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„Wo ist Sam?", wisperte ich Chad zu, der mich achselzuckend ansah. Ich beugte mich zu ihm runter, damit nur er mich hörte. „Ihr Mann ist grade aufgetaucht. Du musst sie suchen. Kümmre dich um sie, Chad. Ich kann jetzt nicht", flüsterte ich eindringlich.

„Okay. Ich such sie. Mach dir keine Sorgen." Er drückte meine Schulter und verließ seinen Platz. „Schau oben bei mir!", rief ich Chad nach. Gut möglich, dass Sam davon ausging, niemand würde sie dort vermuten. Am wenigsten dieser Jimmy. Erleichtert sah ich Chad nach, der bestätigend den Daumen hob und nahm völlig abgehetzt meinen Platz eben Abraham ein, der mich wegen meiner Verspätung fragend ansah. „Jimmy ist gerade aufgekreuzt", informierte ich ihn leise. Sofort blickte Abraham sich suchend nach dem dunkelhaarigen Neuankömmling um. Als er ihn fand, erwartete ich Blicke aus der Stierarena. Doch Abraham hob freundlich die Mundwinkel und winkte ihm.

„Umso besser. Dann sieht er, was er hier alles verpasst hat, seit er sich einfach verpisst hat." In einer solchen Situation zu grinsen und zu winken, brachte nur ein Typ wie Abraham fertig. Als wäre nichts geschehen, hob der Werkstattbesitzer sein Mikro und ging zum nächsten Tagesordnungspunkt über: Begrüßung aller Anwesenden. Wortwörtlich aller!

All die Nervosität, die während des kurzen Dramas in den Hintergrund getreten war, flammte wieder auf, als Abraham mit der Begrüßung begann. Langatmig zählte er einen wichtigen Gast nach dem anderen auf und begrüßte ihn persönlich. Ich stand derweil reglos neben ihm und zählte krampfhaft meine Atemzüge. Immer bei zehn fing ich wieder von vorne an. Ich bemühte mich wirklich um Ruhe und Gelassenheit, aber es war verdammt schwer in diese Mischung aus bekannten und fremden Gesichtern zu blicken, ohne an die bewusste andere Situation zu denken. Die, in der mich ein Sarg und ein klaffendes Loch von den anderen Anwesenden getrennt hatte.

Heute war es völlig anders und trotzdem schafften mein Herz und mein Kopf es nicht, Ordnung in meinen Gefühlen zu halten und schwerelos trudelte ich durch düstere Erinnerungen und traumatische Abgründe. Da half es nichts, mir die Leute in Unterwäsche vorzustellen, wie ich es Riley vor Kurzem geraten hatte.

Abraham leitete zu mir über und etwas zu kurzatmig übernahm ich das Mikrofon. Selbst mit dem Verstärker klang meine Stimme kraftlos und dünn, fiel mir auf, und mit Mühe las ich die Begrüßung ab, die ich mir auf ein Karteikärtchen notiert hatte. Flüssig war was ganz anderes, soviel war klar, aber ich kriegte es nicht besser in die Reihe.

Auf der nächsten Seite begannen die Buchstaben zu verschwimmen, zu tanzen und mehrmals räusperte ich mich. Hilfesuchend wollte ich zu Sam blicken, doch sie stand noch immer nicht an dem vereinbarten Platz.

Panik kroch durch meinen Körper und meine zitternden Hände ließen vor all den Leuten die Karten fallen. Wenn noch jemand einen Beweis gewollt hatte, dass ich ein Versager war, dann lag dieser jetzt über den Boden verteilt zu meinen Füßen.

„Ich helf dir", sagte eine weiche Stimme neben mir. Schlanke sonnengebräunte Finger, strichen beruhigend über meinen Handrücken und sammelten die Karten ein, brachten sie anschließend in Lichtgeschwindigkeit in die richtige Reihenfolge. Mit einem strahlenden Lächeln reichte mir Riley meine Notizen.

„Du schaffst das Dawson", wisperte sie leise und dann drückte mir das Moretti-Girl des Jahres -vor all diesen nervigen Leuten, die mich ganz hibbelig machten- mit ihren sexy rot geschminkten Lippen einen Kuss auf die Wange.

Noch immer klopfte mein Herz. Aber nun ihretwegen. Noch immer zitterten meine Hände, doch nun, weil ich mit ihnen dieses unglaubliche Mädchen festhalten wollte. Meine Lippen bebten, weil ich sie küssen wollte und nicht mehr, weil keine Worte hinüberkamen. Da stand Riley in Lebensgröße, eine strahlende Prinzessin, in einem sündigen schneeweißen Kleid, beinahe als hätte der Mond einmal mehr seine glänzende Farbe über sie geschüttet. Da stand meine Zukunft, keinen Steinwurf weit entfernt und die Vergangenheit verlor sofort ihr Gewicht und die schmerzhaften Stacheln.

Etwas stockend begann ich mit meiner Rede. Sah immer mal wieder zu Riley, die ausnahmslos lächelte, wann immer meine Augen zu ihr huschten. Keine Ahnung, warum ich mich vor dem Vortrag so sehr gefürchtet hatte. Jetzt fühlte es sich eher an, als würde ich Riley entspannt bei einem Bier erzählen, was ich die letzten zwei Jahre getrieben hatte. Ohne ablesen zu müssen, berichtete ich von den Rückschlägen, den Lösungen und zählte ganz zum Schluss auf, welche brutale Leistung wir unserem Baby zuletzt in den Salt Flats abgerungen hatten.

Dann bat ich um Ruhe. Das Licht in der Werkstatt erlosch, dann flammten die Spots um das Podest herum auf und ich bangte einen Augenblick. In die atemlose, gespannte Stille trat Izzie in ihrem Glitzerkleidchen. Mit Lackschühchen.

Neben dem Podest blieb sie stehen, verbeugte sich zu den Leuten, umarmte ihren Großvater und strahlte mich dann erwartungsvoll an.

Ich ging neben ihr in die Knie.

„Bist du bereit?", fragte ich meine Kleine und ihre dunklen Haare wippten, als sie nickte.

„Dann zeig der Welt das Motorrad, das deinen Namen trägt, Izzie", forderte ich sie auf.

Mit einem engelsgleichen Lächeln griff Izzie nach der Stofffalte, die ihr am nächsten war und ging Schritt für Schritt rückwärts. Blitze der Pressefotografen flammten auf. Und Millimeter für Zentimeter zog Izzie die Verhüllung von dem Motorrad.

Das letzte Stück der Stoffbahn folgte von selbst raschelnd der Schwerkraft. Ein großer Haufen Stoff bauschte sich schließlich auf dem Boden. Applaus brandete auf, anerkennende Pfiffe ertönten. Izzie lief wie vereinbart in die Richtung, wo ihre Mum auf sie warten sollte. Doch dort, neben den Regalen mit dem ordentlich aufgehängten Werkzeug, stand jetzt Riley. Völlig ohne Scheu schob Izzie ihre kleine Hand in die der Schwimmerin und wartete, dass ich die Gäste bat, näher zu kommen und das Motorrad zu bewundern.

Abraham, stolz wie ein frischgebackener Vater, bezog neben der Izzie seinen Posten und mit Rourkes Unterstützung beantwortete er geduldig die Fragen aller Interessierten. Der perfekte Moment, sich davon zu stehlen und den beiden schönen Damen zu widmen, die Hand in Hand etwas abseits des Getümmels warteten. Egal wieviel Wirbel um sie herum gerade war, Riley strahle eine absolute Ruhe aus, die mir unter die Haut kroch und mir selbst Ruhe spendete.

„Hey", begrüßte ich Riley und hob Izzie hoch, die mir die Ärmchen entgegenstreckte. Unschlüssig, was ich zu Riley sagen sollte, stand ich da und versank bei ihrem Anblick in eine ehrfurchtsvolle Schockstarre. Ich kannte Riley, die Schwimmerin. Riley, die Nachbarin und Riley, die beste Freundin von Stacey. Und die Riley, in die ich mich verliebt hatte. Doch noch nie hatte ich Riley, das Modell, aus der Nähe gesehen. Mit diesen intensiv geschminkten Augen und einem raffinierten Kleid. Keine Ahnung, ob es unverschämt war, sie dermaßen unverhohlen zu mustern. Aber der Ingenieur in mir versuchte gerade zu verstehen, wie diese zwei Stoffbahnen, die sich auf Brusthöhe kreuzten und Rileys hübschen Bauch zur Schau stellten, in ihrem Nacken hielten, ohne zu verrutschen. Ich meine, was, wenn sie sich vorhin neben mir nach den Karten gebückt hätte und schwupp, wäre eine Brust rausgehüpft? Mir erschien das Konstrukt etwas gewagt, wenn doch auf jeden Fall hübsch.

„Hey", sagte Riley ebenfalls und lächelte schüchtern zu mir hoch.

„Daddy, ich bin durstig. Können wir Mummy suchen?", quengelte Izzie zwischen meine Gedanken und seufzend brach ich den Versuch ab, etwas Geistreiches von mir zu geben, mit dem ich Riley beeindrucken konnte.

„Klar, wir suchen sie", versprach ich. Bedauernd sah ich Riley an.

„Ich komm zurück, sobald ich Sam gefunden habe, ja? Wo finde ich dich?"

Riley hob eine Augenbraue. „Dein Ernst, dass du das fragst? Es gibt ein Buffet, Dawson!"

Die Antwort entlockte mir ein kurzes Lachen. Das erste heute und es fühlte sich unglaublich befreiend an. „Lass mir noch was übrig", zwinkerte ich ihr zu und wendete mich zum Gehen.

„Dawson?" Rileys Hand umfasste zart wie ein Windhauch mein Handgelenk. „Ist... alles okay? Du warst ziemlich nervös und... ich mache mir ein bisschen Sorgen, weil ich nicht weiß..."

Ich schluckte. Was sollte ich ihr sagen? Wir hart ich heute mal wieder am Rande eines Kontrollverlustes entlanggeschrammt war? Ich sah zu Izzie, dann drückte ich Rileys Hand. „Jetzt ist alles gut. Lass uns später weiter reden."

Ihr war anzusehen, wie schwer es ihr fiel, es für den Moment gut sein zu lassen. Aber sie nickte. „Gut, dann... bis nachher."

Aus meinem nachher wurde viel später. Sobald ich ein paar Schritte ging, wurde ich angesprochen auf die Izzie, brauchte jemand bei irgendetwas Hilfe, waren Fragen zu klären und ich verfluchte auf jedem Meter, den ich zurücklegte, insgeheim Chad, der Sam versprochen hatte, bei ihr und Izzie im privaten Teil des Gartens zu bleiben, bis dieser bekloppte Jimmy sich vom Acker machte.

Als ich mich endlich bis zum Büro durchgekämpft hatte, erinnerten mich die von der Stammzellspende, dass sie gegen halb zehn zusammenpacken würden und ob sich die Mitarbeiter der Werkstatt bis dahin noch in die Kartei aufnehmen lassen wollten. Unter Leroys mürrisch-auffordernder Musterung drehte ich wieder ab, bevor ich nur einen Blick auf Riley hatte werfen können und machte mich auf die Suche nach Terence, Rourke, Lio und Abraham und mit ihnen im Schlepptau, sammelte ich zu guter Letzt noch Sam ein.

Murrend stand sie auf, warf mir einen „wehe ich treffe Jimmy"-Blick zu. Dann hielt sie Chad auffordernd die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

„Ne, das ist nichts für mich", wich Chad natürlich aus. Lio und ich wechselten einen Blick. Keine Ahnung, wie Chad sich da rauswinden wollte, aber der Ansatz war nicht gut gewesen. In Sams Augen braute sich ein Sturm in Orkanstärke zusammen und in dessen Zentrum befand sich Chad. Ich gab ihm noch zehn Sekunden, bevor sie explodierte.

„Wie, das ist nichts für dich?" erkundigte sie sich spitz. Und sehr... laut. „Sag bloß, du bist einer von denen, die nie zur Blutspende gehen?", knurrte sie wie ein wütender Hund.

„Genau so einer bin ich, Sam."

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