IV. Dawson - 46
„Wenn du mal aufhören würdest herumzuzappeln wie ein Fisch auf dem Trockenen, könnte ich deine Krawatte ordentlich binden", fuhr Sam mich gereizt an. Sie sagte es dahin, als wäre es ganz einfach, ihren Wünschen zu folgen. Dabei war Stillhalten wirklich ein hochkomplexer Vorgang, der unglaublich viel Konzentration und vor allem Beherrschung erforderte. Das zu verlangen, wo mein Körper kribbelte vor Nervosität, grenzte an grausame Folter.
Weil ihre Nerven ohnehin blank lagen und um sie nicht zusätzlich zu reizen, legte ich den Kopf ein wenig in den Nacken und blickte an die schneeweiß gestrichene Decke. Unterdessen fummelte Sam an den Enden meines Galgenstrickes.
„Fertig", verkündete sie schließlich und strich den taubengrauen glänzenden Stoff glatt, rückte meinen Kragen ein paar Millimeter zurecht.
Nervös zog ich an meinen Sakkoärmeln. „Und du meinst nicht, das ist zu viel des Guten? Ich meine, wir stellen Motorräder her!" Unschlüssig sah ich auf den ungewohnt feinen Stoff meines neuen Anzuges.
„Hm. Moretti verkauft Motorräder und er trägt maßgeschneiderte Anzüge und nicht zu vergessen handgemachte Lederschuhe."
Dass er dabei wie ein Lackaffe aussah, war nichts was Sams Argument entkräften konnte. Also nickte ich brav und dackelte der Dunkelhaarigen hinterher in den Garten, wo wir unseren Platz neben dem Eingang im Schatten einiger tiefhängender Äste einnahmen.
Vor dem schmiedeeisernen Tor warteten bereits einige Trauben von Menschen. In einigen Leuten erkannte ich Kunden der Werkstatt wieder, andere kamen aus den umliegenden Dörfern, doch die meisten waren mir gänzlich unbekannt. Vielleicht waren sie, von Leroy und Riley angezogen, hierhergepilgert und hofften auf Autogramme oder Selfies mit den beiden Moretti-Stars. Gut möglich, dass der eine oder andere gekommen war, um die Gelegenheit zu nutzen, sich für „Be the Match" typisieren zu lassen. Das Team hatte bereits im heute klimatisierten Büro Stellung bezogen und wir würden jeden Interessenten auf dem Weg zur Izzi automatisch an den zwei hochmotivierten Frauen und Männern vorbeischleusen.
Obwohl mir klar war, dass sie noch nicht hier sein konnte, suchte ich nach Rileys Gesicht zwischen den Wartenden. Ohne Erfolg natürlich, deswegen aber nicht weniger hoffnungsvoll. Unauffällig blickte ich auf meine Armbanduhr. Noch etwa drei Minuten, bis Terence das Tor öffnen würde.
Abrahams Plan sah vor, jeden Besucher persönlich zu begrüßen, bis wir eine gute Stunde nach Beginn des Einlasses gegen 19.00 Uhr unsere Maschine enthüllen würden. Die Kellnerinnen und Kellner des Caterers standen bereit, um Getränke zu servieren und Fingerfood anzubieten. Das Buffet war mit Häppchen überfrachtet und die Werkstatt erstrahlte in unnatürlicher Sauberkeit und perfekter Ordnung. Sie war kein Arbeitsraum mehr, sondern eine strahlende Kulisse für unser kurvenreiches, rot-schwarzes Baby. Alles war bereit. Nur ich noch nicht. Mir graute vor der Menschenmenge und bei dem Gedanken daran, dass ich vor all diesen Fremden eine Rede halten sollte, bekam ich Schweißausbrüche der Extraklasse. Dann war da noch die Sache mit Riley. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich ihr gegenüber verhalten würde. Bis jetzt hatte ich noch nicht mal einen Plan, wie ich sie begrüßen sollte. Umarmen? Ein Küsschen rechts, eins links? Oder lieber Abstand halten? Beinahe wäre ich mir verzweifelt durch die frisch gestyleten Haare gefahren, stoppte aber gerade noch rechtzeitig, bevor ich durcheinander brachte, was Chad hingebungsvoll frisiert hatte. Suchend sah ich mich nach dem Besagten um und entdeckte ihn, wie er einem Kellner unauffällig zeigte, welche Gäste als erstes bedient werden sollten. Unglaublich, dass Chad sich das anhand einiger Fotos aus dem Internet angeeignet hatte, die Sam ihm gezeigt hatte. Chad hatte ein Gehirn wie ein Pferd, stellte ich mal wieder fest und dann mit Neid, dass das noch nicht alles war. Seine größte Stärke war, sich in Windeseile an neue Situationen anzupassen, wo ich träge in meinem Fahrwasser lag wie ein Schweröltanker.
Mit klimperndem Schlüsselbund öffnete Terence schließlich das Tor und ich legte meine volle Aufmerksamkeit auf die Menschen, die auf mich und Sam zuströmten. Ein nicht endender Mahlstrom an Menschen mäanderte an uns vorbei. Wir begrüßten freundlich und ausnahmslos jeden, der sich nicht wegstahl, schickten alle den breiten mit Kordeln markierten Weg entlang.
„Hoffentlich reicht der Champagner", murmelte Sam schon bald und sah verkniffen zu mir hoch. Ich folgte ihrem Blick über den Garten, der sich langsam füllte und wo sich im Schatten der Bäume und der Pavillons Neugierige und Interessierte tummelten. Die Bedenken ihrerseits waren absolut nachzuvollziehen.
„An dem Ansturm sind Riley und Leroy sicher nicht unschuldig", murmelte Sam neben mir und lächelte weiterhin jeden Neuankömmling freundlich an. „Einige werden hauptsächlich wegen eines Autogrammes kommen und wegen dieser Typisierung."
„Möglich", gab ich leise zurück. Die selben Gedanken hatte ich mir ebenfalls gemacht. „Aber uns kann es nur recht sein, wenn wir kostenlose Publicity bekommen."
„Nur hilft uns das nicht, wenn die Hälfte der Leute nicht wegen unserer Izzie kommt! Wir wollen keine Autogramme verkaufen, sondern Motorräder, Dawson", belehrte mich Sam angespannt. Beruhigend legte ich meinen Arm um ihre Schulter und drückte sie kurz.
„Aber sie erzählen es weiter, posten auf Insta oder twittern. Das wird schon", zählte ich ihr verschiedene Kanäle auf, über die sich unser Bike in absehbarer Zeit verbreiten würde.
„Schon klar, Grady, ganz blöd bin ich nicht." Gespielt beleidigt zog sie eine Schnute. Ihre lustig blitzenden Augen verrieten sie wie jedes Mal. Doch dann erlosch das Leuchten und sie wagte einen prüfenden Blick in mein Gesicht. „Du bist ein bisschen blass um dein Näschen, mein lieber. Willst du schon reingehen?", erkundigte Sam sich und fragend sah ich sie an. „Warum denn?"
„Es ist viertel vor sieben. Vielleicht willst du noch etwas trinken, bevor du die Rede hältst? Oder, keine Ahnung, was du tust, damit du nicht vor Aufregung aus den Latschen kippst." Ihre Besorgnis war süß, dass sie aber genau auf meiner Angst herumritt, ich könnte einfach tot umfallen, bevor ich auch nur ein Wort gesagt hatte, machte mich noch nervöser.
Ich kniff die Lippen zusammen. Die Zeit war wie im Flug vergangen, langsam trafen immer weniger Gäste ein. Doch die auf deren Beistand ich mehr als alles andere gehofft hatte, war noch nicht da. Nervös rieb ich über meinen Unterarm, me4kte dann, was ich da machte und ließ es sein. Nicht jetzt. Nicht wenn jeden Augenblick Riley hier aufkreuzte.
„Nur noch kurz", murmelte ich. „Sie müsste jeden Augenblick kommen." Nervös strich ich wieder über meinen Ärmel, nickte ein paar jugendlichen Nachzüglern zu, die durch das Tor traten. Dann ebbte der Strom vollends ab. Von Riley keine Spur. Dabei hatte sie heute Morgen doch geschrieben, sie würde es nicht pünktlich aber in jedem Falle rechtzeitig zu meiner Rede schaffen.
Enttäuscht blickte ich zum Tor, dann zu Sam. Sie war nicht gekommen, daran gab es nichts zu deuteln. Und ich konnte nicht länger auf sie warten. All die Gedanken, was ich tun oder sagen würde, was angemessen war oder nicht, waren umsonst gewesen. Reine Zeitverschwendung.
Ein einzelnes Wuff, das von der Treppe kam, wo Hund lag, ließ mich aufsehen. Hund hatte den Kopf gehoben, seine Ohren wackelten und langsam erhob er sich, dann seinen Schwanz, der in der Luft zwei mal hin und her pendelte, ehe er auf mich zu kam und schnurgerade an mir vorbei lief.
„Er wird immer seltsamer", ätzte Sam hinter mir. „Was hat er vor?"
„Riley begrüßen?", stellte ich fest und sah Hund nach, wie er kläffend die Auffahrt runter rannte. Inzwischen hörte auch ich das Motorengeräusch, das sich näherte.
Leider nicht die ersehnte Moretti-Limousine, nur ein einzelnes Motorrad fuhr von Hund begleitet, der begeistert bellte, in den Hof.
Sam griff nach meinem Unterarm und drückte ihn fest. „Ach du Scheiße", zischte sie neben mir. Als ich sie ansah, hatte ihr Gesicht sämtliche Farbe verloren, ihr Mund war eine grimmig zusammengepresste Linie, Lippen nicht mehr zu erahnen. Hund und Sam hatten nie eine enge Bindung aneinander gehabt, sonst hätte das Tier, genau wie ich bemerkt, dass etwas nicht stimmte und aufgehört, wie ein bekloppter um den Besucher herumzuspringen und sich wie blöde zu freuen.
„Hund, lass das, komm her!", forderte ich ihn auf, doch es schien ihn nicht die Bohne zu interessieren, egal wie oft ich ihn rief.
Sams Handgriff um meinen Unterarm verstärkte sich. „Begrüß du ihn, bitte, Dawson. Ich... ich glaube, ich kann das nicht", krächzte Sam und rannte auf ihren Pumps davon. Ließ mich mit dem Fremden mutterseelenallein, der soeben seinen Helm abnahm. Dunkle, unordentliche Haare kamen zum Vorschein, die der Typ mit den Händen halbwegs ordnete, damit sie ihm nicht mehr ins Gesicht fielen. „Ist gut jetzt, Jay. Aus", fuhr er dann den Hund an und der stellte tatsächlich den Schalter für den Höllenlärm auf lautlos. Wie ein Fernseher, bei dem man den Ton abgedreht hatte, hopste Jay schwanzwedelnd vor dem Mann herum.
Wer er war, stand nach Sams und Jays Reaktion außer Frage. Abschätzend musterten wir einander über die paar Meter Rasen hinweg, schließlich bewegte ich mich auf ihn zu. Als ich ihn erreicht hatte, streckte ich ihm die Hand hin, die er sofort schüttelte.
„Grady", stellte ich mich vor. „Ich nehme an, du bist Jimmy?"
„Genau der. Wollte mal schauen, was der alte Mann aus meinen Entwürfen gezaubert hat." Er sah auf seine Armbanduhr. „Bin ein bisschen knapp dran."
Er legte seinen Helm auf den Bock, dann sah er sich neugierig um. „Hat sich ganz schön was getan, seit ich zuletzt hier war. Hätte nicht gedacht, dass Abraham den Sauhaufen mal so auf Vordermann bringt."
Abschätzend musterte ich Sams Ex, mit dem sie auf dem Papier noch immer verheiratet war, von der Seite. Braungebranntes Gesicht, strahlende Augen. Leichter Bartschatten. Er war nicht unansehnlich. Wenn ich nicht bereits auf Grund der Vorgeschichte Vorbehalte gegen ihn gehabt hätte, möglich, dass ich ihn als sympathisch eingestuft hätte. Aus Loyalität zu Sam ging das natürlich nicht. Wenn das nicht gereicht hätte, der Kommentar über Abrahams Saustall machte jedes freundliche Entgegenkommen undenkbar. Ich stempelte ihn mit dem Prädikat „besonders überheblich" und verhielt mich entsprechend ablehnend.
„Vielleicht hätte er es schneller geschafft, wenn du dich nicht verpisst hättest?", ätzte ich und setzte mich in Bewegung.
„Man muss sehen, wo man bleibt, Grady", antwortete er nüchtern. „Und wie viel eine Frau Wert ist, die sich vom erstbesten Arbeiter schwängern lässt, der hier vorbeikommt, das erklärt sich von selbst", brummte er.
Schon klar, dass er mich provozieren wollte. Tief atmete ich ein, suchte eine Antwort. Doch da war einfach keine, die so gut passen wollte, wie meine Faust auf seine Nase. Bewusst entspannte ich die Hand, die ich zur Faust geballt hatte.
„Ich muss eine Rede halten." In Gedanken setzte ich hinzu: und Sam finden. „Du findest sicher selbst einen Platz", verabschiedete ich mich, bevor ich etwas Dummes tun konnte. Sowas wie sein Gesicht gegen einen Verandapfosten schlagen oder damit meinen Wagen zu polieren. Ohne den Typen in meinem Rücken weiter zu beachten, hastete ich ins Büro, wo mich die Leute von dieser Stammzellen-Sache etwas irritiert ansahen, dann sprintete ich weiter zur Küche und von dort in die Werkstatt. Keine Sam. Verfluchte Axt! Wo steckte sie?
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