5. Vogelhuber

„Das Märchenbuch von den Gebrüdern Grimm!", ruft Marlene mit strahlendem Gesicht, als sie mir den Teller mit einem Stück Schokokuchen darauf reicht. „Ja, ich erinnere ich mich recht gut daran. Die Bildchen waren herrlich."

Wir sitzen in der guten Stube, um uns nach dem Abendessen zu entspannen und plaudern. Damit hat Schwager Helmut wenig am Hut (mit dem Plaudern, wie er sich entspannt, entzieht sich meiner Kenntnis), also hat er sich schon zurückgezogen und uns alleine gelassen.

Auf dem Nachhauseweg habe ich es in Erwägung gezogen, meiner Schwester nichts von den peinlichen nachmittäglichen Vorfällen zu berichten. Einziger Haken: Ihre Anschrift habe ich den Königlichen gegeben. Falls sie auftauchen, um mich doch ein Weilchen am Spieß zu braten und Marlene weiß von nichts...

Gleich beim Nachhausekommen wurde mir die Entscheidung glücklicherweise abgenommen.

„Leopold, du stinkst nach Fluss", hat meine liebe Schwester gemeint, nachdem sie schielend an meiner Schulter gerochen hatte. „Was ist dir dieses Mal passiert? Geh bitte nach oben und wasch dich, bevor du am Tisch erscheinst. Helmut hat eine empfindliche Nase."

Schwager Helmuts Nase zuliebe habe ich auch mein Hemd und meine Weste gewechselt, bevor ich nach unten gekommen bin, um mich einem überaus zähen Tischgespräch anzuschließen. Zäh vonseiten Helmut, denn er hat die ärgerliche Angewohnheit, einsilbige Antworten von sich zu geben und überhaupt keine Fragen zu stellen.

Auch keine höflichen.

Mein Schwager ist eine eher rundliche, bebrillte Person, die, wie ich zugeben muss, eine beneidenswerte Gabelführung beherrscht. Bald habe ich alle Versuche, bei ihm Liebkind zu machen, aufgegeben und mich darauf beschränkt, stumm seinen Umgang mit dem Besteck von der anderen Tischseite aus zu bewundern.

Wie Marlene vorausgesagt hat, scheint er nichts gegen meinen Besuch zu haben oder mich auch nur mehr wahrzunehmen als das leise Ticken der tirolischen Wanduhr. Menschliche Staffage eben. (Was mir leider vertraut vorkommt.)

Marlene zündet ihre zwei nagelneuen Glühwürmchenlampen an und setzt sich neben mich auf das Rosshaarsofa. Die phosphorische lila Flüssigkeit leuchtet wohlig in den dickwandigen Glasbehältern. Die Glühwürmchen, die darin schwimmen, blitzen hübsch auf.

„Seit Langem habe ich nicht mehr an das Märchenbuch gedacht, aber du hast Recht, da war eine solche Geschichte drin", sagt sie und spießt ein Stück Kuchen mit ihrer Gabel auf. „Es ging um zwei arme Kinder, die im Wald ausgesetzt waren und ein Haus aus Lebkuchen gefunden haben. Darin wohnte eine Hexe, die das Mädchen als Dienerin benutzte und den Jungen hat sie in einem Käfig wie ein Huhn gehalten, um ihn später zu essen."

„Warum wollte sie ihn essen?"

„Ach, wer weiß, das ist in Märchen halt so. Du hattest immer solche Angst vor Hexen, erinnerst du dich? Hast die Decke über den Kopf gestülpt, um nicht von denen gesehen zu werden. Das war sowas von ulkig! Oma selig konnte sich auch kaum einkriegen vor Lachen."

Wirklich zum Schenkelklopfen, haha.

„Wie geht die Geschichte weiter? Von den Kindern?", frage ich.

„Sie denken sich eine List aus und stoßen die Hexe in den Ofen, wo sie verbrennt."

„Nicht ersäuft? Oder niedergeschlagen wird?"

„Wie soll sie in einem Ofen ersäufen? Nein, sie verbrennt, wie man es mit Hexen so hält."

„Hm." Ich stecke mir ein Stück Kuchen in den Mund und denke nach. Ein Lebkuchenhaus, zwei Kinder und eine Hexe. Das Lebkuchenhaus haben wir, auch eine angebliche Hexe, aber nur ein Kind.

Passt irgendwie noch nicht so richtig.

Na ja, war auch nur so ein Gedanke.

„Wieso fragst du? Hängt es irgendwie mit der Tatsache zusammen, dass du in der Pegnitz schwimmen gegangen bist?"

Ach herrje, jetzt kommt es. Sie sieht mich mit jenem neugierigen, ungeduldigen Gesichtsausdruck an, den sie immer aufsetzt, wenn sie eine saftige Peinlichkeit wittert.

Ich sage, so beiläufig wie nur möglich, während ich in meinem Kuchen herumstochere: „Du hast sicherlich von jenem Mord an dem Lebkuchenbäckerjungen hier in der Stadt gehört? Nun ja, ich war heute dabei, als die Leiche der verschwundenen Bäckerin gefunden wurde."

Marlenes Gesichtsausdruck wandelt sich augenblicklich. Sie starrt mich mit erweiterten Augen an und kriegt den Mund nicht mehr zu.

„Du warst was? Und das hat jetzt was mit dem Märchen zu tun?"

„Das weiß ich nicht", gebe ich ehrlich zu. „Ich musste nur daran denken, als es passierte. Das ist alles."

„Leopold, sei jetzt kein verbohrter Geheimniskrämer, raus damit! Du bist nicht einmal einen Tag hier und schon entdeckst du Leichen. Und nicht nur irgendwelche dahergelaufenen, sondern die von dem Mord des Jahres! Nein, was sag ich, dem Mord des Jahrzehnts! Also, erzähl Bruderherz und lass nichts aus."

Es dauert noch drei Stück Kuchen, bis ich alles ausgeplaudert habe.

„Was hat Tante Franziska immer so schön gesagt? Das Weib ist dem Leopold sein Untergang", meint Marlene mit einem verschmitzten Lächeln.

„Da muss ich Tante Franziska leider vehement widersprechen", kontere ich und setze meinen Teller ab. „Das dummdreiste Nicht-Aufpassen ist dem Leopold sein Untergang. Genau gesagt, das aller Mernicks. Da gibt es klare Muster."

Marlene gluckst. „Und was schließt du daraus?"

„Aus meinem Unvermögen, mich nicht ständig ablenken zu lassen?"

„Aus dem Leichenfund und dem Verhalten der Polizei. Aus dem Ganzen."

Das ist eine hervorragende Frage. Was schließe ich daraus?

„Die Polizei will nicht, dass ich mich einmische", antworte ich. „Kann ich gut verstehen. Ich war nur zufällig bei dem Fund dabei und ihre Untersuchung geht mich offiziell nichts an. Aber...ich weiß nicht. Mir scheinen sie nicht richtig im Klaren zu sein, wie sie die Sache anzupacken haben. Es ist aber einerlei. Ich fahre in zwei Tagen. Sie sollen tun, was sie für richtig halten."

Marlene sinnt über meine Worte nach, während sie die Teller und Tassen einsammelt. Ich helfe brüderlich, indem ich die Kuchenplatte (nur noch mit Krümeln geschmückt) in die Küche trage.

„Weißt du, was ich denke?", sagt Marlene, während sie das Essgeschirr in die Spüle stellt. „Du wirst die Finger nicht davon lassen können. Es riecht zu sehr nach Abenteuer à la Mernick und dafür sind wir beide anfällig. Eine wichtige Information hast du noch nicht, aber ich."

„Du weißt etwas?" Jetzt bin ich an der Reihe zu staunen.

„Ja, nämlich wo der Tatort, die Lebkuchenbäckerei, liegt. Und das wirst du wissen müssen, denn dorthin sollst du dich morgen schleunigst begeben. Denk dran, du hast nur zwei Tage, Leopold. Zwei Tage, um einen Doppelmörder zu fassen."

Obwohl ich todmüde bin und bis in die tanzenden Automatonen schlafen sollte, bin ich innerhalb von fünf Stunden wieder wach, als ob ich unter Strom stehe. Ich setze mich im Bett auf und zünde das kleine Nachttischlämpchen an.

Marlene hat mir einen Stadtplan gegeben, worauf sie die Lebkuchenbäckerei mit einem X markiert hat.

Brezelgasse. Die gar nicht so weit weg ist.

Aber viel, viel näher am Fluss.

Meine Gedanken fahren Karussell und ich fahre mit, bis mir schwindlig wird vom zwei-plus-zwei- zusammenzählen-und-auf-elf-kommen.

Ich gebe mich widerstrebend geschlagen, denn ich weiß einfach zu wenig, um eine vernünftige Theorie (oder vier) aufzustellen. Irgendwie muss ich mir weitere Nachrichten über die Verhältnisse in der Bäckerei beschaffen, ohne der hiesigen Polizei zu sehr auf den königsblauen Umhang zu treten.

Lange halte ich es im Bett nicht aus. Mein Gesicht hat schon mal besser ausgesehen, meine ich, als ich mich im Spiegel über der Wasserschüssel prüfe. Unter einem Auge bin ich schon grün-gelb angelaufen.

Während ich mich kalt rasiere, höre ich, wie die Kuckucksuhr unten vier Uhr schlägt. Um halb sieben soll mich Marlene wecken kommen, sodass wir alle hübsch zusammen frühstücken können.

Marlenes Idee, natürlich.

Schwager Helmut ist es selbstredend piepegal, ob wir zusammen den Morgen begrüßen. Es ist mir, ehrlich gesagt, auch egal, aber Familienpflicht ist Familienpflicht und man rückt zeitig zum Appell aus.

In der Küche reiße ich ein Blatt aus dem Notizblock und schreibe, dass ich rausgegangen bin, um „Luft zu schnappen" und komme mit frischem Brot um sechs wieder.

Das gibt mir zwei Stunden Zeit.

Zwei Stunden Zeit wofür habe ich nur drei-viertel Ahnung, aber das macht nichts. Einer von Abteilung III kann sich stets, ständig und überall vernünftig beschäftigen.

Besonders, wenn Geheimnisse in der Luft liegen!

Es ist etwas kalt draußen. Einen witterungsgemäßen Mantel habe ich nicht bei mir, aber wenn ich in Bewegung bleibe, wird mir schon warm genug sein. Auf den Hauptstraßen werfen Straßenlampen ein warmes, schwefeliges Licht umher, aber als ich in die Seitenstraßen hineintauche, werden sie zusehends seltener und es klaffen lange, schwarze Löcher der Leere auf.

Mechanische Katzen beobachten mich von dunklen Fenstern aus, als ich vorbei gehe. Ein paar Hunde streunen herum, ihre Schnauzen die Bordsteinen nach Essbarem absuchend.

Ansonsten scheint die Stadt tief zu schlafen. Ich bin der einzige Mensch unterwegs -- außer einem einsamen Wachtmeister in Helm und Umhang, der einige Ecken weiter einen Straßenzug ziert, indem er sich gedankenverloren eine Pfeife gönnt.

Die Brezelgasse ist eine ziemlich dämmerige, enge alte Gasse. Es gibt nur zwei funzelige Laternen an beiden Enden, die keine zehn Schritte des Kopfsteinpflasters aus der Dunkelheit zu reißen vermögen.

Zum Glück schimmert vage der Mondschein hinein und die Fenster in fast jedem Haus sind erhellt.

Nur nicht bei Nummer 11.

Lebkuchen Schindelmeyer Seit 1623 verkündet ein freischwingendes Kupferschild mit ausgestanzten Buchstaben, zu beiden Seiten das Abbild zweier Lebkuchen.

Ich stehe in der Mitte der Gasse und sehe hoch. Das Stockwerk zur ebenen Straße ist aus hellem Stein, die oberen zwei sind aus Fachwerk.

Alle Fensterläden sind fest verschlossen.

Es gibt eine herunterklappbare Verkaufstheke, die vorn an dem Haus befestigt ist und die man mit einer Kette, an der Gewichte angehängt sind, hoch und runter fährt. Jetzt ist die Theke selbstverständlich hochgeklappt, was die Innenräume gleichzeitig vor nächtlichen Dieben schützt und kundenabweisend wirkt.

Ich schaue die Nachbarhäuser an. Sie haben auch eine solche hochgeklappte Konstruktion vorne, aber man bemerkt Licht dahinter im Verkaufsraum.

Ihre Schilder weisen sie alle als Mitglieder der Bäckerzunft aus.

Lebende Mitglieder.

Ich kombiniere. Wenn die Fensterläden zu sind, muss der Mord entweder schon vor vier Uhr morgens stattgefunden haben oder die Polizei hat sie aus Sicherheitsgründen zugemacht. Da ich kein so großes Vertrauen in das Mitdenken der Polizei habe, tippe ich auf eine frühmorgendliche Tat als die logischste.

Ich gehe nah an die Ladentür heran, um zu sehen, ob Spuren eines Einbruchs zu erkennen sind. Es ist aber zu finster. Ich sehe kaum etwas. Als ich mich umdrehe, um mich auf die andere Seite der Straße zu begeben und das Haus von weiter weg zu betrachten, gleite ich fast aus.

Neben der Tür liegen kleine Steine.

Ich hebe einen auf und halte ihn in das Licht, das von einem der Fenster in die Gasse fällt.

Jawohl, ein kleiner, flacher, brauner Stein.

Ich bücke mich und merke, es sind nicht nur ein paar, sondern eine ganze gerade Reihe von Steinen. Vorsichtig folge ich ihnen bis zu einer Eindellung in dem Mauerstein neben der Eingangstür zu den oberen Stockwerken.

Da liegt ein Nest weißer Zweige.

Ich hebe einen davon auf, gehe wieder in das Licht vom Nachbarhaus und stelle fest....das ist kein Zweig, das ist ein kleiner dünner Knochen! Ein Hühnerknochen, wenn ich mich nicht irre (und in diesem Licht kann ich mich irren).

Der Knochen sieht angenagt aus und ist immer noch fettig vom Huhn. Er kann nicht lange hier gelegen haben. Ich nehme mein Taschentuch heraus und wickle ihn zusammen mit einem von den Steinen ein.

Sie verschwinden in die Tasche meiner Jacke.

Von dem Ende der Gasse höre ich ein Poltern. Da biegt eine Last-FBM ein, die gelben Vorderlichter wie zwei Sterne auf mich zurollend. Ein Mann in Arbeitszylinder steigt aus, kaum mehr als ein dunkler Umriss, und pfeift schrill mit zwei Fingern im Mund. Dann macht er sich daran, dicke Säcke von der Ladefläche herunterzuziehen.

Einige Türen entlang der Straße gehen augenblicklich auf und Bäcker in weißen Schürzen stiefeln heraus, als ob sie nur auf den Pfiff gewartet haben, um ihre Bestellungen entgegenzunehmen. Im Vorbeigehen lese ich die Wörter Zehruckers Gewürze und Mehr, die auf die Seite der FBM gepinselt sind.

Ich schleiche aus der Gasse und im Schein der funzeligen Straßenlampe lasse ich meine Taschenuhr aufspringen.

Zehn vor fünf.

Gewürzlieferung per FBM um kurz vor fünf.

Alle schon längst auf den Beinen.

Fensterläden bei Schindelmeyer jedoch zu.

Aha.

Der Stadtplan wird konsultiert und ich begebe mich in die finsteren Schlunde einiger Gassen hinein, bevor ich mich jäh wieder am nebligen Fluss befinde.

Allen Anschein nach hat der Mörder die Leiche der Bäckersfrau (ich sage NICHT Hexe) schnell und unauffällig dort beim Richtplatz versenkt. Ich habe nicht vor, die ganze Strecke zu gehen. Nur so weit, um zu sehen, wie leicht es wäre, mit einer Karre oder Ähnlichem dorthin zu kommen und wie lange man dafür bräuchte.

Wie es sich herausstellt, wäre es spielend leicht, so etwas zu bewerkstelligen, denn nur eine Ecke vom Fluss entfernt fährt eine breite, glatt gepflasterte Straße auf direktem Weg zum Richtplatz.

Ich schaffe es zu den Stadtmauern in 12 Minuten.

Liefer-FBMs rumpeln vorbei und einige Fußgänger sind jetzt unterwegs. Ich drehe mich um und laufe zurück auf dem gleichen Weg, den ich gekommen bin.

Ich bin so sehr mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich etwas sehr Wichtiges übersehe, nämlich den Wachtmeister, der ruhig seine Meerschaumpfeife putzend sich vor mir in den Weg stellt.

„Was Interessantes gefunden?", fragt er.

Ich bleibe jäh stehen.

Jetzt ist Ahnungslosigkeit angesagt. (Ahnungslos kann ich...leidlich.)

„Wie was Interessantes, Herr Wachtmeister? Ich konnte nicht schlafen, vertrete mir also ein bisschen die Beine."

„Ach so", sagt er langsam, während er die Pfeife auf Tabakreste genauestens untersucht. „Und hier dachte ich, einer von den Geheimnisvollen aus Berlin, der so früh durch meine Stadt schleicht, hat freilich etwas ganz Bestimmtes im Sinn."

Ich sage nichts.

Das hat zweierlei Gründe.

Zum einen, weil ich etwas überrumpelt bin und zum anderen, weil ich überhaupt nichts sagen muss. Wenn er schon weiß, wer ich bin, weiß er auch, dass ich im Rang über ihm stehe und zu gar keiner Aussage verpflichtet bin, wenn nicht gerade ein Haftbefehl gegen mich vorliegt.

„Sie haben uns erzählt, Sie sind privat hier in der Stadt", meint er weiter. Weil der Schirm seines Diensthelmes einen Schatten über seine Augen wirft, kann ich nur durch den Winkel seines Kopfes feststellen, dass er mich jetzt anschaut. „Das stimmt nicht. Wir haben nach Berlin telegraphiert um nachzufragen, ob Sie tatsächlich bei der Abteilung IIIb-k sind."

„Und? Haben sie es zugegeben?" (Halt die Klappe, Leopold.)

„Haben sie, ja. Und mit der Randbemerkung, dass Sie sich derzeit im aktiven Dienst befinden. Da haben wir uns ernstlich gefragt, was ein kaiserlicher Nachtrichter in Nürnberg zu suchen hat - wir wissen von nichts aus offiziellen Quellen - und noch dazu, wie er sofort die Leiche eines Mordopfers zu Tage gefördert hat, nach der wir schon ein Weilchen vergeblich gesucht haben."

„Jede Menge Fragen." (Zum zweiten Mal, Blechschimpanse, Klappe.)

„Wollen Sie Antworten darauf geben?"

„Habe ich schon. Nach 48 Minuten Wartezeit. Es war ein reiner Zufallsfund, womit ich absolut nichts zu tun hatte."

„Reiner Zufall also?"

„Reiner Zufall."

„Und das Sie vorhin in der Brezelgasse waren, wo Hanna Schindelmeyer wohnte, und dann hier hinunter zum Hexenrichtplatz geschlichen sind, obwohl Sie die Identität der Leiche unmöglich wissen konnten? Auch reiner Zufall?"

Ich will ihm gerade etwas über das Kolportieren wichtiger Nachrichten und schlampige Arbeitsweisen auf Polizeidienststellen an den behelmten Kopf werfen, als mir auffällt, dass er vor mir keine Angst zu haben scheint.

Er will nur Antworten auf seine Fragen. Und um die zu bekommen, hat er in der Kälte stundenlang auf mich gewartet und mich beschattet.

„Mit wem habe ich die Ehre?", frage ich, auf leicht überhebliche Weise. „Sie sind nicht derjenige, mit dem ich auf der Dienststelle gesprochen habe. Dafür sind Sie nicht blöd genug."

„Nein, der bin ich nicht." Ein kleines Lächeln spielt um seinen Mund. „Wir haben uns noch nicht die Hand gegeben, Agent Mernick. Hauptkommissar Vogelhuber mein Name. Ich leite die Ermittlung im Fall Lebkuchenmord."

Ach.

Gut, er weiß viel, aber er weiß nicht alles und ich bin weit entfernt davon, vor Eitelkeit gefeit zu sein.

Dass er mich so erfolgreich und noch dazu so schnell ausgekundschaftet hat, verärgert mich zutiefst und ich lasse mich zu einer Dummheit hinreißen.

„Na dann", sage ich, „wenn Sie ihr Handwerk so gut verstehen, dann wissen Sie sicherlich schon von den Knochen. Ich wünsche einen guten Morgen, Hauptkommissar." Mit einem Finger tippe ich auf die Krempe meines Zylinders und mache Anstalten weiterzulaufen.

„Warten Sie", sagt er und hebt eine Hand, um mich aufzuhalten. „Knochen?"

„Aber ja, Kommissar. Knochen. Sagen Sie mir jetzt nicht, sie hätten davon nichts gewusst?" 

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