Sehnsucht
Rund um Guts brummte die nächtliche Geschäftigkeit des kleinen Lagers, während er in seinem Zelt lag und an die Decke starrte.
Casca hatte sie anhand der Pläne aufgeteilt auf sechs Hügel rund um das Tal, die sich als Stellungen anboten - die Idee war, den Feind im Zweifelsfall niemals alle von ihnen erwischen zu lassen und mehr Gelände abdecken zu können. Kommunizieren würden sie über Lichtsignale, die den ganzen Nachmittag über ausprobiert wurden, um sich zu vergewissern, dass ihre Spähposten sie wahrnehmen könnten.
Verdeckt zwischen Sträuchern und Bäumen waren Guts Männer etwas weniger als 170 Leute, die begonnen hatten, ein Lager zu errichten. Casca hatte ihm einen Teil der Dörfler überlassen, vor allem die jungen, die noch Kampfwillen im Blut hatten. Draußen konnte er die Stimmen von Halbstarken hören, die sich im Dunkeln um seine Raider scharrten und versuchten, sie zum Krieg auszuquetschen. Feuer wollten sie nicht entzünden - die Chance, gesehen zu werden, war zu hoch. Noch müsste man die Späher des Feindes nicht vorwarnen.
Er drehte sich zur Seite und ließ die Finger auf dem Heft des Schwertes neben sich wandern. Es war unbestreitbar, dass Griffith alleine gut klarkam, vermutlich sogar besser, als wenn Guts an seiner Seite wäre - und doch grollte etwas in seinem Magen und wünschte sich zurück.
Das ist nur vorübergehende Besessenheit, versuchte er sich einzureden. Ich werde damit klarkommen. Ich werde warten, bis es fort ist. Guts wusste nicht, was er davon halten sollte, dass es so hartnäckig an ihm riss. Hieß es nicht, dass Männer das Interesse wieder verloren, sobald sie einmal hatten, was sie wollten? Und die Ereignisse des einen Abends - Griffith Lippen, die sich um ihn schlossen, sein Blick aus tiefen Lidern, der Ausdruck auf seinen Zügen, die Hitze, die Guts Unterleib umfasst hatte - hätten mehr als genug sein sollen, um Guts vorübergehenden Wahnsinn zu stillen, meinte er. Stattdessen schien es ihn nur weiter angefacht zu haben. Fast so, als würde er... Griffith... Guts schloss die Augen und trieb seine Finger durch seinen Haarschopf. Vernarrtheit. Besessenheit. Kindisches Verlangen, etwas nur für sich zu haben, mehr war das nicht. Er würde bitteschön wieder zur Vernunft kommen und seinem Freund normal begegnen, wenn sie sich das nächste Mal sahen.
Guts konnte sich das noch so laut erzählen, er glaubte es selbst nicht.
Der anschließende Morgen erreichte sie rascher, als ihm lieb war. Die Sonne war kaum aufgegangen, als die Kälte der hohen Lage die Hälfte der Männer schon aus ihren Zelten geholt hatte. Es ließ sich schlecht schlafen, wenn der Körper zitterte.
Guts hatte begonnen, sein Frühstück ganz seinen Vorräten zu kramen, als er Wiehern hörte. Mit einem Blick nach hinten erkannte er Casca, die vom Pferd absprang und sich auf ihn zubewegte.
"Heute werden wir uns vor allem um zwei Dinge kümmern", erklärte die Frau geschäftig, sobald sie ihn erreicht hatte. "Zum einen gilt es eine Falle vorzubereiten, auf der ersten Ebene nach dem Schluchteingang. Pippin und Judeau werden Männer hinschicken, aber von dir brauche ich auch mindestens fünfzig vor Ort, damit wir rechtzeitig fertig werden. Den Rest sendest du in die Dörfer. Wir werden die Vorratskammern ausräumen und alles mit in die Berge transportieren."
"...Soviel zu essen brauchen wir nicht." Casca warf ihm einen langen Blick zu.
"Wir können es nicht dort lassen. Wenn die Gegner durchmarschieren, werden sie die Verpflegung mitnehmen - und die Dorfbewohner verhungern über die nächsten Monate, während der Feind sich daran stärken kann." Das war... tatsächlich naheliegend. Guts verschränkte die Arme und hielt den Blick auf Gaston gerichtet, der einem Jungen von vielleicht 14 Jahren erklärte, wie man ein Schwert schwang. "Außerdem...", tönte es von Casca, nachdenklich. "Einer der Dorfältesten hat mir erzählt, dass es hier in der Schlucht eine Verteidigungsanlage gibt, noch aus der Zeit der alten Kaiser. Damals hat sie angeblich ganze Städte gefasst, um sie vor Räuberbanden zu schützen."
"Willst du die Frauen und Kinder da unterbringen?"
"Nicht nur das..." Ihr Blick hielt sich sinnierend auf das Grün gerichtet, das rund ums Lager wieder dichter wurde. "Griffith sagte, wir sollen die Tudors wütend machen und in die herannahenden Armeen locken - aber das erfordert unglaublich präzises Timing. Wenn wir aber den Feind hinter uns herlocken und uns in der Feste verschanzen, könnten wir ihn drei oder sogar mehr Tage an Ort und Stelle festhalten-"
"Damit Griffith und seine Armee sich in Ruhe von hinten nähern und sie aufreiben.", beendete Guts den Gedankengang.
"Richtig." Sie atmete einen Moment tiefer aus. "Ich will heute mit ein paar Leuten hinreiten und mir das Gelände ansehen. Erfahren, ob es uns wirklich so lange Schutz bieten kann. Und ich möchte, dass Du mitkommst." Guts fühlte sich milde überrascht, nickte aber.
"Verstanden, Kommandant." Casca warf ihm einen Blick zu, den er nicht ganz lesen konnte - aber zumindest schien sie nicht gereizt. Ein kleiner Sieg.
Der Mittag brachte die ersten Sonnenstrahlen, die Guts Gesellschaft leisteten, als er seine Schaufel mit einem Ruck tief in die Erde grub, anhob und den Dreck wegschleuderte.
Links und rechts standen teils Bauern und teils Söldner, die sich derselben Tätigkeit widmeten. Sie hatten den Teil des Feldes markiert, in dem sie mit Graben begonnen hatten, aber noch schien es bei Weitem nicht genug, um Casca zufriedenzustellen.
Verborgen von Gras, Moos und Ästen ruhten in in der Erde des Feldes inzwischen an die hundert Löcher, manche flach, andere einen knappen Meter tief. Wer mit dem Pferd hier herübergaloppierte, würde ihm sämtliche Beine brechen; Für Wagen wäre die Strecke ein ähnlicher Alptraum. Umso mehr, wenn hinter der ersten Riege von Feinden der Rest der Armee versuchte nachzurücken und nicht auf Anhieb verstand, was den Tumult vor ihnen verursachte. Es würde sie lange genug aufhalten, um ihnen ein Zeitfenster zum Angriff zu geben. Guts mochte darauf brennen, endlich wieder sein Schwert in den Händen zu halten, aber soweit er es aus Cascas Worten herausgehört hatte, wollte sie in erster Linie mit Bogenschützen arbeiten, um dem Feind nicht zu nahe kommen zu müssen. Auch gut.
Er brummte, als er eine weitere Schaufel voll Erde von sich schleuderte, und war zu sehr in Gedanken versunken, um ganz darauf zu achten, dass jemand herantrat. Als Guts aufblinzelte, sah er Gregor, den Jungen aus dem Dorf.
"Sie ist ganz schön herrisch."
"Hm?" Gregor wies mit dem Kopf zu Casca herüber, die gerade am Feldrand stand und mit Judeau versuchte, irgendwas abzumessen.
"Eure ... Anführerin." Das Wort schien ihm nur unter Mühen von der Zunge zu rollen, als würde er sich schwertun, von Casca in dieser Rolle zu denken. Guts zuckte die Schultern und trieb die Schaufel zurück in die Erde.
"Muss sie sein. Ist schon nicht einfach, sich unter all diesen Schwachköpfen durchzusetzen." Ihn eingenommen, in manchen Momenten. "Da kommst du nicht weit auf die nette Tour."
"Und ihr seid einverstanden damit? ... Euch von ner Frau herumbefehlen zu lassen, meine ich. Das wollt ihr?" Der junge Mann hatte den Mund zur Seite gezogen, und Guts stützte sich einen Moment mit einer Hand auf die Schaufel und sah ihn an.
"Sowas hat nichts mit Wollen zu tun. Die Kommandantin besiegt Männer, die dreimal so groß sind wie sie, als wäre es nichts. Und wenn du lange genug Söldner bist, weißt du, dass es sich lohnt, Stärke zu folgen." Er griff die Schaufel noch einmal, beförderte den Rest Erde heraus und senkte den Blick kurz. Tief genug. Es wurde Zeit, abzudecken und sich der nächsten Stelle zuzuwenden. "Außerdem hat sie ordentlich was im Kopf", ergänzte Guts, während er begann, sich niederzulassen und die Stelle zu tarnen.
"Hrm", brummte der Junge, aber bevor er sich weiter Luft machen konnte, schallte eine bekannte Stimme herüber.
"Und dahinten! Weniger quatschen, mehr graben! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!" Es reichte aus, Gregor zusammenzucken zu lassen. Fluchend machte sich der Junge daran, sich einen neuen Platz zu suchen, während Guts sein Lächeln verkneifen musste. Casca mochte nervig sein, und anstrengend - eine schlechte Anführerin war sie aber deswegen nicht.
"Ihr habt einen Brief erhalten, Sir Griffith." Eigentlich war er vergleichsweise neutraler Laune gewesen. Im Kriegsrat hatte Derleton verkündet, dass die Bande des Falken sich seinen Armeen anschließen würde, um unter seiner Führung nach Antheim zu ziehen, und das war nicht perfekt, aber es war gut. Besser als nichts. Solange Griffith sich zur Ruhe ermahnte und das Wochenende verdrängte, ausreichend, um entspannter Stimmung zu bleiben. Sie war gesunken, als er festgestellt hatte, dass noch keine Antwort von Casca eingetroffen war, und weiter abgesackt, als er sich für eine Pause in den Garten zurückzog, nur um feststellen zu dürfen, dass ein gewisser Adeliger ihm gefolgt war. Als wäre das nicht aufdringlich genug, sorgten die Worte dafür, dass Griffith Brauen sich hoben. Woher wollte er das denn wissen-?
Der Graf hatte besagten Brief inzwischen mit großer Geste aus seiner Jacke gezaubert, und ein Blick darauf reichte aus, um zu erkennen, was nicht stimmte.
Griffith atmete langsam aus. "Das Siegel ist gebrochen."
"Korrekt." Und der Graf lächelte ihm zu. "Ihr untersteht mir. Und ich bevorzuge es, wenn meine Kommandanten keine Geheimnisse vor mir haben." Nach einem Moment des Innehaltens nickte Griffith, denn das war einfacher, als aus den königlichen Gärten zu kommen und zu erklären, woher das ganze Blut an seinem Leibrock stammte. Er nahm den Brief entgegen, und Derleton, der Privatsphäre ebenfalls für ein Privileg des gebürtigen Adels zu halten schien, ließ sich neben ihm auf die Bank sinken.
"Wer war Casca gleich? ... War das der Name der kleinen Dunkelhäutigen? Eurer Feldmatratze?" Einatmen. Ruhe bewahren. Noch bist du auf seinem Territorium, aber das wird sich ändern.
"Casca ist meine Stellvertreterin. Aber dunkelhäutig ist richtig", meinte Griffith, als hätte er den Rest überhört, und entfaltete das Papier.
"Stellvertreterin, ich sehe ... Ihr müsst vor mir kein anständiges Gesicht wahren, Sir Griffith. Den Teil haben wir doch bereits hinter uns. Und es ist nicht, als ob wir nicht beide wüssten, welche Rolle einer jungen Frau in einem Söldnerlager zukommt." Die Stimme des Grafen war so gutgelaunt, sie hatte beinahe väterlichen Beiklang. "Was treibt sie in Mohnbruch?" Griffith schwieg, während er die Zeilen überflog.
Griffith,
wir haben die Dörfer gesichert und knapp 1300 Einwohner aus Mohnbruch evakuiert. Aktuell befinden sie sich in unseren Lagern. Ich habe versucht, mich an deine Vorgaben zu halten - wo das Terrain es nicht zuließ (Position 3 und 5 in deinen Aufzeichnungen) haben sich die Männer etwas tiefer am Berg niedergelassen. Heute haben wir begonnen, Vorräte zu räumen und uns auf die Ankunft des Gegners vorzubereiten. Die Motivation der Männer ist gut; Mit den Leuten aus dem Dorf haben sie sich arrangiert, und die Stimmung scheint gegenwärtig kameradschaftlich.
Der Dorfälteste Kzepic hat mich auf die Existenz einer Wehranlage aufmerksam gemacht, die allerdings viele Jahrhunderte alt sein soll, womöglich noch aus Zeiten der Kriegsherren. Gemeinsam mit den anderen habe ich sie besichtigt und festgestellt, dass sie immer noch massiv und intakt genug wäre, um mehrtägiger Belagerung standzuhalten. Der Plan ist, sie auf Vordermann bringen und Köder zu spielen, um den Feind dorthin zu locken, ehe wir auf euer Eintreffen warten. Auf den beigefügten Karten habe ich dir die Stellen markiert.
Ich wünsche dir allen Erfolg, den du brauchst, um bei Hofe deine Marscherlaubnis zu erhalten.
In Ergebenheit
Casca
"Ich hatte sie als Teil eines kleinen Spähtrupps hochgeschickt, um die Lage auszukundschaften und mich über das Vorrücken des Feindes informiert zu halten", meinte er schließlich und ließ sich zurücksinken, als hätte es ihm alle Kraft genommen, dieses Geheimnis offenbaren zu müssen. Neben ihm brummte der Graf.
"Ein Spähtrupp, der Dörfer evakuiert und Fallen stellt?"
"Genaue Befehle zum Vorgehen habe ich ihr nicht mitgegeben. Wenn sie der Meinung ist, die Leute im Tal vor den heranrückenden Tudors retten zu wollen, steht ihr das frei."
"Und Ihr meint nicht, der Feind wird etwas ahnen, wenn er durch menschenleere Dörfer zieht?" Ich meine, der Feind würde etwas ahnen, wenn er sich Antheim nähert und eine 12000 Mann starke Armee vor der Stadt lagert. Aber das ist nur meine ganz persönliche Einschätzung.
"Ich meine, dass ich mich in der Regel auf Cascas Einschätzungen verlassen kann", gab er zurück und spürte den Blick des Grafen auf sich ruhen.
"Wie sieht es aus? Werden Eure Leute die Tudors tatsächlich zu diesem maroden Stück Ruine locken und dort auf Eure Ankunft warten? Selbst, wenn keine Antwort von Euch folgt?" Wenn es nicht schon die Wortwahl war, die Griffith Vorsicht weckte, dann war es etwas im Tonfall. Der Graf sprach lauernd.
"...Ich meine, dass zumindest die Möglichkeit besteht, euer Ehren. Selbstverständlich würde es sich eher anbieten, Kommunikation aufrecht zu erhalten, damit alle Beteiligten an einem Strang ziehen können." Derleton lächelte zufriedener, als er sein sollte. Er erhob sich und klopfte Griffith mit seiner Pranke auf die Schulter.
"Eine Anmerkung noch, Sir Griffith..." Und das Lächeln wurde breiter. "Ich werde Euch Euren Spähtrupp verzeihen. Aber nun dient Ihr unter meinem Kommando. Kommt noch einmal auf die Idee, einen Mann von A nach B zu bewegen, ohne mir Bescheid zu sagen, und ich werde vor Antheim sitzen und Lieder pfeifen, während sie Eure Leute in dieser Talfeste abschlachten wie die Tiere, die sie sind. Verstehen wir uns?" Griffith Kiefer spannten sich an, aber nur kurz. Das hier ist vorübergehend, bemühte er sich zu beruhigen. Warte ab und spiel auf Zeit. Lass ihn nicht wissen, wie wenig deine Flügel gestutzt sind.
"Laut und deutlich, Euer Gnaden."
Der Mohnbruch verdankte seinem Namen der weiten Ebene, die am Eingang der Schlucht auf den durchreisenden wartete und ihn in einem blühenden Meer aus Rot erwartete, an dessen Rand sich ein Bachlauf entlangschlängelte. Dieselbe Ebene war seit gestern von einer fast zehn Meter langen Strecke unzähliger kleiner Löcher untergraben, und in den Waldstücken links und rechts davon hatten sie ihre Bogenschützen postiert. Mit den Dorfbewohnern, die sich freiwillig gemeldet hatten, kamen sie auf etwa zweihundert Schützen, und ein paar Meter darunter im Wald hatte Casca Guts und seine Raider positioniert, um den Feind abzufangen und den Rückzug ihrer Bögen zu sichern. Sollten sie doch verfolgt werden, warteten mehrere Meter über ihnen die restlichen Mitglieder der Bande des Falken, die wegmetzeln würden, was schnell und mutig genug war, sich den Berg hinaufzukämpfen.
Casca hatte sie gezwungen, ihre jeweiligen Rückzugswege zwei mal abzulaufen, um die Gefahr zu verringern, dass Männer im Wald verlorengingen, und auch die Dorfbewohner würden ihnen helfen sich zurechtzufinden. Jetzt hieß es nur, auf die Ansagen der Späher zu warten.
Guts drehte sich um, um einige der Jungs aus seinem Lager zu sehen, die mit ihren Bögen auf der blanken Erde saßen, sich gegen Bäume lehnten und herumalberten. Sie waren das lange Warten bis zum Feindkontakt nicht gewohnt. Niemand war das, der nicht schon aktiv in Schlachten mitgekämpft hatte. Der kleine Blondschopf namens Eske hieb Gregor gegen das Bein, und sie lachten über irgendeinen Witz unter sich, aber Guts konnte sehen, wie Gregors Glieder ein wenig zitterten. Guts kannte das aus den Tagen, als er selbst noch ein Kind war und der Kampf etwas, was er genauso herbeisehnte wie fürchtete. Die Anspannung schlich sich in den Körper, ließ die Finger taub und ungeschickt werden und die Füße sperrig. Es brauchte Jahre, bis man lernte, mit dem Stress einer eintreffenden Schlacht umzugehen.
Als sie beide den Blick auf sich spürten, hob Eske die Hand und winkte. "Hey! Captain Guts!" Er hob die Hand halbherzig und lächelte. Gestern hatte Casca mit ihnen noch darüber geredet, ob es vertretbar war, die Dorfbewohner wirklich den Gefahren einer Schlacht auszusetzen - oder auch nur eines Überfalls. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass die Leute die Entscheidung selbst treffen mussten. Es war nicht, als würde die Falkenbande die Hilfe nicht dankend entgegennehmen.
Viel Zeit verging nicht mehr, da hörte er, wie hastige Schritte durchs Unterholz brachen. "Sie kommen!" Corkus tauchte ein Stück oberhalb von ihnen auf, schwerer atmend, und stützte sich an einem der Stämme ab. "Ich soll von der Kommandantin Bescheid geben. Sie kommen. Die ersten Reiter haben sich eben in den Anfang der Schlucht begeben." Wie automatisch huschte Guts Blick zur Felsenenge, aus der der Feind in wenigen Minuten herausströmen musste. Hinter ihm sprangen die beiden Jungen auf die Beine. "Wir sind bereit!"
"Seid nicht so voreilig, ihr kleinen Scheißer.", erklang es von Corkus brummig. "Noch ist der Feind lange nicht am Zielort. Spart eure Energie bis dahin!" Das erntete einen fast enttäuschten Blick, aber die Jungen sanken zurück auf die Erde, und Corkus Blick wendete sich zu Guts hin.
"Du hast die Leute in deinem Abschnitt unter Kontrolle?" Er nickte lediglich und erntete ein Schnauben.
"Gut. Wir verlassen uns drauf! ...Ich gehe nach den anderen schauen." Und er stürzte schon weiter, während Guts den Blick wieder zurück auf die Felsenge wendete, durch die soeben die ersten Pferde trabten. Sie sahen so klein aus von hier oben aus, täuschend ungefährlich. Guts, der wusste, dass nach ihnen noch hunderte und aberhunderte mehr kommen würden, fühlte sich ganz wohl dabei, so weit von ihnen entfernt zu sein.
Krieg bedeutete warten, und Guts war das wieder einmal schmerzlich bewusst geworden. Die Sonne war bereits ein gutes Stück weiter über den Himmel gewandert, und alles, was der Feind bis jetzt getan hatte, war, sich am Eingang der Schlucht zu sammeln und die Reihen neu zu positionieren. Die Jungen bei ihm waren stiller geworden, und dem jüngeren Blondschopf drohten hin und wieder fast die Augen zuzufallen, als Guts sah, wie Begegnung in die Reihen der Feinde kam. Er setzte sich auf, halb in der Erwartung, dass er sich ein weiteres Mal geirrt hatte, aber nein. Die Reiterscharen begannen, in mehreren Linien über die weite Fläche der Mohnlichtung verteilt, durch das Gras zu pflügen und Galopp aufzunehmen. Hinter ihnen folgten die Wagen.
"Hoch mit euch!", zischte er aufgeregt. Die Jungen schraken zusammen und kamen auf die Beine. Mit ihnen erhoben sich die anderen Schützen, die nicht schon standen. Im ganzen Wald rings um sich konnte Guts Bewegung ausmachen, während sie den wilden Ritt über das Feld verfolgten.
Mithilfe von Steinen hatten sie ihr präpariertes Feldstück gestern kenntlich gemacht, und Guts verengte die Augen und versuchte abzuschätzen, wie weit die ersten Reiter noch entfernt waren von ihrem Flecken. "Bögen bereitmachen!", bellte er, als aus 200 Metern nur noch 100 wurden. Es dauerte nur noch gefühlte Sekunden, dann sah er die ersten Pferde in der Reihe torkeln. Stolpern. Wer hinter ihnen ritt, reagierte nicht schnell genug, und die massigen Leiber krachten ineinander, verkeilten sich, rissen sich gegenseitig herum. Wer bis jetzt das Glück hatte, den Löchern zu entgehen, verlangsamte seinen Ritt, wie um zu sehen, was den Gefährten widerfahren war. Und als mehr und mehr Stocken in die Reihen des Feindes kam, bellte Guts: "Feuer!" Tiefer im Wald vernahm er, wie sein Ruf aufgenommen und wiederholt wurde.
Die Pfeile lösten sich von den Sehnen und surrten los. Wir sind keine Meisterbogenschützen, dachte Guts, als er zusah, wie etliche von ihnen harmlos in der Wiese landeten, weit vom Feind entfernt - aber ungefährlich waren sie auch nicht. Ein guter Teil des Pfeilhagels prasselte auf den Feind nieder, schlug sich in Pferde und Körper und prallte gegen Rüstungen, und die Gruppe der Reiter, die nachfolgte, stoppte ihren Galopp im heftigen Aufbäumen.
"Bögen bereitmachen!" Manche griffen routiniert zu, andere taten sich schwerer. Man konnte an den Bewegungen gut erahnen, wer von seinen neuen Schützlingen schon einmal gejagt oder gewildert haben musste. Guts beobachtete das heillose Durcheinander auf der Ebene vor ihnen und hörte undeutliche Befehle, die da unten hin- und hergebrüllt wurden. "Feuer!"
Mit der zweiten Salve bewiesen sie mehr Geschick. Diesmal waren es nicht vereinzelte Treffer, die Guts erblickte, sondern man konnte den Blick einfach schweifen lassen um zu sehen, wo Männer niedergingen. Aus der anderen Seite des Waldes folgte ein erneuter Pfeilhagel, und er konnte beobachten, wie erste gerüstete Männer dabei waren, auf die Baumreihen zuzurennen und zwischen ihnen zu verschwinden. Sie standen zwar erhöht, aber fünf Minuten schneller Lauf durch das Dickicht, und man würde sie erkennen können.
"Letzte Salve!", brüllte Guts. "Danach rücken wir hoch und bereiten den Rückzug vor! Bögen bereitmachen!" Er konnte das Schlachtenfeuer bereits in sich brennen spüren, als er selbst nach seinem Schwert griff. Bitte, mach, dass sie auch versuchen, zu uns vorzustoßen..."Feuer!" Die Pfeile gingen auf der Lichtung nieder. Inzwischen hatten sämtliche Pferde und Wagen gestockt und versuchten, den Schaden zu erfassen. Soldaten verschwanden links und rechts in den Baumreihen, und sein Blut pochte in seinen Ohren, ungeduldig, abwartend, versessen darauf, etwas vor die Klinge zu kriegen.
Er bekam gerade noch mit, wie die Bauersleute versuchten, ihre Bögen aufzunehmen und tiefer nach oben in den Wald zu stolpern, als er das erste Aufblitzen von Metall zwischen den Bäumen sah. "Raider!" Guts konnte den Hunger in seiner eigenen Stimme hören, die Gier, als er die Klinge aus ihrer Halterung zog und seinen Stand anpasste. "Heißt sie willkommen!"
"Captain! Der Kommandant hat Rückzug befohlen!" Im ersten Moment vernahm Guts die Worte kaum. Er war in seinem Element. Er tanzte, nach einer Melodie und einem Rhythmus, die nur Guts selbst und seine Klinge kannten, und keiner seiner Partner schien in der Lage, mitzuhalten. Ihre Augen weiteten sich erschrocken, wenn der Stahl sich durch die Schlitze im Metall fraß, die bloße Wucht der Schläge sie gegen Bäume schickte und über den Abhang stolpern ließ. Bergaufwärts zu kämpfen, war gemeinhin nicht angenehm - gegen Guts in seiner Raserei war es ein Todesurteil.
Er wollte erneut zuschlagen, das Zucken des Mannes in seinem Griff beenden, als sich der Ruf noch einmal in seinen Geist schlich. "Captain!" Guts blinzelte. Der Rausch der Schlacht war noch immer da, verlangte fortzufahren, dem Gegner zu folgen, mehr Blut zu vergießen - aber als er sich umwandte, sah er Gastons besorgtes Gesicht. Es reichte, um den Bann zu lösen.
Guts stieß sein Opfer den Abhang herunter, ehe er sich stumm daran machte, seinem Stellvertreter zu folgen. Sein Schwert würde noch andere Gelegenheiten haben, Blut zu schmecken.
Griffith schlief nicht gut.
Es hatte auf der Burg angefangen und setzte sich fort, als er ins Lager zurückkehrte und seinen Männern befahl, den Marsch nach Windham anzutreten, wo sie sich mit Derletons Armeen zusammenfügen würden. Er schlief nicht gut, und er aß nicht gut, und er fühlte sich zerrissen zwischen der Notwendigkeit, den Launen des Grafen zuliebe das gestutzte, unterwürfige Vögelchen zu spielen, während er auf der anderen Seite unberührbar und siegessicher wie eh und je für die eigenen Männer agieren musste. Anfangs mochte es ihm klug vorgekommen sein, all seine engsten Vertrauten nach Mohnbruch zu entlassen; Inzwischen verfluchte er sich im Stillen dafür. Jeder, der es ihm erlaubt hätte, auch nur ein wenig Anspannung verlieren, wäre willkommene Abwechslung gewesen. So blieb ihm nur, sich nach Besprechungen in sein Zelt zurückzuziehen und den Behelith um seinen Hals zu umklammern, bis der Druck auf seinen Knöcheln schmerzte.
Er vermisste seine Leute. Er vermisste Guts, und das Gefühl in ihm schien nicht so sehr Sehnsucht wie Misstimmung, die jeden Moment zunahm, den er seinen Captain nicht an seiner Seite hatte.
In den Besprechungen zwischen Gerletons Truppführern blieb Griffith relativ schweigsam. Sie hielten sich an das Vorbild ihres Lehnsherren und nahmen ihn nicht als Teil der Runde ernst. Griffith Männer mochten weitere Zahlen sein, die sie dem Gegner entgegenschleudern wurden in der Hoffnung, ein Resultat zu sehen, aber Griffith als gleichberechtigten Feldherr zu sehen schien ihnen fremd. Zwei davon hatten ohnehin ein Bild von ihm vor Augen, Gerleton sei Dank, dass sich eingebrannt hatte und nie wieder verblassen würde.
Außerdem war es nicht, als hätte er viel zu sagen. Wichtige Dinge mit Gerleton wurden im Privaten besprochen, wo Griffith Gelegenheit hatte, sein Schauspiel ein wenig dicker aufzutragen, und sich Handlungen erlauben zu lassen, die Gerleton nicht vor seinem ganzen Rat begründen würde. Hier war er leise, und voller scheuer Blicke, und beherrschte es, zusammenzuzucken, wenn der Graf sich unvermittelt bewegte oder ihn unverlangt berührte. All das schien Gerleton aufzusaugen, als wäre es Wasser auf seinen Mühlen. Wenn Griffith sich eingeschüchtert und gehorsam gab, ruhte sein Blick geradezu wohlmeinend auf ihm, und deswegen trieb er das Spiel fort, ungeachtet der Wut, die dabei bisweilen träge in seinen Eingeweiden brodelte.
"Sagt..." Graf Gerleton hatte sich in einen der Wagen zurückgezogen, die tagsüber träge über ihre Straßen humpelten und nachts als bessere Quartiere dienten. Griffith hatte sich zu ihm begeben, noch während sich das nächtliche Lager um ihn herum errichtete. "...Habt Ihr über die Möglichkeit nachgedacht, den Feind zur Feste zu locken und ihm dort in den Rücken zu fallen?" Griffiths Stimme war weich, mit dem richtigen Maß an Unterwürfigkeit, und sein Augenkontakt streng abgemessen. Das hier war auch nur eine Rolle, sagte er sich. Kein Grund, sich darüber aufzuregen. Manchmal halfen seine Beschwichtigungen gegenüber sich selbst.
"Ich habe darüber nachgedacht. Ja." Gerleton stellte diese Worte in den Raum, in dem neben einer behelfsmäßigen Schlafstatt ein ganzer Schreibtisch für ihn errichtet worden war. Griffith wartete einen Moment darauf, dass er fortfahren würde, aber Gerleton schien sich besser darin zu gefallen, ihn anzuschweigen und zu mustern.
"... Zu welchem Schluss seid Ihr gekommen, euer Ehren?"
"Ich denke-", begann der Graf in leichter Theatralik und rutschte auf seinem Stuhl herum. "dass ich davon sehr wenig habe." Ihr bekämt einen leichten Sieg, ihr Ochse. Wie viel mehr wollt ihr noch?
"Ich fürchte, ich kann nicht ganz folgen."
"Es sind eure Männer, die dort warten, Sir Griffith. Nicht meine. Mir ist ihr Schicksal vergleichsweise gleichgültig." Und Gerleton schon sich die Brille auf der Nase nach oben, während er ihm einen abwartenden Blick zukommen ließ. Griffith wusste, er könnte diskutieren - und er wusste auch, er würde auf taube Ohren stoßen. Hier ging es nicht um Taktiken. Es war nur ein verdammtes Machtspiel. Kurz hielt er inne, ehe er sich in fließender Bewegung in die Knie sinken ließ.
"Dann möchte ich Euch um meinetwillen bitten, dass Ihr den Plan erwägt, euer Ehren." Einen Moment sah er wenig, als die Locken ihm zur Seite des Gesichts rutschen wollten, aber er hörte das Knarzen, als sich jemand erhob, und die schweren Schritte, bis sie vor ihm inne hielten. Finger schoben sich unter sein Kinn und hoben es empor. Griffith atmete langsam aus. Am Rande registrierte er: 'Ich kann seine Berührungen wirklich nicht leiden.' Aber das war nicht hilfreich, nicht jetzt, und er schob es zu allen anderen Befindlichkeiten, mit denen er sich auseinandersetzen konnte, wenn er allein war.
"Diese Position passt besser zu Euch." Gerletons Stimme war sehr warm und gutmütig dafür, dass sie in Griffith dennoch das Bedürfnis weckte, jemandem die Haut vom Gesicht zu ziehen. "Ich bin kein unvernünftiger Mann, Sir Griffith - und nicht grausam, solange man mich nicht zwingt. Wenn Ihr weitermacht wie bislang, könnte es Euch in meinen Diensten gut ergehen." Und er lächelte wohlmeinend unter seinem Bart. "Ich schlage vor, dass die Falkenbande fortan unter meinem Banner arbeiten wird, nicht unter dem des Königs. Im Gegenzug bin ich bereit, Euch Entscheidungsgewalt zu gewähren, die vielen anderen Vasallen nicht zukommt. Jetzt gerade werdet Ihr entscheiden dürfen, Boten zu Euren Männern reiten zu lassen, die ihnen Bescheid geben. Es wird keine Schlacht bei Antheim geben - wir fangen den Feind in der Schlucht ab, bei der alten Wehrfestung." Griffith atmete langsam aus. Er schob das Tier beiseite, dass sich in ihm wand und mit Zähnen und Klauen dagegen wehren wollte, dem Mann irgendeine Zusage zu geben - geschweige denn eine von solcher Tragweite. Sowas war jetzt nicht wichtig. Wichtig war der Sieg - und dass die tausend Männer im Mohnbruch ihn miterleben würden. Für alles andere gab es ... Möglichkeiten.
"Damit bin ich einverstanden, euer Gnaden."
"Hervorragend!" Und die Finger verschwanden von Kinn und Wange. "Bitte, erhebt Euch - ich schlage vor, wir setzen den Vertrag gleich hier an Ort und Stelle auf, ehe Ihr Eure Botschafter aussendet?" Derletons Augen machten klar, dass das kein Vorschlag war. Griffith hatte mit nichts anderem gerechnet. Und während er den Grafen beobachtete, wie er schnörkelige Buchstaben auf das Papier fließen ließ, begann Griffith zu planen.
Der Feind rastete seit zwei Tagen, um die Verletzten zu versorgen, und die Bande des Falken wartete auf ihre nächste Chance. Das Lager der Tudors war gut bewacht - wie zu erwarten, immerhin wussten sie nun, dass in den Bergen Feinde lauerten - und ein Spähtrupp nach dem anderen wurde ins Unterholz geschickt in der Hoffnung, sie aufzuspüren. Guts sah es als Gelegenheit zu tun, was er am besten konnte.
Die Feindestruppen mochten wachsam sein, und dennoch lähmte sie ein Moment des Schreckens, wenn die Mannschaft der Raider sich aus Verstecken und hinter Bäumen löste und begann, auf sie zuzustürmen.
Guts brüllte, und der erste Mann nestelte noch an seinem Schwert herum, als er unter seiner Klinge fiel. Der zweite versuchte zu blocken. Die Wucht von Guts hieb trieb ihm das Eisen tief genug in die Stirn, dass er sich mit der eigenen Klinge die Nase zerschmetterte. Rings um ihn war Rufen hörbar, und Tumult, und er duckte sich unter einem Schlag weg und stach zu.
"In Formation!", brüllte einer der Feinde verzweifelt. "Zurück in Formation! Lasst sie euch nicht aufreiben!" Keine Chance. Nicht, wenn Guts durch ihre Reihen fegte wie eine Naturgewalt, bis er vor dem Sprecher innehielt. Der hielt ihm sein Schwert entgegen, zitternd unter der Anspannung des Kampfes.
"Zurück! Midlandischer Hund! Ich werde dir zeigen, was wir mit deinesgleichen-" Guts Schlag erwischte ihn von der Seite und trieb ihn gegen einen Baumstamm. Einen Moment lang versuchte der Mann noch stolpernd, sich zu fangen - dann war Guts schon vor ihm, holte aus, trennte Kopf von Körper, als wäre es etwas Leichtes.
Sobald der Mann zu Boden gesackt war, brach Panik unter den wenigen Verbliebenen aus. Sie versuchten zu flüchten, und Guts Leute fielen über sie her wie ein Rudel Raubtiere. Keine Überlebenden. Ich will, dass ihr sie wütend macht, klang Griffiths Stimme durch seinen Kopf. Ich will Blutbäder. Guts zögerte, aber nicht lange. Er festigte den Griff um sein Schwert wieder und schritt auf einen der Toten zu. Ganz kurz starrte er in die vernebelten Augen und fragte sich, warum er kaum Reue empfand. War es Gewohnheit? Oder hatte Guts so etwas einfach nicht in sich, war er wirklich verflucht, besser als jeder andere geeignet, Tod zu bringen? Dann holte er aus und durchtrennte das Rückgrat mit einem Hieb. "Schneidet ihnen die Köpfe ab. Wir werden sie dem Feind zurücksenden." Griffith würde seine Provokation kriegen.
"Wir haben Besuch." Das waren die Worte, mit denen Gregor ihn zurück im Lager empfing, und Guts brauchte nicht mehr als einen Blick, um seine Anspannung zu erkennen. Er zog die Brauen und folgte dem jungen Mann dichter zwischen die Bäume und tiefer in die Zeltstadt hinein, während seine Gedanken kreisten. Besuch wie... gefangengenommene Späher? Guts würde wenig andere Wahl haben, als sie töten zu lassen. Vielleicht konnte man sie noch befragen, aber je nachdem, um wie viele Männer es sich handelte, würde er es sich nicht leisten können, ihnen Gnade zu gewähren. Sie brauchten ihre Versorgung selbst - Feinde mit durchzufüttern, wäre dumm und ein Risiko für sie. Vor allem, falls die Männer entkommen sollten ...
Gemeinsam mit Gregor schritt er bis kurz vor den Eingang des Planungszeltes, wo bereits auf sie gewartet wurde. Die anderen Dorfbewohner hatten sich um eine handvoll Gestalten gescharrt, hielten die Waffen auf sie und schienen jede Regung mit Argusaugen zu beobachten. Einer der Jungen trat vor. Dem Aussehen nach war er nicht älter als Guts, als der zum ersten Mal mit der Bande des Falken in Kontakt kam, und mindestens genauso rotznasig. Er spuckte auf den Boden und deutete auf die Gefangenen, die in schwere, waldgrüne Reisemäntel gehüllt waren. Zwei von ihnen waren unter Kapuzen versteckt. "Sie sind geradewegs in unser Lager marschiert.", tönte der Junge. "Haben sich freiwillig ergeben, als wir aufgetaucht sind. Und sie behaupten, sie gehören zu dir und Frau Kommandantin Casca."
"Eine Behauptung, die sich leicht überprüfen lassen sollte."
Die Stimme reichte. Guts Herz schien einen Schlag auszusetzen, um dann doppelt so schnell weiterzupochen, und er brauchte gar nicht ganz hinzusehen, als eine der Gestalten die Kapuze vom Kopf zog und sich das Meer weißer Locken daraus ergoss. Natürlich blickte er trotzdem hin. Natürlich hüpften seine Eingeweide ein bisschen bei dem Lächeln, das Griffith ihm zukommen ließ. Guts räusperte sich.
"Danke, dass ihr das Lager heil gelassen habt."
"Deine neuen Rekruten gaben uns keinen Grund, uns verteidigen zu müssen." Griffith legte den Kopf schief, vollkommen ungerührt trotz des Säbels, der ihm noch vors Gesicht gestreckt wurde. "Ihr scheint gut voranzukommen?"
"Tun wir... - verdammt nochmal, nehmt die Waffen weg. Das sind Verbündete." Die Jugendlichen zogen die Köpfe ein, Messer und Säbel wurden zurückgezogen und verstaut. Guts konnte beobachten, wie zwei der Jungen bei Griffith Anblick miteinander tuschelten, und spürte Irritation aufwallen, bis er etwas vom 'Weißen Falken' aufschnappen konnte. Ah. Richtig, wenn man die Geschichten gehört hatte, würde es nicht schwer sein, den Anblick zuzuordnen. "Zieht euch auf eure Posten zurück. Ich muss mich mit unserem Besuch unterhalten", befahl er, und als die Menge sich murrend zu zerstreuen begann, nickte auch Griffith seinen Begleitern zu.
"Lasst euch das Lager zeigen. Ich habe ein paar Worte mit meinem Captain zu wechseln." Das erntete Kopfneigen, und sie folgten Guts Dörflerbande in den Schutz der Bäume, während er mit Griffith vor der steinernen Erhebung zurückblieb, an der sie das Hauptzelt errichtet hatten.
Einen Moment lang spürte Guts den Drang in sich aufwallen, Griffith zu umarmen. Er kämpfte ihn nieder. Es wäre zu ungewohnt für ihn, zu seltsam, und wenn Griffith nach einer Erklärung gefragt hätte-
"Du hast mir gefehlt." Die Worte und das offene Lächeln nahmen Guts Sorgen und Gedanken ihren Zunder. Sie ersetzten beides durch Wärme, durch Glücksgefühl und die Erinnerung, wie oft er sich in den letzten Tagen ausgemalt hatte, Griffith wieder vor sich zu sehen ... Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so rasch der Fall sein würde.
Guts trottete heran und ließ sich schwer auf den Stein neben Griffith sinken. Besser das gewohnte Minimum an Nähe als gar keine.
"Du mir auch. Versteh mich nicht falsch, das hier ist nicht verkehrt, und Casca macht gute Arbeit, aber-" ... Aber was? Guts spürte sich innehalten, während blaue Augen abwartend auf ihm ruhten. "...es ist einfach nicht dasselbe wie mit dir", schloss er lahm.
"Ich verstehe." Und Griffith Augen hatten sich schon wieder abgewandt und starrten einen Augenblick in den geschäftigen Wald hinaus. "... Es ist auch nicht dasselbe, wenn du nicht da bist, um mich bei Laune zu halten." Tue ich das?, wollte Guts fast fragen, aber beherrschte sich. "Der Marschbefehl ist schön und gut, aber ich würde lügen, würde ich sagen, dass es mir passt, mit Graf Derleton zusammenzuarbeiten."
Guts zog die Brauen zusammen. "Warte .... Mit dem Arschloch? Warum tust du dir das an?" Er beobachtete, wie Griffith teilnahmslos die Schultern zuckte.
"Es hat sich so ergeben. Jede Alternative wäre komplizierter gewesen und hätte länger gedauert. Ich werde keine Zeit verlieren, wenn ich weiß, dass ihr hier festsitzt und auf mich wartet." Irgendwas in seinen Augen war hart. Guts hätte gerne nachgefragt und wusste doch nicht ganz wie.
"Trotzdem", brummte er stattdessen. "Hat er sich wenigstens zum Besseren gewandelt?" Griffith Mundwinkel zuckten deutlich.
"Ich fürchte nicht." Und dann, während Guts noch eine Grimasse zog, drehte er sich wieder um. "Ich habe eine Bitte an dich. Sie ist nicht für das Gelingen der Schlacht relevant, darum musst du es nicht als Befehl betrachten. Es ist mehr ein persönliches Anliegen, bei dem ich Hilfe benötige." Er sah ihn mit Augen an, die Guts wahrscheinlich dazu gebracht hätten, allem zuzustimmen.
"Es muss nicht mit der Schlacht zusammenhängen. Du befiehlst, ich folge." meinte Guts, trocken, damit er nicht zu inbrünstig klingen würde. Ich gehöre dir, glaub ich. Wie du es gefordert hattest. Und gerade mehr, als du dir vorstellen kannst.
... Wie würde dir der Gedanke gefallen, mir zu gehören, Griff?
Griffith schüttelte den Kopf, sein Lächeln nicht ganz lesbar, ehe er sich zurücklehnte und Guts wieder ins Visier nahm. Seine Stimme war gesenkt, trotz der Tatsache, dass niemand nah genug wäre zu lauschen.
"Ich will Derleton sterben sehen. Und ich weiß auch schon wie - aber für die Ausführung braucht es dich und deine Männer." Guts blinzelte. Er konnte allerdings nicht behaupten, wirklich überrascht zu sein. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte den Grafen schon früher einen Kopf kürzer machen wollen. Dennoch bereitete es ihm ein schlechtes Gefühl, dass Griffith ausgerechnet jetzt damit ankam.
"Willst du nur 'ne Gelegenheit nutzen? Oder ist irgendwas passiert?", hakte er nach, und ganz kurz schienen sich Griffith Augen zu verengen.
"Nichts, über das du dir den Kopf zerbrechen musst. In erster Linie geht es um meine kleinlichen Rachegelüste." Guts wartete, ob noch mehr kam, aber Griffith schien der Meinung zu sein, dass seine Worte genügten. Er senkte den Kopf und seufzte still. Wieso muss ich dir eigentlich erst Messer an den Hals halten, um zu erfahren, was wirklich hinter deiner Miene los ist?
"...Verstehe. Keine Panik. Du kannst auf mich zählen." Nun war es an Griffith, ihn schweigend zu mustern, aber er äußerte sich nicht. Guts spürte sich stocken, ehe er sich zum Weitersprechen anhielt. "Warst du schon bei Casca oder sind wir das erste Lager, auf das ihr gestoßen seid?"
"Ihr seid das Erste. Wir mussten einen größeren Bogen um einen Kampf im Wald schlagen, dadurch ist uns eines entgangen." Guts spürte einen kurzen Stich bei dem Gedanken. Wenn Griffith noch mit Casca reden musste, würde er nicht allzu lange hierbleiben - und der Gedanke, ihn gleich wieder gehenzulassen, nachdem er ihn endlich zurück hatte, missfiel Guts außerordentlich. Er richtete sich ein wenig auf und warf einen Blick zum Zelteingang hinter ihnen. "Erklär mir erstmal, was genau du brauchst - wegen dem Grafen, mein ich." Dann sehen wir weiter. Bis dahin wird mir irgendwas einfallen. Vielleicht. Hoffentlich.
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