K A P I T E L ♥️ 6
•MAGNY•
»Ich wollte, die Liebe sei leicht.
Aber was im Leben war schon leicht, als dass die komplexe Liebe es sein würde?
Ich wollte, die Liebe sei schön.
Aber wie schätzte ich die Schönheit, wenn ich nie erfuhr, wie sich hässliche Liebe anfühlte?
Ich wollte, die Liebe sei kitschig und rosig.
Aber stach man sich nicht an den Dornen einer Rose? Und war kitschig nicht nur noch eine Form des Heuchelns?
Ich wollte, die Liebe würde glücklich machen.
Aufrichtige Liebe konnte glücklich machen, aber erst, wenn erfahren war, was überhaupt das Glück ist.
Ich wollte, die Liebe sei für immer.
Ist sie es nicht?«
Mein Kopf dröhnte und ich glaubte Sterne über meinem Gesicht schweben zu sehen, wie in jedem Comic einmal dargestellt.
Die Augen zu öffnen fiel mir schwer und ein unbändiges Schwergewicht drückte mich in die Tiefe. Aber der Schmerz war gehemmt und ich zuckte auch nicht mehr, weil mich ein Krampf überfiel.
Als wäre ich betäubt, lag ich auf der Weichheit einer Matratze und genoss den unglaublich anziehenden Duft, der in dem Zimmer lag, in das man mich transportiert hatte.
In meinen Kopf stahl sich ein winzige Regung, dass ich wusste wo und bei wem ich mich befand. Meine innere Stimme klang allerdings so leise, dass ich sie nicht hören konnte. Es war zu viel.
Aber mir ging es besser.
Anstelle der Eiseskälte des Winters, lag ich eingepackt in einen Berg aus Decken und war umhüllt mit Wärme, die von mehr als dem Bett kommen musste.
Ich blinzelte. Meine Lider waren wie zugeklebt, aber ich schaffte es nach einigen Anläufen sie zu heben und meine verschwommenen Augen an das Tageslicht zu gewöhnen, das durch die vielen kleinen quadratischen Fensterscheiben zu meiner Rechten fiel.
Weiße, transparente Gardinen umgaben den Fensterrahmen und schwebten in der sachten Luft des Zimmers gegen die türkisfarbene Wand, die dem Raum eine angenehme Wärme vermittelte.
Gegenüber vom Bett stand eine weiße Kommode, die mit ihrer leicht abgeblätterten Farbe nur daran erinnerte, dass sie bessere Tage hinter sich hatte. Sie war trotzdem wunderschön und ich glaubte selbst aus dieser Entfernung zu sehen, dass die Beine des quadratischen Schränkchens mit Schnitzereien übersät waren, die nur darauf schließen ließen, dass sie in einem anderen Jahrhundert gebaut worden war.
Auf der Kommode stand ein Strauß bunter Blumen, die sich der Sonne verneigten und himmlisch dufteten.
Zur linken Seite des Zimmers befand sich die Tür zur Freiheit und ein Schreibtisch, der übersät war mit Papieren und Büchern, die wild auf ihm verteilt waren und mir auf eine unerklärliche Art und Weise ein Lächeln auf die Lippen zauberten.
Ich seufzte und starrte zuletzt an mir selbst hinunter.
Mein Körper war bis zum Kinn mit einer dicken Decke bedeckt, deren Wärme mich langsam so erstickte, dass ich meine Finger und ein Bein aus ihren Fängen befreite.
Vorsichtig versuchte ich meine Glieder zu bewegen, mich aufzusetzen und entgegen meiner Erwartung, schaffte ich das sogar.
Die Kraft und Kontrolle über meinen Körper war zurück und mit ihr auch mein Gefühl wieder einigermaßen gesund zu sein.
Nun blieb mir nur noch die Frage, wo ich gelandet war, denn meine Erinnerung war verschwommen und instabil.
Düster hallte ein Feuer in meinem Kopf, dann zwei schwarze Wölfe und zuletzt ein Strich Himmelblau, der mir die Sicht auf die Sterne verwehrte.
Mein Kopf brummte, doch mir wollte sich nicht alles erklären.
Dunkel fiel mir irgendwann ein, dass meine Brüder nicht mehr mit mir waren und als ich daran dachte, kringelte ich mich zusammen und weinte leise Tränen, die sie mir auch nicht zurückbrachten.
Irgendwann hörte ich Schritte und ich verwischte eilig die salzigen Tropfen, um die Person hinter der Tür nicht zu verstören.
Außerdem war mir klar, dass mit meinen Tränen auch ein Haufen Fragen kam und die konnte und wollte ich niemandem beantworten.
Die Tür knarzte angenehm, als jemand sie versuchte zu öffnen und mir stockte der Atem, als ich sah wer das Zimmer betrat und eine Tasse Tee auf einem Nachtschränkchen neben mir abstellte.
Er lächelte warm und herzlich, als er sah, dass ich wach geworden und endlich fähig war, ihn länger als eine Sekunde anzusehen.
Das Blau seiner Augen ließ die vergessene Erinnerung wieder fließen und mein Kopf spielte den letzten Tag ab, den ich gelebt hatte, bevor ich ohnmächtig geworden war.
Aus der Nähe war er noch schöner, als damals, als ich von ihm geträumt hatte.
Dunkle Haare, helle Augen.
Aschfahle Haut, die sich streng um seine muskulöse Statur warb.
Ein durch und durch attraktiver Mann, der eine ungeheure Sehnsucht in mir auslöste.
Ich wollte ihm nahe sein, wollte, dass er meine Hand hielt, mich umarmte, mich niemals losließ.
Und zugleich wollte ich, dass er Abstand hielt.
Kilometerweiten Abstand, den ich wusste niemals ertragen zu können.
Ich war verdammt.
Das waren wir alle.
»Wie fühlst du dich?«
Seine Stimme war eine Melodie. Klare, tiefe Worte.
Gänsehaut. Faszination. Mehr.
»Bestens«, platzte es prompt aus meinem Mund und ich erhob mich ruckartig, schwang die Beine von der Matratze und stieg aus dem Bett, um direkt zu Boden zu gehen.
Ehe mein Verstand sich sammeln und wieder eigenständig aufstehen konnte, schlangen sich zwei starke Arme um meine Taille, hoben mich vorsichtig hoch und trugen mich zurück.
»Verstehe«, raunte er an mein Ohr und ließ sich mit mir auf das Bett sinken.
Mein Körper bettete sich in seinem Schoß und war bald darauf wieder von der Decke behüllt.
»Bestens also«, flüsterte er leise weiter und küsste mich direkt unter meinem Ohr.
Ich hielt die Luft an.
All meine Sinne wollten mehr, sie schrieen nach ihm, vermissten ihn, als sei er viel zu lange fort gewesen.
Es war schrecklich sich gegen seine Berührungen wehren zu müssen, aber ich wusste, ich tat das Richtige.
Denn was brachte mir mein verräterisches Herz, wenn ich nicht weitergehen und meine Brüder suchen würde?
Ich durfte nicht aufgeben!
Und ich würde nicht aufgeben.
»Ja, bestens!«, giftete ich ein wenig zu laut und versuchte mich seinem selbstgefälligen – verdammt heißen – Grinsen zu entziehen.
Eingebildeter Hasenfuß!
»Könntest du mich jetzt loslassen?«, fragte ich dunkel weiter, als ich es nicht schaffte, seine weichen Hände von mir zu lösen und mich so seiner Umarmung entziehen.
Wieder spürte ich seinen Kopf näher kommen. Mein zweites Ohr erlangte seine Aufmerksamkeit und ehe ich mich versah küsste er mich ein zweites Mal.
»Ich denke nicht einmal daran, Engelchen.«
Ich stöhnte frustriert auf.
Das konnte nicht wahr sein!
Aber gegen seinen Griff konnte ich nichts machen. Er war mit seiner Wolfskraft einfach zu stark.
Ich wusste, dass Aufgeben die einfachste Lösung in dieser Situation war, denn vierzehn Jahre Armdrücken mit meinen Brüdern hatten mich in Sachen Körperkraft gelehrt.
Blieb nichts, als ein Trick, Ablenkung oder das Warten.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und spannte trotzig meinen Oberkörper an, um mich nicht an seinen lehnen zu müssen.
Ich wollte mich dem Komfort zu gerne hingeben, aber seiner Arroganz wollte ich nicht entgegen kommen. Diesen Erfolg gönnte ich ihm nicht.
»Warum stehst du so auf Kriegsfuß mit mir, Engel? Was habe ich dir getan?«
Nun wollte er schmollen?
Nein, ich konnte sein Lachen spüren. Er machte sich lustig.
»Du bist einfach aufgetaucht und jetzt klebst du wie Butter an mir!«, fluchte ich und versuchte einen neuen Versuch mich zu erheben. Er quittierte das mit einem dunklen Knurren aus seiner Kehle und einem Handgriff, der mich zurück und direkt an seine Brust drückte.
Jetzt lag kein Blatt mehr zwischen einem Berg attraktiver Bauchmuskeln und meinem kläglichen Ich.
Und so tief innerlich ich darauf auch hinausgewollt hatte, mein Kopf sträubte sich trotzig.
Ich konnte doch nicht ewig hier bleiben!
Jede Minute konnte sie das Leben kosten und Seelenverwandtschaft hin oder her, es gab Dinge, die momentan viel wichtiger waren, als das eigenartige Verlangen unserer Körper.
Ich musste weg von hier!
»Erstens, kleben wir wie Butter aneinander und zweitens bist du einfach aufgetaucht. Das hier ist nämlich mein Revier, Kätzchen, und so froh ich auch bin, dass du es gefunden hast, der Fehler liegt bei dir.«
Seine Geduld schien mit meiner Zickerei überreizt und so sehr das auch meinem Charakter entgegensetzte, ich war zu stolz, um mich jetzt zu ändern.
»Der Fehler liegt bei deinen Armen!«, motzte ich und versuchte sie gewaltsam von mir zu lösen. Ignorierte man meinen geschwächten Körper, war vor allem auch meine Taktik miserabel, denn mit Wut konnte man ihn anscheinend nicht zur Wunschfee werden lassen.
»Was hast du bitte für ein Problem? Du bist vor knapp drei Tagen beinahe abgekratzt, weil du wie eine Irre im Schnee geschlafen hast und jetzt regst du dich über die Fürsorge auf, die meine Pflicht ist, damit du nicht noch immer im Krankenhaus schlafen musst!
Du solltest dankbar sein!«
Ich schnaufte.
Von seinen Worten verstand ich nur die Hälfte.
Nervig, dieses ständige ABC.
»Na, schön. Danke!«
Meine Stimme triefte der Ironie.
Als sei das Leben schön. Als sei es mir wert!
Er musste mich doch nur ansehen und sollte wissen, dass es mir egal gewesen wäre, wenn ich vor drei Tagen abgekratzt wäre.
Ohne meine Familie wollte ich nicht leben ...
Die Gedanken an ihre Gesichter und Milliarden von Momenten, die mich prägten, schossen mir abermals die Tränen in die Augen und ich griff tröstend an meinen Hals an dem sich die Kette befinden musste.
Aber an meinem Hals prangte nichts mehr, kein Schmuck, keine Wertsachen.
»Keine Sorge. Ich habe sie in einer Schmuckkiste verwahrt und mit nach Hause genommen. Sie liegt unten.«
Er schien meine Suche bemerkt zu haben und durch die sekundenkurze Stille besänftigt.
Seine Stimme jedenfalls legte sich im Ton und auch meine zickige Art stolperte eine Stufe zurück.
Dass er daran gedacht hatte, war wirklich ein großer Verdient gewesen, denn diese Kette bedeutete mir so einiges.
Genauso viel wie ...
»Der Rucksack.«
Der Rucksack!
Mein kleines Hab und Gut mit den kostbarsten Schätzen, die ich von Zuhause noch hatte mitnehmen können!
»Nein, nein, nein, nein ...«, lief es panisch über meine Lippen und ich spürte die Tränen brennen, weil ich ihn nirgendwo entdecken konnte.
»Welcher Rucksack?«, fragte es hinter mir und ich verfiel endgültig.
»Der Rucksack, der ... also ... als ich noch draußen war hatte ich ihn«, stammelte ich und stieß weitere wirre Worte aus, die irgendwann in meinen Tränen ertranken.
»Hey, hey ...«
Finger strichen über meinen Körper hinauf zu meinem Kinn und hoben mir den Kopf, damit ich ihm direkt ins Gesicht sehen musste.
Ich hatte mich zurückgelehnt, geplagt von der Erschöpfung an ihn geschmiegt, und meine Gegenwehr eingestellt.
Sanft wischte er mir die Tränchen weg, lächelte liebevoll zu mir herab und ließ uns einen Moment in dem wir uns nur ansahen.
Ich versank in seinen hellen Augen, konnte den Kontrast zu den meinen dunklen nur fasziniert beobachten und mein Herz höher schlagen lassen.
Dieser Mann ...
»So lange habe ich auf dich gewartet«, murmelte er in Trance und streichelte mit seinem Daumen über meine Wange, obwohl meine Tränen längst wieder versiegt waren.
Ich schloss die Augen, gönnte mir zwei Sekunden, in denen ich mich von seiner Aufmerksamkeit lieben ließ, ehe er mich wieder loszulassen hatte.
»Rede mit mir, Engelchen. Von welchem Rucksack sprichst du?«
Ich atmete zittrig ein.
»Von einem violetten Rucksack spreche ich. Zerfallen, alt. Aber ... aber all meine Dinge sind darin. Dinge, die ich brauche.
Dinge, die ich liebe.
Dinge, die ... die mich am Leben halten«, wisperte ich und ließ mich fallen, als er mich enger in seine Umarmung zog.
Mein Kopf verschwand angeschmiegt hinter seinen starken Armen und ich fühlte mich wohl behütet und abgeschottet von einer Mauer, die niemals einbrechen würde.
Nach wochenlangem Irren tat mir seine Wärme und Fürsorge unheimlich gut. Und es war egal, dass wir uns gar nicht wirklich kannten, dass wir nicht einmal die Namen voneinander wussten. Es war alles egal.
Denn auch ohne sich zu kennen, konnte man einander mögen und wertschätzen und genau das taten wir.
»Wenn das so ein Rucksack ist, dann werden wir ihn wohl finden müssen. Und glaub mir, Engelchen, das werden wir.«
Er schob mich sanft von sich. Erhob sich vom Bett, ließ mich darauf zurück und ich wollte schon schmollen, als er sich doch noch einmal zurückbeugte und sich neben das Bett auf Augenhöhe zu mir kniete.
»Ich werde deinen Rucksack holen, aber du wirst hier liegenbleiben und brav deinen Tee trinken. Wenn ich zurück bin, ist die Tasse lieber ausgetrunken, ansonsten«, er grinste mit einem Mal auf und beugte sich vor, »muss ich wohl wieder wie Butter an dir kleben und dich zwingen.«
Meine Lippen rutschten verräterisch nach oben und ich konnte gar nichts erwidern, da lagen seine weichen Lippen schon auf meiner Wange und liebten sie für wenige Sekunden.
»Bis nachher, Engelchen.«
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