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Ich tat es ihr gleich und schob die Decke zur Seite und näherte mich ihr. „Riley?", flüsterte ich ganz leise, um sie nicht zu erschrecken, dennoch zuckte sie zusammen. Ich stützte meine Hände rechts und links von ihr ab und blickte über ihre Schulter hinweg hinaus in den stillen Garten. Der
„Was ist los?", erkundigte ich mich leise.
Statt einer Antwort bekam ich ein Achselzucken und ein halbherziges „nichts".
Dieses „Nichts" war eines von denen, die die Welt bedeuteten. Ich kannte dieses nichts. Ich hatte eine Mutter. Eine Schwester. Ich kannte Stacey. Und Sam. Und sie alle hatten den Hang zu „Nichts".
„Tu das nicht, Riley", bat ich sie. „Schließ mich nicht aus." Mit dem Daumen streifte ich ihren kleinen Finger und wartete ab. Nur half das nicht. Sie schwieg weiter.
„Was bedrückt Dich?", hauchte ich in ihr Ohr. Das schien zu kitzeln, denn reflexartig zog sie eine Schulter hoch. Danach atmete sie tief durch, drehte sich in meinen Armen um und sah mich aus großen Augen an. Es kostete mich beinahe unmenschliche Überwindung, das Tal zwischen ihren Brüsten zu ignorieren und meine Augen auf ihrem Gesicht ruhen zu lassen.
„Findest du...", begann sie, wich dann meinem Blick aus, sah irgendwo knapp an meinem Ohr vorbei. „...mich nicht anziehend genug?"
Ungläubig starrte ich Riley an. Was war denn das für eine bescheuerte Frage? Mal ehrlich! „Wie kommst du darauf?", versuchte ich ihren Gedankengang nachzuvollziehen. Sie musste doch gespürt haben, wie sehr ich sie wollte.
Jetzt sah sie mir wieder direkt in die Augen. „Weil du nicht mit mir schlafen willst", sagte sie kläglich.
Ich löste meine Hände von der Fensterbank und legte sie um Rileys Gesicht, wo ich ihre hohen Wangenknochen streichelte, während ich Zeit schindete, um die passenden Worte zu finden. Welche, die ausdrückten, wie verdammt noch mal sehr ich sie wollte, ohne dass es ordinär oder sogar obszön klang. Doch wie immer, wenn es drauf ankam, war mein Kopf nur ein Wirbel wirrer unzusammenhängender Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte.
„Das stimmt so nicht. Ich würde gerne mit dir schlafen, Riley." Zärtlich küsste ich sie. „Schon sehr lange. Aber ich werde dich bestimmt nicht entjungfern, wenn du morgen früh zu einem Wettkampf fliegst und wir uns dann Wochen nicht sehen!"
Rileys blaue Augen schimmerten elektrisierend im Zwielicht, brannten sich wie blaues Feuer in meine. „So wird es immer sein, Dawson. Ich werde immer irgendwo hinmüssen. Ich habe keine Ahnung, wann wir wieder die Gelegenheit bekommen uns überhaupt zu sehen", wisperte sie rau und schlang ihre Arme um meinen Hals. „Ich will diese Erinnerung an dich mit nehmen. Nach Europa. Nach Kalifornien. Überallhin. Verstehst du?"
Hitzig presste sie ihren Mund auf meinen und Lust schwappte wie eine Welle über mir zusammen, wie jedes Mal wenn sie mir nahe kam. Wie in Trance legte ich meine Hände auf ihre Hüften und brachte Abstand zwischen uns, solange ich noch genug Beherrschung dafür aufbringen konnte. „Riley. Hör auf damit. Ich mein es ernst", beschwor ich sie.
„Na gut, dann eben nicht!", schnappte sie beleidigt und stapfte zum Bett. Äußerst energisch lupfte sie die dünne Decke wickelte sich darin ein bis sie aussah wie eine kleine Raupe im Kokon und drehte mir demonstrativ den Rücken zu.
Eher widerwillig ließ sie sich von mir in den Arm nehmen. Als ich aber versuchte eine Hand unter das Laken zu schieben, schob sie meine Hand weg. „Ich dachte du wolltest eine Erinnerung mitnehmen, Häschen?", neckte ich sie und küsste ihren Hals, ihren Kiefer, ihre Schläfe. Durch den Stoff streichelte ich über ihre Taille und den Oberschenkel, dann küsste ich ihren Mundwinkel und fühlte wie ihr Widerstand bröckelte.
„Was soll das werden, Dawson?", fragte sie mich angespannt und ein wenig genervt.
„Eine Erinnerung, Riley. An diesen Abend, diese Nacht und daran, wem du gehörst."
Mit einem Ruck zog ich das Laken zur Seite und erntete einen langen Blick aus ihren wunderschönen Augen, die sie jedoch schloss, als ich das T-Shirt hochschob und meine Zunge träge Kreise um ihren Bauchnabel malte. Einmal mehr erschien es mir unwahrscheinlich, dass dieses wunderbare Wesen wirklich auf meinem Bett in einem schäbigen Zimmer über einer Werkstatt am Arsch der Welt lag. Dass ich sie endlich auf diese Weise berühren konnte. Mein Herz schlug wild, als ich sie beobachtete, wie sie jede meiner Berührungen genoss. Jeden Kuss und jedes sanfte Streicheln. Ich war erregt wie noch nie in meinem Leben, als ich ihr zum Zweiten Mal in dieser Nacht das Höschen abstreifte. Erschrocken quietschte Riley, als ich ihre Knöchel umfasste und sie bis zur Kante des Bettes zog und mich zwischen ihre Schenkel kniete. Ihre Augen wurden groß vor Überraschung als ich meine Lippen auf ihr Geschlecht senkte. Aber hatte ich ihr vor der Bar nicht genau das versprochen?
Riley am nächsten Tag zu Leroy in die Limousine steigen zu lassen, war das mit Abstand Härteste, das ich seit langem tun musste. Tief saugte ich Rileys vertrauten Duft ein, als wir uns zum Abschied umarmten. Ihr trauriger Anblick war herzzerreißend und mein Herz wurde schwer. Was, wenn ich einen Fehler gemacht hatte? Was, wenn ihr auf der Fahrt zum Flughafen etwas passierte oder auf dem langen Flug über den Atlantik? Was, wenn ich uns die einzige Chance genommen hatte, so zusammen zu sein, wie wir es uns beide wünschten?
Panik, pur und aufwühlend, kroch durch meine Venen und machte mir das Atmen schwer, ließ mein Herz schmerzhaft gegen meine Rippen schlagen. Sie musste meinen inneren Kampf gefühlt haben. Vielleicht, weil ich sie fester an mich zog. Oder, weil ich meine Nase verzweifelt in ihrem Haar vergrub. Oder sie hörte das schnelle, fast krampfhafte Schlagen hinter dem Brustbein, an dem ihr Ohr lag.
Jedenfalls sah sie mich von unten herauf prüfend an. Beruhigend lächelte sie. „Ich melde mich, wenn ich am Flughafen bin. Und wenn ich gelandet bin", versprach sie mir. Dann bekam ich einen letzten Kuss, einen letzten Blick, bevor sie in den Wagen stieg.
Wie ein liebeskrankes Huhn sah ich der Limousine nach, bis sie um die Ecke bog. Erst dann schaffte ich es, mich abzuwenden und mit schleppenden Schritten nach oben in mein Zimmer zu gehen. Dort setzte ich mich auf mein Bett, legte die Füße hoch und drückte das Kissen, auf dem sie geschlafen hatte, gegen meine schmerzende Brust. Es war offiziell: ich hatte endgültig mein Herz verloren. Sie hatte es einfach mitgenommen.
Die Nachricht, sie wäre am Flughafen, riss mich aus meiner Lethargie und ich joggte die Treppe runter zur Werkstatt, die an einem Sonntag naturgemäß leer und still da lag. Im Teilelager suchte ich mir ein paar alte Kartons von Lieferungen längst verbauter Teil und eine Rolle von dem breiten braunen Paketklebeband, um diese wieder fest zu verkleben.
„Ist das echt schon der letzte Karton?", erkundigte Chad sich und setzte sich neben mir auf die Stufen.
„Ziemlich überschaubar, deine Besitztümer", stellte Lio fest. Aber was hatte er denn bei dem kleinen Zimmer erwartet? Ein bisschen Kleidung, ein paar Teile aus dem Bad. Izzies Bettchen und das wenige Spielzeug, das sie hier oben hatte.
„Was wird aus Hund?", erkundigte sich Chad und fasste den Vierbeiner ins Auge, der beunruhigt um die Treppe schlich. Als er seinen Namen hörte, drehte er die Ohren in Chads Richtung und wedelte freundlich.
„Dieser Jimmy hat ihn dagelassen. Sam war völlig außer sich, weil der Penner hier plötzlich auftaucht und dann sang und klanglos verschwindet und den Köter wieder hierlässt."
Wenn ich mal raten sollte, dann war Sam an dem Abend wegen anderer Sachen viel mehr aus dem Häuschen gewesen. Zum Beispiel, wegen Chads Unehrlichkeit. Aber ich wollte nicht wieder darauf rumreiten. Das hätte unweigerlich dazu geführt, dass ich mich über die Sache mit der Hepatitis aufregte.
„Nimm ihn doch mit", schlug Lio an Chad gewandt vor. „Deine Granny freut sich sicher über Gesellschaft, während du im Krankenhaus bist."
„Krankenhaus?", beunruhigt sah ich zu Chad, der daraufhin nickte.
„Sam und ich haben gestern lange geredet. Ich werd mich nochmal gründlich untersuchen lassen und dann auf die Liste setzen lassen. Für eine Organspende."
Etwas baff sah ich in Chads bleiches Gesicht. Er hasste Spritzen, er hasste Nadeln und Skalpelle noch viel mehr.
„Wow. Das kommt überraschend von jemandem, der immer gesagt, er bräuchte keine Niere, weil es die Dialyse gibt!"
„Weißt du, eigentlich ging es nicht so sehr ums Brauchen. Ich hab ne Scheiß-Angst vor der OP", gab Chad stockend zu. „Ich mein bei einer Narkose..., da kann richtig viel schief gehen. Und was ist, wenn dem Chirurgen das Messer abrutscht und ich eine voll hässliche Narbe hab?"
„Dann siehst du aus wie Dawson und der hat ne verdammt hübsche Freundin. Habt ihr ne Idee, wo ich mich operieren lassen könnte?", stellte Lio trocken fest. Aus dem Mund eines anderen zu hören, dass Riley meine Freundin war, ließ diese Tatsache verdammt real wirken. Sie hatte fucking achthunderttausend Follower. Aber nur ich hatte sie auf diese einzigartige Weise berühren dürfen, die mich selbst noch immer in Staunen versetzte. Sie hatte mir blind vertraut, mir ihren wunderschönen Körper zum Geschenk gemacht.
„Nee, tut mir leid. Gehirntransplantationen sind noch nicht möglich", witzelte ich nach meinem kurzen gedanklichen Exkurs und duckte mich vorsichtshalber weg. Ich hatte schon geahnt, dass Lio nach mir schlagen würde.
„Arsch", brummte Lio, nachdem er mich haarscharf verfehlt hatte, grinste aber schon wieder. „Aber mal zurück auf Anfang Leute. Soll Hund hier nachts allein sein? Und sonntags auch?"
Seufzend stand ich auf. „Ich hab noch keine Hundehütte für ihn. Aber er kann auf der Veranda schlafen."
Chad sah wieder auf meinen äußerst übersichtlichen Stapel Kartons. „Ich denk, die fehlende Hundehütte ist nicht dein einziges Problem. Denkst du wirklich, dass du klarkommst mit allem? Ich meine, wenn wir heute fahren, bist zu ziemlich allein mit deinem Haus und dem, was da zu machen ist."
Und das war gut. Nach dem Trubel die letzten Wochen sehnte ich mich einfach nach Ruhe, Einsamkeit, meinen Waldläufen und ... nach Riley. Das war aber gerade nicht Thema, oder?
„Ist kein Problem. Ich mach einfach eins nach dem anderen. Zeit hab ich erstmal mehr als genug."
Lio rieb sich hochmotiviert mit den Händen über die Oberschenkel. „Gut, dann lasst uns mal losmachen. Wir haben noch ne ziemliche Strecke vor uns."
Gemeinsam verluden wir meine Kisten auf den Truck und nach einer kurzen Umarmung bestiegen Chad und Lio den Lexus und fuhren vom Hof. Mir fiel die eher zweifelhafte Ehre zu, Hund in meinen Wagen zu locken. Egal, was ich versuchte, er weigerte sich, auf den schmalen Tritt und auf die Ladefläche zu springen.
„Du bist ein ziemlich sturer Hund", schimpfte ich leise mit ihm. „Ich kann dich doch nicht hier allein lassen."
Dann überlegte ich, was ihm schon groß passieren konnte. Mal abgesehen davon, dass er eine Biene fressen könnte. Oder mit dem Kopf im Zaun stecken bleiben. Oder in Scherben treten. Sich in Kabeln verheddern. Altöl aufschlabbern. Kam also nicht in Frage, ihn sich selbst zu überlassen.
Schließlich holte ich die beiden mobilen Rampen und legte sie ans Heck. Neugierig beschnüffelte Hund das Metall, dann wedelte er fröhlich. „Schön, wenn sie dir gefallen", brummte ich, dann nahm ich ihn am Halsband und zog und zerrte ihn mehr nach oben, als er selber lief.
Schließlich hatte ich Hund, wo ich ihn haben wollte. Nur war er nicht ganz in dem Zustand, den ich mir wünschte. Er winselte und seine Beine zitterten vor Angst. Das ging doch so nicht! Ich konnte das Tier unmöglich völlig verängstigt da oben den ganzen Weg über die Landstraße kutschieren. Ohne meinen Sieg lange genießen zu können, half ich ihm wieder runter und öffnete ihm resigniert, auf einen weiteren Kampf vorbereitet, die Beifahrertür. Man konnte fast nicht glauben, wie schnell ein Hund in ein Auto springen konnte. Ein Blitz war gegen ihn eine lahme Schnecke.
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