K A P I T E L ♥️ 7
•NATHANIEL•
»Wer einst von Liebe umgeben,
hat es schwer im Leben.
Loslassen ist das Ziel,
aber meist ist schon das zu viel.
Das einstige Vertrauen
wird zum Grauen.
Es ist schwer neue Liebe aufzubauen
und nach vorne zu schauen.
Welcher Mensch ist gut?
Bei wem sei man lieber auf der Hut?
Wer ist Teil des Glücks?
Wen weist man lieber zurück?
Ja ... wer einst im Leben,
von Liebe war umgeben,
der hat es schwer
und das sogar sehr.
Denn ist man einmal enttäuscht im
Herzen
kann nur Aufrichtigkeit es stoppen zu schwärzen.
Und diese ist ein Geben und Nehmen
aufgebürdet ein ganzes Leben ...
Aber wenn du weißt, dass es sich lohnt, dann bist du die Lasten irgendwann gewohnt, wirst für sie sogar belohnt.
Ist es das nicht wert?
Liebe, die dein Herz verzehrt?«
Ich machte mir Sorgen.
Sorgen um sie.
Denn alles, was sie soeben von sich gegeben hatte, war so wirr und chaotisch durch den Raum geflogen, dass ich unsicher war, ob sie in einer üblich psychischen Auffassung war.
Dass sie Scheu war und sich mir nicht so schnell annähern wollte, war eine Sache mit der ich vielleicht nicht ganz einverstanden sein wollte, aber die ich verstehen konnte. Dass sie in einer Halbenstunde allerdings aufbrausend, verwirrt, emotional und zuletzt anhänglich sein würde, ließ mich meine Augenbrauen zusammenziehen.
Entweder waren gerade diese Stimmungsschwankungen typisch für meinen Engel und Teil ihrer Persönlichkeit.
Oder sie musste von all den Strapazen mehr abbekommen haben, als ich befürchtet hatte.
»Was suchen wir hier draußen eigentlich?«, brummelte es hinter mir und ich hörte wie seine Schritte sich verdoppelten, damit er direkt neben mir laufen konnte.
»Einen Rucksack, das habe ich doch schon gesagt«, antwortete ich promt und ballte meine Hand zur Faust, um meine aufkommende Aggression nicht ans Tageslicht treten zu lassen.
Auch meine Stimmung war gefährlich geschwankt, seit ich das Haus und damit auch automatisch sie verlassen hatte.
Die Unklarheit über das, was sie momentan machte und wie es ihr gesundheitlich ging, fraß mich innerlich auf.
Die Gedanken an ihre Tränen wollte ich gar nicht erst in meinen Kopf lassen, denn dann würde ich erneut sterben und das verkraftete ich nicht an einem Tag.
Dass die Verbindung zu diesem einen Menschen unglaublich stark war, hatte ich ohne zu zweifeln geglaubt, als man mir als Kind davon erzählt hatte. Aber es wirklich zu fühlen, wie es war in ihrer Nähe zu sein, überrollte alles wovon ich immer geträumt hatte um Meilen.
Ich vermisste sie, obwohl ich erst seit einer knappen Halbenstunde von ihr getrennt war und sie nicht länger als diese paar Minuten kannte. Nicht einmal ihren Namen hatte ich mir über die Zunge gehen lassen und trotzdem war ich ihr verfallen.
Sie musste mich nur mit ihren nachtblauen Augen ansehen und ich würde vor ihr auf die Knie gehen.
Sie konnte alles mit mir machen, nur fortschicken, das konnte sie nicht von mir verlangen. Abstand.
Nein, den konnte ich nicht hinnehmen. Denn ich brauchte ihre Wärme, musste
ihr Herz an meinem schlagen hören, ihre Wange streicheln und sie in meinen Armen halten, um sie vor aller Welt zu beschützen.
Ich konnte ihre Verwirrung verstehen, spürte sie selbst, denn das alles waren vollkommen neue und überfordernde Eindrücke.
Aber spürte sie nicht auch, was ich spürte?
Diese unglaubliche Anziehungskraft?
Dieses Verlangen? Diese Sehnsucht?
Sie war mir kratzbürstig begegnet, hatte sich gegen meine Nähe gewehrt und mich damit unglaublich verletzt, aber trotz allem konnte ich nicht glauben, dass ihre distanzierte Art sie wirklich befriedigte.
Mich jedenfalls machte sie wahnsinnig, denn so süß und sexy ich ihre freche, furchtlose Art auch fand, wenn sie auf Dauer so aggressiv auf mich reagieren würde, musste ich mir ehrlich Sorgen um mich selbst machen.
Denn wie machte man einem Menschen, der einen nicht mochte, klar, dass man ohne ihn nicht leben konnte?
Ganz genau: Das war unmöglich.
»Ja, und welchen Rucksack genau sollen wir hier draußen finden? Außer dem herrlichen Schnee sehe ich weit und breit nichts!«, stöhnte es ein zweites Mal genervt neben mir und ich atmete angespannt aus.
Nicht ausrasten, Nate. Er hat ja keine Ahnung.
»Bitte, Noah, streng einfach deine Augen ein bisschen mehr an und tu, worum ich gebeten habe. Du hast sie doch gefunden, wo genau?
Sie muss einen Rucksack bei sich gehabt haben.«
Ich klang erschöpft und ausgelaugt und wahrlich, genauso fühlte ich mich.
Ich hatte tagelang nicht schlafen können, war nur durch das Zimmer gehetzt und hatte darauf gewartet, dass sie die Augen aufschlug.
Sie hatte ja keine Ahnung in was für einer Gefahr sie geschwebt hatte, sollte sie sich wirklich noch nie zuvor verwandelt haben.
In ihrer schlafenden Nähe war es mir ein Leichtes gewesen, sie vor Kälte zu schützen und gesund zu pflegen, aber wenn sie sich jetzt nicht an meine Worte halten und das Bett verlassen würde, dann konnte ich meine Mühe über Bord werfen. Es reichte der geringste Auslöser und die Hölle würde ein nächstes Mal ausbrechen und mich machte der Gedanke fertig, dass ich gerade nicht in ihrer Nähe war, um das zu verhindern.
Sie hatte wirklich überhaupt keine Ahnung.
Genauso wenig, wie ich.
»Da vorne habe ich sie gefunden.«
Noah deutete auf eine zugeschneite Linde und blieb hinter mir zurück, als ich begann loszurennen.
Seine Stimme hatte sich neutralisiert und ich war dankbar, dass er nicht weiter fragte. Ihm war bestimmt nicht entgangen, wie bedeutungsvoll das neue Mädchen für mich war und ich dankte ihm innerlich, dass er mich nicht drängte laut auszusprechen, zu was sie berufen worden war.
Meine Luna.
Ich roch auch nach einigen Tagen noch schwach ihren Duft und ließ mich, während ich im Schnee zu graben begann, davon benebeln.
Noah tat es mir ohne mit der Wimper zu zucken nach und kaum zehn Minuten später hielt er mir einen komplett durchnässten Rucksack vor die Nase, der im Schnee halb vereist war.
Dankbar nahm ich das triefende Objekt entgegen und hielt es einige Sekunden vor meine Augen.
Das musste gewesen sein, wovon sie gesprochen hatte.
Dieser Rucksack war also, was sie leben ließ.
Ihre Worte machten mich neugierig und ich war nicht abgeneigt von dem Gedanken, das, wahrlich etwas müffelnde, Objekt zu öffnen und zu durchsuchen.
Meine Vernunft allerdings hielt mich zurück und ich atmete tief durch, um meine vielen unbeantworteten Fragen in den Hintergrund zu schieben und ohne weiteres den Rückweg anzutreten.
Noah folgte mir, aber mit jedem Schritt zurück ins Dorf lastete seine unausgesprochene Frage mehr an meinem Bein.
»Nun sag schon, was du fragen willst!«, forderte ich meinen Beta auf und blieb stehen.
Er beobachtete mich kritisch, dann zog er die Luft ein und sprach.
»Sie weiß nicht, was es genau bedeutet deine Mate zu sein, oder?«
Ich schüttelte den Kopf.
Nein, das wusste sie nicht. Aber irgendwann würde ich ihr dieses Detail mit auf den Weg geben.
Nur noch nicht jetzt. Ich wollte sie erstmal ankommen lassen und sie nicht mit den nächsten Neuigkeiten überrumpeln.
Sie war schon belastet genug.
Ich musste mich zügeln, auch wenn das unglaublich schwerfiel.
»Nein, sie weiß nichts davon. Aber ich werde sie irgendwann darüber in Kenntnis setzen. Das gilt auch für die anderen Rudelmitglieder. Wenn der Sturm sich legt, werde ich über die Ankunft ihrer zukünftigen Luna informieren.
Nur Geduld«, murmelte ich und war froh, als er mir mit Verständnis entgegenkam.
»Das ist alles, was ich wissen wollte. Richte ihr bitte meine Genesungswünsche aus.«
Noah neigte seinen Kopf zur Seite und ich entließ ihn der Freiheit, als wir vor meinem Haus angekommen waren.
»Das werde ich«, sagte ich ihm leise hinterher und drehte mich dann zur Haustür, gespannt, was mich gleich erwarten würde.
Ich atmete tief durch, zügelte meine Sehnsucht und betrat dann zögerlich das Haus.
Schon im Flur wurde ich stutzig, denn ein bekannter Geruch schwirrte die Treppen hinauf und es duftete nicht ausschließlich nach meinem Engel, sondern nach noch jemand anderem.
Nach meiner Mutter.
Ich eilte die Treppen hinauf, sprintete durch den Flur im Obergeschoss und riss beinahe die Tür aus den Angeln, als ich ins Schlafzimmer stürmte.
Mein Engel ...
Oh, es zerbrach mir das Herz.
Und ich glaubte auch ihr Herz zerbrechen zu spüren, als ich den hetzenden Puls hörte.
»Nate, Gott sei dank!«
Meine Mutter erhob sich vom
Bett und trat auf mich zu.
»Ich war auf dem Weg zu dir, als ich sie schreien hörte.
Sie schläft, aber ich bekomme sie aus ihren Fieberträumen einfach nicht geweckt. Ich merke nur, dass sie immer wärmer wird und das macht mir Angst.«
Meine Mutter klang weinerlich und ich wusste, sie hatte längst Tränen vergießen müssen. Es machte sie fertig, wenn sie Menschen nicht helfen konnte und wahrlich der Anblick des Mädchens auf meinem Bett, hätte auch mich einige Tränen gekostet, wenn ich vom Schnee draußen nicht so verkühlt gewesen wäre.
Mit ernster Miene trat ich näher an meine Mutter, drückte ihr den vereisten Rucksack in die Arme und sah ihr starr in die Augen.
»Mum, ich bitte dich, bring diesen Rucksack ins Wohnzimmer und versuch ihn und seinen Inhalt irgendwie zu retten. Ich will nicht, dass ihre liebsten Dinge von dem Sturm da draußen vollkommen zerstört werden.«
Perplex nickte sie und ließ mich mit dem sich windenden Mädchen allein.
Schwitzend regte sie sich auf dem Bett hin und her, schlug ab und an sogar um sich und wimmerte in die Stille.
Es brach mir das Herz sie anzusehen und doch konnte ich nicht anders.
Ihr würde bis in alle Ewigkeit meine Aufmerksamkeit gelten.
Nichts im Leben hatte mich je so magisch angezogen, wie dieses Mädchen.
Langsam und bedacht trat ich auf sie zu und setzte mich zu ihr ans Bett.
Sie sah so zerbrechlich aus, aber ich wusste, dass diese Zerbrechlichkeit mit Feuer brannte und das ließ mich überzeugt sein, dass sie ihre Dämonen gewillt war zu bekämpfen.
»Beruhige dich, mein Engel!«
Ich kletterte zu ihr ins Bett, lehnte mich gegen das Kopfteil und zog sie auf meine Beine. Quer lag sie in meinen Armen und ich konnte ihren Kopf an meine Schulter lehnen und sie in meinen Armen einfangen, dass sie es nicht mehr schaffte sich hin und her zu winden.
Ihre Stirn war nass von ihrem Alptraum und sie zitterte, wimmerte.
Es gab für mich nichts Schlimmeres, als sie und ihr Leiden zu sehen, aber ich konnte ihren Beruhigungsprozess nicht beschleunigen.
Ich drückte sie bloß an mich, winselte voller beruhigender Worte, strich ihr durch die nassen Haare und kraulte sie am Rücken, bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Lider aufschlug und uns beide von allen Qualen erlöste.
Die Zeit schien still zu stehen, als ihre Augen sich auf meine fokussierten und sie mich wirklich ansah. Sie war wach!
Ein Stein fiel mir vom Herzen und es schien, als sei auch sie erleichtert mich zu sehen.
Sie wehrte sich jedenfalls nicht in meinen Armen zu liegen, obwohl das auch ihrer Kraftlosigkeit zuzuschreiben war.
Ich genoss es, sie in meinen Armen zu halten und ihren Kopf ohne Widerstand an meiner Schulter lehnen zu sehen, aber die Stille beunruhigte mich schließlich doch.
Was hatte sie?
Konnte sie sich erinnern?
Wovon hatte sie geträumt?
Was quälte sie? Was raubte ihr den Atem?
Ich wollte so viele Dinge von ihr wissen, wollte sie ausfragen, bis sie Löcher sah, aber ich wusste auch, dass ich dazu erst einmal ihr Vertrauen gewinnen und sie überzeugen musste, dass ich keinesfalls Böses von ihr wollte.
Sie hatte viel erlebt, viel gesehen und viel ertragen.
Sie war nicht naiv. Nein.
Sie glaubte nicht irgendwem und sie blieb auch nicht sonstwem treu. Wer etwas von ihr wollte, der musste um ihre Aufmerksamkeit und Interesse kämpfen und betteln und ich war bereit mich dazu hinabzulassen.
»Ich habe den Tee getrunken«, verriet sie der Stille leise und mit kratziger Stimme. Mich erreichten sanfte Wellen ihrer Stimme und eine Gänsehaut.
Sie hatte meine Bedingung also nicht vergessen und sie war so klug gewesen sich meiner anzunehmen.
Ich schmunzelte einige Sekunden und streichelte ihre Arme auf und ab.
Ihre Gänsehaut war reinste Genugtuung.
Dieses Mädchen ...
»Ich habe mich auch an meine Worte gehalten. Der Rucksack ist unten und trocknet.«
Sie stieß erleichtert einen riesigen Schwall Luft aus.
Alle Anspannung fiel von ihr ab und sie seufzte letztlich.
»Danke«, murmelte sie und schloss die Augen.
Ich zog eine Seite meiner Lippen in die Höhe.
»Es gibt und wird nie etwas geben wofür du dich bedanken müsstest. Ruh' dich aus, Engelchen. Du schuldest mir rein gar nichts.«
Nur dein Herz.
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