Liebe


"Und als Ihr sagtet-" Derletons Stimme klang schneidend. "-das Ihr vorhabt, ein paar Männer zu Euren Spähern zu schicken und sie von den Änderungen im Plan zu unterrichten... da ist Euch entfallen zu sagen, dass Ihr einer dieser Männer sein werdet?" Griffith zuckte mit keiner Wimper.

"Ein Versäumnis meinerseits, Euer Ehren. Ich bedaure, dass ich Euch nicht früher benachrichtigen konnte, aber ich hielt es für notwendig, mir vor Ort ein Bild der Lage zu machen und Instruktionen an meine Untergebenen weiterzugeben. Selbstverständlich bin ich bereit, Konsequenzen für mein Verhalten zu tragen." Er schlug die Augen nieder und behielt einen ausgesprochen ernsten, reumütigen Ausdruck bei, bis er den Grafen schnauben hörte.

"Seht zu, dass ein solches Versäumnis kein weiteres Mal vorkommt." Griffith atmete auf, wenn auch nur leicht. Es war nicht, als würde man ihn hier vor Ort brauchen. Einen schweigenden, ungefragten Ratsteilnehmer konnte man sich auch vorstellen, statt ihn in Person zu benötigen, und Derleton würde notfalls andere Opfer finden, an denen er seine Allüren auslassen konnte. Der wuchtige Mann nahm sich unterdessen die Brille von der Nase und rutschte auf dem gepolsterten Arbeitsstuhl herum. "Was ist nun mit Euren Leuten? Sind sie bereit, Posten in dieser Ruine zu beziehen?"

"Das sind sie."

"Und Ihr glaubt wirklich, dass es ihnen gelingt, den Feind dahin zu locken und ihn festzuhalten?"

"Daran habe ich keinerlei Zweifel." Er erntete ein abfälliges Brummen, ehe Derleton sich zurücklehnte. "Genug Kartenarbeit für heute. Reitet ein Stück mit mir." Griffith hob die Brauen sachte. Gegenwärtig war er nicht in einer Position, in der es Sinn machte, dahinter eine Falle zu vermuten, aber...

"Auf die Gefahr hin, dass ich mir den Unmut Eurer Vasallen zuziehe?" Derleton winkte unwirsch ab.

"Meine Vasallen dürfen meine Entscheidungen mit zweierlei Reaktionen hinnehmen - einmal 'Ja', und einmal 'Ich verstehe'." Nur kurz ruhten die Augen des Mannes auf Griffith. "Das gilt für Euch ebenso, Falke. Falls dahingehend Unklarheit herrschte."

Griffith achtete darauf, nicht unnatürlich breit zu lächeln. "Ich verstehe, Euer Ehren."


"Ich gehe davon aus, Ihr zürnt mir wegen dem, was ich getan habe." Griffith hob die Brauen. Sie trugen beide Rüstungen, wenn auch keine Helme, und ritten inmitten von Wachschutz neben der langen Wagenkolonne, hinter der die einfachen Soldaten marschierten.

"... Der Gedanke kam mir, ja.", meinte er mit gleichbleibender Miene. Griffith war sich nicht sicher, was für einen Ausdruck der Herzog zu solchen Worten erwarten mochte, und er wollte es nicht riskieren, ihm etwas Falsches oder Unerwartetes zu präsentieren. Was auch immer Derleton für ein Bild von ihm hatte, Griffith plante sich einzufügen.

"Natürlich kam er Euch. Ihr seid jung und ungestüm. Habt womöglich auch Rachefantasien nachgehangen." Derleton zuckte die Schultern. "Aber lasst Euch gesagt sein - hätte ich Euch nicht die Flügel gestutzt, hätte es ein anderer getan, und das wesentlich endgültiger. Lernt Demut, und Ihr werdet gut aufgehoben sein in meinen Reihen. Vielleicht sogar irgendwann ein Stück Land erhalten. Es ist nicht, als könnte das die Dinge noch schlimmer machen, den Titel tragt Ihr ohnehin bereits - und das Volk liebt solche übertriebenen Gesten für ihre Kriegshelden." Die meisten Worte ließ Griffith an sich vorüberziehen, aber beim 'endgültiger' konnte er nicht anders, als den Blick kurz auf dem Gesicht des Herzogs ruhen zu lassen. War das nur dahergesagt? Oder wusste er Dinge, die Griffith bislang noch nicht erkannt hatte?

Wenn es um Mordversuche ging, dann wahrscheinlich nicht von Derletons Untergebenen. Griffith hatte wenig Zweifel daran, dass er deren Zügel eng geschnallt hielt. Und in den Reihen der hohen Edelleute waren seine engsten Vertrauten- "...Allerdings habe auch ich Grund, Euch zu zürnen." Griffith blinzelte, herausgerissen aus seinen Gedanken.

"Euer Ehren?"

"Ihr glaubt wirklich, Ihr wärt so schwer zu durchschauen? ... Instruktionen hinterlassen?" Derleton klang tatsächlich belustigt, während Griffith sich noch immer ein wenig aufgeschmissen fühlte. "Das mag womöglich Eure Tagesarbeit gewesen sein, aber nicht, wie Ihr die Nacht verbracht habt." Er spürte sich tatsächlich rot werden. Die Worte hatten Griffith unvorbereitet erwischt - und die Bilder, die sich in seinen Kopf drängten, taten es noch mehr. Gott. Schlechter Zeitpunkt. Furchtbarer Zeitpunkt.

"Euer Ehren, ich kann nicht ganz folgen." Und Derleton gab einen amüsierten Laut von sich.

"Die Flecken in Eurem Nacken sind sichtbar, wenn Ihr eure Haare zusammenbindet. Eure Liebste hat Euch durchaus zugerichtet." Leiser Schrecken floss beinahe gleichzeitig mit der Erleichterung durch seine Adern. "Ich hätte mir gleich etwas denken sollen dabei, wie Ihr die Söldnerfrau verteidigt habt. Nicht das Lagerliebchen, aber immerhin das des Kommandanten ... Ist sie es wenigstens wert, eineinhalb Tage durchzureiten?" Bei dem Gedanken, Casca verbal unter die Räder zu schmeißen, spürte er einen Anflug von Scham - aber es war besser als die Alternative, und nicht so, als hätte Griffith sich bis dahin um absolute Ehrlichkeit bemüht. Er räusperte sich wie in Verlegenheit. Zugegeben, er war verlegen - wenn auch aus anderen Gründen, als Derleton annahm.

"Ich bin mir nicht sicher, ob es sich geziemt, solche Privatangelegenheiten zu besprechen, Euer Ehren ... Ich bin nicht verheiratet. Es ist nicht in meinem Sinne, jemandes Ruf zu ruinieren."

"Als wäre der nicht ohnehin ruiniert. Einzige Frau in einem Söldnerlager - jeder weiß doch, wie das endet." Wahrscheinlich mit einem Schwert zwischen deinen Zähnen, wenn sie dich jemals hören sollte.

"Nicht jeder hat das Privileg, hohen Standes geboren zu werden. Hätte meine Stellvertreterin die Wahl, ich bin sicher, sie hätte gerne gelebt, wie Eure Ehefrau es tut." Wohl eher nicht. Derletons Frau schien nicht zwingend unglücklich, aber wie jede Edelfrau befand sie sich in ihrer selbstgeschaffenen Welt der Unfreiheit. Es schien Griffith schwer vorstellbar, dass Casca sich noch einmal in einen Käfig sperren lassen würde, da mochten dessen Türen noch so golden sein.

"Ihr haltet meine Frau für glücklich und unbedarft?" Derletons Blick lag abschätzend auf ihm. "... Ihr einziges Kind ist tot. Gestorben, vor zwei Jahren. Der Kummer verfolgt sie immer noch." Griffith wollte die Stirn runzeln. Derletons Tochter? Und wie war er in eine Lage gekommen, in der ihm das mitgeteilt wurde?

"Dann verzeiht meine Gedankenlosigkeit. Ich bedaure ihren Verlust."

"Ihr konntet es nicht wissen. Es ist keine Geschichte, die ich gerne erzählt höre." Der Graf klang nicht todernst, aber noch immer waren seine Augen wie prüfend auf Griffith gerichtet. "Sie war auf Burg Peerlingen untergebracht worden, ursprünglich mit dem Gedanken, sie vor dem Krieg zu schützen. Wir hielten es so lange für eine gute Idee, bis eine Söldnerarmee im Dienste der Tudors heranrückte, um die Burg zu belagern und sich über faule Tricks Zugang zu verschaffen." Ah. Da saß das Problem. Wir stehen aber nicht im Sold der Tudors, hätte Griffith gerne angeführt, biss sich allerdings auf die Zunge. "Ich will nicht darauf eingehen, was sie meinem Kind angetan haben sollen - mir selbst wurden später auch nur die Erzählungen zugetragen. Sie wurde als Geisel an den Hof eines Grafen der Tudors gebracht, und er versuchte sie als Druckmittel zu nutzen, um mich zum Kriegsaustritt zu bewegen. Noch während wir uns in den Verhandlungen befanden, suchte mein Kind den Freitod. Es ertrug die Schande nicht, die man während ihrer Gefangenschaft im Söldnerlager über sie gebracht hatte." Griffith fühlte sich nicht so bedauernd und ergriffen, wie er vielleicht sollte. Die Sache war ohne Zweifel tragisch, aber was genau erhoffte sich der Herzog davon? Sein Verhalten zu rechtfertigen? Das alles hatte mit der Bande des Falken nicht das geringste zu tun.

"Ich kann mir nicht vorstellen, wie schmerzhaft das für Euch gewesen sein muss", antwortete er, und Derleton wandte den Blick einen Moment ab, zuckte seine Schultern.

"Stimmt. Das könnt Ihr nicht." Kurz schwieg er. "Der Graf lieferte mir den Söldnerhauptmann und seine Hofärzte aus, deswegen verschonte ich ihn. Ansonsten hätte ich meine Männer notfalls allesamt in den Tod geführt, um ihm alles zu nehmen, was er besitzt." Nicht gerade die feinste Eigenschaft eines Feldherren. Griffith hatte den Kiefer angespannt, aber dann rieselte es ihm kalt den Rücken herunter. War es so viel besser, was er von Guts verlangte? Auch hier ging es um Griffiths persönliche Rachefeldzüge, und die Gefahr für Guts Leben - und das seiner Männer - war unbestreitbar. Er tut es freiwillig, versuchte er still zu rechtfertigen, aber das war nur ein schwacher Trost. Griffith wusste selbst, dass die Mechanismen im Hintergrund weitaus komplizierter waren, selbst wenn er sie nicht zur Gänze durchschauen konnte.

"Ich gehe davon aus, sie fanden ein sehr unrühmliches Ende?"

"Ihr liegt richtig. Ich ließ ihnen die Haut abziehen und warf die Körper meinen Hunden vor." Nun sprach Derleton nonchalant, beinahe desinteressiert. Rache nicht zum Selbstzweck, sondern als Notwendigkeit. "Aber ich schweife ab ... worauf ich eigentlich hinauswollte: Ich begegne Handlungen mit den entsprechenden Gegenreaktionen. Macht mich wütend, und Ihr erhaltet die Konsequenzen. Haltet mich zufrieden... und ich sehe darüber hinweg, dass Ihr unangekündigt zwei Tage durchreitet, um die Nacht mit Eurem Liebchen zu verbringen, mitten in einer militärischen Operation. Das ist alles."

Griffith beließ es bei einem Nicken und einem vagen "Euer Ehren." Manche Dinge hatte er nicht vor, tiefgehend zu besprechen, mit Derleton am allerwenigsten.


Gegenwärtig war es nicht allzu schlimm, dass seine Abende von Besprechungen eingenommen wurden statt Lagerfeuer und Saufgelagen. Ohne seine Kerngruppe fühlte Griffith sich seltsam entfremdet im Lager, und auch wenn er nicht daran zweifelte, dass man ihn anderswo mit offenen Armen begrüßen würde, fühlte er sich doch nicht in der Stimmung, sich unter Wildfremden zurechtzufinden. Es hätte ihm nur vor Augen geführt, was gerade fehlte. Doch je länger er lauschen musste, desto mehr stellte er infrage, ob das hier tatsächlich eine Alternative zum Trinken darstellte.

"Was ist falsch daran, vor Antheim zu lagern? Warum dieser... dieser Irrsinn mit irgendwelchen uralten Gemäuern im Wald?" Aktuell war es Baron Foster-Sempill, der sich ereiferte, und der Grund erschien Griffith recht offensichtlich. Der Mann war ein Feigling, zögerlich und konfliktscheu. Von allen am Tisch war er immer noch derjenige, der am meisten auf einen Abzug des Feindes hoffte statt auf eine Schlacht. Als Kommandanten würden sie nach Derletons Plan weitab vom Feind sein, geschützt im Planungszelt, aber das hielt den Mann nicht davon ab, die Konfrontation zu fürchten. Nach allem, was Griffith gelesen hatte, wäre es zudem seine erste Schlacht. Eigentümlich, denn normalerweise waren gerade die unerfahrenen Adeligen diejenigen, die von Ruhm und Heldentaten träumten.

"Hütet Eure Zunge, Baron. Antheim würde dem Feind Rückzug gestatten, und der König schickt uns nicht nach Norden, nur um Armeen zu schieben. Wir sind hier, um einen Sieg zu erringen."

"Und Ihr vertraut darauf, dass einfache Söldner die Armee Tudors hinzuhalten vermögen? Ich kenne solche Männer doch! Sobald das Blatt sich wendet, verzichten sie auf ihre Bezahlung, verkriechen sich in ihren Löchern, und wir müssen mit den Konsequenzen arbeiten!" Der Sprecher war Viscount Loder, eines der beiden Gesichter, die Griffith sich aus der Szene im Pavillon behalten hatte. Sein Gefährte von damals fiel amüsiert mit ein.

"Sprecht Ihr noch von Menschen? Oder von Ratten?"

"Wo ist bei solchem Pack der verdammte Unterschied?!" Loder warf einen Blick in die Runde, nach Bestätigung suchend, und versuchte Griffith eindringlich niederzustarren. Griffith schenkte ihm ein kurzes Lächeln und blinzelte nicht, bis der Mann den Blick wieder abwandte. In der Zwischenzeit äußerte sich Baron Calvert.

"Söldner hin oder her - die Bande des Falken hat schon mehrmals bewiesen, dass Vertrauen in sie gerechtfertigt ist. Ihre Rufnamen in der Bevölkerung kommen nicht von irgendwo her." Im Geiste setzte Griffith ein kleines Häkchen hinter den Namen des Barons. Calvert hatte sich bislang schon einmal als angenehm unparteiisch erwiesen, und zusätzlich war er bereit, sich für ihn auszusprechen. Das war bereits mehr, als man in dieser Runde generell erwarten konnte.

"Bitte!", höhnte Loder nun wieder, und Foster-Sempill fiel ein.

"Die Sensemänner des Schlachtfelds? Das zeugt nicht von Kampfgeschick und nur davon, dass eine Gruppe Halsabschneider sich unter gutgläubigen Bauern einen Namen zu machen weiß-!"

"Ruhe!" Die Stimme des Herzogs fegte durch das Zelt. "Ich bin nicht hier für kleinliche Diskussionen über unsere Verbündeten. Sir Griffith hat mir das Gelingen zugesagt, und er wird sein Versprechen halten, dafür werde ich sorgen. Ich dulde keine weiteren Einwände, die nichts weiter tun, als Zwietracht zu streuen!" Viscount Loder und sein Nebenmann blickten beinahe verraten, aber gemeinsam wie der Rest des Zeltes senkten sie die Köpfe und gaben gemurmeltes Einverständnis. Griffith atmete langsam aus und ließ sich zurücksinken. Umständlich.


Es dauerte drei weitere Tage, bis sie die Gipfel Hohenthanns in der Ferne erkennen konnten. Sie erhoben sich rund um die Gebirge, welche den Mohnbruch begrenzten. Drei Tage, in denen er sein Bestes tun musste, sich in jeder wachen Minute beschäftigt zu halten, damit seine Gedanken nicht abglitten. Besprechungen. Training. Planungen. Organisatorische Details mit seinen Lagerleitern. Alles, wirklich alles - nur um nicht an das denken zu müssen, was sich in Griffiths Kopf nach vorne drängte, sobald es zwei Sekunden Zeit zum Innehalten gab.

Ich liebe dich. War er eigentlich vollkommen verblödet? Was hatte ihn dabei geritten, das zu sagen? ... Zugegeben, im Grunde wusste Griffith, was der Grund war - kurzzeitige Senilität dank rein körperlicher Umstände - aber eine Entschuldigung war es nicht. Die Worte gingen zu weit, ließen zu tief blicken, und er konnte sie allein deshalb schon nicht leiden, weil er sie nur aus Kontexten kannte, in denen sie pervertiert wurden. Dass es an dieser Stelle ernst gemeint war, machte es eigentlich nur schlimmer. Ich liebe dich. Ich bin dumm, und verletzlich, und du hast mich in der Hand. Benutz es gegen mich, und ich bin wehrlos. Tu nichts, und du wirst mir trotzdem wehtun. So ein Zugeständnis machte man nicht. Nicht einmal gegenüber Vertrauten, gegenüber Leuten, die sich sein Interesse irgendwie verdient hatten, vor allem nicht, wenn die vor Kurzem noch irgendwelchen Dorfmädchen nachgejagt hatten. Er sollte es besser wissen als das. Er wusste es besser - normalerweise, und die Frage, wie man so einen Patzer überging, plagte ihn in stillen Momenten. Um den Zweifeln in seinem Kopf zu entgehen, hätte er alles in Kauf genommen, mitunter sogar Derleton selbst. Das einzige, was Griffith fürchten musste, war der Teil der Nacht, an dem er allein in seinem Zelt zurückblieb.


Mit dem Voranschreiten des Tages hatte sich der Himmel verdunkelt, und schließlich gab Derleton den Befehl durch alle Soldatenreihen bis zum Tross hin, dass man innehalten und Lager aufschlagen solle. Bei Nacht und Unwetter in die Schlucht zu reiten - vor allem mit dem Gedanken, dass dort Feindkontakt auf sie warten könnte - wäre zu hohes Risiko. Die restlichen Edelleute sahen das ein, selbst wenn Griffith ihr Murren hören konnte.

Die Zelte der Kommandanten standen ein ganzes Stück abseits von den eilig hergerichteten Zeltbauten der Soldaten - man bevorzugte es, nicht inmitten des Pöbels zu hausieren. Stattdessen saßen hier Edelleute an Tischen mit ihren Verwaltern, Vertrauten und den Söhnen geringerer Landbarone. Sie tranken und spielten genauso wie der Rest, aber gaben ihr Bestes, dem einen Anschein von Zivilisiertheit zu geben, um sich gegenüber dem einfachen Volk erhaben zu fühlen.

Griffith hatte sich zum Baron Calvert gesellt, der gemeinsam mit seinem Feldmarschall und dem Erzjägermeister alten Geschichten nachhing. Sie hatten nicht gezögert, ihn in ihre Runde einzuladen

"-war die gesamte Gesellschaft natürlich in heller Aufregung. Immerhin war der Graf schon damals ein uralter Mann, und der Gedanke, ihm könnte etwas passiert sein, ließ seine Lordschaft nicht los." Der Jägermeister, der gerade mit Erzählen an der Runde war, zog eine vergnügte Miene, während Baron Calvert in Erahnung kommenden Unheils bereits seinen Kopf schüttelte und einen weiteren Schluck seines Weins trank. "Wir sind also losgezogen, mit Spürhunden, und halb rechnete man schon damit, den armen Mann am Fuß eines Berges oder einer Klippe zu entdecken. Des Grafen ganze Verwandschaft würde ihn hassen, fürchtete seine Lordschaft bereits-"

"So habe ich es nicht gesagt." Calvert gab sich brummig, aber auch in seinen Augen stand Erheiterung geschrieben.

"-und dann fanden wir ihn! Oder besser: Wir fanden seinen alten, haarigen Hintern, im Gebüsch, während der Rest von ihm über seine Magd rutschte, beide nackt, wie Gott sie geschaffen hatte!", dröhnte der Erzjägermeister und begann zu lachen. Hinter ihnen an einem der Tische herrschte Aufruhr, als sich ein Reiter näherte. Ihre berittenen Späher gingen schon den ganzen Tag ein und aus. "Unnötig zu erwähnen, dass der Kopf meines Herren auf seinen Schultern blieb-" Griffith blinzelte. Der Reiter am hinteren Tisch hatte sein Schwert gezogen. Nun, da er heran war, schnitt die Klinge durch die Luft und in den ungeschützten Kopf des ersten Mannes, der sich bei seinem Annahen erhoben hatte.

"Wir werden angegriffen." Er war zu leise. Die Überraschung - der plötzliche Schock - saß. Griffith nahm die Sekunde, um sich zu sammeln, und er sah, wie das Schwert für einen weiteren Schlag erhoben wurde.

"-könnt euch nicht vorstellen, Sir Griffith, was ein Drama seine Tochter veranstaltet hat! Und das so kurz, nachdem die werte Frau Mutter dahingeschieden ist. Es war-"

"Wir werden angegriffen!" Griffith kam auf die Beine, während ihn zwei erschrockene Gesichter musterten. Das Chaos von weiter hinten brandete inzwischen zu ihnen, als weitere Reiter innerhalb seines Sichtfelds durch das Lager stürmten. Die derangierten Banner und Wappen waren die Midlands, aber auf den zweiten Blick schienen ihre ungewöhnlichen Rüstungen zweifellos von Tudor-Machart zu sein.

Griffith bereute, dass er selbst nur leicht gerüstet war, und zückte den eigenen Säbel. Viel konnte er sich davon nicht versprechen - der erste Reiter, der auf sie zugeritten kam, trug eine Lanze. Viel zu weit entfernt, als dass er einen Angriff hätte wagen können. Als der Mann nach ihm stechen wollte, warf Griffith sich auf dem beengten Raum zur Seite. Das Pferd polterte knapp an ihm vorüber, ehe es drehte.

Schreie tönten durchs Lager, hektische Rufe, aber es gab keine Chance, irgendeine Art von Ordnung herzustellen. Nicht, wenn der Feind schon mitten unter ihnen war. Hektik und Verwirrung waren ihr schlimmster Gegner.

Er versuchte, aus dem verzierten Seilgewirr des Zelteingangs zu kommen, als der Reiter erneut auf ihn zustürmte. Griffith entging der Lanzenspitze nur knapp. Das Vordach des Zeltes riss auf, erst durch die Lanze, dann durch das Gewicht des Pferdes, dass sich aufbäumte und drehte. Aber immerhin hatte Griffith wieder Platz, sich zu bewegen.

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie weitere berittene Krieger vorbei eilten, als sein Gegner wieder in seine Richtung galoppierte. Griffith ging in die Knie und ließ den Körper nach hinten sacken, um der Spitze zu entgehen, ehe er herumschnellte. Sein Säbel rammte gegen die Hinterbeine des Pferdes und schnitt bis in die Knochen.

Diesmal kam der Mann ins Straucheln, rutschte nach vorne und wurde von dem Tier um ein Haar zu Boden geworfen. Bevor Griffith aber auch nur daran denken konnte nachzusetzen, sah er hinter ihm weitere Reiter auftauchen. Sie begannen, in seine Richtung vorzupreschen. Nicht gut.

Griffith wich nach hinten, drückte sich zwischen Zeltstangen und -wänden hindurch und hörte das Wiehern, als er zum Baron zurückrannte.

Der war am Tisch zusammengesackt. Griffith wollte Sorge haben, als er das Blut sah - dann erkannte er, dass es vom Kommandanten stammen musste, nicht von Calvert selber. Calvert hing über dem Toten, wollte ihn rütteln, ihm zusprechen, während der Jäger neben ihm stand und das Schwert erhoben hielt. Beide sahen auf, als er heranstürmte.

"Sir Griffith!" Die Erleichterung hielt nicht lange. Hinter sich konnte er Brechen und Knacksen vernehmen, und das Reißen von Stoff, als die Pferde sich einen Weg durch die kleine Zeltstadt bahnten. "Wir müssen-!"

Was immer Calvert mitteilen wollte, brach ab, als Griffith ihn am Kragen packte und hinter sich schubste. Der Baron war nicht unbewaffnet, aber die Klinge an seinem Gürtel war offensichtliches Zierstück. Er hatte ihn noch nie gesehen, wie er sie hielt.

Griffith hielt den Säbel erhoben, als drei der Reiter sich näherten. Einen hätte er trotz Pferd und Hellebarde kriegen können. Aber drei, während es auf den Baron aufzupassen galt ... Der in der Mitte, mit aufwändig gearbeitetem Helm, hob die Hand und ließ die anderen beiden langsamer werden. Vorne über seinem Pferd hing wie ein nasser Sack eine reglose Gestalt. Ob tot oder verletzt, konnte Griffith nicht ausmachen. Ihr Angreifer zog das massive Schwert von seinem Rücken, aber bevor er zur Attacke ansetzte, beeilte einer der anderen beiden sich anzumerken: "Kommandant! Sie haben unseren Überfall bemerkt, die Truppen sind auf dem Weg hierher. Wir haben keine Zeit." Der augenscheinliche Anführer zögerte einen Moment, lange genug, um Griffith Blick zu erwidern. Dann schnaubte er.

"Glück für euch. Wir ziehen uns zurück!" Letzteres wurde mit kraftvoller Stimme gerufen, und man konnte hören, wie der Ruf an anderen Stellen des Lagers aufgenommen wurde. Die Angreifer warteten nicht lange. Sie ließen ihre Pferde aufbäumen und in raschen Galopp übergehen, ritten einen Kreis um ihr Trio und stürmten schließlich in die entgegengesetzte Richtung davon. Andere Reiter schlossen zu ihnen auf, während Griffith den Baron aufatmen hörte. Wenn er sich umsah, entdeckte er niedergetrampelte Zelte, geschlachtete Männer und einige niedergestreckte Pferde. Nach einem Moment des Zögerns ließ er vom Baron ab und begann, in Richtung seines Zeltes zu laufen. Griffith hatte niemandem explizit befohlen, ihm hier im Lager Gesellschaft zu leisten oder als Wachposten zu dienen, aber wenn einer seiner Leute ihn zum falschen Zeitpunkt gesucht hatte ...

Seine Schritte stockten, als er einen schmerzerfüllten Laut hörte, gequält und fordernd gleichermaßen. Um ihn herum lagen zusammengesackte Körper - auf der Wiese, an Tischen, halb im Begriff, ihre Waffe zu ziehen, bevor sich etwas in ihren Hals gebohrt hatte. Die meisten waren verloren, aber für einen von ihnen konnte er womöglich etwas tun.

"Helft mir!" Nach einem Moment des Umsehens konnte Griffith den Ursprung der Stimme erkennen. Zwischen Zeltplanen reckte eine Hand heraus. Der dazugehörige Körper lag ein Stück weiter hinten im Zeltknäuel. Behelfsmäßig hatte er eines der Befestigungsseile um seinen Arm geschlungen, um die Blutung zu stoppen.

"Verdammt nochmal, helft mir." Griffith eilte näher, bis er das Gesicht erkannte.

Graf Dawcorne. Graf Söldner-oder-Ratten, Graf 'Ich sitze und amüsiere mich über Derletons amüsante Spielchen beim gemeinsamen Tee'. Er stockte einige Sekunden lang.

Dawcorne lächelte in grimmiger Erleichterung, aber sein Gesichtsausdruck gefror, als Griffith Hand sich auf seinen Säbel legte. Es war nicht, als hätte er den Tod dringend verdient - aber er hatte einmal den Mitläufer gespielt. Würde es vielleicht ein weiteres Mal tun. Im Zweifelsfall konnte er Gerüchte über ihn verbreiten, die Griffith nicht benötigte, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Doch neben dieser versuchten Rationalisierung war es stille Befriedigung, die ihn erfüllte, als der Mann seinen Mund zum Schrei öffnete. Womöglich hoffte er, dass andere Zeugen vorbeikommen würden. Womöglich auch auf ein Wunder.

Der Schnitt spaltete sein Gesicht bis zum anderen Mundwinkel hin, ehe Griffith rasch zur Seite trat, damit seine Kleidung vom Blut verschont blieb. Er wischte den Säbel am Zelt neben sich sauber und trat wieder heraus aus der kleinen Einbuchtung zwischen den Zelten. Rote Flecken fanden sich auf seinen Stiefeln, aber sie bedeckten den Boden überall. Kein Grund zur Sorge... oder gar für Misstrauen. Griffith eilte weiter, als wäre nichts passiert. Insgeheim fragte er sich, ob er sich schuldig fühlen sollte. Möglicherweise. Aber außer vager Sorge um die eigenen Leute spürte er gar nichts.

Er hatte nie behauptet, ein Heiliger zu sein. Die Welt mochte ihm diese Rolle abkaufen, aber auch nur bei Tageslicht.


Casca stand grimmig und mit verschränkten Armen vor dem Versammlungszelt in Guts Lager, als er zurückkehrte. Innerlich seufzte er still. Das sah nach einer Standpauke aus.

"Captain Guts."

"Kommandantin." Sie nickte zum Zelt hin, während seine Männer noch abstiegen, und er folgte schicksalsergeben. Sobald er eingetreten war, schloss sie die Plane hinter ihnen, aber ihre Stimme war dennoch zu einem leisen Zischen gesenkt, wie um potentielle Zuhörer zu vermeiden.

"Ich meine mich zu erinnern, dass ich ausdrücklich verboten hatte, bei diesem Wetter Angriffe zu starten! Du kannst im Sturm Freund nicht von Feind unterscheiden! ... Wo wart ihr?"

"Unten bei der alten Feste", murmelte er und fuhr sich durch die nassen Stoppeln seines Haares. "Ich sagte doch, ich hätte etwas für Griffith zu erledigen."

"Richtig. Du. Du allein. Nicht 'du und hundert Mann, die plötzlich fehlen und mir wahnsinniges Kopfzerbrechen bereiten'!" Sie stemmte die Hände in die Hüften. "Allein das Risiko, dass man euch gesehen haben könnte- ... hat man euch gesehen?" Also, rein technisch-...

"Die Tudors sind ahnungslos", brummte er ausweichend. Casca schien das zu genügen, auch wenn ihr Gesicht umwölkt blieb.

"Für eine Festungsbesichtigung braucht es keine hundert Männer."

"Das nicht, aber-..." Er stockte und rang mit sich. Griffith Worte waren klar gewesen. Halt Casca da raus. Schlimm genug, dass ich dich hineinziehe. Wirst du erkannt, ist das Hochverrat. "-...je weniger du davon am Ende weißt, desto besser. Glaub mir." Nach kurzer Überlegung fügte er an: "Griffith Aussage, nicht meine." Denn ihm selbst vertraute sie nicht, soviel konnte er den braunen Augen entnehmen. Casca rümpfte die Nase und verschränkte die Arme, aber tatsächlich hatte sie das zur Ruhe gebracht. Guts wagte aufzusehen. "Ihr habt heute den zweiten großen Überfall durchgeführt? Wie ist es gelaufen?" Ihr Gesicht glättete sich ein wenig.

"Schlechter, aber das war zu erwarten. Sie sind wachsamer geworden und haben unsere Leute bis weit in die Wälder gejagt." Casca sah nicht mehr wütend aus bei den Worten. Vielmehr verloren. Guts runzelte die Stirn.

"Haben sie welche von uns gekriegt?" Und die junge Frau presste die Lippen einen Moment aufeinander.

"Zu viele." Diesmal wich sie Guts Blick aus. Er hatte das Gefühl, vielleicht irgendwas sagen zu müssen.

"Ist nunmal so. Sie wissen, worauf sie sich eingelassen haben." Der Blick, der ihn traf, trug Eis in sich.

"Du hast leicht reden, hm? ... Dir in deiner Starrköpfigkeit würde es wahrscheinlich nichtmal was ausmachen, auf dem Feld zu verenden!" Irgendwas sagte ihm, dass er die falschen Worte gefunden hatte. Aber die Wut war okay. Sie war besser als eine Casca, die so traurig schien.

"Wenn ich sterbe, dann sterbe ich. Das ist die Entscheidung, die wir getroffen haben." Sie hob die Arme von ihren Hüften, wollte sich einen Moment großer machen, ehe ihre Haltung doch ermattet zusammensank.

"Egal. Vergiss, was ich sagte. Du würdest es ohnehin nicht verstehen." Ein schiefer Blick wurde Guts zugeworfen. "Ich werde die Bauern und einen Teil unserer Männer in Kürze zur Festung führen. Morgen früh müssen deine Männer fit sein, um Lockvögel zu spielen. Schaffst du das?"

"Mach dir keine Sorgen."

"Um dich sowieso nicht." Und sie machte sich daran, das Zelt aufzuschließen. Guts seufzte, wenn auch nur innerlich.


Er hätte ihn mitnehmen sollen. Der Gedanke kam Guts erst, als er in seinem Zelt lag und an die Decke starrte, während Egoismus und Gier und Sehnsucht sich durch seine Brust wühlten. Er hätte ihn mitnehmen sollen, direkt dort, als er vor ihm stand und es so lächerlich einfach gewesen wäre. Dann hätte er jetzt Gesellschaft. Und womöglich sogar eine Antwort auf all seine brennenden Fragen. Hast du das ernst gemeint, Griffith? Und was zum Teufel bedeutet es? Zugegeben, vielleicht hätte er nicht lange genug überlebt, um all diese Fragen zu stellen, nicht mit einem aufgebrachten Griffith, der ihm an die Gurgel gehen wollte, aber die Möglichkeit bestand immerhin.

Was sollte das überhaupt sein, Liebe? Was meinten sie damit? Guts wusste, dass es irgendein riesiges, edles Gefühl sein musste, über das sie Gedichte und Lieder schreiben und das entweder zwischen Mann und Frau oder zwischen Mutter und Kindern eine gewaltige Rolle spielen musste - nicht seiner Mutter, versteht sich. Nicht einmal Shisu. Gambino hatte es ihm oft genug vorgehalten. Sie hat dich geliebt, und du hast dich an sie rangeklammert wie ein kleiner Parasit. Was erzählst du mir von Vermissen? Du vermisst sie nicht, du vermisst es nur, dass du niemanden mehr ausnutzen kannst. Und jetzt hör auf zu jammern. Sowas tun Männer nicht.

Guts glaubte nicht, dass er es wirklich in sich hatte. Was er hatte, war Wollen, war der Wunsch, Griffith für sich zu haben, für immer, Körper und Geist, und gemocht und geschätzt zu werden und ihm auf dem Weg zu seinem Traum beiseite zu stehen. Du vermisst ihn nicht, wollte Gambino irgendwo fern in seinem Kopf höhnen. Du vermisst nur, was er dir gibt. Guts wollte niemanden ausnutzen, wirklich nicht. Er hatte es lange Zeit bevorzugt, allein zu sein und frei von Leuten, die ihn vor solche Schwierigkeiten stellten - und jetzt, wo er sich Personen öffnen wollte, tauchte dieses verdammte Wort wieder auf. Liebe. Liebe war Synonym dafür, dass er alles falsch machen würde, egal was er tat. Vielleicht sollte Guts wirklich hoffen, dass Griffith es nicht ernstgemeint hatte, als er es aussprach. Vielleicht sollte er es sich aus dem Kopf streichen und Vergessen. Aber noch war es nicht hell, und die Nacht trieb ihre Klauen in seine Brust und sorgte dafür, dass seine Kehle eigenartig eng blieb.

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