K A P I T E L ♥️ 20


•MAGNY•

»Für innige, wahre, tiefe, starke, leidenschaftliche, endlose Liebe braucht es keine Worte.
Es braucht Liebe.«

Wenn ich im Laufe meines Lebens etwas von Asher und Hail gelernt hatte, dann, dass der erste Kuss etwas ganz Besonderes war.
Sie hatten ihn immer wie ein Gefühl beschrieben. Ein ganz besonderes Gefühl.
Das Gefühl angekommen zu sein.
Das Gefühl Zuhause angekommen zu sein.

»Der erste Kuss fühlt sich an, als sei man nach Jahren endlich wieder an diesem einen wunderbaren Ort, an dem man sich rundum wohl fühlt. An dem man sich willkommen fühlt.
An dem man sich geborgen und geliebt fühlt und an dem einem das auch gezeigt wird.
Dieser Kuss gibt dir Leidenschaft und Herzlichkeit und er nimmt dich in eine Umarmung auf, aus der du dich nie wieder lösen möchtest. Du glaubst, du würdest über dem Boden schweben. Die Umgebung fühlt sich verschwommen an, weil du dich nur auf dein platzendes Herz konzentrieren kannst, das dir sagt, dass du angekommen bist.
Baby, glaub mir, wenn du dieses Gefühl bei deinem ersten Kuss hast, dann lass die Lippen, die ihn dir geschenkt haben, nie wieder los.
Und glaub mir noch etwas, Baby, wenn es sich nicht so anfühlt, dann ist es nicht dein erster richtiger Kuss und die falsche Person.«

Ich hatte nie geglaubt, dass sie recht mit diesen Worten haben könnten.
Immerhin hatten die beiden noch nie jemanden geküsst, als sie mir davon erzählten.
Erstrecht hatte ich nie geglaubt, dass sie vielleicht in der Annahme falsch liegen könnten, weil das Gefühl noch so viel besser und mehr war.

Nun aber war ich eines besseren belehrt.
Ich war eines so viel besseren belehrt.

Meine Lippen prickelten auch Tage später von unserer kleinen Knutscherei auf dem Sofa. Sie fühlten sich dick und schwer an. Noch schwerer, wenn Nate mit mir in einem Raum war und wir uns nicht küssten, Abstand hielten.

Seit dieser Aktion am Abend war nichts mehr zwischen uns passiert. Und es quälte mich.
Tatsächlich es quälte mich.
Mein Herz stach mir und ich glaubte, dass tonnenschwere Gewichte an mir hafteten und ich sie halten musste.
Ich fühlte mich krank.
Richtig krank.

Nach diesen Küssen war etwas Drastisches zwischen uns gestehen.
Wir waren in diesem Strudel gefangen und ich wusste, dass wir uns mit jedem Tag, den wir Distanz hielten, dem Tode näher brachten.

Irgendwann würden wir platzen. Früher oder später.
Und bei aller Selbstachtung, ich wollte so sehr, dass Nathaniel es war, der mich einfach zwang ihn zu küssen.
Ich war zu schüchtern und zu sehr mit mir selbst gefangen, als das ich den Mut aufbringen und seine Lippen auf meine legen konnte.
Ich wollte, dass er den ersten Schritt machte und uns erlöste.
Er war doch hier der Alpha Wolf, das konnte man doch verlangen, oder?
Außerdem fühlte ich mich nicht halb so gescheitert in meiner Weise, wenn Nathaniel mich zu meinem – unserem – Glück zwang.

Scheiße, ist dieser Mann mein Tod.

Ich hatte früher nicht einen Gedanken an meinen Mate verschwendet. Da waren Hail und Asher und die Tatsache, dass es jemanden gab, der einen Teil meiner Seele besaß und zu mir gehörte, war mir so unvorstellbar vorgekommen, dass ich nie daran gedacht hatte, dorthin zu kommen, wo ich jetzt war.
Ich hatte den Teil meiner selbst, mein Herz und meine Seele, nie gemisst, bis ich Nate begegnet war.
Jetzt lag ich dem Schicksal ergeben. Und, scheiße, ich war froh darum.
Ich war froh, dass ich Nate gefunden hatte. Er war der einzig Richtige und die Vorstellung einmal ohne ihn zu sein, war unerträglich.

Ich konnte nicht von ihm verlangen, ohne mich weiterzuleben, wenn ich selbst nicht dazu fähig war.

Scheiß Zwickmühle.

Ich musste eine andere Lösung für dieses Problem finden. Irgendwie musste es möglich sein, ein Happy End zu verwirklichen, dass in jedem Disney Film vertreten war. Ich glaubte fest daran.

»Guten Morgen, Magny!«

Ich drehte mich strahlend zu Gilbert und Tara um, die in dicke Jacken gehüllt über den schneebedeckten Platz wanderten.
Mit einer festen Umarmung begrüßte ich Tara und reichte ihrem Vater dankbar die Hand.
Die beiden opferten wirklich viel für mich und auch, wenn ich ihnen keine Probleme machen wollte, brauchte ich sie dringend.

Nathaniel war heute morgen widerwillig zu einer Versammlung gefahren, um einen Packt mit dem Nachbarrudel im Osten auszuhandeln. Es ging dabei um die Grenzen und den Schutz vor Feinden. Er meinte, er würde erst spät abends wieder nach Hause kehren und ich war innerlich froh gewesen, denn damit verschaffte er mir Zeit, an meinen Plänen zu arbeiten, ohne das er etwas mitbekam.

Ich hatte in meiner Zeit hier längst gemerkt, dass Nate ein friedliches Leben führte. Er handelte mit jedem Nachbarn in Frieden und ohne Blut aus.
Er war nicht auf den Krieg aus und dennoch mit Sicherheit auf einen vorbereitet.

Trotz seiner jungen Jahre sah ich viel Potenzial im Alpha dieses Rudels. Mein Seelenverwandter war ein Meister seiner Rolle und ich wusste, dass jeder hier stolz auf ihn und seine Familie war.
Im Gegensatz zu Nate war ich eine bloße Enttäuschung, aber mir blieb keine Zeit mir deswegen Gedanken zu machen.

Ich musste, leider Gottes, weiterhin ziemlich hinterhältig und eigennützig sein und mich meiner Pflichten widersetzen, um das zu kriegen, was ich immer gewollt hatte.
Die Zeit rannte mir davon.
Erst letzte Nacht hatte ich wieder eine Nachricht im Traum erhalten. Dieses Mal war es aber ein wahrer Alptraum gewesen.
Denn ich hatte gesehen, was sie mit den überlebenden Wölfen meines Rudels machten.

Sie misshandelten sie, peitschten sie, schlugen sie.
Ich hatte Blut gesehen.
Dickes, rotes, widerlich stinkendes Blut und in all der Lache meine riesige Familie.

Sie wurden erpresst.
Es ging um ihr Gebiet und ihre Treue. Wir waren ein großes Rudel und noch dazu gut ausgebildete Wölfe.

Unser Rudel lag in den Bergen. Wir waren auf extreme Wetterlagen, viel Kälte und das Leben in der Natur mit am besten abgehärtet. Es war eine Verschwendung unsere Art zu töten und ich war froh, um diese Tatsache.

Sie verschaffte mir Zeit.

Das feindliche Rudel, das Asher, Hail und die anderen gefangen hielt, würde in absolut letzter Option zum Tode greifen.
Bis sie einen von uns töteten, wollten sie uns foltern, aushungern.
Aber wir waren von dickem Blut, von gesunden Knochen und kleinem Magen.
Es würde noch dauern, bis mein Volk sich in der Notlage sah und aufgab.
Der Widerstand würde noch einige Tage anhalten und bis dahin war ich bereit.
Ich war tatsächlich hoffnungsvoll.

»Seid ihr wirklich sicher, dass wir etwas finden werden?«, fragte ich die beiden und erhielt einstimmiges Nicken.
»Ihr seid nicht gezwungen, für mich zu schweigen, das wisst ihr, oder?«, fragte ich weiter und folgte Vater und Tochter über den Platz in Richtung Rudelhaus.
»Magny, du bist unsere Luna und darüber hinaus ein Teil unserer Familie. Du bist uns das Risiko wert und damit sind wir nicht die einzigen.«

Gilbert lief lächelnd neben mir und streckte seinen Arm über dem Platz aus auf dem sich wie jeden Tag das Leben tümmelte und offenbarte.
Kinder, Frauen und Männer.
Friedlich beieinander und alle mit einem Lächeln auf dem Gesicht, als ich an ihnen vorbeiging.

Kinder rannten um mich, kicherten, ältere Rudelmitglieder nickten mir zu oder grüßten höflich.

Wir waren einander nie richtig bekannt gemacht worden, es hatte bis jetzt keine offizielle Zeremonie gegeben, wie das sonst so üblich war, aber sie hatten mich trotzdem erkannt und inoffiziell auch anerkannt.

»Das gesamte Rudel würde auf die Bitte deiner Hilfe reagieren. Sie alle wären dir kompromisslos treu. Du unterschätzt ihre guten Herzen.«

Ich lächelte gequält. Denn ich war mir sicher, dass ich ihre guten Herzen nicht unterschätzte. Ganz im Gegenteil. Ich fühlte mich ihrer Herzen bedroht und sah mich gleichzeitig selbst als Bedrohung. Ich machte Dinge kaputt, an denen ich vorbeiging und ich wollte das nicht. Ich wollte nie wieder jemanden kaputt machen.

Nicht so, wie ich Nathaniel jeden Tag kaputt machte.

»Ich möchte nur nicht in Gefahr bringen, was nie in Gefahr war. Ihr will niemandem meine Probleme anhängen.«

»Zu spät«, mischte sich Tara ein und legte freundschaftlich grinsend einen Arm um meine Schulter, »wir sind längst darin verstrickt und ich bereue keine Sekunde. Wir wollen dir helfen und wir werden dir helfen!«

Ich hatte Tara wirklich als Freundin gewonnen.
Am nächsten Morgen, direkt nach unsere Kuss-Aktion war ich zu Gilbert und ihr gegangen und hatte den Tag bei der Familie verbracht.
Nate hatte mich mit Argusaugen verfolgt. Er hatte Angst gehabt, ich würde wieder weggehen, aber das war unbegründet gewesen.

Still schweigend, ohne das wir uns berührt, über den Kuss geredet oder über das, was ich ihm gebeichtet hatte, hatte er mich zu Tara's Haus gebracht und mich am späten Abend wieder abgeholt.

Ich wusste, dass er stets in der Nähe gelauert hatte.
Jeden meiner Schritte, die ich heimlich gebraucht hätte, um mich davonzuschleichen, hatte er im Auge gehabt.

Wir vertrauten einander nicht.
Wir wollten, aber wir konnten nicht. Ich fand seine Beobachtungen berechtigt.
Er hatte Sorgen.
Und er hatte auch alle Gründe dazu. Denn ich war nicht sicher auf dieser Welt.

Es war, als sei eine hohe Mauer zwischen uns gebaut worden. Sie brachte uns zum Schweigen, obwohl unsere Herzen tief im Inneren laut nacheinander schrieen.

Wir liebten einander.

Aber niemand wollte es aussprechen.

Wir sehnten uns nacheinander.

Aber niemand machte die Schritte und zwang uns zur Berührung.

Wir brauchten einander.

Aber die Distanz und Selbstabschottung war viel dringlicher.

Momentan brauchten wir unseren Raum. Jeder seinen eigenen. Nicht, weil wir wollten, sondern weil mir mussten.
Ich, wegen meiner Brüder.
Und Nate, um nicht zu weinen.

Er sah todtraurig aus.
Schlimmer nach dem Kuss, als davor.
Er tat mir unglaublich leid und gleichzeitig konnte ich ihm nicht helfen.

Ich wusste, dass nur ich es sein konnte, die ihn zum Lächeln brachte.
Ich war seine Mate, seine bessere Hälfte und ich war die Sonne nach dem Regen.
Ich war unersättlich, so wie er für mich.
Aber ich war gleichzeitig auch ein schlechter Mensch und eine noch schlechtere Freundin und zu sehr auf mich selbst gedacht, als das ich für Nate am Himmel leuchten konnte.

Ich gab uns beiden keine Chance. Und während Nate noch immer versuchte mir zu vertrauen, zu mir durchzukommen und daran gleichzeitig nicht zu zerbrechen, war ich nun erstrecht abweisend.

Ich brauchte einfach einen klaren Kopf.
Und wenn ich bei Nate war, dachte ich an seine göttlich süßen Lippen, an seinen betörenden Geruch und seinen warmen Körper und gewiss nicht daran, wie ich überleben konnte.

»Ich danke euch beiden.«

Aufrichtig und ehrlich dankte ich den beiden und ließ Gilbert dann vortreten, um die versperrte Tür des Rudelhauses zu öffnen.

Mit einem vorsichtigen Blick zurück, ob uns jemand derartig beobachtete, traten wir drei in die verlassenen vier Wände ein.

Das Rudelhaus war wie ein übliches Wohnhaus nur größer, ein wenig unpersönlicher und wertvoller.
Trophäen, Urkunden, Auszeichnungen und Bücher standen hier in den Räumen um ein großes Wohnzimmer eine Küche und mehrere Säle für Rudelversammlungen und Diskussionen. Ich wusste, dass Nate hier auch ein kleines Büro hatte. Einen Rückzugsort, bei dem ich glaubte, dass er ihn brauchte, um mir nicht ins Gesicht sehen zu müssen.

Was war nur aus dem Traum einer wahren Liebe geworden?

Nate und ich waren wie zwei Seelen, die zum Scheitern verurteilt waren.
Und so innigst ich auch gegen diesen Gedanken ankämpfte, er wurde äußerlich immer realer.
Wir scheiterten.

Ich sah mich neugierig um.
Im Rudelhaus war ich in diesen zwei Wochen noch nicht gewesen.
Es war in dunklen Tönen gehalten.
Braune Ledersofas, dunkle, massive Holztische und Stühle.
Trotzdem wirkte es weniger kalt als herzlich.

Ein typischer Wolfsgeruch lag in der Luft, irgendwie roch es auch nach Nathaniel und mit ganz verschwommenen Geruchssinnen glaubte ich zu wissen, dass er heute früh genau dort gestanden hatte, wo ich jetzt stand.

Ach, Nate.

Wieso musste unser Leben gerade jetzt kompliziert sein?

»Kommt mit mir, Kinder!«
Gilbert wank uns zu sich und führte uns an den Räumen im Erdgeschoss vorbei, um am Ende des Ganges eine Treppe in den Keller zu nehmen.

Da Nate und sein engster Kreis von Vertrauten, sprich sein Beta, seine Mum und weitere hohe Rudelpositionen den Tag über weg waren, war das Rudelhaus wie ausgestorben.
Gilbert, als Teil des Rats, hatte dennoch einen Schlüssel und natürlich auch die offizielle Erlaubnis diese heiligen Wände zu betreten.
Mit ihm war es ein Leichtes in die Bibliothek und das Archiv im Keller zu kommen.

Wenige Steinstufen und die Treppe mündete in einem offenen Saal voller Regale in denen sich Schriften, Pergamente und staubige Wälzer befanden.
Ich war überwältigt und aufgeregt zugleich.

Auf dem Rückweg nach Hause vor zwei Tagen hatte ich Gilbert alles über mich erzählt. Ich hatte ihm nicht nur die Geschichte mit meinen Brüdern und unserem angegriffenen Volk erzählt, nein, ich hatte auch gestanden, dass ich auf unerklärliche Weise mit ihnen verbunden war, dass ich sie in meinen Träumen sah und sie zu mir sprachen.

Er war hochinteressiert von diesem Teil meiner Erzählung gewesen. Nachdenklich hatte er damals an seinen Lippen gekaut, dann hatte er mir gesagt, dass er gewusst hatte, das ich kein übliches Wesen bin und dann hatte er mir von seiner Großmutter erzählt.

»Du bist nicht verrückt, Magny. Du hast eine Gabe.
Eine ganz besondere Gabe.
Du kannst die tiefsten Gedanken einer Person hören. Du kannst sie fühlen, sie annehmen und dich von ihnen leiten lassen, wenn du auf sie fixiert bist. Du hast etwas, was kaum jemand sonst hat.«

Ich hatte ihn damals etwas verstört und ungläubig angesehen.
Ich hatte vermutet es hätte etwas mit dem Mind-Link zu tun, das Wölfe hatten, wenn sie verwandelt waren.
In ihren Wolfsgestalten konnten sie über ihre Gedanken miteinander kommunizieren.
Dieser Sponn hatte zwar nie großen Sinn ergeben, weil ich noch kein verwandelter Wolf war und meine Brüder in ihrer Gefangenschaft auch nur als Menschen auftraten, aber ich es mir immer nur so erklären können.

Nun sollte es einen Gabe sein.

»Du glaubst mir nicht und ich kann dich verstehen. Es ist schwer zu glauben. Aber, Magny, ich habe diese Gabe mit eigenen Augen ansehen dürfen. Meine Großmutter ist mit derselben Fähigkeit geboren worden.
Sie fand ihren Mate hier in unserem Rudel. Sie waren ein Herz und eine Seele, aber ihre Liebe wurde auf eine harte Probe gestellt. Nach einem Krieg zwischen unserem Rudel und dem Shadow-Rudel im Westen kam er schwerverletzt nach Hause. Wochenlang bangte man um sein Leben und als sein Körper sich für das Überleben entschied, war nichts mehr, wie früher.
Er war gelähmt, Magny. Gelähmt und taubstumm.
Die Bilder vom Krieg, die Erfahrungen, die er als so junger Mann gemacht hatte.
Das alles hatte ihn kaputt gemacht. Er war nie wieder derselbe Mann und auch sein Leben war nie wieder, wie zuvor.
Er war für sein restliches Leben in den Rollstuhl verbannt worden und er brauchte immer jemanden, der ihm half und ihn pflegte.
Er war kaum lebensfähig und niemand wusste etwas mit ihm anzufangen, weil er weder hören, noch sprechen noch fühlen konnte.
Wir alle dachten, meine Grandma würde in ihrer Liebe an einen solchen Mann vergehen. Aber sie war keine Frau, die man unterschätzen durfte. Sie war selbstbewusst, stark und innig. Sie liebte meinen Grandpa wie niemanden sonst auf dieser Erde und daran änderte auch sein Gesundheitszustand nichts.
Es vergingen wenige Tage und man glaubte, sie sei verrückt geworden.

Saß man im Wohnzimmer im Kreise der Familie beisammen, sprang sie manchmal urplötzlich auf und hetzte durch die Gegend, holte einen Apfel, ein Glas Milch oder Hausschuhe.
Was es auch war, sie wusste immer im richtigen Moment, was zu tun war.
Sie wusste, wann mein Grandpa auf die Toilette musste, wann ihm kalt war, wann ihm zu warm war, wann es ihm nach Kaffee gelüstete und wann nach einer heißen Tasse Tee. Sie wusste alles und das ganz genau.
Wie viele Stückchen Zucker, welchen Pullover und welches Programm im Fernsehen.
Sie kannte Dinge, die kein Mensch unmöglich aus dem Instinkt tun konnte. Sie handelte viel zu detailliert, viel zu zielgerichtet und sie wusste, was zu tun war, ohne meinen Großvater auch nur anzusehen.
Sie laß nicht aus seinen Augen, nein, sie laß aus seinem Herzen.

Ich habe meine Oma dafür bewundert. Als kleiner Junge war ich oft bei ihr und Pa.
Irgendwann habe ich sie gefragt, wie sie das macht und auch die Leute um und fragten sie.
Ob sie sich nicht alleine fühle?
Ob sie sich nicht zu Tode kümmern würde?
Ob es nicht schwer wäre, ihren Mann und Seelenverwandten so zu sehen? Ob sie überhaupt glücklich wäre.

Sie hatte nur eine Antwort auf diese Fragen.
»Ich habe mich noch nie so wohl und gut und geliebt gefühlt.«
Die Leute glaubten ihr das nicht. Meine Mutter – ihre Tochter – konnte ihr das nicht glauben. Aber sie sagte stets die Wahrheit.
Mein Grandpa liebte meine Großmutter nämlich auf dieselbe Weise. Er sprach sie nur nicht mehr für alle Welt an, sondern nur noch ganz intim in den tiefen ihrer Köpfe. Er liebte sie mit dem Herzen und das ohne Worte.
Im Kopf rief er ihr zu, dass er sie liebte und sie tat es genauso. Sie wussten immer, was sie aneinander hatten.
Das konnte niemals ein anderer verstehen. Aber das sollte man auch gar nicht.
Diese Gedanken-Kommunikation war eine Einzigartigkeit. Sie war eine Folge ihrer tiefen Liebe, ihrer Seelen.
Meine Großeltern liebten sich, wie niemand auf der Erde Gottes sonst und das war es, was diese Gabe entfachte, die sie nonverbal-verbal reden ließ.«

Gilberts Großmutter sollte ähnliche Botschaften erhalten haben, wie ich.
Nach dieser Geschichte ergab das ganze Träumen noch mehr Sinn. Warum ich Bilder sah, warum Hail und Asher darin förmlich lebten, warum sie zu mir sprachen und ich danach handelte und irgendwo im Nirgendwo wieder erwachte.

Ich liebte meine Brüder wie niemanden sonst auf dieser Erde. Ich liebte Nate. Aber die Verbundenheit und das strikte Band zwischen mir und meiner Familie war unvergleichbar.

Es gab Dinge, die konnten mir nur meine Wölfe geben. Es gab diese Geschwisterliebe, die nur sie mir geben konnten.
Es gab diese Drillingsumarmungen, die nur sie mir geben konnten.
Es gab diese Gänsehaut, die nur sie in mir aufleben konnten, wenn sie mich Baby nannten.

Ein Leben ohne Nathaniel war unvorstellbar, aber ein Leben ohne meine Brüder war unmöglich.

Ich stand an einer Klippe mit zwei Höllenschlünden.
Aber ich wusste ganz genau, in welche ich tiefer fallen würde, wenn ich eine der Fronten verlor.

»Wie soll dieses Buch aussehen, Dad?«, fragte Tara nachdem wir tiefer in den Saal getreten und uns inmitten der Sammlung wiederfanden.
Irgendwo hier musste es ein Buch über besondere Gaben und Fähigkeiten geben, in dem auch stehen sollte, wie es mir möglich war eine Botschaft zurück zu schicken.

Bisher hatte ich immerzu empfangen. Aber für den Plan, den ich hatte, musste ich dringend etwas zurückschicken. Hail und Asher und alle anderen mussten auf etwas vorbereitet sein.

»Es ist ein sehr kleines Buch, soweit ich das in meiner Erinnerung habe. Das Buch ist samtgrün und sieht aus wie ein Notizheft.
In Schreibschrift steht der Titel darauf. Irgendetwas mit 'Gaben des Mondes' oder so.«

Wir machten uns alle auf die Suche nach dem beschriebenen Buch.
In meinen Fingern kribbelte es und ich war aufgeregt.
Ich war neugierig und ängstlich zugleich, was mich erwarten würde, wenn ich das Buch in meinen Händen hielt.

Wie war es Menschen und Wölfen ergangen, die ähnliche Träume gehabt hatten, wie ich?
Stimmte es, was Gilbert mir gesagt hatte, oder war das doch völliger Quatsch?
War es überhaupt möglich derartige Botschaften wieder zurückzusenden?

Alles kam mir so unwirklich vor. Sollte es allerdings keine Möglichkeit geben, dann war ich in ein Fettnäpfchen getreten. Ich brauchte diese Möglichkeit nämlich dringend.

In den Regalen, die ich durchstöberte fand ich gar nichts. Endlos suchten wir drei umher und fanden auch nach zwei Stunden keine Spur. Als ich glaubte, die Suche sei vergebens und auch die Zeit langsam um, weil Nate auf dem Heimweg war und uns niemals hier bemerken durfte, kreischte Tara plötzlich auf.

»Ich hab's! Magny, Dad, schaut, hier ist es!«

Eilig rannte ich durch den Saal zum Regal an dem meine neue Freundin lehnte und mir ein dunkelgrünes Notizbuch überreichte.

»Die Gaben und Fähigkeiten des Mondes«

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top