IV
Sein Kopf dröhnte. Um ihn herum bewegten sich nur undeutliche Schemen, vielleicht war auch er es, der sich bewegte. Er vermochte es nicht genau zu sagen. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm, als er sich ruckartig aufsetzen wollte. „Immer mit der Ruhe!", befahl ihm eine autoritäre Frauenstimme, „Da haben Sie sich ordentlich was aufgelesen. Sie können sich meine Verwunderung nicht vorstellen, als sie plötzlich durch meine Tür getaumelt sind. Ich habe die Kanüle aus ihrer Schulter entfernt, aber sie müssen sich schonen. Es steht noch nicht genau fest, was für Rückstände sich an dem Metall befanden. Ich habe es zur Analyse gegeben. Mindestens bis zur Auswertung bleiben Sie hier, Kommandant". Verwirrt nickte er und nahm dankbar das Glas an, dass sie ihm in die Hand drückte. Gierig setzte er es an seine Lippen und seufzte sehnsüchtig, als ihm die kühle Flüssigkeit die Lippen benetzte. Schluck für Schluck rann sie seine Kehle hinab. Die Frau nahm ihm den Becher wieder ab und langsam klärte sich seine Sicht. Wo vorher nur verwaschene Flecken gewesen waren, materialisierten sich ein großer Tisch mit verwirrenden Apparaturen, metallene Werkzeuge, Glasschalen, Pipetten, Mappen voller Unterlagen und mittendrin in dem Forschungschaos stand eine junge Frau. Sie schaute ihn prüfend an, überwachte jede seiner Bewegungen und zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe. Er fühlte sich unwohl, wich ihr aus, bis seine Augen wie magisch angezogen zu einem Bildschirm hinter ihr glitten. Von diesem strahlte ihm ein Mann in den besten Jahren entgegen. Winzige Lachfältchen umspielten seine grünen Augen und er entblößte lachend seine makellosen Zähne. Sie war seinem Blick gefolgt und meinte stolz: „Mein Vater. Der General, der Frieden brachte". Er kräuselte die Stirn, dann erkannte er den Mann. Mit rauer Stimme antwortete er ihr: „Falsch. Der General, der eine Frau durch die Eiswüste schickte. Der General, der die ihren Tod verantwortlich ist!". Äußerlich erschien er so ruhig wie ein Berg, doch innerlich kochte er vor Wut. Nur mit Mühe könnte er seine Fassade aufrecht erhalten. „Bitte, Sir?", fragte sie verwirrt, „Er soll was getan haben?". Er lachte freudlos. "Ganz recht. Er schickte seine Botschafterin durch die Eiswüste, weil es angeblich nur einen Frieden geben konnte, der auf dem Feindesboden ausgehandelt worden ist. Ihr Schutz war ihm egal. Ihr Tod war ihm einerlei. Konnte er doch nun den Ruhm für ihre Verdienste ernten". Mit offenem Mund schaute die junge Frau ihn an und räusperte sich. „Warum sollte er sie durch die Eiswüste geschickt haben?", fragte sie mit belegter Stimme, die Stirn nachdenklich kraus gezogen. So plötzlich wie die Wut gekommen war verließ sie ihn auch wieder. Es war, als entwiche ihm alle Luft. Alle Energie. „Es war der schnellste Weg. Zur Verhandlung und zu ihren Tod", sagte er und starrte in eine Zeit, die sich ihr verschloss. Sachte hob sie die Hand und legte sie auf seine Schulter. „Wir alle haben von der Botschafterin gehört, die in der Eiswüste mit ihrem Mann verunglückte. Wir alle haben uns vor ihr verneigt, weil sie unserem Land den Frieden bringen wollte, doch schlussendlich hat es nun einmal mein Vater geschafft. Grämen Sie sich nicht, Kommandant. Niemand hätte ihren Tod verhindern können.", meinte sie samtweich, fast zärtlich. Gedankenverloren fuhr er mit seinen Fingern durch ihr pechschwarzes Haar. „Sie hatte auch solche Haare, wussten Sie das?", fragte er, doch es war mehr an ihn selbst gerichtet, als an sie. „Nachthimmel-Haare". Die junge Frau neigte leicht den Kopf: „Das war mir neu, aber ich werde es mir merken". Er seufzte tief: „Ein Jammer, dass er ihr Vater ist. Sie sind eine kluge, verständige Frau. Ich möchte sie nicht umbringen, aber ich habe geschworen, den Mörder oder seine Nachkommen zu finden und zu vernichten. Wie sie es einst mit ihr taten. Mit meiner Arei". Immer noch ruhte ihre Hand beruhigend auf seiner Schulter: „Aber Kommandant. Das müssen Sie doch nicht. Ich bin nicht mein Vater und ich bezweifle, dass er alle Risiken kannte". Er lachte höhnisch auf: „Oh doch. Das wusste er. Ohne mich wäre sie alleine gewesen! Selbst mich hat es größte Überredungsarbeit gekostet, sie begleiten zu dürfen! Ich hätte sie beschützen sollen. Ich! Aber ich habe versagt und an allem ist Ihr Vater schuld! Wenn er uns doch wenigstens noch einen Wächter mitgegeben hätte!" Seine Augen glänzten kummervoll und in diesem einen Moment wirkte er alt. So alt. Sie hob ihre Hand ein Stück an. „Keine Sorge, Kommandant. Ich verzeihe Ihnen. Wir verzeihen Ihnen", murmelte sie. Irgendwo schrillte ein Kommunikations-Armband und sie nahm den Anruf entgegen. Im Hintergrund hallten Geräusche durch den Raum, dann war es wieder still. Unheimlich still. „Ich denke sie wissen, was in der Kanüle war, Kommandant Vyn. Ist es nicht so?", fragte sie. Er nickte zustimmend. Sie hatte Recht. „Dann wissen sie auch, dass es kein Gegenmittel gibt.", eine kühle Feststellung.m, nicht mehr und nicht weniger. Er nickte erneut zustimmend. Sie seufzte: „Wir verzeihen Ihnen, Vyn. Sie sind nicht schuld am Tod Ihrer Frau". Er nickte und lächelte sie ein letztes Mal schläfrig an. Nour, die Tochter des verhassten Generals, war seiner Frau Arei auf seltsame Weise sehr ähnlich. Sie würde ihren Weg gehen. Vor seinen Augen leuchtete das Gesicht seiner Frau auf und endlich fand er seine Ruhe, in der Unendlichkeit des Firmaments.
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866 Wörter
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