, aber falle demnächst über betrunkene Mädchen her, wenn ich nicht ENDLICH lerne, anständig zu MASTURBIEREN!" Totenstille. Guts hätte jeden Grashalm umknicken gehört. Er wagte kaum zu atmen, während Casca sich wieder sinken ließ und ihr Messer schnappte, als würde ein wenig öffentliche Demütigung am Morgen ihren Appetit anregen. Erst, als aus dem Zelt neben ihm der nächste, dröhnende Schnarcher erklang, traute er sich wieder Luft zu schnaufen.
Hilfe aus dieser Richtung schied also schonmal aus.
Er hatte trainiert, bis die Sonne den Mittag ankündigte und die Luft sich so weit aufgeheizt hatte, dass der Schweiß zu einem unangenehmen Begleiter für Guts würde. Irgendwann führte kein Weg mehr daran herum, wieder auf andere Menschen zu treffen, und er rang seine Paranoia nieder und erzählte sich, dass die Sache letzten Endes nur halb so schlimm sei. Er war nicht... er hatte einen gedanklichen Aussetzer gehabt. Männer in seinem Alter hatten so etwas manchmal. Aber Guts hatte weder etwas tatsächlich Schlimmes angestellt, noch würde er zulassen, dass er jemals über seinen besten Freund herfiel, nur weil dessen Alkoholkonsum dem Wort 'verletzlich' ganz neue Tragweiten verpasste. Er würde die Sache für sich abhaken und vergessen. Die letzte Nacht konnte er mit Griffith klären, und alles, was hinterher allein in seinem Zelt stattgefunden hatte, waren Geheimnisse, die es mit ins Grab zu nehmen galt. Problem gelöst.
"Und?" Als Judeau sich ihm zuwandte, hätte Guts schon aus dem breiten Grinsen schließen sollen, dass ihm harte Zeiten bevorstanden. "Wie heißt sie denn?"
Judeau saß am Tisch vor der gemeinsamen Feuerstelle der Lieutenants, zu der es auch Guts üblicherweise zog. Er war aktuell dabei, Gemüse zu zerschneiden. Frisches, saisonales Gemüse. Seit die Bande des Falken so hoch in der Gunst der Krone stand, speisten sie Guts Ansicht nach selbst wie Könige. Er konnte sich noch an den Winter erinnern, der zur Hälfte aus hartem Brot und wässrigen Eintopf bestanden hatte, in den alles geschmissen würde, was bis dahin noch nicht schlecht war. Kein Vergleich zu heute.
Guts hoffte, Brummen und verstocktes Schweigen würden ausreichen, aber die Blicke von Pippin und Judeau folgten ihm, als er die Lagerstätte umrundete, näher zum Feuer schritt, umständlich sein Schwert vom Rücken hob und betont langsam Platz nahm. "... Ich meine, sie hat dir doch hoffentlich wenigstens ihren Namen genannt, oder?"
"Ist ja gut, ist ja gut!" Abwehrend hob Guts die Hände. Verdammt. Er war so schwach. "Was hat die Hexe euch erzählt?", erkundigte er sich in vorsichtigem Vorantasten. Judeau pfiff fröhlich, während er das Grün über den zerschnittenen Fisch streute und begann, ihn auf seiner Metallhalterung über dem Lagerfeuer zum Räuchern aufzustellen. Guts Mund wollte beim bloßen Anblick wässrig werden.
"Du meinst, außer, dass unser entschiedenster Junggeselle nun endlich doch jemanden für sich entdeckt hat?"
"So schlimm steht es um mich nicht", murmelte Guts und wurde von zwei Seiten überhört.
"Sie sagt, du stellst dich an wie ein blutiger Anfänger und wir sollen dir doch unter die Arme greifen, bevor es noch Tränen gibt."
"Reizend", brummte er.
"Also...", fuhr Judeau fort, nun wieder mit vergnügtem Grinsen. "Fühl dich nicht schlecht dabei, auf das weite Wissen deiner erfahrenen Veteranen zurückzugreifen. Wo drückt der Schuh?" Guts rang mit sich. Einerseits hatte er sich mit jemandem besprechen wollen - andererseits hieß jemand eine stille, vertrauensvolle Person, keine Tratschtanten. Und inzwischen war er ohnehin der Meinung, dass er die Sache gegenüber Casca viel größer aufgeblasen hatte, als notwendig gewesen wäre. Er und sein Kommandant waren betrunken gewesen, es gab ein Missverständnis, und Guts litt unter den Dingen, die damit einhergingen, jung und horny und nur von Männern umgeben zu sein. Mehr war da nicht.
"... Sie heißt Ellie", murmelte er und bat seine Kameraden im Stillen um Vergebung für den Unsinn, den er ihnen auftischen würde. Verdammte Casca!
"Wer heißt Ellie?"
...Und das war der Moment, an dem er bevorzugt von der Bank gerutscht wäre und anschließend im Boden versunken, bis es für niemanden mehr Möglichkeit gab, einen Blick auf ihn zu erhaschen. Warum musste Griffith hier sein?! Konnte es nicht einer der Tage sein, an denen er sich von früh bis spät auf dem Schloss herumtrieb?
"Guts hat Auge auf ein Mädchen geworfen", summte Judeau, vollkommen ahnungslos dahingehend, wie er seine Folter gerade fortsetzte. Guts wagte nicht, Griffith anzusehen. Er fürchtete, die Wahrheit würde ihm von Gesicht abzulesen sein.
"Wirklich?" Guts konnte den Blick selbst dann auf sich brennen spüren, wenn er nicht hinsah. Er erhob sich, schritt zur zweiten Feuerstelle und gab vor, noch etwas Wärme aus den Kohlen zu kicken, vollkommen unbeteiligt an der Konversation.
"Wirklich. Eine Ellie, wahrscheinlich aus einem der umliegenden Dörfer- oder?" Die Frage war ganz offensichtlich an ihn gerichtet. Guts gab vor, nichts zu hören, während er Holzscheite aneinander aufrichtete. "Aber Casca ist ihn wahrscheinlich heute morgen angefahren, und seitdem lässt er sich wieder jedes Wort aus der Nase ziehen." Aus dem Augenwinkel konnte Guts Judeaus Kopfschütteln wahrnehmen. "Das nächste Mal komm gleich zu uns, wenn du Rat suchst!"
"Jaja", war alles, was er schließlich brummte.
"Und du? Bleibst du noch zum Mittag oder wirst du gleich zum Schloss losreiten?" Seine Schultern sanken herab, und Guts spürte sich ausatmen, als die Konversation weiterwanderte.
"Ein Tag bleibt mir noch. Ich reise erst morgen wieder ab... Guts? Begleite mich einen Moment." Er hatte gedacht, dass er sich in die intensive Betrachtung unangezündeter Holzscheite retten könnte, aber nicht einmal diesen Ausweg wollte man ihn lassen. Schicksalsergeben richtete Guts sich auf und streckte sich.
"Komme."
Das Lager befand sich im Übergangsstadium zwischen Tagesmitte und Erwachen, als sie hindurchschritten. Während mancherorts schon Mittag zubereitet wurde, sah Guts an anderen Ecken, wie Söldner noch in ihren Unterhosen in Richtung der Teiche trotteten oder das zerstrubbelte Haupt zum ersten Mal aus ihrem Zelt streckten. Die Wartezeit zwischen zwei Kämpfen war selten von einem regelmäßigen Tagesrhythmus geprägt, und Söldner gehörten nicht zwingend zur diszipliniertesten Bevölkerungsschicht. Wenn man zwingend etwas zu tun haben wollte, konnte man trainieren oder sich zum Einkaufen in die Dörfer bewegen, aber da hörte es auch schon auf. Um sich nicht der Langeweile zu ergeben, standen Würfel, Karten, Boxkämpfe und zuletzt natürlich Alkohol schon früh am Tag auf dem Programm.
"Um was geht es?", meinte er ganz nebenher und starrte geradeaus. Zu Griffith blicken fühlte sich aktuell... seltsam an.
"Ich wollte über gestern Abend sprechen." Guts spürte seinen Magen herabsacken.
"Okay?"
"...Möglicherweise... habe ich es mit dem Alkohol doch übertrieben." Nun musste Guts doch zur Seite blinzeln und erwischte Griffith, wie der sich verlegen über den Nacken rieb. Richtig... Als ob! Es war nicht Griffith, der sich vollkommen abnormal verhielt... Aber andererseits erleichterte ihn das. Womöglich hatte sein Kommandant überhaupt nichts gemerkt. Und was immer mit Guts los war - er würde es schon selbst wieder unter Kontrolle kriegen.
"Vielleicht hast du das", brummte er, um auf den rettenden Karren aufzuspringen. "Passiert den besten von uns." Wieder riskierte er einen Blick zur Seite, diesmal dorthin, wo seine Klinge sich gestern noch in helle Haut gefressen hatte. "...Die Wunde macht dir nicht zu schaffen, oder?"
"Was?" Griffith blickte überrumpelt, dann lachte er. Unter normalen Umständen hätte das Guts Befangenheit gelöst, aber gerade fühlte er sich alles andere als befreit. Fuck, sogar seine Geräusche waren schön. "Darum mach dir mal keine Sorgen. Ich hoffe eher, dass ich nicht zu viel betrunkenen Unsinn geredet habe." Zu der Verlegenheit, die Guts ohnehin schon spürte, gesellte sich ein Stich der Scham. Manchmal ist es okay, nur Fleisch zu sein... Irgendwas bereitete Griffith ganz, ganz gewaltige Probleme, und alles, woran er denken wollte, war, wie weich sich die Lippen unter seinen Fingern angefühlt hatten. Er war einfach verkorkst. Verloren.
"Viel hast du nicht geredet...", begann er behutsam. "Aber... wenn irgendwas nicht stimmt - du weißt, du kannst dich an mich wenden. Auch wenn ich gerade kein Messer in der Hand halte." Nach einem Moment überlegen bereute er den letzten Satz schon wieder, aber Griffith lächelte, also konnte es nicht zu dumm geklungen haben. Guts plapperte weiter, weniger um des Informationsgehalts willen und mehr, weil er sich irgendwie ablenken wollte. "Um was genau ging es da eigentlich? ... Wenn du dich noch erinnern kannst, meine ich."
"Nur vage. Ich glaube, ich hatte nach der Ratssitzung einen kleinen Höhenflug und wollte mich besinnen, dass ich immer noch einer von euch bin. Genauso normalsterblich und verletzlich - und nicht die unbesiegbare Märchengestalt, die manche Teile des Hofs aus mir machen wollen." Guts verstand ein bisschen und gleichzeitig gar nichts.
"Hm. Tja." Er zuckte die Schultern und versuchte, nicht allzu verloren zu gucken. "Jederzeit gerne wieder?"
"Dein Ernst?" Griffith Mundwinkel zuckten, als er zu ihm herübersah, und Guts zwang sich zu rekapitulieren.
"Hm?"
"Jederzeit gerne wieder?", echote Griffith belustigt, und er stockte. Was war das mit Gesprächen, dass sie so voll waren von unsichtbaren Fallstricken? Guts überlegte, ob er auf Rückzug setzen sollte - 'Nicht, dass ichs gerne gemacht hätte, ich kann dem Bild überhaupt nichts abgewinnen, wie du schweratmend und fiebrig unter meiner Klinge zitterst, also versteh mich nicht falsch' - aber Rückzug war scheiße. Er war noch nie ein Mann für Rückzug gewesen. Also entschied er sich für Angriff.
"Ja. Bei der Menge an Höhenflügen, die dir der Hof noch bereiten wird, kanns dir sicherlich nicht schaden, dich hin und wieder mit Tatsachen zu konfrontieren." Zu seiner Erleichterung lächelte Griffith lediglich und schüttelte den Kopf.
"Gib Acht, dass ich dich nicht beim Wort nehme, Captain."
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Do not judge me x.x Ich habe angefangen, Berserk zu lesen, und Dinge haben sich von selbst entwickelt. (Vor allem plötzliche Muse, die sich entschieden hat, 70 Seiten in eineinhalb Wochen zu tippen-) Immerhin kann ich garantieren, dass diese Fic mich nicht - wie andere Projekte - für alle Ewigkeit verfolgen wird, denn sie ist bereits zu 3/4 fertig und bei meiner Beta gelandet. Gebt mir noch drei Wochen oder so, dann habe ich womöglich wieder einen Kopf für andere Späße.
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