K A P I T E L ♥️ 18
•NATHANIEL•
»Don't worry, my dear!
I'm alive don't you hear?«
Erschöpft und ausgelaugt setzte ich mich auf die Treppenstufen vor dem Haus.
Der Schweiß rann mir von der Stirn und meine Glieder zitterten, weil ich so unglaublich schnell und lange gerannt war.
Ich hatte sie überall gesucht.
Ich war an jedem Flecken dieses verdammten Territoriums gewesen und sogar darüber hinaus.
Nirgendwo aber hatte ich auch nur eine Spur von ihr gefunden.
Sie war wie vom Erdboden verschluckt und das nun schon seit Stunden.
Ich machte mir krankhaft Sorgen.
Heute morgen hatte ich noch geglaubt, sie sei früh zu Tara gegangen oder hätte andere neue Bekanntschaften gemacht.
Als ich dann aber auf der Suche nach ihr war, konnte mir niemand bestätigen, sie auch nur kurz gesehen zu haben.
Sie war nicht hier.
Das stellte ich schon bald fest und als ich dann weiter draußen auf die Suche nach ihr ging, fand ich sie erstrecht nicht.
Sie war verschwunden.
Niemand hatte sie gesehen.
Und niemand, der mir suchen half, fand auch nur eine Spur.
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen.
Mir ging es schrecklich.
In meinem tauben Körper spürte ich ihre Distanz. Das Gefühl zerriss mich förmlich. Von innen nach außen.
Ich wollte heulen, um mich schlagen, alles kaputt machen.
Ich wollte jeden anbrüllen, dass er besser und sorgsamer suchen sollte. Aber der einzige Fehler, der gemacht wurde, lag bei mir.
Ich hatte nicht richtig auf sie aufgepasst.
Ich war blind aufgewacht.
Und ich war schuld an jedem Zustand, in dem sie jetzt vielleicht steckte.
Scheiße, Engelchen, wo bist du?
»Habt ihr sie gefunden?«
»Nein, keine einzige Spur. Außerdem hat es geschneit.
Jeder Fußabdruck vom frühen Morgen, ist längst
verwischt.«
Ich seufzte ausgelaugt.
Das war ein Desaster.
Wo verdammt nochmal steckte sie?
War sie weggerannt?
Wohin und warum zum Teufel?
Was hatte ich ihr denn bloß getan?
War es so schlimm, bei mir zu sein?
Ich hatte ehrlich geglaubt, dass sie und ich uns langsam näher kommen würden.
Aber immer, wenn es am schönsten war, distanzierte sie sich.
Ich fühlte mich, als hätte mich ein Pfeil direkt ins Herz getroffen und nun begonnen, dort alles kaputt zu machen.
Ich blutete, ohne dabei wirklich zu bluten.
»Sie wird zurückkommen.«
Ich sah Noah mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Woher wollte er das wissen?
»Ich denke, es wird einen guten Grund geben, dass sie abgehauen ist. Vielleicht hat sie sich bloß verlaufen.«
Nein, das passte nicht zu Magny. Sie war eine kluge Frau. Wenn sie noch innerhalb der Grenzen wäre, dann hätte sie den Weg zurückgefunden.
Aber sie war nicht hier.
Und sie war auch nicht in der Nähe.
Ich spürte es deutlich.
Denn die Schmerzen kamen von meinem Herzen.
Und mein Herz war bei Magny.
Irgendetwas stimmte nicht.
»Sollen wir noch einmal die Grenzen ablaufen?«
Ich schüttelte den Kopf.
Es war bald neun Uhr am Abend. Sie war seit heute morgen verschwunden. Es machte keinen Sinn noch in der Dunkelheit im Dreck zu wühlen. Es war genug.
»Nein. Geht nach Hause. Ich danke euch, für eure Mühe. Aber wir kommen so zu nichts.«
Noah nickte benommen.
Er war genauso enttäuscht, wie ich. Nur die Trauer, die konnte er nicht einmal annähernd verspüren.
»Bis morgen.«
Damit verschwand er in der Dunkelheit.
Engelchen, wo bist du nur?
Ich blieb einfach auf der Treppe vor dem Haus sitzen.
Der Schnee hatte aufgehört zu fallen und es war ein klarer, kalter Abend.
Am Himmel leuchteten die Sterne. Aber ich konnte den so ruhigen Abend nicht genießen.
Es war einfach zu ruhig.
Als ein Auto durch das Dorf fuhr, sah ich nicht auf.
Vermutlich kam einer der Ältesten von der Arbeit zurück.
Das war nicht unüblich.
Viele der Rudelmitglieder arbeiteten in der nahen Stadt, einige sogar in den Industriegebäuden weiter weg.
Das Auto hielt einige Meter von mir entfernt, den Motor verstummte es nicht. Dafür schlugen Autotüren auf und zu und eine Stimme, die ich unter Milliarden erkannt hätte, schallte zu mir hinüber.
»Ich danke dir vielmals, Gilbert! Du warst mein Lebensretter in er Not!«
Sie lächelte dankbar und ich hörte durch die geöffnete Wagentür jemanden lachen und etwas darauf erwidern.
Dann knallte die Tür zu und das Auto setzte sich in Bewegung, während Magny sich in meine Richtung drehte und ihre frohe Miene zerfallen ließ.
Mich durchliefen tausende Emotionen, als unsere Blicke sich trafen.
Ihre blauen Augen mischten sich mit meinen blauen Augen. Und unsere Herzen schlugen animalisch auf, als sie einander bemerkten.
Ich spürte die tiefe Sehnsucht in all meinen tauben Gliedern.
So lange war sie fort gewesen.
So unendlich lange ...
In ihren kurzen Panties und einem meiner T-Shirts auf der Haut trat sie in der Dunkelheit näher. Sie zögerte.
Ihre Haut war aschfahl, leicht bläulich. Die Kälte hatte sich in sie hineingefressen und dennoch schien sie nicht halb so erschöpft wie damals, als wir sie am Rande des Territoriums gefunden hatten.
Vor Erleichterung sie zu sehen, fiel eine Träne aus meinem Augenwinkel.
Es tat so unendlich gut sie wohlauf und gesund und überhaupt wieder zu sehen.
Die Schmerzen in meinem Körper waren wie weggeblasen und ließen der Entspanntheit Platz, die mich von innen heraus wärmte und irgendwie im Gesamtpaket weichspülte.
Ich weinte.
Wie ein kleines Baby.
Wie das letzte Weichei.
Aber es war so schön sie zu sehen. Sie war schön!
Und ich hatte den gesamten Tag gebangt, dass ihr etwas zugestoßen war, dass ihr etwas Schlimmes passiert war. Ich hatte gedacht, sie hätte uns ohne Weiteres auseinander gerissen. Herzlos und kalt.
»Nate! Oh, Gott! Was machst du hier draußen?«
Als sie mich aus der Nähe sah, machte ihrem Zögern die Sorge Platz.
Mit roten Wangen und doch so strahlend aufgeweckten Augen musterte sie mich.
Ich starrte bloß auf ihre nackten Beine.
Wie klein sie doch waren.
Von der Kälte zertrümmert und dennoch süße Spuren hinterlassend.
Ich konnte nicht fassen, dass sie mit Haut und Haar wirklich, wirklich zurück war.
Ich erhob mich ruckartig.
Ich wollte keine feige Sekunde mehr damit verschwenden, sie bloß anzusehen.
Mit nur einem Schritt überwand ich unseren Abstand und zog sie in eine feste Umarmung an meine Brust.
Ihr Körper war eiskalt.
Aber ich spürte ihr warmes Herz gegen meines schlagen.
Weil sie kleiner war als ich, schwebten ihre Beine einige Zentimeter über der dicken Schneedecke.
Ich glaubte, sie würde diese Umarmung nicht lange zulassen.
Üblicherweise stieß sie mich schmerzvoll ab, sobald ihr alles zu viel wurde, aber entgegen meiner Erwartungen festigte sie ihren Griff um meinen Hals und zog ihre Beine an mir hoch, um sie um meine Hüfte zu schlingen.
Ich drückte sie noch enger an mich. Kostete ihren ganz eigenen Duft nach Freiheit, Winterkälte und Schnee und saugte alle Verbundenheit in mich auf.
Mein kleiner Engel.
»Weinst du etwa?«, fragte sie mich nach einigen Minuten.
Sie hob ihren Kopf, um mir ins Gesicht sehen zu können, und musterte mich gerührt.
Sie war so wunderschön ...
»Vor Erleichterung.«
Sie lächelte.
Und wie sie lächelte!
Ich war wie verzaubert davon und so bemerkte ich erst, als mein Gesicht von Wange bis Kinn zu kribbeln begann, dass sie mir alle Tränen aus dem Gesicht geküsst hatte.
»Wollen wir reingehen? Ich könnte einen Kakao wirklich gut gebrauchen«, sagte sie, als sei nichts geschehen.
Oh, Baby.
Ich nickte wie hypnotisiert.
Ich konnte mich dagegen gar nicht wehren.
Langsam trug ich sie die Treppen hinauf ins Haus.
Sie kicherte dabei und schlug mir verspaßt auf die Schulter.
»Jetzt tu nicht so, du Vogel!
Als hätte dich noch nie jemand geküsst!«
Ich schüttelte sachte den Kopf, während ich in die Küche lief.
Sie sah mich an, als könnte das unmöglich sein.
Aber was war so abwegig?
»Niemand, der mir derartig wichtig wäre.«
Und das war die Wahrheit.
Denn es gab niemals, niemals, jemanden, der mir jemals, jemals, so wichtig sein würde, wie dieses komplizierte, süße, kluge und starke Mädchen.
»Du elendiger Charmeur!«
Sie kniff mir grinsend in die Wange und wandte sich dann in meinen Armen ab, um nach dem Kakaopulver auf der Arbeitsplatte zu greifen.
»Ich bin froh, dass du wieder da bist!«, sagte ich und musterte sie genau.
Ich wollte jede Gefühlsregung in mich aufnehmen, denn irgendetwas stimmte mit ihr nicht.
Sie war ... zu nett und gefühlsoffen.
Und das war keineswegs etwas Schlechtes. Aber es verhieß mit Sicherheit auch nicht etwas derartig Gutes.
Wo war sie gewesen?
»Ich bin auch froh.«
Sie wich meinem Blick aus und löste unsere Umarmung um freihand ihren Kakao zu rühren.
Ihre Hände zitterten, als sie zwei Tassen aus dem Hängeschrank holte und mit Milch befüllte, um diese dann in der Mikrowelle zu erhitzen.
Betretenes Schweigen legte sich über uns und die Küche.
Ich wollte sie mit Fragen bombardieren, aber ich wusste, dass sie jetzt wieder in ihre alten Muster fiel. Und die deuteten, dass Konfrontation auf Durchzug geschaltet wurde.
Ich hielt meinen Mund.
Ich sollte sauer sein deswegen.
Aber ich war so glücklich, dass sie wieder zurück war, dass ich einfach nicht konnte.
In meinem Kopf hatten sich den Tag hinweg so viele widerlichen Gründe für ihre Abwesenheit gefunden.
War sie zu ihrem Liebhaber, dem Pulloverbesitzer, gegangen?
In diesem nackten Aufzug?
Hatte er sie angefasst?
Oder hatte sie noch andere Bekannte, von denen ich nichts wissen sollte?
Ich ballte meine Hand zur Faust.
Denn ich war sehr wohl sauer – bloß nicht auf sie, sondern alle Welt.
Ich wollte, dass niemand sie so sah!
Nicht in diesem nackten Aufzug!
Die Menschen konnten so derartig widerlich sein.
Ich hielt all meine Wut zurück. Stattdessen sah ich sie im Licht genau an.
Musterte jeden Flecken ihrer Haut und suchte nach gewalttätigen Abdrücken oder Knutschflecken.
Ich hasste mich, dass ich ihr nicht vertraute.
Aber verdammt, sie tat es doch auch nicht.
Und sie verursachte doch erst, dass ich so skeptisch wurde.
Ich entdeckte nichts Auffälliges an ihr.
Ihre Haut war blass wie immer und füllte sich langsam mit Wärme.
Mit ihrer Tasse und einigen Marshmallows lief Magny stumm an mir vorbei ins Wohnzimmer.
Ich atmete einige Male tief ein und aus, ehe ich ihr schweren Schrittes folgte.
Sie hatte sich auf die Couch gekuschelt. Eine Sofadecke vergrub ihren Körper bis zum Kinn und begann sie aufzutauen.
Noch immer stumm schlürfte sie unter meinen Augen ihren heißen Kakao und ließ ihn sich auf der Zunge vergehen.
Irgendwann seufzte sie.
Sie wusste genau, weswegen ich sie so ansah.
Sie wusste, dass ich Antworten haben wollte. Antworten auf einfach alles.
Sie klopfte neben sich. Ihre Hand deutete in stummer Aufforderung auf den Platz neben ihr.
Ich folgte der Geste, dann wartete ich.
»Ich werde dir wehtun, Nate.
Ich werde dir unendlich wehtun. Viel schlimmer, als ich es bereits tue.
Ich rede nicht mit dir.
Ich kooperiere nicht mit dir.
Ich gebe dir nichts von deiner Wärme zurück.
Ich bin kalt zu dir.
Ich halte ständige Distanz.
Ich lüge vor dir und bin auch sonst einfach nur scheiße.
Ich verhalte mich deiner unwürdig und verhasst und das alles hat nur einen einzigen, verdammten Grund:
Ich versuche auf jedem Wege zu verhindern, dass du auf die verfluchte Idee kommst mir dorthin zu folgen, wo ich hingehen werde.
Ich versuche dir ein Leben ohne mich zu ermöglichen, denn wenn das Leben kommt, wie es kommt und meine Reise mich dem Tod opfern wird, dann möchte ich, dass du lebst! Dass du überlebst! Und einfach dort weitermachst, wo du, bevor es mich gab, aufgehört hast.
Je weniger gute Erinnerungen du an mich hast, desto besser ist es. Verstehst du?
Ich weiß, ...«
Sie zog scharf die Luft ein und atmete zittrig wieder aus.
Sie weinte dicke Tränen und – wow – sie war noch nicht ein einziges Mal so ehrlich zu mir gewesen.
»dass ich es wirklich auf eine schmerzvolle Art tue.
Ich boxe ungestüm auf dein treues Herz, reiße dich gewaltsam von mir, und glaub' mir, wäre das nicht so verdammt wichtig, dann würde ich es gar nicht tun.
Aber ich will dich vor mir selbst beschützen. Ich muss es tun, denn in einer Welt, in der es mich nicht mehr gibt, möchte ich wenigstens, dass jemand so vollkommenes und tolles, wie du, existiert!«
Sie zersprang in tiefen Schluchzern. In tausend Teile. Wie eine gesprungene Vase.
Ich sah zum ersten Mal, wie sie den Schutzwall um ihren Körper hinabriss. Sie brach ihn auf. Sprengte ihn in Einzelteile.
Sie weinte aus tiefstem Herzen, brach alle Ketten auf und legte die Wahrheit ungestüm vor meine Füße.
Ich konnte die Emotionen von ihrem Körper hüpfen sehen.
Wie kleine Männchen wagten sie sich an die Luft und umwirbelten ihren Körper.
Sie war ein einziger Wirbelsturm.
Und wieder tat sie mir damit schrecklich weh.
Sie sprach schließlich von einem Leben ohne sie.
Das hatte sie oft getan und ich hatte es oft ignoriert, weil ich gewusst hatte, dass, egal welche Mühen sie sich auch machte, ich immer zerstört und ruiniert sein würde.
Ich wollte ohne sie nicht mehr existieren.
Scheißegal wie kompliziert und schwer sie es mir auch machte.
Sie sprach von bösen Dingen, ihre Augen flehten mich an, ihr zu versprechen, dass ich mir wegen ihr niemals das Leben nehmen würde.
Aber ...
Engelchen, du weißt, so stark bin ich nicht!
Sie verlangte Unmögliches von mir.
Und wie kam sie darauf?
Warum sollte sie denn sterben?
Wer war es, dass sie sich gezwungen sah, derartige Dinge zu denken?
Bedrohte sie jemand?
Wollte ihr jemand schaden?
Ich wollte sie nicht verlieren ...
»Wie soll das möglich sein?«, fragte ich sie hilflos und irgendwie taub.
Fragend sah ich in ihre verschleierten Augen.
»Ich weiß es nicht«, hauchte sie und kniff ihre Augen zusammen.
Sprich es nicht aus!
Sprich es nicht aus!
Sag es nicht!
»Du musst einfach beginnen, mich zu vergessen. Mich zu löschen. Für immer.«
Ich glaubte, man hätte mit einem Schwert tief in meine Brust gestochen.
Ich fühlte mich wie ermordet.
Die Luft fing an, dünner zu werden und ich brachte nur erstickt einige Worte über die Lippen.
»Das geht nicht.«
Wir sahen uns tief in die Augen.
Blau auf Blau.
Herz auf Herz.
Seele zu Seele.
»Irgendwie muss es gehen«, erwiderte sie.
Sie sah mich an, als glaubte sie sich selbst nicht.
Sie sah mich an, als wüsste sie, dass wenn die Situation umgekehrt wäre, sie dasselbe erwidern würde.
Ich schüttelte auf ihre Worte den Kopf. Denn es ging nicht.
Es ... Es ging einfach nicht. Nein!
»Es geht nicht, Engelchen!«
Ihr Gesicht verzog sich schmerzverzerrt.
Und sie wusste die Antwort bereits, noch bevor sie ihre Frage überhaupt stellte.
»Wieso nicht?«
»Weil man ohne sein Herz nicht leben kann, mein Herz.«
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