I


Eiswüste

Ein neongrünes Lämpchen leuchtete auf, als er sein Handgelenk vor den Sensor hielt. Er schnaubte leise. Noch immer hatte sich niemand die Mühe gemacht, seinen Armband-Code zu deaktivieren. Warum auch? Schließlich war er tot. Dachten sie zumindest. Mit einem leisen Zischen öffnete sich die schwere Tür, hinter der sich ihm der Maschinenraum offenbarte. Die Wände waren von glänzendem Metall überzogen, das nur hin und wieder von rechteckigen Steuerungsflächen durchbrochen wurde. Lange Neonröhren hingen an der Decke und tauchten alles in ein unangenehm gleißendes Licht. Die unpersönliche Atmosphäre wurde durch Reihen von dunklen Bildschirmen und scheinbar sterilen Maschinen nur noch verstärkt. Mit ruhigen Schritten betrat er den Raum, schaute sich aufmerksam um und ging zielstrebig auf eine der verkabelten Tafeln zu. Beinahe zärtlich strich seine Hand über die Schalttafel, fast schien es als spielte sie mit den Drähten, bis schließlich geschickte Finger wie zufällig ein graues Kabel aus seiner Halterung zupften. Plötzlich ging ohne Vorwarnung das grelle Licht flackernd aus, doch ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Er kannte sich aus. So gut wie niemand sonst in dieser Stadt wusste er, welchen Schritt er wo machen durfte und wann er sich vor der Regierung in Acht nehmen musste. Seine Schuhe klangen dumpf auf dem eisernen Boden, als er sich weiter in die Dunkelheit hinein wagte. Nur die Notbeleuchtung warf noch spärliche Lichtpunkte  auf den Boden und skurriler Weise fühlte er sich so wohl, wie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr. Ohne zu zögern trugen ihn seine Füße in einen schmalen Zwischenraum, hinter den leise brummenden Metallgiganten. An einer Abzweigung des Ganges blieb er stehen. Die Schläuche und Röhren wurden immer größer, je näher er seinem Ziel kam. Bedächtig wandte er sich nach links und lauschte. Irgendwo scharrten Füße, doch sie waren noch ein gutes Stück entfernt. Zu weit weg um sich jetzt schon Sorgen zu machen. Er tastete sich weiter durch den düsteren Abzweig, immer auf der Hut. Das wohlige Gefühl des „Nachhausekommens" war stiller Konzentration gewichen, seine Augen und Ohren hatten sich längst an ihre Umgebung angepasst. Er realisierte, dass der Boden mit Stahlnieten verstärkt wurden war, monoton erklang im Hintergrund das Arbeiten der Roboter. An der nächsten Kreuzung wandte er sich erneut nach links. Er nickte zustimmend, als er die unscheinbare Markierung sah, die ihn wissen ließ, dass er richtig war. Einem der Ingenieure war einmal an dieser Stelle ein Werkzeugschlüssel aus der Hand gefallen und hatte eine fingernagelgroße Delle hinterlassen. Das glänzende Metall war genau zwischen zwei Nieten eingedrückt wurden, doch es fiel nur auf, wenn man danach suchte. Als er das Maschinenöl und den kühlen, metallischen Geruch der Zahnräder roch, schweiften seine Gedanken wieder zurück zu den „Alten Zeiten". Obwohl er bereits beim Betreten des Raumes die Erinnerungen verdrängte hatte, so ließen sie sich jetzt nicht einfach beiseite schieben. Doch für irrwitzige Überlegungen war gerade keine Zeit, dafür war eigentlich nie Zeit. Ärgerlich runzelte er die Stirn, er würde jetzt nicht sentimental werden! Sein geschulter Blick glitt über Metallgehäuse und vor sich hin starrende Bildschirme. Jede Veränderung der Helligkeit wurde registriert, jeder Millimeter mit seiner Erinnerung abgeglichen und dann entdeckte er es. Das Puzzleteil, das jemand an der falschen Stelle eingesetzt hatte, das verkehrte Detail. An einem der ausgeschalteten Monitore klebte ein winziges Bild. Angestrengt kniff er die Augen zusammen und erkannte eine hellblaue Doppelhelix. Ohne Probleme hätte sie als Markenlogo durchgehen können. Obwohl er noch zweifelte, hatte er gefunden was er gesucht hatte und nun wurde es Zeit für ihn zu verschwinden. Mit einem, seiner Meinung nach, viel zu lauten Quietschen drückte er eine im Boden eingelassene Luke auf. Nur mühsam ließ sie sich zur Seite schieben, er keuchte leise vor Anstrengung. Seine Oberarme brannten von dem Gewicht des Stahls, doch dann, dann ruckte sie zur Seite. Stück für Stück und Millimeter für Millimeter, bis sich ihm ein düsterer Schlund offenbarte. Mit den Schuhspitzen ertastete er vorsichtig die erste Sprosse in der Wand. Ganz langsam stieg er weiter in den Schacht hinab, darauf bedacht kein weiteres Geräusch von sich zu geben. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er nahm eine Regung an der Decke wahr und wusste, dass es sehr knapp werden würde. Sein Herz schlug immer schneller, einen außer Kontrolle geratenen Rhythmus. Dann wurde es schlagartig hell. Beißende Scheinwerferlichter erstrahlten und laute Stimmen riefen sich etwas über die brummenden Maschinen hinweg zu. In allerletzter Sekunde schloss sich die Bodenplatte über ihm und es schien, als ob nie jemand da gewesen war.

Seine Finger schlossen sich krampfhaft fest um das kühle Metall, sein Atem ging viel zu schnell. Vorbei war es mit Gelassenheit und eiserner Kontrolle. Er nahm sich einige Sekunden um wieder zur Ruhe zu kommen, dann hangelte er sich an den Leitersprossen weiter hinab, in die unendlichen Tunnelsysteme der Stadt. Sie waren in den ersten Jahren der Umsiedelung angelegt wurden, nachdem die Bevölkerung von Feuersbrünsten und Wirbelstürmen überrascht worden war. Doch dies war lange vor der Errichtung der Save-Places geschehen. Heute hatten sie ihren Nutzen größtenteils verloren und niemand wusste noch wo sie hinführten. Außer ihm, denn auf einen Plan B und C hatte er schon immer größten Wert gelegt. Die Griffe waren sehr glatt und er musste Acht geben, dass er nicht abrutschte. Die letzten zwei Meter bis zum Boden ließ er sich schließlich fallen, rollte ab und zischte schmerzerfüllt auf. Ein spitzer Eisenspan hatte sich in seine rechte Schulter gebohrt. Verdammt, wo der bloß herkam? Wie hatte er den übersehen können? Sonst waren immer alle übereifrig damit beschäftigt nur nichts herumliegen zu lassen und ausgerechnet er erwischte dieses mickrige Teil. Er biss die Zähne zusammen und hielt gerade noch so seine Wut, über diese Unachtsamkeit, im Zaum. Vor seinen Augen tanzten winzige Sterne und er versuchte sich das brennende Stechen zu verbeißen, tief durchzuatmen und hoffte, dass der Schmerz schnell verging. Nach einigen unruhigen Sekunden drängte er ihn schließlich zurück, an den Rand seines Bewusstseins. Mit einiger Mühe konnte er sich gerade aufrichten, doch in seinem Fleisch pochte es drohend. Obwohl er noch unsicher auf den Beinen war, wusste er, dass die Zeit rannte und jede Minute zählte. Sein glasklarer Verstand übernahm den unterlegenen Körper. Er versuchte sich in der Dämmerung zu orientieren, schloss die Augen und schritt gedanklich durch die Gänge. Erinnerungsfetzen zogen durch seinen Geist und dann wusste er was sein nächstes Ziel war. Entschlossen straffte er seinen Rücken, sein Gesicht glich einer wächsernen Maske, und machte sich auf den Weg zu den biotechnologischen Laboren. Dort würde er erfahren, wohin ihn sein Auftrag noch führen würde. Oder auch zu wem. Unbezähmbarer Ehrgeiz blitzte in seinen Augen auf. Das Adrenalin verdrängte den eisigen Schmerz in seiner Schulter. Nur der Erfolg seiner Mission tanzte noch in seinem Blickfeld.



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1110 Wörter

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