III. Teil RILEY - 38
„Hey, du bist wach!" Erfreut schob ich die Tür auf, die ich zunächst nur einen Spalt weit geöffnet hatte und betrat das steril weiße Krankenzimmer, in dem Leroys Tätowierungen zu den wenigen Farbtupfern gehörten.
„Offensichtlich", brummte der Dunkelhaarige. „Und ich langweile mich!", meckerte er dann. „Wie lange dauert das denn noch, bis ich verlegt werden kann?"
Schmunzelnd trat ich an das Bett und drückte dem ungeduldigen Exemplar eines Kranken einen Kuss auf die Wange.
„Du siehst schon viel besser aus als die letzten Tage", stellte ich fest.
„Lenk nicht vom Thema ab, Riley. Für den Transport zahle ich eine horrende Summe. Da kann ich wohl erwarten, dass man mich mal informiert, was der Plan ist! Auf was warten wir denn noch?"
Um Geduld bemüht schlug ich einen sanften Tonfall an. „Darauf, dass die Ärzte sicher sind, dass dir auf dem Flug nichts passiert. Sie beraten das gerade noch. Aber wenn Dr. Steinfield sein Okay gibt, kann es innerhalb kürzester Zeit losgehen. Der Hubschrauber und der Pilot sind auf Abruf und Moretti hat einen Pfleger für dich organisiert."
„Ich wollte eine Krankenschwester", maulte Lee und verzog leidend das Gesicht. Dann hob er die Hand und zählte an den Fingern ab: „Jung. Blond. Hübsch. Körbchengröße C. Schuhgröße 37 und hochhackige Schuhe in der Farbe ihres Lippenstiftes. Kann Moretti nicht einmal was richtig machen?"
Dunkelhaarig, hager, zweiundsechzig. Männlich. Ich grinste bei dem Gedanken an den Pfleger, der Leroy nach Kalifornien begleiten würde.
„Wir bekommen eben nicht immer, was wir uns wünschen, Lee!" Erstaunt kniff ich die Lippen zusammen. Der Satz war viel weniger neckend herausgekommen, als geplant. Fast schwermütig klang ich. Dabei wollte ich Leroy zu Liebe so gerne optimistisch und zuversichtlich wirken. Statt ihn moralisch zu unterstützen, war es genau andersherum. Ihm fiel die Aufgabe zu, mich aufzubauen.
„Mach Dir nichts draus. Du hast es versucht und es hat nicht geklappt. Wir haben die nächsten Wochen noch drei Veranstaltungen. Vielleicht finden wir mit Glück schon dort einen Spender für Laila." Aufmunternd musterten mich seine dunklen Augen. „Du tust schon so viel mehr für meine Schwester und mich, als normal wäre."
Plötzlich kippte seine Stimmung und er wendete den Blick ab. An seiner belegten Stimme konnte ich dennoch genau ablesen, was ihn bewegte und dass er sich gefährlich nahe an den Tränen bewegte, die er äußerst ungern weinte. „Wer weiß, ob es in vier Wochen bei der Präsentation nicht ohnehin schon zu spät ist. Sie wird immer schwächer. Vielleicht würde sie die Knochenmarksspende schon gar nicht mehr erleben, selbst wenn wir in Alabama noch einen passenden Spender auftreiben."
Mit seiner Einschätzung hatte Leroy vielleicht recht. Denken wollte ich an diese Möglichkeit jedoch nicht im Entferntesten. Die Kämpferin in mir wollte nicht einfach aufgeben. Nicht wenn es ums Schwimmen ging und erst recht nicht, wenn es um das Leben von Leroys Zwillingsschwester ging. Das war einfach unvorstellbar.
„Trotzdem werde ich es noch einmal versuchen. Vielleicht, wenn ich mit Abraham oder Sam re-„
„Nein, Riley. Wenn sie es nicht wollen, werde ich nicht betteln. Du hast gesagt, sie haben es besprochen und sind sich einig." Fest sah er mich an und drückte ebenso fest meine Hand. „Wir suchen eine andere Möglichkeit."
Sein Blick hielt meinen gefangen und zustimmend nickte ich. „Okay, ich rede mit der PR-Abteilung, welche Termine du in deinem Zustand wahrnehmen kannst. Dann klappere ich die Veranstalter ab, ob wir ein Team der Knochenmarksspende mitbringen dürfen."
Leroy sagte darauf nichts. Doch die Dankbarkeit, die Andeutung eines Hoffnungsschimmers in seinem Gesicht war genug Antwort und ebenso aussagekräftig wie die Tatsache, dass er erschöpft die Augen schloss und sein Gesicht verzog, als er angestrengt tief durchatmete.
„Ruh dich ein bisschen aus, Lee. Ich lass mir die Liste schicken. Wir gehen sie später durch, okay?"
„Danke", murmelte er und ich schlich betrübt hinaus auf den Korridor. Ihm ging es nicht gut. Die Formulierung war noch untertrieben. Leroy ging es körperlich beschissen. Er hatte Unmengen Blut verloren. Eine frische OP-Narbe zog sich über seinen Unterleib, Schrauben und Platten hielten seinen Unterarm zusammen. Die Tatsache, dass er sich schnell erholte, war nur dem Umstand geschuldet, dass er jung und vor seinem Unfall topfit gewesen war. Das hatte Dr. Steinfield in den vergangenen Tagen mehrfach betont. Immer in einem Atemzug mit der Tatsache, wie wichtig es war, sich nach einem schweren Unfall Ruhe zu gönnen. Nur interessierte Leroy die Meinung seines Arztes nicht die Bohne. Wozu auch? Dr. Steinfeld hatte nur über Jahre Medizin studiert. Kein Grund also, auf ihn zu hören, nicht wahr?
Am frühen Nachmittag bekam Leroy grünes Licht für seinen Flug nach Hause. Das letzte, was ich somit hier zu erledigen hatte, war, den völlig überdrehten Rennfahrer in dem, wie er behauptete, lahmen Rollstuhl zu den Aufzügen zu bringen und mit ihm in den obersten Stock zu fahren. Dort warteten bereits Dr. Steinfield und der Pfleger auf uns.
„Ich wünsche ihnen einen angenehmen Flug und weiterhin gute Besserung, Mr. Fitz. Auch für ihre Schwester die besten Wünsche."
„Danke, Doktor", antwortete Leroy aufgeräumt. „Und danke fürs Zusammenflicken. Ein Handarbeitskurs wäre aber kein Fehler." Er hob das weite Shirt, das anzuziehen uns viel Mühe bereitet hatte. „Sieht nicht gerade hübsch aus."
Der Arzt schien sich an Lees Humor bereits gewöhnt zu haben, denn er schmunzelte lediglich, bevor er sich an mich wandte. „Für sie ebenfalls alles gute Mrs Thompson."
Mehr als meinen Dank schien der Arzt nicht zu erwarten, denn er verschwand danach ohne großes Aufhebens und ich stellte mich der Tatsache, dass es nun Zeit für einen Abschied wurde. Zu Leroy heruntergebeugt umarmte ich ihn. „Pass auf dich auf Lee", bat ich ihn und spürte sein Nicken an meiner Wange.
„Du auch, mein Supermodel. Meld dich, wenn du gut in Miami angekommen bist." Kurz zögerte er. „Nein, meld dich stündlich, damit ich weiß, dass bei dir alles okay ist."
„Könnte schwierig werden. Aber ich schreib, so oft es geht", versprach ich.
Und dann war ich plötzlich allein in dem Korridor und die Stahltür durch die der Pfleger Lee geschoben hatte, knallte mit solcher Endgültigkeit zu, dass ich bei dem Geräusch zusammenzuckte. Lee war fort und mit ihm die Ablenkung, die ich in den vergangenen Tagen gehabt hatte. Verschwunden war all die hektische Aktivität, die die trostlose Stimmung überdeckt hatte, die immer wieder ihre klammen Finger nach meinem Herz ausstreckte, wenn ich zur Ruhe kam, wie gerade jetzt.
Als der Motor des Hubschraubers erklang und kurz darauf das flappende Geräusch der Rotorblätter, katapultierte mich dieses aus dem Stand zurück an die Rennstrecke, in Dawsons Arme. Was ich die vergangenen Tage verdrängt hatte, holte mich schlussendlich doch ohne Gnade ein: das sichere Wissen, dass Dawson und ich uns nicht wiedersehen würden. Ich hatte viele bittere Enttäuschungen hinter mir und hatte trotzdem immer die Hoffnung bewahrt, dass ich nach all den vielen Medaillen und Pokalen, sein Herz für mich gewinnen könnte, wenn ich nur nicht aufgab und immer weiter kämpfte. Dass es Windmühlen seiner Vergangenheit waren, gegen die ich kämpfte, das war immer wieder schmerzhaft, aber okay gewesen. Es hatte mir nichts ausgemacht. Um ein bereits kaltes, ein totes Herz, konnte ich nicht weiter kämpfen. Und nur ein totes Herz konnte Leroys Bitte, ein Team zur Registrierung für eine Knochenmarkspende mitbringen zu dürfen, ablehnen.
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