|10 - Von 40 Wünschen|

Malte| Zwei ganze Wochen musste ich mich gedulden, bis er erste Erfolg meiner Zeit in Berlin zum Greifen nah zu sein schien- auf psychologischer Ebene wohlbemerkt.

Ich schlug soeben das Kalenderblatt um, unter dem mich eine schwarze 23 und das Wort "Mittwoch" begrüßte, als es an der Tür meines Büros klopfte.

"Herein", rief ich gelangweilt.

Doch meine Langeweile verflog, als ein grinsender Brooklyn den Raum betrat.

"Hast du es etwa heute geschafft?", fragte ich, darauf bedacht nicht zu verraten, was genau ich meinte.

"Bingo", lächelte der Dunkelhaarige und ließ sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch nieder, der eigentlich für die Patienten gedacht war.

"Und es kommt noch viel besser", murmelte er.

"Ich habe etwas gefunden."

Ich riss überrascht die Augen auf.

"Nein!"

"Doch!"

Brooklyn kramte in seiner Tasche und zog schließlich ein etwas zerknittertes Papier aus der Tasche, das er scheinbar in aller Eile hineingestopft hatte. Er faltete es langsam auseinander, um mich auf die Folter zu spannen und ungeduldig versuchte ich es ihm aus der Hand zu reißen.

"Vergiss es, Lüdemann, wer es gefunden hat, hat ein Eigentumsrecht."

"Die Regel kenne ich gar nicht, wo steht die im Grundgesetz?", fragte ich sarkastisch nach.

"Auf der Rückseite des letzten Blattes. Das klein gedruckte in der unteren Ecke", konterte er.

Ich schnaubte und wartete zappelnd, bis er den Zettel entfaltet hatte.

"Wunschliste", las er laut vor.

"Nicht dein Ernst?", fragte ich ungläubig.

"Mein voller Ernst."

"Wo genau hast du sie gefunden?"

"Unter seinem Bett in einer Kiste."

"Bist du verrückt? Lennart merkt bestimmt, wenn du sie nicht wieder an den richtigen Platz gestellt hast!"

"Beruhig dich, das habe ich."

Wie ein geübter Auftragskiller lächelte Brooklyn mich an.

"Wie bist du überhaupt in das Zimmer gekommen?"

"Ich habe eine...Freundin gefragt, ob sie mir den Schlüssel geben kann und dann habe ich mich reingeschlichen, als Franky durchs Telefonieren abgelenkt war."

"Und diese 'Freundin' schweigt sicher?"

"Wie ein Grab."

Ich seufzte.

"In der Sache vertraue ich dir ausnahmsweise einmal."

"Wie gnädig von dir."

"Ich weiß."

"Was hast du jetzt mit dieser Wunschliste vor? Hilft sie dir weiter?"

Ich überlegte angestrengt, während ich an meiner Unterlippe knetete. Dann schoss mir plötzlich ein brillanter Einfall durch den Kopf. Ein gefährlicher Einfall. Ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht.

"Ich habe gerade die beste Idee meines Lebens", säuselte ich.

"Redest du heute wieder nicht, Lennart?", erkundigte ich mich.

Wie zu erwarten reagierte er nicht.

Ich tat so, als wäre ich ratlos.

"Noch nicht einmal schreiben?"

Er ignorierte mich eisern.

"Okay, ich verstehe schon. Du willst wohl heute auch nicht."

Ich lehnte mich gespielt enttäuscht zurück.

"Weißt du, Lennart, ich glaube wir sollten einmal eine neue Behandlungsmethode ausprobieren."

Er sah mich nicht an, aber dadurch, dass er seine Kieferknochen anspannte, wusste ich, dass er mir zuhörte.

Ich beugte mich zu ihm vor, so als würde ich ihm ein Geheimnis anvertrauen wollen, dass nur ihn und mich etwas anging.

"Wünsch dir etwas."

Ich sagte es so leise, dass er es kaum wahrnahm. Doch einige Sekunden, nachdem sein Hirn meine Worte analysiert und verarbeitet hatte, schnellte sein Kopf zu mir herum.

Ich grinste innerlich. Jetzt hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

Lennarts grüne Augen huschten wachsam über meinen Körper und es schien, als versuche er die Situation einzuschätzen. Einige Minuten war es stumm, bis er auf einmal den altbekannten Zettel herauszog, einen Stift hervornahm und Worte auf das Papier schrieb.

Was soll das heißen?

"Dass du dir etwas wünschen sollst", antwortete ich.

Das habe ich schon verstanden, aber was?, kam die nächste Frage.

"Irgendetwas. Dir wird schon etwas einfallen. Du hast schließlich eine ziemlich lange Liste."

Seine Augen weiteten sich, als er begriff.

Er schüttelte langsam den Kopf.

"Was denn?", erkundigte ich mich.

Er schwieg und starrte mich mit seinem intensiven Blick an.

"Lass uns eine Abmachung treffen", schlug ich vor.

"Du bekommst deine Liste wieder und im Gegenzug lässt du dir jeden Tag einen Wunsch von mir erfüllen."

Es klang absurd, was ich sagte, das wusste ich, aber für mich ergab es Sinn. Man wollte, dass ich etwas Außergewöhnliches vollbrachte, also musste ich zu unkonventionellen Mitteln greifen. 

Lennart warf mir einen angriffslustigen Blick zu.

Und was, wenn ich nicht will?

Auf diesen Fall war ich vorbereitet gewesen.

"Als dein Therapeut steht es mir doch zu die Klinik über eventuelle drastische Veränderungen deines Gemütszustandes zu informieren, meinst du nicht?"

Würden sie mir überhaupt vertrauen, wo sie scheinbar bestens über meine Vergangenheit bescheid wussten , fügte ich gedanklich hinzu.

Lennarts Augen sprühten vor Wut.

"Dann können sicherlich die richtigen Maßnahmen ergriffen werden. Du könntest zum Beispiel ans Bett fixiert werden, damit du dir nicht versehentlich irgendetwas antust, weil deine Stimmungsschwankungen dich dazu bewegen könnten." 

Ich konnte Lennarts Wut nahezu körperlich spüren. Sie schwappte zu mir herüber, so stark war sie.

Lennart blickte mich eine ganze Weile starr an. Schließlich nickte er.

"Ehrlich?", erkundigte ich mich und klopfte mir in meinem Inneren selbst auf die Schulter.

Ein widerwilliges bestätigendes Zeichen kam von meinem Patienten und ich grinste. Brooklyn hatte recht, meine Arbeit war nahezu gerettet. Wie versprochen holte ich das zerknitterte Blatt hervor und reichte es Lennart, der es sofort unter dem Tisch verschwinden ließ.

"Ich habe es nicht richtig gelesen, wenn es dich beruhigt, aber ich habe mir erlaubt ein Foto von dem Blatt zu machen, damit unser Deal bestehen bleibt", informierte ich ihn.

Lennart sah mich wieder an und in seinen Augen blitzte ein neues Gefühl auf. Hass. Er schien sauer zu sein, dass ich in einer Weise, die er nicht verstand an seine Wunschliste gekommen war. Verständlich, aber er war ja selbst Schuld. Und mögen sollten wir uns zudem gar nicht, es ging nur darum das Therapieziel zu erreichen.

Jetzt verhältst du dich auch schon wie ein arrogantes Arschloch, dachte ich, wischte den Gedanken aber hastig beiseite. Es würde ihm helfen, davon war ich überzeugt.

"Unsere nächste Sitzung ist morgen, also fangen wir da an. Jeden Tag einen Wunsch", verkündete ich.

Ohne ein weiteres Wort stand Lennart auf und ging. Ich ließ ihn machen, wollte ihm Zeit geben, um alles zu verarbeiten. Er wusste, dass er sich wohl oder übel mit meiner Idee abfinden musste. Doch ich wollte ihn nicht zwingen. Ich wollte, dass er irgendwann Spaß an der Sache fand und von sich aus wieder zu reden anfing. Ich sah meine Aktion eher als kleinen Anstoß zu seinem Glück an.

Zumindestens mein Gehirn. Mein schlechtes Gewissen probierte mir mit einem Hämmern hinter meiner Schläfe das Gegenteil einzubläuen.

Das musste nicht sein. Du weißt noch, was die letzten zwei Male passiert ist, als du geniale Ideen hattest, oder?, schien meine innere Stimme zu schreien.

Jedoch war ich daran erst recht nicht gewillt zu denken. Ich war jung gewesen und unerfahren und jetzt wusste ich es besser. Ich war klüger geworden.

Ich würde niemals wieder den gleichen Fehler machen, wie bei dem Jungen mit den hellblonden Haaren. Lennart war nicht er. Lennart war Lennart. Und trotzdem hatte ich Angst. Ein klitzekleines bisschen.

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