K A P I T E L ♥️ 9


•MAGNY•

»Manche Worte töten viel mehr, als ein Schuss ins Herz es je könnte.«

Ich konnte nicht fassen, dass er das tatsächlich gesagt hatte.
Mein Herz war ein Verräter, denn es schlug verdächtig hoch bei diesen Worten, aber mein Kopf war alles andere als erfreut.

Er hatte gerade laut ausgesprochen, was ich gehofft hatte, er würde es nicht tun.
Ich konnte nicht hier bleiben, konnte nicht in diesem Haus sein und sie einfach vergessen.
Ich konnte einfach nicht.
Aber mit seinen Worten hatte ich die Bestätigung meiner Sorgen.

Er würde mich nicht gehen lassen.
Nicht allein, nicht ohne es zu erklären, gar nicht.

Ich war wie erstarrt, während er um mich herumwuselte und den Frühstückstisch deckte. Ich konnte mich gar nicht auf die Leckereien konzentrieren, die er auf den Tisch stellte, weil mir plötzlich schlecht war.
Ich glaubte mich übergeben zu müssen vor Angst, weshalb ich mit angehaltener Luft von meinem Stuhl aufsprang und so schnell aus der Küche hetzte, dass meine Beine nicht einmal die Möglichkeit hatten wegzuknicken.

Die Tränen kamen bevor ich sie aufhalten konnte.
Ich wollte noch nicht heiraten. Ich wollte nicht hier bleiben und ohne sie sein.
Nicht ohne meine Wölfe und die Gewissheit sie wiederzuhaben.

Ich folgte meinen tränenden Augen und fiel im Flur zu Boden. Schluchzend lehnte ich mich an die Wand und zog die Knie an meinen Oberkörper. Seine Schritte folgten mir. Aber ich wollte ihn nicht sehen oder reden hören.
Wir kannten uns doch gar nicht! Wieso also erzählte er von so etwas?
Ich kannte nicht mal seinen Namen.

Das Seufzen ein paar Meter entfernt, ignorierte ich.
Ich wollte nur noch mein altes Leben zurück.
Vor einigen Wochen war noch alles in Ordnung gewesen.
Ich war mit meinen Wölfen durch den Wald gerast und hatte den Schnee genossen. Und jetzt? Jetzt befand ich mich im Haus eines Fremden, der zufällig mein Seelenverwandter war und mich in diesem Haus einsperren würde.

»Sieht aus, als hätten wir den miesesten Start aller Zeiten.«

Ja, so sah es wohl aus.
Ich reagierte nicht darauf.

»So hatte ich mir das nicht vorgestellt.«

Seine Laune war abgeklungen und er klang nahezu ermüdet und zerbrechlich.
Aber wollte er jetzt das Unschuldslamm spielen?
Ich war es nicht gewesen, die derartig einengende Worte von sich gegeben hatte.
Worte, die meine Freiheit einschränkten. Und dazu hatte er kein Recht.

Ich wusste nicht, was es mit ihm machte, dass er mich gefunden hatte. Ich war noch immer unverwandelt und deswegen vielleicht noch nicht so stark beflügelt wie er.
Die Art und Weise wie er mit mir sprach, rechtfertigte das trotzdem nicht.

»Es tut mir leid.«
Das sollte es auch.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und hob dann vorsichtig den Kopf.

Er hatte sich auf der gegenüberliegenden Wandseite ein paar Meter von mir entfernt gesetzt und starrte schuldig auf seine angewinkelten Oberschenkel.

Mitleid keimte in mir auf, aber ich wollte nicht einknicken und ihm verzeihen.
Ich war eine Frau von Stolz, so hatte man mich erzogen, und ich durfte nicht zulassen, dass man mit mir spielte.
Ich war nicht naiv. Und er hatte mit Anstand zu reden.

»Ein paar Stunden, nachdem du ohnmächtig geworden bist, hätte ich dich beinahe verloren.«
Seine Stimme war wie ein Messer, das über meine Haut ritzte.
Sollte das ein Witz sein?

»Du hast dich noch nicht verwandelt, stimmt's?«

Ich hob alarmiert den Kopf.
Woher wusste er das?
Unsere Blicke trafen sich und er nickte bloß, als ich nicht antwortete.
Er wusste, damit hatte er ins Schwarze getroffen.

»Aber du warst kurz davor. Und das hättest du nicht überlebt.«
Ich konnte hören wie schwerfällig er schlucken musste und wie ausgedörrt seine Lippen bei diesen Worten waren. Es nahm ihn ehrlich mit. Und ich hasste, dass mich das schwach machte.
Wieso passierte so etwas?

»Du warst viel zu unterkühlt, hattest hohes Fieber und einen zu geschwächten Körper, um die Schmerzen einer Verwandlung zu halten.
Dein Herz hätte versagt und ... und du wärst nicht mehr hier.«

Seine Stimme fiepte und der scheinbar völlig zornige Wolf stand kurz vor den Tränen.

»Ich konnte nicht mehr schlafen. Du weißt nicht, was du mit mir gemacht hast, als wir uns in die Augen sahen. Es war nur eine einzige Sekunde, aber für unsere Verbundenheit hat sie gereicht und das wissen wir beide.
Ich weiß bis heute nicht, wie du heißt, aber als du so bewusstlos vor mir lagst, kroch trotz allem jede Panik in mir hoch, die zu existieren wagte. Ich konnte kein Auge zutun, weil es mich sowohl innerlich als auch äußerlich hat leiden lassen. Ich wollte dir so gern helfen, aber diesen Anblick von Hilflosigkeit konnte ich nicht bieten. Ich war nicht fähig dir zu helfen!« Er keuchte unter ersten Tränen auf, während ich voller Schock in meiner Starre auf ihn verharrte. War das wahr? Ich war beinahe gestorben? Wieso konnte ich mich nicht erinnern?
Wieso sah ich alles so verschwommen?

»Du hast mir Angst gemacht. Mein Leben lang war ich auf der Suche nach dir und kaum finde ich dich, soll ich dich wieder verlieren? Engel, das konnte ich nicht. Selbst, wenn ich wollte, ich könnte nicht.
Du bist der einzige Sinn, den es für mich je zu leben gab und als sich dein Zustand besserte, musste ich dafür sorgen, dass das auch so blieb. Ich habe dich mit nach Hause genommen, versucht dein Fieber zu jeder Tageszeit zu senken, habe dir vorgelesen, dich in den Arm genommen, als du unterbewusst begannst du zittern. Ich weiß, dir fehlen diese Erinnerungen und du hast jedes Recht sauer zu sein, aber ich bitte dich trotz allem inständig darum, zu essen, den Tee zu trinken und Bettruhe zu halten. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn du nicht mehr wärst. Ich flehe dich an.«

Die letzten Sätze waren nicht mehr als ein Flüstern.
Je länger ich in sein Gesicht sah, desto ehrlicher erschien es mir. Er log nicht. Und alles, was er gerade erzählt hatte, passte perfekt auf unsere Gemüter zu.
Er war erschöpft und ausgelaugt, mit den Nerven am Ende. Und ich war einfach verwirrt, ausgeleert mit Erinnerungen und ganz offensichtlich dumm, weil ich nicht darauf geachtet hatte, mich nicht zu überanstrengen.

Dass es zwischenzeitlich so schlecht um mich stand, musste ihn wirklich verrückt gemacht haben, wenn ich im Jetzt dagegen anreizte.
So war das also, wenn man seelenverwandt war.
Das Leiden des einen, war der Tod des anderen.

Wir schienen damit leben zu müssen.

»Du bist dir sicher, dass ich dabei war mich zu verwandeln? Deswegen die Schmerzen?«
Ich konnte erst jetzt realisieren, was er konkret gesagt hatte und es schockierte mich.
Mein Leben lang hatte man auf diesen Tag gewartet, aber er war bis heute nicht gekommen. Das Rudel hatte irgendwann geglaubt, ich sei ein einfacher Mensch, aber das war beinahe unmöglich, denn meine ganze Familie war als Wolf geboren.

Ob es bei meinen Ururahnen auch Menschen gab, konnte ich nicht genau sagen, aber die nächste und erstnächste Generation, die noch auf dieser Erde weilte, bestand aus reinem Wolfsblut.
Meine Wölfe glaubten nicht, dass ich ein einfacher Mensch war und selbst wenn, hatten sie einmal gesagt, würde das nichts an ihrer Art und Liebe ändern. Ich wäre immer der wichtigste Bestandteil ihrer Leben.
Diese Worte hatten mir bisher geholfen mich vor den Gefühlen des Andersseins zu beschützen, aber anscheinend musste ich das nun gar nicht mehr.

»Ja, ich bin mir sogar sehr sicher. Die Schmerzen hingegen gehörten nur zur Hälfte diesem Prozess an. Hauptsächlich musstest du leiden, weil du nach deinem Aufenthalt in der Kälte für mehrere Tage deutlich unterkühlt und angeschlagen warst und diesen Zustand ignoriert und damit verschlimmert hast. Engelchen, warum hast du das gemacht?«

Nun schluckte ich.
Was sollte ich dazu sagen?

»Weil ich dabei vollkommen egal war«, murmelte ich irgendwann.
»Wieso solltest du egal sein? Wer behauptet denn sowas?«
Er war verwirrt und zugleich aufgekratzt. Es schien, als würde er am liebsten jemanden verprügeln.

»Ich selbst behaupte so etwas. Und es stimmt. Ich bin nicht für mich gegangen.  Genau darum war ich egal.
Mein Leben war und ist mir egal.«

Er sah mich mit großen Augen an. Er schien schockiert bis in die Knochen.
Ich hätte beinahe humorlos aufgelacht.

»Bist du ... deswegen so dünn?«
Ich rollte mit den Augen und grinste dann schmunzelnd. Er redete, als hätte er noch nie von Lebenslosigkeit und Unglücklichsein gehört.

»Frag nicht so viel, Nervensäge!« Ich grinste frech und hoffte, er würde es verstehen. Ich wollte ihm nicht antworten. Wollte nicht belanglos reden. Ich wollte, dass er mich ablenkte.
»Ich werde es schon noch herausbekommen.«
Er zwinkerte mir kokett zu. Die dicke Luft klärte sich.

»Können wir bis dahin frühstücken?«, fragte ich freundlich und erhob mich mit wackligen Knien. Es machte keinen Sinn, sich länger anzugiften.
Er hatte mir erklärt, warum er so aufgelöst war und ich würde seine Worte einfach behandeln, als hätte es sie nie gegeben.
Wir mussten uns zusammenreißen. Schließlich konnten wir gegen unsere Verbundenheit nichts tun und ich wollte mich auch nicht demonstrativ gegen sie lehnen.
Es würde schon kommen, wie es kommen sollte.

»Wenn ich dich in die Küche tragen darf.«
Er war schneller aufgestanden und neben mir, als ich Nein sagen konnte.

»Übertreib es nicht«, warnte ich mit amüsieren Augen, als er mich längst hochgehoben hatte.

»Nur, wenn du auch nicht übertreibst. Schone dich. Deal?«

»Deal!«

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