Kapitel 03
Jüri
Nervös und vollkommen überfordert stand ich in Liams Wohnzimmer "Wenn du das hier nicht willst, dann geh einfach", meinte Liam und hörte sich dabei so an, als wäre er nicht bereit sich weiter mit meinen Problemen rumzuschlagen.
Ich verknotete unruhig meine Finger miteinander. "Was bedeutet es wenn ich bleibe?", wollte ich wissen. Liam lächelte erschöpft und trotzdem irgendwie verständnisvoll "Ich schätze das bedeutet, dass du bereit bist an dir zu arbeiten", ich nickte leicht, dass war es was ich wollte.
Es fühlte sich gut an ihn bei mir zu haben, soviel wusste ich. Was sich gut anfühlt konnte doch nicht falsch sein oder?
Ich dachte an seine Worte zurück. Nur weil ich es in meiner Kindheit so kennengelernt hatte musste es nicht richtig sein. Diesen Satz rief ich mir in Gedanken und sah dann zu Liam "Ich denke ich bleibe", fällte ich dann endlich eine Entscheidung.
Sofort erschien auf Liams Lippen ein erleichtertes Lächeln. "Das ist gut", er sprach so leise, dass ich nicht glaubte, dass diese Worte für mich bestimmt waren doch sie bescherten mir ein warmes Gefühl neben all den Zweifeln und der Nervosität die nach wie vor in mir vorherrschten.
Unschlüssig sah ich zu Liam, welcher mittlerweile wieder auf dem Sofa saß. Er hatte gesagt er wollte kuscheln. Das machte mich nervöser als mir lieb war und es fühlte sich immer noch falsch an.
'Okay Jüri, du kannst das' redete ich mir selbst gut zu. Ich atmete tief durch und setzte mich dann neben Liam. Dieser schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln und griff nach meiner Hand.
Er strich sanft über meinen Handrücken und verschränkte dann unsere Finger. Ich wollte unsere Hände schon voneinander lösen und meine Hand zurück ziehen, als ich mich dazu zwang sie an Ort und Stelle zu lassen. Immerhin war ich hier geblieben, weil ich mich dem stellen wollte was in mir herrschte.
Ich wollte aus irgendeinem Grund, dass Liam stolz auf mich war. Ich wollte ihn nicht nochmal so enttäuscht und verletzt sehen. Ich wollte nicht der Grund sein, dass er solche Gefühle hatte. Also hielt ich meine Hand still und wiederstand dem Drang mich von ihm zulösen.
Liam hatte einen neuen Film angemacht und seinen Kopf auf meine Schulter gelegt. Anders als er vorhin war ich überhaupt nicht entspannt, mein Körper war zum zerreißen gespannt und in absoluter Alarmbereitschaft.
Liams Kopf auf meiner Schulter und seine Hand an meiner lösten zwar ein angenehmes, warmes Kribbeln aus, doch diese Nähe zu ihm löste auch ein enge Gefühl in mir aus.
Ich bekam das Gefühl, dass in Liams Wohnzimmer nicht genug Platz für uns zwei war. Ich bekam das Gefühl, dass er mir die Luft zum atmen nahm und ich bekam das Gefühl, dass der Film viel zu laut war.
Alles war viel zu laut. Der Film, Liams Atem, mein Herzschlag, der Wind draußen der an den Rollläden rüttelte, die Schritte im Trepenhaus und das Rascheln der Decke die Liam über uns ausbreitete.
Es war alles zu viel. Mein Körper tat weh vor Anspannung, die Stellen wo Stoff meine Haut berührte brannten, Liams Hand in meiner löste nicht länger ein Kribbeln, sondern ein Stechen aus.
Mein Körper wollte fliehen.
Doch trotz allem blieb ich still sitzen, hielt Liams Hand und richtete meinen Blick auf den Fernseher. Ich wollte ihm zeigen, dass ich das hier konnte. Dass ich mit seiner Nähe umgehen konnte.
Ich wollte das er stolz auf mich war.
"Entspann dich Jüri" murmelte Liam und begann Kreise auf meine Brust zu malen. Berührungen die vermutlich sanft sein sollten, fühlten sich wie Verbrennungen an. Alles was er berührte tat weh.
Ich unterdrückte ein Winseln und versuchte ihm diese Nähe zurück zu geben. Genau wie er vorhin legte ich einen Arm um ihn und begann die selben Kreise auf seine Hüfte zu malen.
Doch egal wie sehr ich es versuchte, ich konnte mich nicht entspannen. Mein Herzschlag wurde immer schneller während ich immer weniger Luft bekam. Ich wollte hier raus, wollte an die frische Luft und weg von Liam.
"Wieso küsst er sie, wenn er sie eh gleich tötet?", kommentierte Liam den Film. Ich zuckte leicht mit den Schultern und versuchte den Film zu verfolgen. Ich wollte das hier hinkriegen.
Gute fünf Minuten später war es zu viel. Es ging nicht mehr. Ich bekam keine Luft, meine Brust tat mit jeder Sekunde mehr weh, mir war schlecht und jede Sinneswahrnehmung war eine einzige Qual.
Ich sprang vom Sofa, schmiss Liam damit mehr als unsanft von mir und murmelte undeutlich und viel zu schnell "Sorry, ich muss weg. Ich kann das nicht. Zu viel", damit ließ ich ihn völlig perplex auf seinem Sofa sitzen und verschwand so schnell ich konnte aus seiner Wohnungen.
Ich stolperte die Treppen runter bis ich draußen stand. Hektisch zerrte ich an dem Krangen meines Shirts. Versuchte irgendwie mehr Luft in meine Lungen zu bekommen. Meine Sicht wurde undeutlich als ich eine Stimme wahrnahm - eine Berührung wahrnahm.
"Setz dich hin", ich wusste nicht wer das war und es war mir auch egal. Ich brauchte Luft, ich wollte atmen. Viel zu schnell atmete ich immer wieder ein. Zerrte nach wie vor an meinem Kragen, welcher endlich nachgab und riss.
Die fehlende Berührung des Stoffes fühlte sich gut an, änderte allerdings wenig. "Setz dich", war die Stimme wieder da. Ich wurde bestimmt runter gedrückt und wollte das man aufhörte mich anzufassen.
Nachdem ich saß versuchte ich eine Perosn auszumachen, doch es schien unmöglich mit einem pulsierenden Sichtfeld "Kopf zwischen die Knie", wurde ich weiter dirigiert. "Nicht anfassen", brachte ich mühsam hervor.
Sofort verschwand die Hand von meinem Kopf. Ich hielt meinen Kopf eingeklemmt zwischen meinen Knien und spürte wie langsam tatsächlich etwas mehr Luft in mich strömte.
Es dauerte, doch es wurde besser. Die Schmerzen in meiner Brust ließen nach, ich konnte freier atmen und mein Sichtfeld war klarer. Außerdem hatte ich nicht mehr das Gefühl bei jeder Berührung zu zerspringen.
Ich richtete mich wieder auf und sah zu der Person "Liam", erkannte ich. Er nickte leicht "Geht's wieder?", ich nickte zustimmend "Was war das?", meine Stimme war noch rau, doch er verstand mich.
"Du hattest eine Panikattake, die Frage ist nur wieso", seine Worte kamen nur langsam an. Panik. Ja, dass beschrieben es ganz gut. Ich hatte noch nie eine Panikattake gehabt und ich konnte mir nur auf eine Art erklären wo sie herkam.
"Wegen dir", gab ich die Wahrheit zu, die er nicht hören wollte.
Das war er wieder. Der verletzte Ausdruck auf seinem Gesicht. Sofort taten mir meine Worte leid. Ich wollte ihn nicht verletzten, egal ob ich die Wahrheit gesagt hatte oder nicht.
"Es tut mir leid", entschuldigte Liam sich sichtlich enttäuscht. "Es war nicht deine Schuld?", dass war ein sehr schwacher Versuch ihn besser fühlen zu lassen. "Ich hätte einfach wissen müssen, dass das zu schnell ist. Ich hätte dir mehr Zeit zum verarbeiten und überlegen geben sollen und wir hätten das in deinem Tempo machen sollen", stellte Liam fest.
Ich sah ihn mit einem kleinen Lächeln an und versuchte Worte zu finden die ihn besser fühlen ließen. "Du wolltest diese Nähe, es ist okay wenn man ab und zu sich selbst als Priorität setzt", erklärte ich.
Tatsächlich bewirken meine Worte ein Lächeln auf Liams Lippen "Dafür liebe ich dich", murmelte er. Ich versteift mich "Was?", meine Stimme war tonlos.
Er liebte mich? Wie sollte das möglich sein? Ich hatte mehr als deutlich gemacht, dass ich nicht im Stande war eine Beziehung zu einem Mann zu haben. Er selbst hatte mich homophob genannt. Er war es gewesen der mich aus meiner, von ihm ausgelösten, Panik holte.
Wie um alles in der Welt kam er auf die Idee, dass er mich lieben würde? "Oh fuck, sorry. Das wollte ich nicht laut sagen, wirklich nicht. Ich weiß dass es dafür viel zu früh ist. Oh Gott, ich hoffe ich habe nicht alles kaputt gemacht. Vergiss einfach was ich gesagt habe", stammelte er sich viel zu schnell zurecht.
"Meintest du das ernst?", wollte ich vorsichtig wissen. Liam fuhr sich durch die Haare "Vergiss einfach was ich gesagt habe", bat er und klang ziemlich verzweifelt. Also nickte ich leicht und schenkte ihm ein kurzes Lächeln.
"Okay, ich denke ich werde zu Marcus gehen. Ich habe ziemlich viel mit ihm zu besprechen", erklärte ich und versuchte irgendwie aus dieser Situation raus zu kommen. Ich wollte nichts zu seinem Geständnis sagen, da ich wusste, dass ich ihn bei einer unbedacht Wortwahl schon wieder verletzen konnte. Also sagte ich gar nichts und flüchtete lieber aus der Situation.
"Jüri", murmelte Liam leise. Er schien schon wieder verletzt. Ich war wohl echt gut darin ihm unbewusst weh zu tun. "Hab ich was falsch gemacht?", fragte ich unschlüssig nach. Liam schüttelte den Kopf "Nein, du solltest zu Marcus gehen. Grüß ihn schön von mir", damit drehte er sich um und verschwand wieder im Haus.
Überfordert sah ich ihm nach, bis ich schlussendlich entschied wirklich zu Marcus zu gehen.
•••
Ich hoffe es hat euch gefallen :)
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