Jagdtrieb


Casca,

der Marschbefehl lässt auf sich warten, aber wenn wir Geduld haben, bis sich die kleinlichen Verstrickungen des Kriegsrats gelöst haben, werden wir zu spät sein.

Ernenne Stellvertreter im Lager, nimm dir tausend vertrauenswürdige Männer und reite mit ihnen rasch und ungesehen nach Mohnbruch vor. Bewegt euch durch die Dörfer, die sich von dort nach Antheim ziehen - ich habe sie dir auf den beigelegten Karten markiert - und teilt ihnen mit, dass sich der Krieg zu ihnen hinunter verschieben wird. Räumt die Vorratslager, unterstützt ihre Evakuierung in die Wälder und sucht unter ihnen Späher und Berater, die euch das Gelände so schnell wie möglich nahebringen können.

Wenn Tudor sich in eure Richtung bewegt, sollt ihr nicht den offenen Kampf suchen, sondern den Feind in Scharmützel in unwegsamen Gelände in Wäldern und verstricken. Zorn und Demoralisierung sind vonnützen. Hauptziel ist es, euch eine Zielscheibe aufzusetzen, der sie blindlings folgen werden - direkt in unsere herannahenden Armeen hinein.

Gib Acht auf dich und deine Männer. Ich vertraue dir.

Griffith


Wahrscheinlich, so dachte Guts, sollte er es als Glücksgriff werten, dass ein Großteil ihrer Kommandanten von Casca zurück zum Lager geschleppt worden war. Wahrscheinlich rettete es ihm den Hals. Wahrscheinlich hätte es nur einen kurzen, wissenden Blick von jemandem wie Judeau gebraucht, und man hätte begonnen, eigene Theorien zu entwerfen, warum Guts so gute Laune hatte. Zweimal war er schon gefragt worden, das eine Mal von Corkus, der wissen wollte, ob er bereits vom nächsten Gemetzel tagträumen würde, und zweimal hatte er sich mit Brummen und Verstocktheit aus der Affäre gerettet.

Dabei war das albern. Es war... gar nichts ... es war nichts so weltbewegendes passiert. Sie hatten nur - er hatte nur - es war ja kein Sex gewesen oder so. Griffith hatte ihm etwas erläutert und dann einen Gefallen erwidert. Und so sehr Guts auch versuchte, das für sich irgendwie zu rationalisieren, hatte er doch das Gefühl, dass er es sich bei Weitem zu einfach machte. In erster Linie, weil er plötzlich an nichts anderes mehr denken konnte als Griffith. Dafür, dass Guts es zuvor so eilig hatte wegzukommen, war ihm nun, als würde er sich gern alle Zeit der Welt lassen.

Er lehnte auf der Balustrade, die ihm Blick in den Hof und zu den Wehrgängen erlaubte, und ließ sich nicht stören von der Gesellschaft, die hin und wieder an ihm vorüber strebte. Guts hätte gar nicht mit Bestimmtheit sagen können, wie spät es war, als sich jemand auf den Stein neben ihm stützte und seinen Blick in den Hof folgte.

"Ist dir langweilig?" Guts, der sein Bestes gab, Griffith nicht unverhohlen anzustarren, fixierte seine Augen stattdessen auf das Muster einiger Steine in der Mauer.

"Geht."

"Dann habe ich gute Neuigkeiten für dich." Griffith richtete sich auf und schob eine der Strähnen zur Seite, die zu kurz für den ordentlichen Zopf war und ihm störrisch ins Gesicht rutschen wollte. Guts musste den kurzen, unerklärlichen Drang unterdrücken, sie ihm hinters Ohr zu streifen. "Du wirst Casca hinterherreisen."

Und schon spürte er seine Laune zurück in gewohnte Gefilde krachen. Guts räusperte sich.

"Braucht sie Hilfe?"

"Das wird sie sehr wahrscheinlich. Es ist gefährlich, was ich von ihr verlange." Griffith Stimme war gesenkt, sein Blick gen Himmel gerichtet. "Wir haben keine Erlaubnis, da oben zu agieren. Eher im Gegenteil... momentan plant Graf Derleton, dort einen Sieg für sich zu beanspruchen, und besteht darauf, es im Alleingang zu tun. Politische Gründe. Er hat sehr deutlich gemacht, was er von Söldnereinmischung hält."

"Kann er es denn allein schaffen?"

"Wenn es zum Kampf kommt? Möglich. Die Zahlen hat er, aber die Männer sind nicht kampferprobt." Griffith zog die Brauen zusammen. "Außerdem sieht er nur die Taktikkarte, nichts darüber hinaus. Sein Plan ist es, aberhunderte von zivilen Opfern zu ignorieren und dem König am Ende einen sauberen, regulären Schlachtensieg zu präsentieren - oder, was wahrscheinlicher ist, einen Rückzug des Feindes, wenn sie von seiner Streitmacht erfahren." Noch immer murmelte er mehr, als zu sprechen, mit arglosem Lächeln im Gesicht. Nur eine Plauderei zwischen zwei Freunden.

"Und unserer?"

"...Du und Casca, ihr macht mit euren Männern den Feind wütend, bis er nicht anders kann, als euch zu jagen - und sich in präpariertes Gelände stürzt, wo unsere Armee wartet. Die Überrumpelung muss gelingen, dann wird er sich trotz zahlenmäßiger Überlegenheit nicht groß zur Wehr setzen können." Griffith löste den Arm von der Balustrade, verschränkte sie vor der Brust. "Deshalb brauche ich dich da oben. Casca ist präzise, aber sie ist nicht brutal. Um die Männer der Tudors wirklich in Rage zu versetzen, will ich hässliche Kleingefechte. Blutbäder." Guts spürte sich plötzlich lächeln - nicht so sehr wegen der Thematik und mehr wegen dem, was dahinterschwang. Vertrauen. Griffith kannte seine dunklen Seiten, und statt vor ihnen zurückschrecken, zögerte er nicht, Einsatz und Verwendung dafür zu finden.

"Wirst du kriegen." Griffith nickte und setzte dazu an, noch etwas zu sagen, aber schien es sich anders zu überlegen, als Schritte auf dem Stein wiederhallten.

Erst, als Griffith sich verbeugte, machte auch Guts sich die Mühe, sich umzudrehen und ins Angesicht seines neuesten Lieblings-Edelmanns zu starren. Graf Wie-hieß-er-gleich ließ ihnen beiden einen abmessenden Blick zukommen, der solange auf Guts ruhen blieb, bis er leise schnaubte und sich ebenfalls um eine Verbeugung bemühte. Vor ihm schien Griffith auszuatmen.

"Sir Griffith. Schon zurück von den Taubenschlägen? ... Es ist immer wieder angenehm überraschend, einem Exemplar Eurer Herkunft zu begegnen, dass des Lesens und Schreibens mächtig ist." Heute war der Mann nicht in Rüstung gehüllt, sondern einen vor Prunk überbordenden Leibrock in braun, um den ein halber Ziermantel geschlungen war. Irgendein armes Schwein musste Wochen seines Lebens darauf verschwendet haben, detaillierte Szenen einzusticken, in denen sich Wildtiere tummelten.

"Nun, Euer Ehren, ich würde mich schämen, dem König vor die Füße zu treten, wäre das nicht der Fall... und ihr müsst mir meine Worte in der Versammlung nachsehen. Trotz aller strategischen Bedenken bin ich beeindruckt von der Tatkraft, die ihr aufbringt, wenn es darum geht, Midland zu verteidigen."

"Ah, kein Grund, sich zu entschuldigen. Mit einem Hintergrund wie dem euren, Sir Griffith, lässt sich vermutlich leicht vergessen, dass der Schutz Midlands immer noch in erster Linie seinen Söhnen hohen Standes obliegt - und nicht etwa Bauern, Bürgern oder käuflichen Schwertern. Aber seid unbesorgt. Der König wird es euch schon wissen lassen, wenn er Verwendung für eure Männer hat." Der Blick war zu Anfang wohlmeinend, auch wenn Guts das Gefühl hatte, dass sich eine schärfere Note ins Lächeln mischte. "Spätestens zur Jagd, wie ich hörte. Herzlichen Glückwunsch zur Ernennung."

"Bis jetzt ist sie rein inoffiziell", meine Griffith, dezent abwinkend. "Aber kann ich davon ausgehen, dass auch ihr von der Partie sein werdet, Graf Derleton?" Guts hielt den Blick geradeaus auf den Mann gerichtet, aber fühlte sich in Versuchung, ein wenig auf den Fußballen zu wippen, um der Langeweile Herr zu werden. Zu viel Hof-Blabla.

"Eine königliche Jagd werde ich mir nicht entgehen lassen. Vermutlich wird der König mich sogar an entscheidender Stelle einsetzen. Ihr mögt es nicht wissen, aber Haus Derleton hat eine lange Geschichte in der Zucht von tierischen Jagdbegleitern."

"Ich hörte davon."

"Unsere Tiere sind über Generationen ausgewählt. Hervorragende Stammbäume... Ich gehe davon aus, auch ihr habt schon eure Erfahrung mit der Erziehung von Hunden gemacht, nicht, Sir Griffith?" Und jetzt merkte Guts, dass der Blick des Mannes sich unmissverständlich auf ihn gerichtet hatte. Was? "Ich meine mich zumindest zu erinnern an Exemplare, die das letzte Mal noch wesentlich... bissiger waren." Guts spannte den Kiefer an, zog die Brauen zusammen, und seine Hand wollte in Richtung des Schwerts wandern. Bevor sie weit kam, legte sich die von Griffith darauf. Gab ihm den sanftesten Wink, innezuhalten. Guts schnaubte, aber er schwieg.

"Ich fürchte, ihr müsst mich verwechselt haben, euer Ehren. Ich arbeite nicht mit Tieren."

"Tatsache? Ein Jammer. Womöglich solltet ihr diese Erfahrung nachholen. Auf Wunsch seid ihr jederzeit gerne auf mein Jagdschloß eingeladen." Breites Lächeln zeichnete sich unter dem Bart ab. "Sollten die Hunde nicht euer Gefallen finden, so tun es womöglich die Falken."

"Womöglich." Und Griffith lächelte. Irgendwas in Guts hatte das Gefühl, die zwei Männer neben ihm würden sich an die Kehle gehen, wenn Etikette nicht wäre.

"Etliche Leute wundern sich, warum wir Falken zähmen und nicht etwa Adler, wie unser Wappen es gebieten würde ... könnt ihr euch vorstellen warum, Sir Griffith?" Guts ließ den Blick ringsumher wandern, nur probehalber. Nur um zu wissen, ob er Zeugen entdecken konnte. Er mochte es nicht, wie dieser Mann mit Griffith - mit ihnen - sprach. Mehr noch als die meisten Scheißer bei Hofe schien der hier von einer Sorte, die man nicht nach einer abfälligen Bemerkung wieder loswurde.

"Ich fürchte, ich bin nicht genug vertraut mit der Haltung von Vögeln, euer Ehren." Der Graf lächelte erneut, warm und als sei er lediglich versessen darauf, Wissen zu teilen.

"Falken lassen sich zähmen, Sir Griffith. Adler nicht. Der Falke mag ein Vogel sein, dem es nach Unabhängigkeit strebt - aber er ist auch dumm. Man gewinnt seine Zuneigung einfach, indem man seine Wahrnehmung einschränkt und darauf achtet, sie ihm nur dann zu lassen, wenn man ihm positiven Stimuli aussetzt. Alles andere würde ihn verwirren. Er wäre niemals klug genug zu erkennen, dass negative Erlebnisse durch die Natur der Welt bedingt sind... oder Folge seiner eigenen, unbedachten Handlungen." Guts hatte ungefähr die Hälfte übersetzen können. Mehr als genug, um ihrem Gesprächspartner den Schädel spalten zu wollen. Er hätte, womöglich, wenn Griffith nicht unbewegt und voller Geduld lächeln würde, die Augen hell und klar und schwer lesbar.

"Faszinierend. Ihr seid ein gelehrter Mann, euer Ehren. Es ist nicht verwunderlich, dass der Bruder des Königs euch so zu schätzen weiß."

"Das ist es in der Tat nicht." Das Lächeln von zuvor war verschwunden, der Graf schien fast minimal verstimmt. "Aber wo es mir gerade einfällt - ich habe etwas für Euch. Nach unserer letzten gemeinsamen Begegnung war mir, als könnte es von Nutzen für Euch sein - auch wenn sich die Lage offenbar zum Besseren gewandelt hat."

"Das ist doch nicht nötig, Euer Ehren-" Und Guts könnte beobachten, wie Griffith Augen sich verengten, sei es nur für einen kurzen Augenblick.

"Doch, doch. Wer wäre ich, wenn ich euren Einsatz für Midland nicht selbst mitunter zu honorieren wüsste?" Mit großer Bewegung griff er unter seine Weste und holte eine hölzerne Schatulle hervor. "Bitte. Öffnet es." Die Stimme klang fordernder, als die Wortwahl vermuten lassen würde. Griffith schien einen Moment langsamer ein- und auszuatmen, dann klappte er die Schachtel auf.

Im ersten Moment, dem er Griffith über die Schulter sah, konnte Guts sich gar keinen Reim auf den Anblick machen. Irgendein kitschig verziertes Stück Leder-? Es brauchte einen Moment, bis er es als Hundehalsband erkannte, und bevor er weitere Schlüsse ziehen könnte, riss die Stimme ihn schon aus seinen Gedanken. "Und sollte es eurem Kettenhund weiterhin an Erziehung mangeln, fühlt euch frei, auf mich zurückzukommen. Ich teile meine Erfahrungen ausgesprochen gerne mit euch, Sir Griffith." Okay. Genug war genug. Guts trat vor. Eine Hand schloss sich um die lächerliche Seidenkrawatten des Mannes, die andere ballte sich zur Faust, holte aus - und hielt inne, als er die Berührung auf seiner Schulter spürte. Griffith drückte hart genug zu, um die Finger beinahe in sein Fleisch zu graben.

"Captain." Der Tonfall musste wahrscheinlich für Guts reserviert sein, denn er war eisig. Guts zwang sich zu einem tiefen Ein- und Ausatmen, ehe er seinen Griff wieder lockerte und nach einer weiteren starren Sekunde einen Schritt zurücktrat. Griffiths weisende Hand verlor an Stärke.

"Überaus aufmerksam und durchdacht, euer Ehren. Danke. Ich warte auf den Tag, an dem ich mich mit einem gleichwertigen Geschenk revanchieren kann." Griffith lächelnde Worte wurden mit abfälligem Schnauben bedacht.

"Dann wartet mal schön, Falke."


Griffith hatte abgewartet, bis der Graf gegangen war, ehe er ihn fortzerrte und bis den Weg bis zu den Dienerquartieren über eisern schwieg. Guts hatte lediglich gesehen, wie eine Biegung entfernt von eben, noch an die Mauer gelehnt, der Bedienstete des Grafen stand. Warum auch immer er den dort platziert hatte - hatte er etwas auf einen Einsatz gewartet?

Sie hielten inmitten des Gartens, der davor angelegt war. Griffith ließ seine Schulter los und wirkte immer noch angespannt, als er sich gegen eine der Balustraden des Pavillons lehnte.

"Das war... nicht gut."

"Sein verficktes Geschenk, meinst du?"

"Ich meine die Tatsache, dass er versucht, meine Leute zu Gewaltausbrüchen anzuregen." Griffith Blick streifte ihn mahnend. "Hättest du zugeschlagen, hätte er versuchen können, vor dem König persönlich deinen Kopf zu verlangen."

"Oh, er kann es gerne versuchen-"

"Guts!" Er blinzelte. Griffith hatte beinahe gezischt. Da war mehr Regung in der Stimme, als er sich im Normalfall über Monate anmerken ließ. "Hier gelten Hofregeln, nicht die der richtigen Welt! Er hätte mich diskreditiert, den König gegen meine Männer einstimmen können, und er hätte deinen Kopf bekommen, weil nichts hier so sehr zählt wie dein Name und deine Herkunft, und es gibt nichts, was ich dagegen hätte tun können." Die Wut in Griffith Augen überraschte ihn und ließ ihn einsinken. Die ganze Sache war lächerlich unfair. Guts war nicht derjenige, der mit der Provokation begonnen hatte! Griffith straffte sich unterdessen, ohne das der ungewohnt grimmige Zug um seine Mundwinkel komplett verschwand. "Geh, heute noch. Ich kann nicht zulassen, dass Derleton meine Vertrauten über kleinliche Tricksereien entsorgt, gegen die ich hier am Hof ohnmächtig bin."

"... Ich hab verstanden, das nächste Mal reiß ich mich zusammen-", wollte er brummen, und Griffith seufzte.

"Danke dir dafür. Aber geh trotzdem. Ich sage es nur ungern, aber wenn Derleton plant, so fortzufahren, machst du mich angreifbar." Er musste etwas in Guts Augen gesehen haben, denn Griffith Stimme wurde weicher, als er anfügte: "Das würde für alle anderen Mitglieder der Falkenbande genauso gelten. Er würde unablässig nach dem Punkt suchen, an dem er eine Reaktion von ihnen erzwingen kann - und dass er sich auf dich eingeschossen hat, liegt lediglich daran, dass wir in den letzten Tagen viel miteinander zu tun hatten." Hatten wir?, wollte Guts fast missgelaunt brummen, aber besann sich eines Besseren. Griffith hatte mehr Arbeit, als ihn bei Laune zu halten. Und es war nicht seine Schuld, dass Guts Kopf plötzlich beschlossen hatte, geradezu besessen nach ihm zu sein. Es war alles logisch, alles schlüssig - nur beruhigend war es nicht.


Er sollte wirklich, wirklich auf Griffith hören und sich auf den Weg machen. Jetzt. Sofort. Ohne weitere Verzögerung. Und während Guts das noch dachte, hob er die Hand und klopfte mit seinen Knöcheln gegen die Tür.

"Herein", erklang gedämpft, und Guts öffnete in dem Gedanken, dass er auf der Stelle umkehren und losreiten würde, wenn Griffith zornig wirkte. Oder auch nur genervt.

Griffiths Ausdruck war überrascht, doch dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Guts schloss die Tür hinter sich und fühlte sich auch nur ein wenig miserabel für seinen Mangel an Selbstbeherrschung.

"Ich wollte noch einmal nach dir sehen. Mich zu ein paar Sachen erkundigen." Was die Ausrede war, mit der er vor sich selbst gerechtfertigt hatte, einen deutlichen Befehl zu missachten. Guts räusperte sich. "Du hattest gesagt, wir haben keine Erlaubnis, rund um Antheim zu kämpfen, richtig? ... Wie begründen wir unsere Anwesenheit."

"Ah, ja. Das.", seufzte sein Gegenüber und ließ sich auf dem Stuhl zurücksacken. "Ehrlich?... Gar nicht. Ich werde dafür sorgen, dass der König den Befehl an die Bande des Falken übertragen wird. Aber bis dahin... solltet ihr quasi nicht existieren, nicht offiziell. Haltet euch bedeckt. Auch denjenigen gegenüber, die ihr schützt. Erzählt nur soviel wie nötig. Es ist unwahrscheinlich, dass ihr in den Dörfern auf irgendwen treffen werdet, der euch offiziell infrage stellt, und wenn doch, habt ihr mit der Bande des Falken nichts zu tun. Seid Marodeure, Partisanen ... irgendwas."

Guts atmete tief aus. Klang umständlich.

"Kostet es uns was, wenn wir einfach die Wahrheit sagen?"

"Meinen Kopf?" Griffith grinste einen Moment. "... Ich weiß es nicht. Es würde meine Arbeit am Hof massiv erschweren, und ich müsste mich vor dem König selbst rechtfertigen. Niemand braucht einen ehemaligen Gemeinen, der es besser zu wissen glaubt als der ganze adelige Militärsrat. Bei meinem Geschick würde ich es überleben - aber die Geschichte könnte mir noch lange nachhängen. Seid einfach vorsichtig."

"Verstanden." Er atmete tief aus und zögerte. Guts hatte alles, was er an Gesprächspulver hatte, verbraucht, aber gehen wollte er auch noch nicht. Jede Ausrede wäre Recht, einen Moment mehr mit Griffith verbringen zu können.

Es war wie verhext. Sie konnten sich in manchen Momenten so nah sein - intim nah, gruselig nah, nah wie Liebende - und sobald der Augenblick vorüber war, war es, als wären sie auf ihren Ausgangszustand zurückgesetzt worden. Und er wusste nie, wie er den Moment herbeiführen oder gar zurückholen konnte, als wäre Griffith eine Katze, die exakt dann die Aufmerksamkeit verlor, wenn ihr auffiel, dass Guts ihr viel zu viel von seiner schenkte. Er wollte hoffen, dass es wirklich nur eine ungünstige Verkettung von Umständen war, dass er nun fortgeschickt würde. "...Du wirst allein klarkommen?"

Griffith sah auf und schmunzelte ihm zu. "Erwecke ich irgendwelche Zweifel daran?"

"Nee." Guts brummte und rieb sich über den Hinterkopf. "Trotzdem mach ich mir Sorgen bei den Hurensöhnen hier. Der Königsbruder, der von heute, die ganzen angeblich edlen Idioten, die Zeug murmeln, wenn wir durch die Gänge gehen..."

Griffith Mundwinkel zuckten.

"Obacht mit der Wortwahl." Guts blinzelte.

"Häh? Wieso? Was hab ich-" Er ging den Satz gerade im Geiste erneut durch, dann kam er ins Stocken. Tatsache. Griffith Mutter war ja... "...Ich meine nicht, dass sie echte Söhne von Huren sind. Mehr Hurensöhne wie... eh..."

"Auf einer spirituellen Ebene?", wurde ihm belustigt vorgeschlagen, und Guts nahm es dankbar nickend an.

"Richtig. Das. Also, kommst du klar mit spirituellen Hurensöhnen?"

"Diese Sorte Menschen ist mir zureichend bekannt... sie ändern sich nicht, ganz egal, ob man sie in Gossenlumpen, Rüstungen oder feine Kleider steckt. Ich werde klarkommen." Nun hing Griffith Blick doch ganz auf ihm, schien ihn zu durchbohren. "Irgendwas liegt dir auf dem Herzen." Guts zuckte ertappt. Richtig. Er hatte nur keine Ahnung, wie viel davon er zugeben könnte, oder wo es anzufangen galt. Griffith würde ihn nicht verurteilen, da war er recht sicher, aber... würde er...? Guts wollte kein Verständnis erhalten, oder Mitleid, oder was auch immer sonst Griffith übrig haben würde für einen Freund, der von solcher Besessenheit getrieben wurde. Was er wollte, war, dass Griffith ihm gehörte. Jetzt. Vollkommen. Unwiderruflich - oder zumindest, bis sie beide genug von einander hatten. Er war nur planlos, wie man so etwas in die Wege leitete. Was seine Gier nach menschlicher Nähe anging, kannte Guts lediglich hoffen, beten und letztendlich Enttäuschung verarbeiten - die einzige Konstante, für die das nicht galt, war Shisu gewesen. Und an sie konnte er sich am ehesten aus Erzählungen erinnern.

"Ich..." Die Worte fühlten sich schwer an auf seiner Zunge. Er wusste nicht einmal, wie er fortfahren wollte. "Ich meine-" Ja, was lag ihm auf dem Herzen? Wollte er sich hier wirklich seelisch nackt machen, nur um dann doch Amüsement zu ernten, oder Unverständnis, oder Mitleid? Guts würde besser leben können ohne. Es war so einfach, Kontrolle zu ergreifen, wenn Griffith sie ihm gab. Ohne seine Initiative sah er sich verloren auf dem Feld stehen. "-gib ihnen nur keinen Grund, dich anzurühren. Sonst statte ich ihnen Mal nen Besuch ab. Ohne Leine."

Er war so feige. Ungewohnt feige. Erzählte er sich nicht sonst, es gab keinen Rückzug, nur den Angriff? Von wegen. Aber bevor er sich umentscheiden konnte, gluckste Griffith.

"Werd nicht zur Casca. Ich bin kein hilflos aufgeschmissener Bauernjunge. Mach einfach deine Arbeit, und wir werden uns schon bald wiedersehen und einen Schritt weiter sein. Versprochen."

"Okay." Lahm. Lahm und zurückhaltend und ängstlich. Vielleicht war es gut, wenn er aus Griffiths Nähe herauskam, weil es zumindest diesen zauderlichen, weinerlichen Teil in ihm wieder auslöschen würde. "Ich vertrau darauf. Bis dann, Kommandant."

"Bis dann, Captain." Griffith mochte noch lächeln, aber der Ausdruck in seinen Augen war schon wieder sinnierend, hing vermutlich an irgendwelchen Schlachtplänen und Intrigen in weiter Ferne fest. Alles, was Guts blieb, war, die Tür hinter sich zu schließen und sich die Haare zu raufen.

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