K A P I T E L ♥️ 25


•MAGNY•

»Das Leben ist wie eine Schneekugel.
Manchmal schüttelt es dich.«

»Ist alles in Ordnung?«

Ein Nicken. Mir war nicht nach Worten.

»Habe ich etwas falsch gemacht?«

Ein Kopfschütteln. Mir war nicht nach Worten.

»Was ist los?«

Nichts. Aber mir war nicht nach Worten.

Er seufzte genervt auf und sah dann auf meinen nicht-angerührten Frühstücksteller.
Ein Pancake lächelte mich darauf an. Aber immer wenn ich nach der Gabel griff, formte sich sein Gesicht in das meines Bruders und der Sirup war nicht länger Sirup, sondern Blut.

Sein Blut. Ihr Blut.

Einen Moment lang herrschte Stille.
Dann erhob sich Nate, schob mit seinem Arm plötzlich alles Geschirr vom Tisch und ließ es achtlos am Boden zerspringen.

Gläser, Teller, Tassen. Alles verwandelte sich in nur einer Sekunde zu einem Scherbenhaufen.
Orangensaft, Pancakes und Obst. Alles lag vergossen, verschmiert und weggeworfen auf dem Boden.

Ich zuckte vor Schreck zusammen.
In derselben Sekunde umrundete Nate den Tisch und hob mich in einer sanften Bewegung vom Stuhl auf die Tischplatte.

Ich war nicht fähig zu realisieren, da stand er auch schon zwischen meinen Beinen und musterte mich eingehend.
Unsere Gesichter schwebten nahe beieinander. Ich reckte meinen Kopf in die Höhe, während Nate sein Gesicht senken musste, um unseren Blickkontakt zu halten.
Ausdruckslos sah er immer wieder von meinem linken zu meinem rechten Auge.
Ich war unfähig für alles.

Mein Atem stockte ein wenig.
Mein Herz schwoll sekündlich an.
Die Berührung seiner Hände an meiner Taille brannten angenehm.
Ich glaubte, ihn das erste Mal richtig zu sehen.

Seine grenzenlose Schönheit.
Die Wellen seiner Muskeln, die sich unter seiner Kleidung abzeichneten.
Die weiche Gesichtshaut, die sich über seine Wangenknochen wölbte, sich bis zu seinen rosanen Lippen formte und seine blitzenden blauen Augen wie riesige Diamanten umkreiste.
Ich sah das Muttermal am Ende seiner Wasserlinie. Die schwarzen, langgeschwungenen Wimpern, die es beinahe unscheinbar machten.
Seine Haare glänzten im Morgenlicht wie Karamell.

Ich war fasziniert von diesem Mann. Er verzauberte mich und stellte Dinge mit mir an, die niemand zuvor mit mir angestellt hatte oder überhaupt dazu fähig war.
Dieser Mann spiegelte meine Seele. Er war ein Teil von ihr und ich war verdammt froh darum.

Nate machte meine Tage besser. Er machte sie erträglich. Und auch wenn ich nie geglaubt hatte, dass jemals jemand mein Herz erobern konnte, wie meine Brüder, hatte er es im Handumdrehen geschafft.

Ich war ihm verfallen.
Verfallen an seinen Gang, an sein Lächeln, an seine Stimme, an seine Fürsorglichkeit, an seine Blicke, an seine Berührungen.

Ich spürte unsere Mate-Verbindung auf einer noch relativ schwachen Basis. Ich wusste, sobald ich mich in einen Wolf verwandelt hatte, würde das Chaos zwischen uns beiden losbrechen.
Werwölfe einer Seele teilten einander gar nicht gerne. Ein falscher Geruch ließ sie toben und sie waren schrecklich eifersüchtig.
Aber selbst wenn es diese ganze Seelenverwandtschaft nicht gäbe, war ich mir sicher, dass ich Nate immer hätte vertrauen können.

Er hatte ein reines Herz.
Eine blanke Seele und handelte mit Vorsicht, Vorsorge und aus Liebe.

Einen Mann wie ihn hatte ich gar nicht verdient. Aber ich war zu eigensinnig, um ihn herzugeben. So lange ich ihn haben konnte, gehörte er zu mir. Womöglich ein Leben lang.

Aus Liebe würde ich alles für ihn tun.
Bedachte ich es richtig, rückte er nahe an die Stellen meiner Familie. Niemals im Vergessen daran, dass Blut dicker als Wasser war, hatte ich mich in letzter Zeit oft gefragt, ob dieser Spruch bei dem Puzzlestück meiner Seele eine Ausnahme machte.

Ich hatte mir letztlich mit Ja geantwortet.
Das lag auch daran, dass ich Nate aus tiefstem Herzen lieb hatte.
Ich konnte hierbei vielleicht noch nicht von aufrichtiger, ganzer Liebe sprechen. Aber Nate bedeutete mir allemal etwas und ich hatte mir geschworen, wenn ich diese Sache überlebte, dann würde ich diesen Mann glücklich machen mit allem, was er verdiente.
Wenn er mich dann nicht mehr wollte, war das seine Entscheidung. Aber wenn wir nach all den Strapazen ein gemeinsames Leben füreinander finden konnten, dann würde ich ihm dieses Leben zum Schönsten machen.
Er hatte es sich verdient.

Als Nate leise knurrte, erwachte ich aus meiner Starre. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich ihn an.
»Hast du gerade deine Mate angeknurrt?«
Sein Blick überzog ein Schatten, dann fasste er sich wieder.
»Ja. Ich mag es nämlich nicht, wenn man bloß durch mich hindurchsieht.«

Nate lächelte leicht und legte sein Gesicht dann an meines.
Seine Wange berührte meine und schmiegte sich daran.
Die Innigkeit dieser simplen Berührung und unserer so nahen Herzen, raubte mir beinahe allen Verstand. 

Es tat unendlich gut ihm so nahe zu sein.
Ich wollte viel mehr davon und mich gleichzeitig zufrieden geben mit dem, was ich hatte.

»Entschuldige!«, murmelte ich abgelenkt. Mein Atem lief unkontrolliert und die Nähe brachte meine Stimmbänder durcheinander. Mir war unglaublich warm.
»Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen, Engelchen. Ich liebe es, wenn du deinen Kopf förmlich in Gedanken ertränkst. Dieser Teil gehört zu dir. Und ich liebe das große Ganze.«
Seine Lippen berührten meine wann immer ein Wort aus seinem Munde floss. Ich war töricht abgelenkt und von der Sehnsucht nach seinen Lippen nahezu zerrissen.
Trotzdem versuchte ich Haltung zu bewahren. Eine gewisse Ehre musste ich halten. Auch wenn es schwer war.

»Ich werde mich trotzdem immer wieder bei dir entschuldigen.«

Ich biss mir auf die Unterlippe. Seine Augen wanderten augenblicklich dorthin und verdunkelten sich.
Ich liebte diesen schleiernden Blick. Nur bei mir verlor er derartig die Fassung und fiel so in Leidenschaft.

»Lass das, Engel!«

Seine Stimme war nun auch rauer und heiser geworden. Er hatte Mühe sich gegen meine Lippen zu entscheiden. Ich sah ihn ringen. Dann befeuchtete ich meine Lippen und legte mich in Unschuld.

»Was denn?«

Ein undefinierbarer Laut drang aus seiner Kehle und fast zeitgleich verloren wir die Selbstbeherrschung.
Wild und verlangend fielen unsere Münder aufeinander.
Und plötzlich war die gewohnte Wärme überall und durchströmte meinen prickelnden Körper.

Ich fühlte mich gut, gewollt und geliebt, wertgeschätzt.
Auch das Gefühl begehrenswert zu sein machte mich wahnsinnig sicher in meiner Erwiderung.

Nates Lippen schmeckten süßlich. Ihr Geschmack verging mir nicht, selbst, als er seine Kussspur von meinem Mund über meine Wange bis über meinen Hals führte.
Alles fiel unter seine Sänfte und Liebe.
Alles beugte sich dem freudig entgegen und alles wollte noch mehr in mir.

Das hier war fantastisch.

x x x

»Willst du mir jetzt endlich erzählen, was mit dir los ist?
Seit gestern Nacht verhältst du dich komisch.«

Natürlich war es ihm aufgefallen. Aufgefallen, dass ich wie taub war. Benommen.
Seit ich in mich gegangen war und es tatsächlich geschafft hatte, meine Brüder zu besuchen, war ich verwirrt und ziemlich zerdrückt.
Die gesehenen Bilder fühlten sich wie Messerstiche an.
Jeder Striemen an Ashers Haut war auch mir auf die Haut gerissen und jeder kleine Tropfen Blut, den Hail verloren hatte, war irgendwie auch aus mir geflossen.

Ich fühlte mich ausgeleert, zertrümmert und aller Luft beraubt.
An jeder Ecke lauerte der grausame Alptraum der Realität auf mich und ich hatte beschissene Angst, dass in jeder Sekunde, die noch nicht da war, etwas viel Schlimmeres geschah.

Was wenn ich alles falsch einschätzte und sie schon heute bis an ihre Grenzen gequält wurden?
Was wenn irgendwas schiefging? Wenn ich versagte? Oder wenn es längst zu spät war?

Mein Gewissen plagte mich bis ans Ende dieser Welt und wollte mich einfach nicht mehr loslassen.
Nate konnte nichts für meine Laune. Er hatte nach wie vor keine Ahnung und trug dies wie immer mit ziemlich hoher Fassung.

»Es ist nichts, Nate. Es ist wirklich nichts.«

Doch. Da ist etwas. Und es ist riesig.

Es belastete mich.
Es machte mich fertig.
Und es sollte endlich gut und vorbei sein.

»Okay. Ich verstehe schon.«
Er wandte sich verletzt ab.
Sein Blick wich von meinem Gesicht und auch seine Wärme verließ mich augenblicklich.
Die gute Stimmung zwischen uns hatte ich wohl zerstört.

»Aber, Engelchen, falls du wirklich Probleme hast, weil dich jemand erpresst oder bedroht und du deswegen nichts sagen kannst. Lass dir gesagt sein, dass ich jeden finde, der dir auch nur ein einziges Haar gekrümmt hat.
Ich mache ihn hochgradig zur Schnecke, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.«

Ich konnte darauf nichts sagen. Mich erfüllte nur ein tiefes Gefühl von Sicherheit.
Denn ich wusste, dass Nate keine Leere in die Leere sprach. Er hatte es genauso gemeint, wie er es gesagt hatte.

Für mich und mein Blut würde er alles und jeden bekämpfen, bis dieser für meine Schmerzen und meine Angst bezahlt hatte.

»Ich werde nicht ungestraft zulassen, dass dir jemand wehtut. Jeder Blutstropfen ist viel zu kostbar.
Jede Narbe eine zu viel.
Jede Träne pures Gold.
Ich bin dein Mate, Magny, und zugleich bin ich ein Alpha. Du bist unsere Luna und dir wird niemals etwas geschehen, was ich nicht verhindern kann. Du bist mein Herz, meine große Liebe, mein Mädchen, meine Frau und meine Mate.
Ich spüre deinen größten Schmerz, ich höre dein lautes Herz, ich bin süchtig nach deinen Küssen, ich liebe alles an dir und ich hasse jeden, der dich auch nur für eine Sekunde ansieht.
Du bist das wertvollste in meinem Leben. Egal, ob du mich verletzt, mich belügst oder mich von dir stößt.
Du bist und du wirst immer kostbarer sein, als jede Art des Schmerzes.
Wenn du neben mir bist, machst du mein Leben zu deinem wertlos.
Ich würde alles für dich tun.
Jeden Wunsch, jeden Mord, jeden Krieg würde ich für dich erfüllen und tragen.
Du kannst alles mit mir anstellen. Ich werde dich nicht verurteilen.
Ich hoffe, das weißt du.«

Sprachlos nickte ich und antwortete ihm damit mit einem Ja. Ich hatte verstanden. Er fuhr darauf fort.

»Dann hoffe ich, dass du auch weißt, dass ich das alles nur tun kann, wenn ich auch lebe.
Ich lebe nur, wenn du bei mir bist.«

Damit wandte er sich endgültig von mir ab.
Sein Rücken kehrte mein Blickfeld und so wartete er einige Sekunden.
Vermutlich ließ er mir die Zeit um endlich zu beichten.
Aber das würde nicht passieren.
Ich würde ihm nichts erzählen.
Ich würde alleine Kämpfen.

Ich war eine Frau, die ihre Probleme selbst regelte und dafür keinen Bodyguard brauchte.
Mein Leben lang war ich wie auf einem Kissen getragen worden und damit musste jetzt Schluss sein.
Ich brauchte diesen Kampf für mich selbst.
Ich musste mir selbst sagen, dass ich Dinge auch alleine regeln konnte und nicht das kleine, zarte Prinzesschen war, dass man aus mir gemacht hatte.

Außerdem sprach Nate immer zu von meiner Sicherheit, für die er selbst sein eigenes Leben aufgeben würde.
Er vergaß dabei, dass ich mich umgekehrt in derselben Situation sah.
Für ihn würde ich mich ein Leben lang ins Messer werfen und daran zergehen.

Die Reise, die ich angetreten war, war gefährlich und egal welche Bestie mir auch immer begegnen würde, ich wollte nicht, dass Nate ihr auch über den Weg lief.
Wenn er nicht sicher war, konnte ich nicht schlafen und erstrecht konnte ich mich nicht konzentrieren, weil ich ständig Angst um ihn haben würde.

So wie es war, war es am besten.
Hier tat ihm niemand außer mir weh und auch, wenn das schon schlimm genug war, konnte ich das Problem am besten beheben.

Oder für immer so zerstört lassen.

Ich würde um jedem Atemzug kämpfen, dass ich zu ihm zurückkam.
Das war das Einzige, das ich ihm im Stillen garantieren konnte. Ich würde nicht sterben, ohne gekämpft zu haben.

»Dann wirst du immer leben. Selbst, wenn du mich nicht siehst. Ich werde immer bloß einen Schritt von dir entfernt sein. Das schwöre ich dir auf die Unendlichkeit.«

Ich drückte ihm im Vorbeigehen einen Kuss auf die Lippen und lief dann in den Flur, um meine Schuhe anzuziehen.

Nate sah mir nachdenklich nach. In seinen Augen stand ihm die größte seiner Ängste ins Gesicht geschrieben ...

»Ich gehe deine Mutter besuchen. Ich muss mich bei ihr noch entschuldigen.«

... mich zu verlieren.

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