K A P I T E L ♥️ 4
•MAGNY•
»Jahre bist du ein Kind.
Jahre bist du ein Teenager.
Jahre bist du ein Erwachsener.
Jahre bist du ein Mensch.
Jahre existierst bloß du.
Und dann kommt eines Tages der Moment, indem du die Augen öffnest und jemanden siehst, der alles, was Jahre war, von Grund auf verändert.
Und plötzlich existiert nur noch ihr.«
Meine Hoffnung sollte in Millionen Teilchen zerfallen.
Meine Hoffnung sollte zerbrechen.
Zerspringen, wie eine gläserne Vase.
Es war so einfach.
Ich lief wie eine Irre durch die Wälder.
Graste jeden Ort ab, der mir einfiel, wo sie sein könnten.
Ich versuchte meine schwachen Wolfsinstinkte zu wecken und irgendwie ihre Fährte aufzunehmen und zu Anfang glaubte ich auch, sie damit gewittert zu haben, aber das war ein großer Irrtum.
Ich hatte mich bloß verlaufen.
Und nun lag ich zusammengekauert, nach zwei Wochen pausenlosen Rennens, irgendwo im Nirgendwo und konnte mich nicht erinnern, mich jemals so kaputt gefühlt zu haben.
Mein Herz raste, obwohl ich schon seit einer halben Stunde reglos im vereisten Gras lag.
Auf meiner Stirn perlte ein Wasserfall von Schweißfilm und triefte meine Kleidung.
Ich zitterte heftig, konnte nicht wahrnehmen, ob mir kalt oder warm war.
Die Welt umher drehte sich wie ein Karussell und meine Sinne spielten verrückt.
Sehen konnte ich schon lange nicht mehr.
Es war als hätte ich die Beherrschung über meinen Körper verloren.
Schmerzhafte Krämpfe stahlen sich im Minutentakt durch meine tauben Glieder, ließen mich wimmern und weinen und im Schnee winden.
Ich wollte nicht mehr allein sein.
Als ein erneuter, jedoch viel stärkerer Schmerz meinen Körper durchfuhr, konnte ich nicht mehr an mich halten.
Ein schriller Schrei entwich meiner Kehle und ich musste erschrocken nach Luft ringen, weil sie mir einen Moment wegblieb.
Qualvoll schloss ich die Augen und zuckte Sekunden später furchtbar zusammen, als ich ein tiefes Knurren neben mir wahrnahm.
Mit erschrockenen Augen, zog ich mich von dem Wolfskopf zurück, der sich dicht über mich beugte und wütend niederstarrte.
Ich konnte ihn riechen, merkte, dass er nicht zu meinem Rudel gehörte und das ließ mich erschrocken feststellen, das ich in ein fremdes Territorium eingedrungen war.
Wimmernd vor Schmerzen versuchte ich nach meinem Rucksack zu greifen, aber plötzlicher Schwindel und neuaufkommende Schmerzen, ließen mir nur die Möglichkeit mich ängstlich zitternd zusammenzurollen.
Wieder knurrte es neben mir, aber dieses Mal konnte ich meine Augen nur öffnen, um dann nichts als Schlieren zu sehen.
Es war eine Gruppe von Wölfen.
Und sie werden mich umbringen, dachte ich und zog instinktiv den Kopf ein.
Es blieb einige Sekunden still. Ich traute mich nicht zu atmen oder mich weiter zu bewegen.
Ich krümmte mich nur unkontrolliert unter meinen Schmerzen und hoffte, jemand würde mich von ihnen erlösen.
Es war als würden sie auf etwas warten. Auf ein Zeichen, auf eine Regung. Sekunden blieben sie an Ort und Stelle, schienen mich bloß bei meinen Qualen zu beobachten und hätte ich sie nicht gespürt, hätte ich geglaubt, sie wären einfach gegangen.
Es vergingen Minuten, dann löste sich der größte Wolf aus dem Bündel und lief grummelnd auf mich zu.
Sein einstiges Knurren war einer milden Verachtung gewichen, aber ich konnte nicht darüber nachdenken, warum er so abgeneigt war.
Mein Kopf hing nämlich nur den Krämpfen und Schmerzen an meinem Körper nach, die mich stöhnen und weinen ließen.
Für eine kurze Sekunde wünschte ich, er würde es schnell beenden, aber leider erlöste mich der Wolf nicht, auch, wenn er schien, als wollte er nichts lieber tun.
Seine nächste Handlung, die in meinen Pullover biss und mich daran wie ein junges Kätzchen in die Luft hob, kam Mord allerdings sehr nahe, denn ich glaubte man würde mich innerlich in Stücke zerreißen.
Wild zuckte ich zusammen, wand mich hin und her und konnte nicht hindern, weiter laut zu schluchzen, als er mich anknurrte still zu sein.
Die Gruppe von Wölfen setzte sich in Bewegung.
Mich trug man an letzter Stelle hinter allen anderen her. Ich spürte nicht, wie schnell wir liefen oder wie die Umwelt sich änderte.
Meine Augen hingen träge hinab, nahmen gar nichts um sich wahr und nur mein schrecklich schmerzender Körper ließ mich wissen, dass ich lebte.
Leider.
Wir liefen nicht lange.
So zumindest ließ mich mein Unterbewusstsein glauben.
Um ehrlich zu sein, hätten wir Tage rennen können und ich hätte es nicht mitbekommen.
Irgendwann schwebte ich wie eine Schaukel ohne jeden Antrieb im Wind und keine nächste Regung stupste mich an, um weiter hin und her zu pendeln.
Meine Knie hatte ich an meinen Oberkörper gezogen und so hing ich, wie ein Welpenbaby im Maul seiner Mutter, zusammengekauert in der Luft.
Um mich herum töste aufkommendes Geraune und Flüstern.
Ich war mir auch mit geschlossenen Augen sicher, dass sie mich in die Mitte eines Dorfes transportiert hatten und mich vor den Augen aller zerfleischen wollten.
Ich war ein Eindringling und noch dazu Werwolf eines anderen Rudels. Ich war durch und durch der Feind und das würde ich bezahlen.
Mit meinem Leben.
Das Raunen verstummte als Schritte zu hören waren, die über den Platz auf uns zueilten.
Ich glaubte zu wissen, dass die Menge eine Lücke bildete, um den Dazustoßenden direkt auf mich loszulassen.
Anstatt aber länger auf mich selbst oder die Sekunden zu warten, die es noch dauern würde, bis man mich tötete, konzentrierten sich meine Sinne nur noch auf den regelmäßigen Herzschlag eines jemanden, der um mich war.
Plötzlich war alles andere verschwunden.
Die Tränen, die Sehnsucht, die Trauer, die Schmerzen.
Die volle Anziehungskraft meines Körpers lag auf einem der Wesen, das sich um mich in die Wolfsgruppe eingereiht hatte.
Dieses Wesen war etwas ganz Besonderes.
Mein Unterbewusstsein tauchte aus seiner Blase.
Adrenalin spülte sich in mein Blut und ich wollte mit aller letzter Kraft meine Augen öffnen und sehen, was ich nur aus sicherer Entfernung spürte.
Das war unmöglich.
Es knurrte plötzlich gefährlich.
Eine Gänsehaut rannte über meinen Rücken und der mich haltende Wolf zog sich verschreckt vor mir zurück.
Er ließ mich los, winselte sogar, als ich auf dem Boden aufschlug und damit wieder in schrilles Schreien ausbrach.
Das Herz setzte aus.
Dann schlug es um mich herum doppelt so schnell weiter und pumpte Bewegung in den Körper, der augenblicklich auf zu mich zuhetzte und mich Sekunden später sanft in seinen Schoß hob und wärmte.
Ich wollte ängstlich sein, aber dafür blieb keine Zeit und keine Lust.
Denn alles, was ich verlangte, war Erlösung, die ich bekommen sollte, als seine Hand über mein Gesicht strich und langsam über meine Haut streichelte.
Es schien, als würde er sich darin verlieren.
Dabei musste ich bei all dem Schweiß ziemlich klebrig und ekelig sein.
Völlig egal. Denn alles in mir war froh, dass er eben nicht abgeneigt war, dass er mich berührte, beobachtete und beschützte.
Denn das war, was er machte.
Zwei forsche Worte und das Getuschel löste sich in Luft auf und nur das Herz blieb bei mir zurück.
»Kannst du deine Augen öffnen, mein Engel?«
Oh, von Können mochte keine Rede sein.
Ich war verdammt ihn anzusehen. Zu seinem und meinem Wollen.
Ich bündelte meine Kraft.
»Bitte, Engel, öffne deine Augen!«
Ich wollte, ich könnte.
»Sieh mich an ...«, flüsterte er und lehnte sorgenvoll raunend seine Stirn an meine. Ich glaubte in seiner Verzweiflung und Fürsorge zu ersticken.
Ich wollte ihn erlösen. Wollte nicht, dass er sich Sorgen machte und riss dann für eine einzige Sekunde die Augen auf.
Blau traf auf Blau.
Und damit versiegelte das Schicksal endgültig.
Alle Welt blieb stehen.
Mein Herz sprang an seine Seite über.
Die Sinne benebelt.
Der Körper unter Hochspannung.
Meine Glieder seiner vollkommenen Gestalt verfallen.
»Halte durch, mein Engel.«
Er vermittelte wilde Entschlossenheit, als ich meine Augen längst wieder geschlossen hatte und auf dem Weg in die Dunkelheit war.
Schmerzen, Schmerzen, Schmerzen.
Warme Hände, die sanft unter meine Knie fassten und meinen Körper wie eine Feder vom Boden erhoben.
Mir war, als wäre den Schmerzen damit eine Salbe gegeben. Sie zogen sich, wenn auch nur in Maßen, zurück.
Alles was übrig blieb, war ein zweiter Schwur, den ich hoffte, nicht auch noch brechen sehen zu müssen.
Er würde mich wortwörtlich umbringen.
»Es wird alles gut. Das schwöre ich dir.«
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