|1.2|
Malte|Bambi-Hannes' Augen waren tellergroß und sein Mund geöffnet. Es sah so ulkig aus, dass ich mich fast an meinen Nudeln verschluckte und vom Dachsims fiel.
"Ist das so erschreckend?", fragte ich und hustete.
"Ja", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
Empört blickte ich ihn an.
"Warum denn das?"
"Ähm, du hast ihm etwas Privates gestohlen und es auch noch zugegeben? Ich hätte dich wahrscheinlich erschlagen, hättest du das zu mir gesagt."
"Lennart ist vielleicht einfach anständiger als du."
"Anständiger? Verliebt."
Mein Kopf schnellte zu ihm herum.
"Verliebt?", keuchte ich.
"In wen sollte er verliebt sein?"
"Mein Gott, in dich, du Idiot. Und du scheinbar auch in ihn. Ansonsten würdest du mir nicht wie eine Raubkatze ins Gesicht springen, weil ich so etwas sage. "
"Du spinnst, ich bin hundertprozentig hetero und er sicherlich auch", spuckte ich ihm ein wenig zu aggressiv entgegen.
Hannes hob entschuldigend die Hände.
"Schon gut, tut mir leid. Aber deiner Reaktion zu urteilen hoffst du schon, dass er zumindest bi ist", fügte er leise hinzu.
"Tue ich nicht", grummelte ich.
"Wie du meinst. Aber falls es doch so sein sollte, dass ihr beide irgendwann mehr oder weniger homosexuell seid, darf ich dann der Trauzeuge sein, wenn ihr heiratet? Und Liam ist das Blumenmädchen?"
Diese Worte brachten mich zum Grinsen und ich konnte Bambi keine Sekunde länger böse sein.
"Mit so einem rosanen Kleid und einem Kranz um den Kopf, meinst du?"
"Und Make-up im Gesicht. Knallroter Lipgloss, Lidschatten und so."
Wir sahen uns eine Sekunde schweigend an, dann begann Hannes zu kichern und schließlich lagen wir schallend lachend und unsere schmerzenden Bäuche haltend auf dem Sims.
"Unter den Umständen heirate ich Lennart gerne", japste ich atemlos.
Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, wurde mir klar, was ich da gerade gesagt hatte. Erschrocken sah ich Hannes an, der mir lediglich ein mildes Lächeln zuwarf.
"Also sind wir doch verliebt in unseren Patienten?", erkundigte er sich.
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein, so meinte ich das nicht...i-ich weiß nicht so recht. Vielleicht."
Beschämt blickte ich nach unten. Waren die Dachziegel schon immer so interessant gewesen? Warum war mir das früher nicht aufgefallen?
"Es ist dir also peinlich, dass deine Sexualität möglicherweise nicht so ganz der entspricht, die die Gesellschaft als "normal" ansieht?"
Ich hörte Hannes näher an mich heranrutschen. Plötzlich spürte ich, wie mir etwas in die Seite stach und reflexartig hob ich den Kopf und quiekte leise. Ich starrte direkt in Hannes' Augen. Ich konnte nicht erkennen, was er dachte, oder sagen wollte, aber ich hoffte inständig, dass ein Rehkitz keine Karate-Skills besaß. Kurz gesagt: ich hatte Angst. Verdammt Angst. Wovor wusste ich nicht wirklich. Oder doch, mir war schon bewusst, dass Hannes allen erzählen könnte, dass ich schwul war. War das denn die Wahrheit? War ich homosexuell?
"Du könntest auch bisexuell sein, die Frage ist nur, ob dir das besser gefallen würde", sprach Hannes unerwartet.
Ich blinzelte.
"Warum guckst du mich an, wie ein Lamm auf der Schlachtbank, obwohl ich wohl kaum wie ein gnadenloser Mann mit einem Messer aussehen kann?"
"Keine Ahnung. Ich habe gerade einfach keine Ahnung, okay?"
Hannes scannte meinen Körper gründlich von oben bis unten ab.
"Fühlt sich komisch an, oder? Wenn man etwas will, was man eigentlich nicht will?"
Ein bisschen überrumpelt starrte ich Hannes an.
"Kann sein, ich weiß es nicht genau", murmelte ich abwehrend.
"In der Tat komisch. Du hast das Gefühl irgendwas stimmt nicht aber gleichzeitig macht alles irgendwie Sinn", sagte Hannes und setzte sich im Schneidersitz neben mich.
"Möchtest du mir noch mehr übers Leben erzählen, oder willst du gleich zu meinem Psychiater befördert werden?"
Hannes lachte.
"Ich nehme die erste Variante. Weil ich denke, dass du nicht weißt, dass du nicht heterosexuell sein musst, um normal zu sein. Du klammerst dich ja förmlich an den Fakt, dass du nicht auf Männer stehst- wobei, solltest du doch etwas für Lennart empfinden, wäre es genaugenommen kein Fakt mehr."
"Mhm."
"Ich habe kein Problem damit, Malte."
Ich sah ihn an.
"Nein?"
"Nein. Und weißt du was? Selbst wenn ich es nicht gut fände, solltest du nicht auf mich hören. Ich bin ein einziger Mensch. Einer von acht Milliarden. Ich gehöre zur Gesellschaft. Und der solltest du erst recht kein Gehör schenken. Die Gesellschaft gibt dir Dinge vor, die nicht richtig sind. Hast du zum Beispiel einmal in der Bibel gelesen? Dort können Menschen mit Schlangen sprechen, ein Mann kann über Wasser laufen und Todkranke heilen, aber Homosexualität ist unnormal. Siehst du, nichts auf unserer Welt ist richtig oder falsch. Sogar die Religion, an die du glaubst ist irreal dargestellt. Ob von den Menschen, die die Bibel geschrieben haben, oder von Gott selbst. Sofern es ihn gibt."
Ich konnte Hannes lediglich anstieren, denn ich konnte fast nicht glauben, welch tiefgründige Gedankengänge sich durch sein Gehirn wandten. Gewiss hielt ich ihn nicht für dumm, aber ich hatte ihn als einen frohsinnigen und nur gelegentlich nachdenklichen Charakter eingestuft.
"Du bezweifelst also alles, was einem bereits im Kindesalter beigebracht wird? Sprich, du stellst das Leben in Frage?"
Er nickte.
"Genau das. Ich bin der Meinung, dass wir unser eigenes Dasein alleine gestalten sollten. Niemand sollte uns Dinge vorgeben, die wir zu glauben haben, noch nicht einmal welche, die wir glauben können. Man muss selbst herausfinden, was man will und wie man es erreicht."
"Solche Denkweisen sind heutzutage gefährlich", gab ich leise zu bedenken.
"Natürlich sind sie das, aber einer muss den Kopf hinhalten, um den anderen klarzumachen, dass es nicht richtig ist, was sie tun."
Ehrlich gesagt, hatte ich gerade ein wenig Angst vor ihm, wie er da vor mir hockte und über so etwas großes sprach, als ginge es darum auszusuchen, ob man Waldmeister- oder Schockoladeneiskugeln nehmen wollte.
"Ich glaube, wir sollten über ein so riesiges Thema nicht einfach auf einem Dach sitzend reden", sprach ich meine Gedanken aus.
"Ich finde schon, denn vielleicht ist das Dach der einzige Ort, an dem man sich öffnen kann. Man ist zu zweit hier, keine störenden Menschen um einen herum und man hat einen gefüllten Magen. Die besten Voraussetzungen zum Philosophieren. Du findest das Thema zu groß, als das wir einfache Menschen darüber sprechen sollten? Wir alle gemeinsam sind die Gesellschaft. Also müssen wir uns sogar mit etwas dergleichen beschäftigen, damit wir die Allgemeinheit vorantreiben können."
"Du magst recht haben, aber-"
"Es ist gefährlich über so etwas nachzudenken, ich habe es schon verstanden", unterbrach mich Hannes sanft.
"Es geht mir auch nicht darum, dass du beginnst waghalsig zu denken sondern, dass du verstehst, dass es in Ordnung ist, wie du bist. Du bist normal. Denn keiner ist so wie die anderen und wenn sich die Allgemeinheit nicht als bekloppt bezeichnen will, nennen wir uns lieber alle durchschnittlich."
"Aber", fing ich an. "Wenn nun jeder durchschnittlich ist, warum werden dann immer noch Menschen ausgegrenzt?"
"Vielleicht, weil es einmal die komplett normalen und dann die anders normalen gibt. Die, die alles tun, was die Mehrheit tut und die anderen."
"Dann sind wir doch irgendwie anders!"
"Wir sind anders normal."
Ich blickte ihn verständnislos an.
"Schau, du und Lennart, ihr könnt zusammen sein. Ihr könnt euch lieben. Ihr könnt sogar heiraten. Es ist egal, was andere darüber denken. Die Hauptsache ist, dass du dir über deine Gefühle für ihn im Klaren bist, genauso wie er. Ihr dürft nicht aufgeben, ganz gleich was geschieht. Und dann kannst du ihm helfen, Malte", sagte Hannes und schob sich eine Gabel seiner inzwischen lauwarmen Nudeln in den Mund.
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