6

„Ihr präsentiert eine Maschine, die ihr noch nicht getestet habt?" Entgeistert sah ich Sam über meine Kaffeetasse hinweg an.

„Nein! So ist es nun auch nicht! Dawson hat sie auf der Teststrecke schon gefahren und immer wieder auch zwischendurch. Aber er war unzufrieden mit der Endgeschwindigkeit. Die letzten Tage hat er noch ein bisschen an der Leistung geschraubt und denkt, er bekommt sie auf gerader Strecke weit über die dreihundert Kilometer pro Stunde."

Sämtliches Blut wich aus meinem Gesicht. Angst presste mein Herz zusammen. „Aber er hat doch gar keine Erfahrung mit solchen Geschwindigkeiten."

Sams stellte energisch ihren Kaffeebecher auf der Arbeitsplatte ab. Sie wirkte aufgewühlt und besorgt, sofern ich das nach den wenigen Augenblicken einschätzen konnte, die wir uns kannten.

„Meine Rede. Aber was soll ich machen? Dawson ist besessen von der Idee, das Ding über diese Marke zu bringen. Er will das nächste Woche unbedingt durchziehen."

Mein Magen zog sich zusammen. Mir würde übel.

„Nächste Woche schon?"

Sam nickte. „Mittwoch fliegt er und für Donnerstag plant er die Testfahrt über die Flats."

Ich nickte wie erschlagen. Utah. Salt Flats. Die Ebene, wo Rekordgeschichte geschrieben wurde. Erst vor kurzem war ich selbst dort. Ich war fasziniert gewesen von der salzigen Ebene, die das Licht reflektierte wie Schnee. Alle zwei bis drei Wochen flog Leroy mit ein paar seiner Kumpels nach Utah, um zwischen den Rennen und Trainings noch ein bisschen Extra-Adrenalin zu tanken.

Mein Blick lag lange auf Izzie. In meinem Magen grummelte es. Wie konnte Dawson so etwas unfassbar Dummes planen, wo er eine niedliche kleine Tochter hatte! Dass Izzie einen Vater brauchte, sollte er von allen Menschen auf dieser Welt am besten wissen. Das war doch verrückt!

„Warum fragt ihr nicht Leroy Fitz?", platzte ich heraus. „Er ist Rennfahrer. Er kennt die Bedingungen in Utah wie kein anderer."

„Wir könnten uns einen hochkarätigen Fahrer wie ihn überhaupt nicht leisten, Riley." Sam schlürfte ihren Kaffee. Ich pustete erstmal in meinen. Ob mein aufgeregter Magen gerade Inhalt annehmen konnte, war ich gar nicht sicher.

„Vielleicht will er die Izzie in Utah trotzdem fahren. Er ist ein totaler Adrenalinjunkie und wenn er eine Maschine wie eure in die Finger kriegen kann, ist er mit Sicherheit daran interessiert."

Hoffnung blitzte in Sams Augen auf, eine Gefühlswallung, die ich mit ihr teilte.

„Ich kann ihn gerne fragen", bot ich an. „Nur müssten wir jemanden finden, der Dawson überzeugt." Das war der Punkt der mir Sorgen machte. Dawson hatte oft genug seinen Dickschädel unter Beweis gestellt. Sam beruhigte mich aber, was das anging. Dawson war zwar der technische Leiter und hatte einen Großteil der Entwicklung in die Hand genommen. Dennoch war und blieb er ein Angestellter und in Hinblick auf die Arbeit an ihre Weisungen und die ihres Dads gebunden. Wenn sie ihm sagten, er dürfe die Izzie nicht fahren, dann musste er es akzeptieren, ob er wollte oder nicht.

Nachdem Sam vor der Werkstatt geparkt hatte, ging sie ins Büro und ich suchte mir ein ruhiges und schattiges Plätzchen unter einem Baum und lehnte mich dort gegen die borkige Rinde. Der Garten war groß und wirkte ein wenig verwildert, obwohl zu sehen war, dass jemand sich Mühe gegeben hatte, die Natur zu zähmen. Die Hecke war frisch geschnitten, die Wiese gemäht worden, sah aber sehr ausgedünnt aus, sodass man den Untergrund zwischen den Stengeln durchscheinen sah. Mit Blumenrabatten ließ sich von dem lichten Grün sicher ein wenig ablenken.

Leroy anzurufen verschaffte mir noch einen kurzen Aufschub, bevor ich Dawson gegenübertreten musste. Fünf Minuten, geisterte es mir seit gestern zum hundertsten Mal durch den Kopf, hätten gereicht, mir diese Peinlichkeit zu ersparen. Hätte er nicht einfach gehen können, ohne mich zu sehen? Oder mich wenigstens nicht anstarren können?

Leises Schnaufen erklang nahe an meinem Ohr und erschrocken zuckte ich zusammen. „Hund! Was schleichst du dich denn so an?", rügte ich ihn.

Er legte den Kopf schief, als wollte er mir sagen: „Was träumst du denn hier rum?" Gähnend streckte er sich und machte es sich neben mir gemütlich.

„Na, du bist ja gar kein Hund!", neckte ich den struppigen Vierbeiner. „Du bist ein Faultier!" Ich streichelte über den kantigen Kopf und Hund ließ sich zur Seite kippen, dann schloss er seine Augen und genoss die Streicheleinheiten. Als ich mein Handy herausholte, um mit Leroy zu sprechen, hob er sehr kurz den Kopf, entspannte sich aber sofort wieder, als ich zu telefonieren begann.

Eine knappe halbe Stunde später, stürmte ich ins Büro. Ich war völlig euphorisch, weil Leroy ohne lange Diskussionen zugestimmt hatte. Ich konnte mein Glück beinahe nicht fassen! Dawson saß an seinem Schreibtisch und sah auf, als ich hereinpolterte. Seine Augen leuchteten wie grünes Feuer und ein feines Lächeln lag um seine Lippen, als er mir einen guten Morgen wünschte. Wie angewurzelt blieb ich stehen, mein Herz stolperte ungeachtet davon weiter und flog Dawson zu. Und das nur wegen eines spontanen Lächelns, das eigentlich nur ein Angedeutetes war. Das hätte mich nicht komplett aus der Fassung bringen sollen. Tat es aber.

Ich will dich hier nicht haben.

Bei seinem Anblick hatte ich das beinahe vergessen, nun holten mich seine Worte ohne Gnade in die Realität zurück.

Ich fühlte, wie meine Wangen sich erwärmten, weil mir auffiel, dass ich ihn gerade anstarrte. Peinlich. Befangen wünschte ihm ebenfalls einen guten Morgen und wendete mich an Sam, die mich erwartungsvoll ansah. Ich wollte sie nicht lange hinhalten und fasste das Telefonat mit einem „Er macht es" kurz und präzise zusammen.

„Er ist wer? Und er tut was?" Argwöhnisch musterte mich Dawson über seinen Bildschirm hinweg. „Du kennst Leroy Fitz? Den Rennfahrer? Wir hatten zusammen ein paar Shootings für Werbeaufnahmen. Ich habe gerade mit ihm telefoniert und er kommt am Mittwoch nach Utah. Er wird die Izzie fahren, damit dir nichts passiert", stellte ich Dawson vor vollendete Tatsachen.

Das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand. Dawsons Mine versteinerte. Sein Kiefer trat scharfkantig hervor. Sicher wetzte er gerade unter dem Tisch heimlich die Krallen um mich genüsslich zu zerlegen wie gestern. Angstvoll begann mein Herz zu klopfen und plötzlich war ich wieder vierzehn und er der große Junge, den ich bewunderte und der es schaffte mir mit nur einem Blick oder einem Halbsatz den Boden unter den Füßen wegzureißen. Ich war achtzehn und hätte mich am liebsten unter dem Schreibtisch verkrochen, nur um mich nicht schutzlos mitten im Raum seinen und Sams Blicken auszusetzen.

Dann schnauzte er auch schon los: „Leroy Fitz? Sicher nicht! Den kann ich gar nicht abhaben", gab Dawson aggressiv zurück und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. In seinen grünen Augen tobte eine Sturmflut. Zum Glück konnte ich gut schwimmen. Also holte ich tief Luft und sprang ins kalte Wasser, tat so als würde mich die Lautstärke, mit der er mich anfuhr kein bisschen einschüchtern.

„Ach komm schon, Dawson, warum denn nicht? So ein übler Kerl ist Lee nicht. Sieh einfach die Vorteile. Er ist Berufsfahrer und sitzt oft genug auf Bikes mit deren Motoren man Satelliten in den Weltraum schießen könnte. Du hast einfach zu wenig Erfahrung. Das ist gefährlich."

Wütend starrte Dawson mich an. „Du hast mir gar nichts zu sagen, Riley. Ich fahre selber und basta."

„Selbstverständlich! Du fährst", stimmte Sam ihm freundlich aus dem Hintergrund zu. Triumphierend wie ein kleiner Junge, der seinen ersten Purzelbaum geschlagen hatte, grinste Dawson mich an. Es hätte nur noch gefehlt, dass er mir die Zunge herausstreckte. Das Grinsen fiel ihm aber bei Sams nächstem Satz in Lichtgeschwindigkeit aus dem Gesicht und zersplitterte auf dem Boden der Tatsachen. „Aber nur in die Gärtnerei. Mit Riley. Und du wirst in Utah nicht auf der Izzie sitzen. Du hast Familie und eine kleine Tochter."

Dawson kniff die Lippen zu einer blassen schmalen Linie zusammen. Er wusste, wann er verloren hatte. Sam war nicht nur die Mutter seiner Tochter. Ob es ihm passte oder nicht, war die Dunkelhaarige seine direkte Vorgesetzte.

Dawson schob seinen Stuhl zurück. „Verstehe. Gegen euch beide hab ich natürlich keine Chance", knurrte er zu Sam gewandt. Dann warf er mir ein frostiges „Fahren wir" zu und nahm seinen Schlüssel vom Schlüsselbrett.

Mit einem hilfesuchenden Blick zu Sam folgte ich dem bärbeißig dreinblickenden Dawson. Sam hob nur resigniert die Hände. Ich war vorerst auf mich allein gestellt. Mit Dawson und mit dieser anderen Sache. Mit der Sache, die Leroy verlangt hatte.

„Umsonst ist der Tod, Riley", hatte er am Telefon gesagt. „Ich fahre, aber dafür bist du mir etwas schuldig." Schweigend hatte ich mir angehört, was er wollte. „Na gut, ich rede mit Dawson", stimmte ich schließlich zu. Was hätte ich sonst sagen sollen?

Dawson stieg an der Gärtnerei als erster aus. Das ganze Auto wackelte, als er die Tür mit Wucht zuschlug. Wortlos stapfte er auf die Gewächshäuser zu, ohne sich einen Deut darum zu scheren, ob ich ihm folgte oder nicht. Ich tat es natürlich, jedoch mit einigem Abstand. Wie ferngesteuert starrte ich auf den breiten Rücken und das dunkelgrüne Poloshirt, das er trug. Es war mit dem Logo der Werkstatt bedruckt. Passend dazu trug Dawson tiefschwarze Cargohosen, die auf seinen schmalen Hüften saßen und seine muskulösen Oberschenkel zur Geltung brachten. In Wellen strahlte er pure Wut aus. Hatte ich Leroy allen Ernstes versprochen, mit Dawson zu reden? Jemandem, der reizbarer war, als ein Stier in einer Kampfarena? Ganz blöde Idee!

Mac, der die Gärtnerei gehörte, stellte sich als eine Frau um die sechzig heraus, deren langes graues Haar zu einem akkuraten Dutt frisiert war. Ihr Gesicht war von einem Geflecht feinster Fältchen überzogen, wie man sie durch lange Jahre der Arbeit im Freien bekam. Freundlich begrüßte sie Dawson, dann sah sie mich neugierig an.

„Dich kenne ich doch", stellte sie schmunzelnd fest und gespannt wartete, worauf das rauslief. Auf die Werbefotos oder meine Schwimmerfolge. „Du hängst im Gästezimmer über dem Bett meines Enkels. Seit Wochen redet dieser nichtsnutzige Bengel von nichts anderem, als davon, ein Motorrad zu kaufen und dann ein Mädchen wie dich zu finden, um mit ihr durch die Rockys zu fahren." Sie zwinkerte mir zu. Ich lächelte mein einstudiertes „bin-sehr geschmeichelt"-Lächeln.

Mac fuhr davon unberührt fort: „Und ich sag ihm genauso lange, dass Geld für Motorräder nicht auf der Straße liegt und die Frau seiner Träume nicht plötzlich aus der Wii springen wird. Wär er mal lieber heute zum Aushelfen mitgekommen."

Mac kam um den Pflanztisch herum, an dem sie gerade eine rotbraune Schale mit Erde befüllt hatte. Sie zog ihre grünen Arbeitshandschuhe aus und legte diese ordentlich neben das Terrakottagefäß, dann führte sie uns in den Außenbereich. Miesepetrig folgte Dawson uns ins Freie, wo auf einer Palette etliche große mit Mulch gefüllte Plastiksäcke in der Sonne ruhten.

„Am besten lädst du die zuerst auf", richtete Mac das Wort an Dawson. „Ich stelle dir die Blumen in der Zeit aus dem Gewächshaus nach vorne."

Der Angesprochene warf mir einen merkwürdigen Blick zu, den ich nicht zu deuten wusste, dann hob er mit der Ameise die Palette an und fuhr sie nach draußen. Vor der Ladefläche seines Trucks stoppte er und seufzte grabestief. Seine Gedanken waren meilenweit zu hören und ich verstand endlich seinen Blick zuvor. Schwere Säcke. Und ich war nur ein Mädchen. Unter Dawsons abfälligem Blick kletterte ich auf die Ladefläche und er folgte mir mürrisch.

„Hier sind Ösen, Riley", erklärte er mir und deutete auf verschiedene Stellen am Boden und an der Rückwand der Fahrerkabine, sowie an der Ladekante. „Da sichern wir die Ladung später mit Spanngurten, okay? Wenn du die Säcke stapelst, achte darauf, dass sie möglichst sauber aufeinander liegen, dann lassen sich die Gurte besser festzurren, ohne dass die Säcke aufreißen. Das wird sonst eine fette Sauerei auf der Ladefläche."

Kurz tauchte Dawson kopfüber in einer der Kisten aus Riffelblech ab, die auf der Ladefläche standen und die er schon vor unendlich langer Zeit für den Transport unserer Picknicksachen genutzt hatte. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er stolz wie ein Schnitzel ein Paar Arbeitshandschuhe in die Höhe. „Bisschen groß für einen Zwerg wie dich. Aber besser als nichts." Ein leichtes Schmunzeln deutete sich wieder um seinen Mund an. Im nächsten Augenblick klatschte er mir die Handschuhe vor Brust, geradeso, als wäre ihm just in diesem Moment wieder eingefallen, dass er angepisst war.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top