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Grimmig wie zuvor reichte Dawson mir die ersten Säcke herauf und ich stapelte sie haargenau, wie er es mir erklärt hatte. Immer abwechselnd. Zwei Säcke der Länge nach, drei Säcke quer darüber. Je höher der Stapel wurde, desto schwieriger wurde es, das Gewicht nach oben zu hieven und ich spürte meine Armmuskeln mehr als nach stundenlangem Training in einer Gegenstromanlage. Dawson hingegen schien die Last überhaupt nichts auszumachen.
Bei ihm sah es aus, als würde es sich um kleine Einkaufstüten handeln. Seine gut trainierten Arm- und Rückenmuskeln arbeiteten unter seinem Shirt beachtlich und gerne hätte ich mehr Zeit gehabt, das Muskelspiel zu beobachten. Jeder dicke Strang spannte sich und zeichnete sich fest und klar definiert unter seiner Haut ab. Vage konnte ich mich erinnern, wie sie sich unter meinen Händen angefühlt hatten, wenn ich darüberstrich und es juckte mich in den Fingern, diese Erinnerung aufzufrischen.
Der Stapel, den ich aufschichtete, reichte mir schon gut bis zur Schulter, als Dawson schließlich verkündete, es sei ein Ende in Sicht. „Das sind die beiden letzten", informierte mich Dawson und reichte mir einen weiteren der großen Beutel. Doch meine Muskeln streikten schon auf Brusthöhe. Vor Erschöpfung oder weil ich von Dawson abgelenkt gewesen war. Oder vielleicht traf beides zu. Der Sack bog sich jedenfalls durch, ich lehnte mich nach hinten, um das herabhängende Ende mit Schwung weiter nach oben zu befördern und verlor dabei mein Gleichgewicht. Strauchelnd bewegte ich mich rückwärts, in dem hilflosen Bestreben irgendwie doch noch auf den Beinen zu bleiben. Hart stieß ich gegen Dawson, der ächzte, als ich ihn mit dem Ellbogen rammte.
Ohne auf seine schmerzenden Rippen zu achten, fing er mich geistesgegenwärtig ab, mit dem anderen Arm griff er helfend unter die Plastiktüte, die sich bleischwer anfühlte, und verhinderte gerade noch, dass ich unter dem Rindenmulch begraben wurde. Mit Schwang warf er den Sack auf den Stapel.
„Himmel, Riley! Warum sagst du mir denn nicht, wenn dir die Dinger zu schwer sind?" Dawson hatte noch immer einen Arm um meine Taille, ich spürte die Vibration seiner dunklen Stimme sanft in meinem Brustkorb, sein Atem kitzelte an meinem Hals. Ich fühlte die Hitze seines Körpers auf meiner Haut und einen kurzen schwachen Moment lang wollte ich mich einfach gegen seine Brust lehnen und Atem schöpfen. Doch als hätte er sich due Finger verbrannt, hatte Dawson mich bereits wieder losgelassen. Er kümmerte sich um den letzten Sack und die Spanngurte. Unauffällig wischte ich mir derweil den Schweiß von der Stirn und dann die Hände an der Hose ab. Wenig dynamisch wollte ich von der Ladefläche klettern, doch Dawson stoppte mich, in dem er mir eine Hand auf die Schulter legte. „Bleib hier im Schatten sitzen, ruh dich ein bisschen aus. Ich geh das Zeug bezahlen und hol die Blumen, okay?" Da war er wieder. Dieser Hauch Fürsorge, der jedes Mal mein Herz erwärmte, egal, wie aufbrausend oder verletzend er zuvor gewesen war.
Bei dem Gedanken an all die Pflanzen, die vor dem Gewächshaus standen, wurde mir beinahe schlecht. Sam hatte gesagt, die sollten morgen eingepflanzt werden. Momentan zweifelte ich aber schwer daran, dass ich nur ein einzelnes grünes Blatt heben konnte. Ganz zu schweigen davon, mit einem Spaten Löcher auszuheben.
Wie zu erwarten war, hatte Sam große Rabatten geplant. Alles andere hätte in dem riesigen Garten, der die Werkstatthalle umgab, seltsam ausgesehen. Was ich zu dem Zeitpunkt, als meine Beine von der Ladefläche baumelten, noch nicht auf dem Schirm hatte, war die Tatsache, dass es die Rabatten noch nicht gab und diese nach Sams Anweisungen erst angelegt werden mussten.
In der Hitze des Nachmittags standen Dawson und ich schließlich im Garten und lauschten Sams Ausführungen. Mit weißer Lackfarbe sprühte sie Form, Größe und Lage der Beete auf das Gras und erklärte uns, wie der Rasen abzustechen sei.
„Du bist verrückt, Sam", stellte Dawson fest, als er sich mit ihr über die Pflanzpläne beugte. „Wer soll das denn alles eingraben?"
„Na du und Riley natürlich! Chad und Lio kümmern sich heute um die Auswahl der Pavillons und Chad hat anscheinend noch was in der Stadt zu erledigen. Zum Abendessen sind sie aber wieder hier."
Dawson brummte irgendwas Unverständliches. Das, was ich heraushörte, klang nach Sklaventreiber und Drückebergern.
Eine Stunde später kniete ich in geliehener Arbeitskleidung neben Dawson und hob die Grassoden auf, die er abstach. Diese warf ich in eine Schubkarre und transportierte sie dann in den hinteren Teil des Gartens, wo sie niemanden störten. Als ich mit Lio hergefahren war, hatte ich sicher nicht an Gartenarbeit gedacht. Ich stellte aber fest, dass die nicht mal schlimm war. Wäre Dawson nicht ein ausgesprochen missmutiger Geselle gewesen und ein wenig gesprächiger, hätte ich vielleicht richtig Spaß an der Sache gehabt.
Als es Zeit für das Abendessen wurde und wir unser Gartenwerkzeug weggeräumt hatten, ließ ich mich erschöpft auf die unterste Stufe der Treppe sinken, die zu Dawsons Zimmer führte. Dieser verschwand gerade genau dort, um zu duschen. Mir hatte er sein Badezimmer ebenfalls angeboten. Das konnte ich unmöglich ablehnen. Erde und Schweiß hatten sich als juckende Dreckschicht auf meinem Körper verbunden, was ich einfach nur widerlich fand.
„Hey", hörte ich Dawson hinter mir. Zwei Stufen über mir warf er sich nun ebenfalls auf die Holztreppe. Eine Flasche eiskaltes Bier schob sich langsam und verlockend von links oben in mein Blickfeld. Kondenswasser überzog das Glas in einer dichten Schicht winziger glitzernder Tropfen. Zu erst hatte ich kein Auge für das Getränk. Sein Unterarm interessierte mich viel mehr. Diese leicht schartige von Narben zerfurchte Fläche, die hell und glänzend in seine leicht gebräunte Haut eingebettet war. Keine geröteten, frischen Wunden. Er schien das hinter sich gelassen zu haben. „Vielleicht weckt das deine Lebensgeister wieder?"
Möglicherweise half mir ein kaltes Getränk, vielleicht brachte der Alkohol darin mich nach der harten Arbeit auch einfach um. Oder ich fiel sofort nach dem Genuss ins Koma, weil ich kaum etwas gegessen hatte. Alle drei Varianten waren in Ordnung.
„Willst du hier mitessen, oder soll ich dich nach dem Duschen heimfahren?"
„Essen klingt phantastisch", murmelte ich und trank die Hälfte des kalten Biers in einem Zug. Genussvoll stöhnte ich und stützte meine Ellbogen auf die Stufe hinter mir. Aus dem Augenwinkel fing ich Dawsons Blick auf. Seit dem Zwischenfall auf der Ladefläche war da diese eigenartige Spannung zwischen uns und zum seither hundertsten Mal musterte Dawson mich von der Seite, wenn er annahm, ich würde es nicht bemerken.
Tat ich aber und diesmal begegnete ich seinen Augen direkt, damit er wusste, dass ich nicht blind war. Sekundenlang wich keiner dem anderen aus. Mein Herz begann wild zu klopfen. Im Licht der Sonne wirkten seine Augen nicht mehr stürmisch grün, sondern wieder fast türkis und wanderten langsam zu meinen Lippen. Nervös leckte ich darüber, während ich wie gebannt in das noch immer vertraute Gesicht blickte.
Mit einem Ruck stand Dawson auf, unterbrach den Blickkontakt und ging an mir vorbei die letzten Stufen runter. „Beeil dich im Bad. Abraham hasst es, wenn wir mit dem Essen warten müssen", belehrte mich Dawson frostig wie das Bier bereits im Weggehen. Verwirrt sah ich ihm hinterher.
Aus ihm sollte jemand schlau werden. In einem Moment sah er mich an, als würde er mich am liebsten verschlingen, im nächsten zog er sich in seine Festung zurück, schlug die Tür zu und schluckte den Schlüssel runter, damit ihm nichts und niemand zu nahe kam. Schon gar nicht ich.
Der Duft nach Dawsons Duschgel hing schwer in der Luft, als ich sein zweckmäßig eingerichtetes Zimmer betrat. Sein Bett stand gleich rechts neben der Tür in einer Nische. Ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen befand sich zur Linken. Neben dem Tisch führte eine Tür ins Bad. Gerade voraus machte ich neben einem Reisebettchen einen Minikühlschrank aus, der leise Brummgeräusche von sich gab. Ich trank mein Bier aus und stellte die leere Flasche auf dem Kühlschrank ab und betrachtete das Kissen und den Schlafsack im Kinderbett. Dass Dawson Vater war, hatte für mich aus der Ferne immer ein wenig abstrakt gewirkt. Hier war es erschreckend real und wie er das Mädchen gestern auf dem Arm gehalten hatte, war auf berückende Weise niedlich gewesen. Izzie war unglaublich süß mit ihrem winzigen Stupsnäschen und Dawsons grünen Augen. Auf seinem Arm wirkte sie noch viel winziger, als sie in Wirklichkeit war.
Unter der Dusche griff ich nach Dawsons Duschbad, schnüffelte vorsichtig daran. Der Geruch entlockte mir ein Lächeln, obwohl ich feststellen musste, dass es auf seiner Haut ganz anders roch. Die Mischung aus seinem eigenen Duft und dem blauen Gel, das aus der Flasche ploppte, als ich sie etwas zu fest zusammendrückte, machte einen himmelweiten Unterschied.
Ich sah dem blauen Klecks nach, den die Flasche vor meine Füße gespuckt hatte und verfolgte, wie er im Abfluss aus meiner Reichweite verschwand. Genau wie der Dawson von früher verschwunden war. Der, an dessen breiter Brust ich von einer gemeinsamen Zukunft geträumt hatte, die er nie für uns geplant hatte. Für ihn hatte immer festgestanden, dass sein Weg ihn zurück nach Alabama führen würde, fort von mir.
Wieder traten mir Tränen in die Augen. Ich war müde, hungrig, allein und hatte ein riesiges Problem, von dem ich nicht wusste, wie ich es lösen sollte, wenn ich nicht plötzlich den Mut einer Löwin entwickelte.
„Zur Hölle mit dir, Leroy", fluchte ich lauthals und trat mit dem Fuß gegen die Wand. Das brachte mir nichts außer einem kurzen Schmerz und Ameisenkribbeln im Fußballen. Tat aber trotzdem gut.
Das Abendessen wurde... schwierig. Nicht, weil es nicht schmeckte, sondern weil es gar nicht das war, was ich normalerweise aß und es fehlten ein paar Dinge, die mein Körper dringend brauchte, um zu funktionieren. Während ich den Inhalt der Nahrung gedanklich aufdröselte, warf ich Chad einen Blick zu. Hatte Lio nicht was von Dialyse erzählt? Müsste Chad dann nicht mehr Eiweiß und sehr phosphatarm essen? Unser Dozent hatte es jedenfalls in dieser Form im Script verewigt, da war ich mir ganz sicher.
Weil ich Chad immer wieder musterte, als könne ich dadurch zumindest dieses Rätsel um ihn lösen, warf er mir irgendwann einen fragenden Blick zu und nach dem Essen nahm der Blonde mich beiseite. Er wirkte zerknirscht.
„Der Spruch gestern war Scheiße, tut mir leid." Er rümpfte reumütig seine spitze Nase.
„Der hätte von Lio sein können", antwortete ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst von mir geben sollte. „Irgendwie bin ich den Mist inzwischen gewöhnt."
„Also kein Problem zwischen uns?" Forschend musterte er mich unter seinen buschigen blonden Augenbrauen heraus. Meine Antwort abwartend vergrub er seine Hände in den Hosentaschen seiner Jeans.
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