K A P I T E L ♥️ 1
•MAGNY•
»Damit die Zeit alle Wunden heilen kann, muss sie erst einmal welche aufreißen.«
»Schneller, schneller!«
Ich kicherte und riss die Arme in die Luft, als er weiter durch den Schnee preschte und immer höher in die Berge hinausjagte.
Meine Haare flogen von mir, schwebten in die Höhe und drohten in der Luft aufzugehen, wenn ihnen das möglich gewesen wäre.
Ich schloss verträumt meine Augen. Lauschte seinem hetzenden Herzschlag und seinen eiligen Schritten, die sich beinahe zu überschlagen schienen.
Roch verschärft den Duft von Schnee und Kälte und den Bäumen, die uns umgaben.
Fühlte den Wind, sein weiches Fell und die absolute Freiheit.
»Schneller, noch schneller!«, rief ich weiter und ließ mich mit dem Oberkörper näher sinken, bis meine Lippen sein Ohr berührten und ihm all meine Geheimnisse erzählen konnten.
»Wir sind unsterblich zusammen, Asher. Wir können nicht verlieren, denn wir haben längst gewonnen.«
Ich konnte hören wie er lächelte, wie seine Gedanken mit meinen zusammenschmolzen und er mir zustimmte.
Ich krallte mich stärker in sein Fell, kuschelte mich an ihn und fühlte, ohne dabei zu sehen, wie wir noch schneller wurden, noch mehr hetzten, noch mehr Wind mit uns rissen und schließlich dicht an dicht mit unserem Kontrahenten waren.
Er hat keine Chance.
Und wahrlich, nein, die hatte er nicht.
Mit einem lieblichen Winken, preschten wir an ihm vorbei und ich öffnete amüsiert meine Augen, als er hinter uns zu knurren begann.
Seine treuen Augen fielen zurück und ich spürte wie er mein Lächeln erwiderte, als Asher mit mir auf seinem Rücken an der Spitze des Berges ankam und triumphierend aufheulte.
Wir hatten gewonnen!
Jubelnd sprang ich von seinem Rücken und umarmte den großen Wolf, so wahr mir das in seiner Körpergröße möglich war.
Sein Kopf senkte sich und drückte mich näher in sein kuscheliges Fell. Wohlige Wärme umgab mich, tränkte mein Herz mit Glück und Liebe und ließ mich geborgen fühlen. In ihrer Nähe konnte mir nichts passieren.
Ich löste mich erst von ihm, als es hinter uns knurrte und auch der zweite Wolf nach meiner Aufmerksamkeit jaulte.
Ich kicherte leise und ergab mich seinem Wunsch, ihn zu kraulen.
Zufrieden schlossen die beiden ihre Augen und hoben dann ihre Köpfe, um in die Wipfel zu heulen.
Laut und melodisch.
Von den Bergen hallte ihre Musik wieder und dröhnte mir meine Ohren. Ich grinste breit und ließ meinen Blick von ihren faszinierenden Gestalten über das Tal unter uns wandern. Kräftige, gesunde Bäume reihten sich unter der dicken Schneedecke des Januars und ein Wind blies in der Ferne neue Schneeflocken und letzte Blätter über die weiße Landschaft. Ich sah einen Hasen durch die Büsche in näherer Entfernung eilen und kilometerweit zeichneten sich Umrisse einer kleinen Rehherde, die die umliegende Felder nach Nahrung abgraste.
Ich war restlos zufrieden.
So beruhigend und schön war es, was ich sah.
Seufzend ließ ich mich in den Schnee fallen und streckte meine Arme und Beine von mir. Kurz schloss ich die Augen, lauschte wie der Schnee knirschte und wie sie sich neben mir niederließen.
Dann öffnete ich meine Augen wieder und sah zum Himmel an dem sich dichtbewölkte Undurchsichtigkeit staute und nur schwor, dass es bald wieder stärker anfangen würde zu schneien.
Ich wusste nicht, wie lange wir alle stumm und staunend die Natur genossen, aber ich schrak herzlich zusammen, als mich ein Schneehaufen im Gesicht kühlte und immer mehr eiserne Bälle meinen Körper abwarfen.
Blitzschnell stand ich wieder auf meinen Beinen, identifizierte den Übeltäter und begann ihn so zuzurichten, wie er es bei mir getan hatte.
Kichernd trieben wir einander durch den Schnee und ich schaffte es die beiden Wölfe unter einen Baum zu treiben, dessen Äste schwer verbogen unter dem Schnee lagen.
Sie waren unachtsam, fokussiert darauf einander und gleichzeitig mich zu pudern, dass keinem der beiden auffiel, wie ich plötzlich in die Luft sprang und den Ast über ihnen zum Abkippen seiner Last brachte.
In Sekundenschnelle waren sie unter dem Schnee begraben und ihre wilden Laute der Belustigung dumpften unter der Schneedecke ab.
Ich begann schallend zu lachen. Und einige Zeit war das das Einzige was unter allem zu hören war.
Dann irgendwann regte es sich unter den Schneehaufen und zwei schwarze Wölfe schüttelten sich den Pulverschnee aus dem Fell, ehe sie sich nahezu diabolisch aufrichteten und auf mich zutraten.
Ich konnte spüren, wie amüsiert sie unter ihren starren Blicken waren und doch wich ich noch immer lachend zurück.
Die Jagd begann ein zweites Mal, doch sie endete schon nach wenigen Sekunden in einem Kitzel-Kampf, den ich bitterlich verlor.
Krümmend vor lachen rollte ich mich auf dem Boden und flehte meine Feinde an, sich zu erbarmen.
Tatsächlich zeigten sie sich gnädig, ließen beinahe ruckartig von mir ab, als hätten sie sich verbrannt und ich konnte endlich wieder vernünftig durchatmen und wahrnehmen, was auch sie bemerkt hatten.
Feuer.
Der stickige Geruch quoll aus der dichten Walddecke im Tal und erdrückte die frische und klare Luft mit widerlichen Pestilenzen. Ich spürte wie die Stimmung sich ruckartig dämpfte und ich sollte verstehen wieso.
Denn das Feuer war nicht irgendwo.
Es war nicht grundlos da und es würde auch nicht ohne Schäden verschwinden.
Nein, im Gegenteil.
Dieses Feuer sollte alles verändern.
Denn dieses Feuer brannte mein Zuhause nieder und dieses Feuer deutete den Krieg und dieses Feuer würde nur mit dem Tod verschwinden.
Es vergingen bloße Sekunden in denen wir fassungslos ins Tal starrten, dem plötzlichen Wolfsgeheul lauschten und nach einem unbekannten Zeichen suchten.
Als der Rauch sich dickte und immer schwärzer in den Himmel stieg, kroch das Leben zurück in meine Wölfe und schneller als ich schalten konnte biss Asher mir in den Kragen meines Pullovers, ließ mich Zentimeter über dem Boden schweben und rannte dann weiter den Berg hoch.
Diese Gegend war unser Zuhause.
Wir hatten schon immer hier gespielt. Diese Berge, diese Bäume, diese Wiesen und Felder und alles, was sich hier draußen verbarg, war unseren Kinderaugen nicht erspart geblieben. Wir kannten uns hier draußen besser aus, als irgendwo sonst auf der Welt. Und so wunderte es mich nicht, dass sie schnell einen Höhlenspalt fanden, der für sie sicher und geeignet schien.
Behutsam ließ Asher mich auf einem Felsen in der Höhle nieder und ohne Harm verwandelte er sich vor meinen Augen zurück in einen Menschen.
Hail folgte seiner Verwandlung und ohne Scheu traten die einstigen Wölfe direkt vor meine Augen.
»Was immer auch passiert, Magny, du bleibst in dieser Höhle, bis wir dich holen kommen. Dieses Feuer bedeutet Krieg und wenn wir kämpfen müssen, dann kannst du uns nicht helfen.
Ich flehe dich an, folge uns nicht nach. Der Gedanke daran, dass du nicht in Sicherheit bist, würde mich zu sehr ablenken.«
Asher lehnte seine Stirn ernst an meine und ließ Hail seine Predigt fortfahren.
»Wir werden dich holen kommen. Du darfst die Höhle unter keinen Umständen verlassen, denn das könnte jeder Zeit deinen Tod bedeuten. Hast du verstanden?«
Ich nickte ihm sorgenvoll zu.
Ich hatte ihn nahezu überdeutlich verstanden.
»Wir lieben dich, Schwesterchen. Vergiss das niemals. Was auch immer geschehen mag, diese Herzen hier, werden immer zu dir gehören.«
Asher legte seine Hand mitten auf die nackte Haut über seinem Herzen und Hail folgte dieser Geste mit tränenerstickter Miene.
Ich hatte längst begonnen zu weinen, denn Abschiede ertrug ich in keiner erdenklichen Weise.
Auch meine Hände fanden ihre Herzen und während ich ein letztes Mal auf ihre Herzschläge lauschte, lehnten sich beide Brüder an mich und küssten meine Stirn.
Viel zu schnell war ihre Nähe vergangen und sie zogen sich zurück, ehe sie mich mit letzten Blicken bedachten und dann vor meinen Augen wieder in ihre Wolfsgestalt wandelten.
»Ich liebe euch auch«, schluchzte ich ihnen hinterher und rollte mich auf dem kalten Felsen zusammen. Alle Wärme, die ich trotz des Winters gespürt hatte, war verschwunden und die Angst kroch mit plärrender Eiseskälte von meinen Zehen in meinen Oberkörper hinauf.
»Das ist kein Abschied, Magny. Wir sehen uns wieder. Das schwöre ich dir«, hallte es durch meinen Kopf, als sie längst verschwunden waren und mich alleine zurückließen.
Mir blieb nichts anderes übrig, als mich an diese stummen Worte zu klammern.
Die ganze Nacht.
Wie eine Ertrinkende.
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