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Nach und nach richteten Hund und ich uns in Haus und Garten ein. Jeden Tag fieberte ich Rileys Anruf entgegen. Oft saßen Hund und ich draußen auf der Terrasse, wenn sie anrief. Jeden Abend war Riley total aufgeregt, schon fast überdreht, wenn sie sich meldete und berichtete von ihrem Training und den Ausscheidungswettkämpfen.

Nur nicht an diesem einen, bewussten Abend. Seit ihrer Abreise waren zehn Tage vergangen. Schon als sie am Telefon ihren Namen sagte, hörte ich, dass etwas nicht stimmte. Und unter Tränen erzählte sie mir, dass sie sich verletzt hatte und nicht mehr im Halbfinale schwimmen konnte. Ich verstand nur Bahnhof. Wie konnte man sich beim Schwimmen verletzen? Bei anderen Sportarten konnte man stürzen oder wurde gefault. Aber doch nicht in einem Pool!

„Es ist nicht mal beim Schwimmen oder im Training passiert", jammerte Riley total angepisst. „Dann wär das noch im Ansatz okay. Aber ich dumme Nuss bin auf der Treppe im Hotel gestolpert und einfach blöd gefallen. Jetzt ist mein Handgelenk geprellt und der Coach sagt, damit lässt er mich nicht antreten."

„Häschen, das tut mir unglaublich leid! Ich würde dich jetzt wirklich gerne in den Arm nehmen und dich trösten." Und dann noch ein paar andere Sachen machen, die ich lieber unerwähnt ließ, weil Riley völlig deprimiert klang.

„Ist nicht schlimm", behauptete sie trotzdem. „So kann ich morgen schon abreisen. Dann kann ich, bevor ich an der Uni sein muss, noch mal nach Hause."

Bewundernswert, dass sie den Rückschlag, ohne die ersehnte Platzierung zurückzukehren, entspannt nahm. Das sagte ich ihr und entlockte ihr damit ein Lachen. „Ich kann nicht immer gewinnen, Dawson. Da muss man sich manches eben schönreden."

Eine Weile sprachen wir noch über Belanglosigkeiten wie mein neues Besteck, die Hantelbank, die ich bestellt hatte und über meinen gigantischen Schreibtisch. Im Nebensatz ließ ich meine Idee einfließen, meinen Abschluss nachzuholen, falls ich an der nächstgelegenen Uni angenommen wurde.

„Das ist eine großartige Idee!" Riley war völlig euphorisch. „Ich halte dir ganz fest die Daumen, dass du einen Platz bekommst."

Nach dem Telefonat setzte ich mich zu Hund in die Abendsonne und fragte mich, wie sie so begeistert von meinem Vorhaben sein konnte. Dass sie nicht traurig war, wenn wir uns während des Semesters nie sehen konnten. Riley sah immer alles dermaßen positiv, dass es schon wieder nervte. Ich quälte mich seit Tagen, ob ich um einen Studienplatz anfragen sollte oder nicht. Damit, was es für uns bedeutete. Ihr schien es beinahe egal zu sein. Vielleicht weil man Beziehungen in dem Alter noch nicht ganz ernst nahm. Weil sie außer ihrem Sport nichts ernst nahm, oder weil sie mich ganz einfach nicht ernst nahm.

Als die Nacht über das Haus fiel und außer leisen Geräuschen aus dem Wald und Hunds lautem Schnarchen nichts mehr zu vernehmen war, trieb mich ein Funken Vernunft ins Bett, obwohl es schwül und drückend war und die Luft über dem Wald zu stehen schien.

Müde und mit Kopfschmerzen, letzteres war völlig untypisch für mich, stand ich morgens auf und nur mit Anstrengung schleppte ich mich durch den Alltag. Die Arbeit ging mir zu langsam von der Hand und die Aussicht, dass die im Laufe des Tages immer dunkler werdenden Wolken für Abkühlung sorgen würden, war mein einziger Lichtblick.

Gegen fünf betrat Abraham die Werkstatt und verkündete: „Feierabend für heute. Sieht nach einem Unwetter aus. Ich will nicht, dass ihr mit den Motorrädern unterwegs seid, wenn es stürmt und schüttet."

„Okay, Chef", stimmte Rourke zu und wischte sich die Finger ab. „Macht schon mal los. Ich mach hier fertig", wies er dann Terence und mich an.

„Was ist mit Dir los?", brummte Abraham, als ich mich an ihm vorbeischleppte.

„Dicker Kopf", murmelte ich leidend.

Er klopfte mir auf die Schulter. „Is das Wetter. In zwei Stunden ist das vorbei."

Zweifelnd sah ich ihn an, nickte, weil ich wusste, Abraham erwartete es, pfiff dann nach Hund, der eilig angerannt kam und wedelnd vor der Beifahrertür stand. Dreck und Haare in meinem Auto. Wohin ich sah. Das war der Preis, den ich für die Gesellschaft des Vierbeiners bezahlte.

Zu Hause parkte ich schief in der Einfahrt, ein No-Go, und wühlte im Badschrank nach Aspirin, bevor ich duschte. Mit den Tabletten und einer eiskalten Flasche Wasser setzte ich mich auf die Veranda und sah den aufziehenden Wolken zu, die inzwischen lila schimmerten und den Vorabend in eine viel zu frühe Dämmerung tauchten. Das, was da aufzog, war keines der kleinen Sommergewitter, da hatte Abraham sicher recht. Hund schien der gleichen Ansicht. Er wirkte unruhig, mal legte er sich hin, stand kurz darauf wieder auf, ging im Kreis umher und als die ersten Blitze über den beinahe schwarzen Himmel zuckten, bellte er diese wütend an. Das beeindruckte das Gewitter aber nicht. Im Gegenteil. Offenbar fühlte es sich durch Hund provoziert und alle Himmelsschleusen öffneten sich.

Bald war der Waldrand hinter dem Vorhang aus Regen nicht mehr zu erkennen. Wasserfälle ergossen sich aus der Regenrinne auf den Boden vor der Veranda, sammelten sich dort zu Pfützen und Bächen auf dem Rasen. Ich stützte meine Ellbogen auf der Balustrade der Veranda auf, faltete die Hände und genoss die Kühle, die der auffrischende Wind unter das Dach wehte. Tief atmete ich ein, nahm den Geruch nach feuchter Erde und nassen Gehwegplatten auf und lauschte dem krachenden Donner, der auf die immer öfter über den Himmel zuckenden Blitzen folgte.

Hund bellte noch immer wie verrückt die Blitze an. „Aus, Junge", forderte ich ihn auf, aber der dumme Kerl wollte sich gar nicht mehr einkriegen. Immer wieder sprang er in den strömenden Regen, drehte eine Kurve, kam zurück zu mir.

„Komm her, Hund", versuchte ich mein Glück erneut, aber er war nicht zur Ruhe zu bringen.

Gut möglich, dass mich sein Verhalten hätte stutzig machen sollen. Immerhin war er sonst ein eher ruhiger Geselle. Dass etwas nicht stimmte, kapierte ich erst, als sich eine Gestalt aus dem Regen schälte und sich schnell näherte. Für Hund gab es nun kein Halten mehr. Kläffend rannte er über die Wiese und ich richtete mich langsam auf, fuhr mir durch die Haare. Zwei Aspirin und ich bekam solche Hallus? Und Hund auch noch mit?

Die Gestalt sprintete nun neben Hund über die Wiese und der Köter hopste mit flatternden Ohren nebenher. Bis ich ganz kapiert hatte, was ich sah, hatten die beiden die Stufen erreicht und retteten sich ins Trockene.

Strahlend blaue Augen schnitten durch das Zwielicht. Wasser tropfte aus langen braunen Haaren und aus dem Saum eines weißen Shirts, das wie eine zweite Haut an ihr klebte. Sie ließ den Rucksack fallen und im nächsten Augenblick flog sie in meine Arme. Gott steh mir bei. Sie fühlte sich so gut an. Ihr Körper passte zu meinem wie kein anderer.

„Du bist ganz nass, Riley! Was machst du überhaupt hier?", fragte ich komplett überfordert und hielt gerade so das Gleichgewicht bei ihrer stürmischen Begrüßung.

„Ich hab doch gesagt, ich fliege nach Hause, oder?", erinnerte sie mich. „Was dachtest du, wohin ich will?"

„Ich weiß nicht, Riley. Zu Miles? Oder zu deinen Eltern."

Ein zuckersüßes Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie den Kopf schüttelte. „Wo du bist, bin ich mehr zu Hause als irgendwo sonst."

Sprachlos sah ich sie an. Zu Hause. Ich war... ihr zu Hause. Okay, das war jetzt wirklich süß, oder? Aber auch ein bisschen risky. Immerhin war ich der Typ, der ihr vor Kurzem ins Gesicht gesagt hatte, er wolle sie hier nicht haben.

„Komm erstmal ins Warme und dann erklär mir bitte, warum du bei solch einem Unwetter durch die Gegend rennst." Über Rileys Unvernunft konnte ich mich nur wundern.

„Ich bin vom Flughafen mit dem Taxi zur Werkstatt gefahren. Aber da war niemand mehr. Und ich wollte nicht allein dort warten, bis das Gewitter aufhört" erklärte sie mir, während ich sie Richtung Treppe schob. „Das Taxi war weg und, naja, da bin ich eben hergelaufen."

„Du hättest anrufen können?", schlug ich vor. „Dann hätte ich dich abgeholt."

Betreten sah sie mich an. „Mein Akku war leer", hauchte sie als Begründung. Ich schnaubte. Das war wirklich nicht zu fassen mit ihr. „Und nun bist du nass bis auf die Haut. Klingt nach einem wirklich ausgefeilten Plan."

„Nass werde ich öfter mal, Dawson. Ich bin Schwimmerin", erinnerte mich Riley ganz abgeklärt und ehrlich gesagt kotzte es mich etwas an, dass sie nicht einsehen wollte, wie blöd sie sich verhalten hatte. „Aber umziehen würde ich mich schon ganz gerne. Mir ist inzwischen wirklich kalt", fügte sie dann bittend an und schob ganz selbstverständlich die Tür zu meinem Schlafzimmer auf.

„Ich hol dir ein Handtuch", brummte ich und verschwand im Bad.

Die Tür hatte Riley hinter sich nur angelehnt und vielleicht war es von mir unüberlegt, einfach ins Schlafzimmer zu platzen. Aber das war mein Haus. Ich war es nicht gewohnt, an meinen eigenen Türen zu klopfen. Oder überhaupt anzuklopfen. Und mal im Ernst? Wer rechnete damit, dass da plötzlich ein Mädchen in hauchfeinen Spitzenhöschen im Zwielicht des Schlafzimmers stand und ihre nasse Wäsche auf meinen Kleiderständer hängte? Ein Mädchen, das ich schon so lange begehrte, dass ich mich an den Beginn dieses Gefühls gar nicht mehr richtig erinnern konnte.

Jetzt flammte dieses Gefühl mit der unkontrollierbaren Heftigkeit eines Flächenbrandes auf, floss wie brennendes Kerosin durch meinen Körper. Achtlos ließ ich das Handtuch am Fußende meines Bettes fallen. Riley brauchte kein Frottiertuch, wenn ich sie mit meinem Körper wärmen konnte. Die Logik war bestechend simpel, und als ich meine Arme um sie legte, fragte ich mich, warum ich nicht früher zu dem Schluss gekommen war. Hitzig trafen ihre Lippen auf meine. Ihre Haut fühlte sich kalt und klamm unter meinen Händen an. Dafür war mir heiß.
Rileys eisige Finger streiften meine Haut, als sie nach dem Saum meines Shirts griff und es unbeholfen über meinen Kopf zog. Dann griff sie sehr zielstrebig nach meiner Gürtelschnalle und öffnete sie. In meinem Hinterkopf nistete sich die Frage ein, ob heute der Tag war, an dem es passieren würde. Für mich hing alles von einer einzigen Sache ab. Ich brauchte Sicherheit, falls ich das heute versaute. Sicherheit, dass ich später noch ein paar Momente hatte, es für sie wieder gut zu machen.

„Wie lange kannst du diesmal bleiben?", fragte ich sie drängend und hoffte auf eine Antwort, die mir mindestens eine weitere Nacht mit ihr ermöglichte.

„Vier Tage", antwortete Riley in dem Augenblick, in dem sie meine Hose über meine Hüfte schob.

Vier. Tage.

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