Für die Freiheit
Ohne ein Wort ließ ich meinen Blick aufmerksam durch die Menge auf den Straßen der Stadt Kalea nah an der Küste schweifen. Früher hätte ich dies ohne Bedenken, vielleicht sogar, ohne es überhaupt zu bemerken, getan. Doch nun war alles anders. Seit dem Oktober vor vier Jahren hatte sich alles für mich verändert. Für mich und jeden weiteren der Bevölkerung Kaleas. Nun musste ich immer bereit sein, zu kämpfen. Jede unaufmerksame Sekunde konnte hier mit dem Tod enden.
Jeder unüberlegte Schritt.
All dies war mal eine wunderschöne, prächtige Stadt an der Küste gewesen. Jeden Tag war die Sonne aufgegangen und ein Vogel hatte ein neues Lied gesungen. Aber nichts war mehr wie es war. Wegen ihm. Das unwiderstehliche Gefühl des Hasses breitete sich in meinem gesamten Körper aus. Ich betastete vorsichtig die Brandnarbe unter meinem Auge.
Sie würde mich immer an den Tag erinnern, an dem ich alles verlor.
„Fin?" Die dunkle Stimme von Leyla drang in mein Ohr. Ich schnellte herum.
Obwohl ich sie nun schon seit einem Monat kannte, war Leyla immer noch eine wunderschöne Erscheinung für mich. Ein wenig beneidete ich sie auch, denn Leyla hatte so ziemlich alles was ich nicht besaß.
Wieder verblüfften mich ihr makelloses, wenn auch etwas schmutziges Gesicht. Sie trug, wie ich, ein altes Männerhemd und eine schmutzige Hose, die so garnicht zu ihr zu passen schien.
Aus meinem Versteck aus beobachtete ich weiter die neuen Bewohner von Kalea. Es versetzte mir einen Stich, wenn ich mir die Straßen von Kalea in ihrem jetzigen Zustand ansah.
Nichts erinnerte nur ein wenig an die Stadt die es einst gewesen war. Alle neuen Bewohner gaben kaum einen Ton von sich, geschwiege denn dass sie lachten. Es waren keine Menschen, die Kalea nun bewohnten. Es waren Strorsen, Eis-Wesen die keinen Willen besaßen und nur das taten, was alle taten. Ihr Anführer, der sich als Bürgermeister bekannt gab, folgte den Anweisungen von ihm. Einen Mann, der mein Leben zerstört hatte. Der das Leben aller zerstört hatte.
„Was ist Ley?", fragte ich, während ich wieder dabei zuschaute wie die Storsen still wie Leichen ihre Einkäufe erledigten. Es war nicht so, dass ich viel redete, eigentlich gab ich nur so viel wie nötig von mir Preis. Ich traute niemandem, nicht einmal Jake, dem Jungen, den ich schon seit meiner Kindheit kannte. Wenn jemand mich beschreiben sollte, würde er wohl kaum mehr als zwei Sätze zusammen bekommen.
„Jake befindet sich in der Gewalt der Storsen, wir brauchen dich. Fin, du kannst dich nicht verkriechen und den ganzen Tag die neue Bevölkerung anstarren. Wir können nichts dagegen tun, du musst es einsehen! Auch wenn sie deine Eltern und deine Schwester getötet haben , du kannst nicht so tun, als wären wir sicher!" Sie war zu weit gegangen. Sie war eindeutig zu weit gegangen. Ich beschloss ihr nie mehr etwas über mich anzuvertrauen. Ich sprang auf und rannte. Sah nicht ein einziges Mal zurück.
•~°~•
Mir entgegen blickte ein Gesicht, das noch lange nicht so hübsch war wie Leylas. Verfilzte dunkelbraune Haare umrahmten das blasse Gesicht. Zwei grüne Augen sahen mich ernst an. Das eine war etwas unförmig darunter konnte man eine Brandnarbe erkennen.
Mein Spiegelbild in dem kleinen Teich war rasch von den kleinen Wellen davongetragen, doch gleich darauf erschien ein neues, das jedoch haargenau dem ersten glich. Ich atmete aus und richtete mich auf. Kurz war ich stehen geblieben um mich zu betrachten, aber es brachte ja doch nichts. So hübsch wie Leyla sah ich ich nicht einmal annähernd aus.
„Verdammt!" Ich riss mir den Gürtel vom Körper und warf ihn zu Boden. Es war doch alles egal. Ich war allen egal.
Ich atmete, aber mein Arm zitterte und ich beruhigte mich erst, als ich mich auf einem Stein nieder ließ und versuchte einfach nur an die schönen Dinge in meinem Leben zu denken.
Nun gab es aber nur eine Sache, über die ich mich freute, die mir gefielen.
Der womöglich einzige Mensch, der mich verstand war Fionn. Mein kleiner Bruder, von dem ich nicht wusste, ob er bei dem Brand überlebt hatte. Bei dem Brand, der mein Leben verändert hatte. Und bei dem ich alles verlor. Da, wo es Brandstiftung gewesen war. Bei dem Feuer, so meine Eltern starben, als ich gerade zwölf Jahre alt war.
Meine Erinnerung an ihn war ausgelöscht, ich wusste nur diese einzige Sache. Er war immer für mich da gewesen und ich hatte ihm vertrauen können. Er hätte meine Geheimnisse mit seinem Leben beschützt, weil er gewusst hatte, das ich für ihn das selbe tun würde. Aber nun war fort.
Für immer.
Oder vielleicht nicht. Aber die Möglichkeit, das er überlebt hatte, war so gering, wie ich bei einem Schönheits -Wettbewerb gewinnen konnte.
Ich stand wieder auf und rannte weiter. Die Bäume und Büsche rasten an mir vorbei und obwohl meine Schritte jedes Mal schneller wurden, verspürte ich nicht das kleinste Gefühl, Atem zu brauchen.
Der Wald wurde immer dunkler, ich rannte, rannte und rannte. Alles flog an mir vorbei ich begegnete Storsen, doch sie waren nicht schnell genug, um mich einzuholen.
Ein auf dem Boden liegender Ast und ich viel hin.
„Fionn", waren die letzten Worte, die über meine Lippen kamen, bevor sich meine Umgebung in Luft auflöste und ich ins Schwarze stürzte. Alles wurde dunkel, als ich auf dem Boden aufschlug.
•~°~•
Ich war gefangen.
Ich hatte mich nicht rächen können.
Für alles was die Storsen getötet hatten.
Was ich verloren hatte.
Mein Atem wurde von Sekunde zu Sekunde schneller, mein Herz pochte sie wild gegen meine Brust.
Alles um mich herum war dunkel. Niemand war da. Ich hörte nichts, sah nichts, roch nichts, die spürte nicht einmal etwas. Es war schon alles, was mich dazu brachte, zu denken, dass ich sterben musste. Da ich nutzlos war. Vollkommen nutzlos. Für Leyla und Jake. Für die Storsen. Sie konnten mich nicht gebrauchen.
„Fin?", flüsterte jemand heiser. Die Stimme klang rauer, aber ich hatte ein recht gutes Gehör und erkannte wem sie gehörte. Ruhig blieb ich liegen, spürte den kühlen Asphalt unter mir.
„Ja, ich bin es. Jake? Bist du das?", fragte ich zurück. Obwohl ich mir hundert Prozent sicher war, dass es er war, der neben mir lag. Seit Jahren kannte ich ihn, seine Eltern waren mit meinen befreundet gewesen. Finn und seine kleine Schwester June hatten sich ebenfalls gemocht und so war eine gute Bekanntschaft zwischen uns entstanden. Jake lachte, wenn ich es eine gute Bekanntschaft nannte, ich jedoch blieb immer ernst. Seit dem Tod meiner Eltern hatte ich noch nicht mehr gelacht. Und ich würde es auch nie tun. Nie, bis wieder. Bis ich selber sterben würde.
•~.~.~•
Finjas Erinnerung
Überall Flammen. Sie verschlangen alles, alles was. Ich besaß. Der Rauch und die Asche betäubten meine Augen, ich sah nichts mehr.
„Mama!", schrie ich. Keine Antwort.
Vor meinen Augen wurde alles, was mir etwas bedeutete, zu Asche. Mein kleiner Kuscheltier-Hase Cookie fiel mir ins Auge. Er lag auf meinem Bett und war noch am Leben. Ich stürzte hin und riss ihn an mich, gerade noch rechtzeitig bevor auch das Bett von den tödlichen Flammen verschlungen wurde.
Ich zitterte am ganzen Leib. Meine Stimme bebte nur so.
„Fionn? Wo bist du? FIONN?!", kreischte ich nach oben, wo mein kleiner Bruder wahrscheinlich wie immer an seinem Schriebtisch saß und malte. All seine abstrakten Gemälde hinten überall in unserem Haus: In den Fluren , in Schlafzimmer, im Esszimmer und in der Küche. Zu meinem elften Geburtstag hatte er mir auch ein Bild geschenkt, dass seit dem über meinem Bett hing.
Bevor es nun zu Asche zerfiel.
Meine Lunge schrie nach Luft, überall war Rauch.
Ich musste hier raus. Am ganzen Körper zitternd presste ich Cookie an mich und rannte aus dem Raum. Durch den Flur unserer Villa, ich hielt mir die Hände über den Kopf um nichts von dem Holz abzukriegen, dass von der Decke rieselte. Dann- endlich - Die Haustür!
Ich riss sie auf und ließ das brennende Haus hinter mir. Ich atmete die frische Luft ein, was sich noch nie so befreiend und angenehm angefühlt hatte sie heute. Wie jetzt in diesem Moment.
Dann, Nachbarn die zur Hilfe eilten.
Ich konnte fuhr mehr, legte mich auf den Boden und schlief nach wenigen Minuten ein.
•~°~•
Als ich wieder erwachte, stand eine junge Frau vor mir. Ich kannte sie. Es war die junge Fräulein Stone, die neben uns wohnte.
Sie hockte sich vor mir in die Knie und sah mich an. Ihre Augen waren verdächtig rot. Sie wischte sich eine Träne von der Wange.
„Finja? Hörst du mich?", fragte sie vorsichtig und sah nervös zu ihrer Schwester Katylinn, die ihr aufmunternd zu nickte.
„Ja...", meinte ich gedehnt.
Sie sagte es geradeaus. Ohne weiter lange um den heißen Brei herum zu reden. Sonst hätte ke e mir noch viel mehr Schmerz zugefügt.
„Finja... Deine Eltern sind tot. Jemand hat ein Feuer bei dir im Zimmer gelegt, dein Bruder ist nicht gefunden. Es war Brandstiftung. Und sie war an dich gerichtet. Jemand wollte dich töten."
•~°~•
Immer noch zitterte ich, als mir diese Erinnerung in den Kopf stieg.
Ich wollte nicht weinen!
Es war der schlimmste Augenblick meines Lebens gewesen. Sogar noch schlimmer, als die zehn Minuten die ich ich im Haus gewesen war. Ich schluckte. Nicht gerne erinnerte ich mich daran zurück und sprach mit einer Person darüber. Genauer gesagt hatte ich nie ein Wort über den Tod meiner Eltern gesprochen. Doch als Leyla dann komplett unerwartet sanft danach gefragt hatte, musste es einfach raus! Und jetzt hatte sie es ausgenutzt.
Mein Vater hatte stets zu sagen gepflegt: Traue niemandem, irgendwann wird erblich dann doch enttäuschen. Konnte ich Leyla noch trauen? Und Jake? War ich bereit, ihn nicht nur anzuschreien? War er das wert? Er war noch nie nachtragend gewesen, hatte mir immer verziehen. Konnte ich ihm trauen? Ohne, dass er mich enttäuschen würde?
Nein, Nein, Nein! Was dachte ich da eigentlich für einen Unsinn?
Ich war nicht mehr Finja Alienor Suyer sondern Fin, hatte ich das etwa vergessen? das
Es brachte doch nichts der Vergangenheit hinterher zu trauern, oder nicht?
Eine Sekunde später schlug ich mir im Dunkeln die Hand vor die Stirn. Wie konnte ich so etwas derartiges denken! Ich musste mich an Papa und Mama erinnern, solange ich noch wusste, wie sie aussahen. Das gehörte sich so. Denn, ich liebte sie. Mehr als alles andere.
In der Dunkelheit tastete ich nach meiner Tasche, die ich immer bei mir trug, seit ich sie mit sechs Jahren zur Geburt von Fionn geschenkt bekommen hatte. Nach einer Weile, in der ich ziellos meine Tasche suchte, fühlte ich sie endlich. Noch schwieriger wurde es dann aber noch, die Tasche auf zu bekommen. Ein Funke Licht wäre jetzt droht schlecht gewesen.
„Fin, ist alles in Ordnung? Du bist so still..."
„Nein, es ist nichts. Und bin ich das nicht sonst auch?"
Ich versuchte immer noch, mit der linken Hand die Tasche auf zu kriegen. Das funktionierte nicht sonderlich gut. Mit der rechten versuchte ich Jake zu finden.
„Du könntest ruhig auch mal helfen!", zischte ich, ein wenig zu laut als ich gewollt hätte. Auch ohne in sehen zu können, wusste ich, dass er grinste. Er liebte diese Seite meines Ich's, während manche sie verabscheuten. Ich war nicht sicher, was mir besser gefiel.
„Okay, Okay, beruhige dich! ich helfe dir ja schon." Am liebsten hätte ich ihm einen meiner tödlichen Blicke zu geworfen, für den ich unter den Flüchtenden bekannt war. Aber da er ihn ja eh nicht sehen konnte, ersparte ich mir die Mühe. Auf Jake -Grinsen hatte ich echt keine Lust.
Ich hatte es nun endlich geschafft meine Tasche auf zu bekommen. In ihr erspürte ich Cookie, die ich immer noch be. Es war das einzige von mir, dass kein Schutt und Asche war. Daneben lagen ein Stift und ein Stück Papier. Endliche fühlte ich den Dietrich und zog ihn blind heraus.
„Weißt du Fin, ich vertraue dir ", flüsterte Jake. Er war siebzehn, ein halbes Jahr älter als ich.
Ich wollte inne halten, brachte es aber nicht über mich. Stattdessen stocherte ich weiter im Schlüsselloch herum, als hätte ich ihn nicht gehört, obwohl er sich genau neben mir zu befinden schien. Ich zeigte ihm nichts von meinem wahren Ich. Dafür war ich einfach noch nicht bereit. Er sollte mir nicht trauen. Ich war eine hässliche, junge Frau und brauchte kein Mitleid. Ich wollte keines. Alles war in bester Ordnung, wenn wir endlich hier rauskamen. Und irgendwann, vielleicht, konnte ich ihm trauen. Er würde enttäuschen. Hoffte ich zumindest.
Jake seufzte und berührte mich leicht an der Schulter. Wie, als hätte ich einen elektrischen Schlag bekommen, fuhr ich zurück und verpasste ihm eine Ohrfeige. Mein Atem wurde immer schneller, mein Herz pochte wie wild gegen meine Brust. Die letzte Person die mich so berührt hatte, war meine Mutter gewesen. Eine Stunde vor ihrem Tod. Einer der Nachbarsjungen hatte damals behauptet dass ich Unglück brachte und dass jeder der mich berührte, sterben würde. Ich hatte versucht, dies zu ignorieren, aber irgendwie glaubte ich es nun auch. Bedeutete das nun Jakes Tod? War ich das reinste Unglück?
Endlich schaffte ich es, das Schloss auf zu bekommen. Mit einem ziemlich leisen Klicken. Dann öffnete ich sie und winkte Jake durch die Tür. Er beobachtete mich missmutig, während er sich seine Wange rieb. Ich reagierte darauf nicht und als Jake sich durch die schwarzen Haare fuhr, was sein Tick war, wenn er nervös oder enttäuscht war, ignorierte ich es einfach. Ich war keine Mitleiderin, dass war schon vor dem Tod meiner Familie so gewesen. Warum, wusste ich nicht.
Jake lief hinter mir, es war immer noch alles recht dunkel, aber Fackeln erhellten den Gang, so konnte ich Jake richtig erkennen. Außer einer blutigen Schramme an der Stirn und der knallroten Wange schien es ihm gut zu gehen. Obwohl ich erkennen konnte, dass ich ihn mit meiner Reaktion verletzt hatte. Vielleicht konnten wir irgendwann Freunde werden, aber solange alles so blieb wie es war, ging dies nicht.
Mich zu kennen könnte tödlich enden, mich zu mögen das Ende der Stadt. Und mich zu lieben - Einen Weltuntergang. Jeder würde sterben. Nur jemand der dies nicht wusste, war zu leichtsinnig, glauben zu können, ich wäre normal. Normal, naja, wenn man Tausende Tode, wo die Leute starben, weil sie mich kannten, ein Blick von mir einen Anfall auslösen konnte und dazu die Welt unterging, würde irgendjemand auf die Idee kommen mich zu lieben, wo ich hoffte, dass dies nie passieren würde. Denn sonst würde auch ich sterben. Und Jake. Und Leyla. Und Fionn, falls er sich doch noch irgendwo befand und bei dem Feuer nicht ebenfalls umgekommen war.
Überall schrien Leute, sie steckten ihre weißen, knochigen Hände durch die Gitterstäbe des Gefängnisses. Finja hätte jetzt Angst gehabt. Aber Fin fand dies sehr harmlos und beachtete es nur ein paar wenige Millisekunden lang, bevor sie weiter die langen Gänge entlang schlich. Jake fuhr zurück, hob die Brauen und lief dann weiter hinter mir her. Er hatte deutlich längere Beine als ich und konnte so trotz meines schnellen Tempos gut mithalten. Ich war sowieso sehr klein für mein Alter, Jake überragte mich um mehr als einen Kopf. Aber dafür war mein Gehirn schon etwas fortgeschrittener als seins, weshalb ich es meistens war, die die Führung übernahm.
Ich lächelte ich mich hinein, als ich Jake beobachtete sie er immer ein wenig Abstand zu den Gefängnissen der anderen ließ und misstrauisch die kahlen Personen beäugte, die leise weinten und um Hilfe bettelten. Für mich war Mitleid ein seltenes Gefühl, Jake jedoch verspürte es öfters. Manchmal hatte er sogar Mitleid mit den Storsen, weil diese ja nur das taten was der Mörder meiner Eltern ihnen befahl. So ganz nachvollziehen konnte ich dass nicht, aber Jake war und fühlte eben anders als ich.
Bittend sah Jake zu mir, als wir an einem Verlies vorbei liefen, indem eine Mutter mit ihrem Baby im Arm saß und leise schluchzte. So kalt war ich dann doch wieder nicht. Ich trat einen Schritt vor und stocherte ein paar Minuten im Schloss herum. Dann schwang die Tür auf. Jake eilte hinein und berührte die Frau sanft an der Schulter. Sie sah hoch und schrie angsterfüllte Sätze.
„Lassen Sie mein Kind in Ruhe! Hören Sie! Geht weg und kehrt nicht wieder zurück!"
Jake erläuterte ihr leise, wer wir waren und dass wir hier helfen wollten. Misstrauisch blickte die Frau zwischen mir und Jake hin und her. Dann fasste sie sich ein Herz und stand auf, ließ uns dabei aber nicht aus den Augen. Jake nahm sie am Arm und stützte sie beim Gehen. Die Frau schien mindestens ein Jahr nicht mehr gelaufen zu sein, vielleicht auch mehr.
In einem etwas weniger schnellen Tempo irrten wir durch die Gänge. Die junge Frau schien nun Vertrauen zu uns gewonnen zu haben. „Ich bin Aglesca und das ist meine Tochter Brynn. Wir leben seit etwa zwei Jahren hier, mein Mann hat mich hintergangen, er war ein Stors und wollte nur ein Kind, damit es ein Halbling wird und mächtiger wäre als ich. Er wollte dass Brynn mich tötet, wenn sie älter ist und sich auf seine Seite stellt. Ich konnte ihn kurz vor Brynns Geburt mit Hilfe meiner Freundin Orna umbringen, damit sich dies nicht erfüllen konnte, doch die Freunde von Tybalt brachten uns hierher. Seit froh, dass ihr nicht so lange hier seit, wie ich nach eurer Kleidung zu urteilen mal annehme. Es ist schlimmer als sterben. Viele hier haben sich selbst ermordet. Mit ihnen Orna." Es war noch eine schlimmere Geschichte als die Jakes, ob sie schlimmer war als meine wusste ich nicht. Ich schluckte.
„Das... Das tut mir leid für Sie", stammelte ich vor mich hin, weil ich mich so noch nie ausgedrückt hatte.
Leere, blaue Augen sahen mich an. „Es ist schon in Ordung, Finja. Es ist okay."
Ich fuhr zurück. Meinen Namen hatte ich ihr nicht verraten. Woher wusste sie ihn dann?
„Woher...?" Meine Stimme versagte. Hatte ich ihr falsch vertraut? War die nur auf meinen Tod aus?
„Fionn hat ihn mit gesagt."
•~°~•
„Fionn?", fragte ich und meine Stimme zitterte bei jedem einzelnen Buchstaben, den ich aussprach.
„Ja, er suchte eine Finja, die er dass letzte mal vor vier Jahren gesehen hatte. Da war die zwölf gewesen. Wie ich schätze, bist du jetzt ungefähr sechzehn, deshlab könnte dies passen. Die Beschreibung von deinem Aussehen könnte auch passen, obwohl er nicht von einer Brandnarbe gesprochen hatte."
Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Fionn lebte.
•~°~•
„Wo ist er?", fragte ich mit bebender Stimme.
„Er soll heute gehängt werden... Finja, es tut mir leid."
Meine Freude wurde mit einem Mal wieder zu purem Hass. Ich hatte ihn gefunden. Und gleich wieder verloren. Er würde sterben. Und ich konnte nichts, wirklich nichts für ihn tun. Doch ich musste es. Eine große Schwester musste dies tun.
„Wo soll er gehängt werden? Wo?", krächzte ich tonlos.
„Nein, Finja. Ich weiß was du vor hast und Ich rate dir dringend davon ab. Es ist zu gefährlich. Du setzt damit dein eigenes Leben auf's Spiel. Finja, hörst du mich?"
„Wo?", fragte ich mich einmal, ohne auf ihre Bedenken einzugehen.
Aglesca seufzte. „Am alten Brunnen in der Haupstadt von Kalea."
Ich rannte los. Und sah nicht zurück. Jakes besorgter Blick stach mir nur so in den Rücken, doch ich ignorierte es. Ich musste meinem Bruder helfen. Jede Schwester hätte dies getan. Auch wenn man dabei das eigene Leben auf's Spiel setzte. Ich musste ihm helfen. Aber es würde kein schönes Ende für mich nehmen.
•~°~•
Ich rannte durch die leeren Straßen Kaleas. Es wurde langsam dunkel, die Nacht brach an, um diese Zeit waren alle Storsen in ihren Häusern. Denn wenn sie Kälte verspürten, wurden sie von den normalen und harmlos erscheinenden Menschen zu den kaltblütigen Eiswesen, den Storsen. Da dies ja niemand erfahren durfte, blieben sie abends und nachts in ihren Häusern.
Der alte Brunnen befand sich nördlich von Kalea in der Hauptstadt Khrysoar, die trotz der Storsen noch existierte und nicht einmal verfallen war. Ich fror am ganzen Leib, doch ich rannte weiter. Und dann schaffte ich es irgendwie. Ich brach vor dem alten Brunnen zusammen. Ich hielt mich am Brunnenrand fest und kam so irgendwie auf die Beine. Sie taten furchtbar weh, aber ich konnte mich halten.
Fast wäre ich wieder auf den Boden gekracht, als ich das Schauspiel sah, dass sich vor mir abspielte. Statt gehängt zu werden, zielte jemand mit einem Messer auf den Jungen, den ich am meisten liebte. Fionn. Obwohl er acht gewesen war, als ich ihm das letzte Kapitel begegnet wär, erkannte ich ihn sofort. Er hatte immer noch strubbelige, rote Haare und blaue Augen. Er stand direkt vor mir.
„Finja ", flüsterte er.
„Fionn", sagte ich mit bebender Stimme.
Ich wollte ihn in meine Arme schließen, doch dann kam alles anders. Der Mann in Schwarz, der ein Messer in der Hand und Fionn fest hielt, sah mich mit leerem Blick an. Ich wusste was er vorhatte. Ich rannte los. Meine Füße schnellten über den Boden. Ich war noch nie so schell gewesen. Ich war bei ihm, warf mich vor Fionn, das Messer traf mich.
Ich stürzte zu Boden. Überall Blut. Der Schmerz. Fionns Schrei. Jakes Stimme, die Fionn versuchte zu beruhigen, die aber selbst wütend und traurig klang. Dann zwei Arme, die mich packten. Jakes Arme. Er wollte mir helfen. Doch ich konnte nicht mehr. In Jakes Armen schlief ich ein und wachte nicht mehr auf. Mein letzter Gedanke war es, dass Fionn bei Jake und Aglesca in Sicherheit war...
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